Königliche Tochterstämme, Königswähler und Kurfürsten, hg. v. Wolf, Armin (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 152). Klostermann, Frankfurt am Main 2002. VIII, 498 S.

 

Vom 26. bis 29. Juli 1998 fand anläßlich der 700jährigen Wiederkehr der ersten bezeugten Zusammenkunft der sieben Kurfürsten des römisch-deutschen Reiches in den Räumen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt eine Tagung zur „Entstehung des Kurfürstenkollegs des Heiligen Römischen Reiches“ statt, deren Beiträge nunmehr in ausgearbeiteter Form und unter geändertem Haupttitel gedruckt vorliegen. Der neue Titel enthält in schlagwortartiger Zuspitzung die in zahlreichen Veröffentlichungen ausgebreitete Grundthese des Herausgebers, nach der die Wahlberechtigung der weltlichen Fürsten in der über weibliche Linien bestehenden Abstammung der Königswähler als Mitglieder sog. „Tochterstämme“ des sächsischen Königshauses der Liudolfinger gründete und die spätere Herausbildung des Kreises der Kurfürsten grundsätzlich (aber nicht in jedem Fall) ein Prozeß des Aussterbens dieser Tochterstämme gewesen sei, der schließlich 1298 in einen Rechtsakt einmündete, nämlich in einer Erklärung König Albrechts I., durch die seine (und seines Vaters) Wähler – von denen die weltlichen Fürsten jetzt zu sog. habsburgischen Tochterstämmen geworden waren – das ausschließliche Königswahlrecht zugestanden erhalten haben sollen. Letztlich sind es demnach zwei Rechtskriterien gewesen, die das Königswahlrecht begründet haben sollen: zunächst und vor allem das Erbrecht (vgl. S. 5 oder 39: „Wahlberechtigt waren die Erbberechtigten“) und dann die auf politische Konstellationen Rücksicht nehmende Rechtssatzung des Königs.

 

Diese These, die durch vielfältige genealogische Untersuchungen abgesichert werden mußte, ist nicht ohne Kritik geblieben (vgl. dazu zuletzt Franz-Reiner Erkens, Kurfürsten und Königswahl. Zu neuen Theorien über den Königswahlparagraphen im Sachsenspiegel und die Entstehung des Kurfürstenkollegiums, 2002), weswegen die Tagung offenbar auch dazu dienen sollte, vorgebrachte Einwände zu entkräften. Den Beiträgern war deshalb auch ein Katalog von Fragen aufgetragen worden, den sie bei ihren Ausführungen berücksichtigen sollten und der zum Teil deutlich spürbar von den vorgetragenen Kritikpunkten her formuliert worden ist (S. 54): „Teilnahme an Königswahlen. Eventuelle Gründe für das Fortbleiben. Besondere Unterstützung des Königs, etwa durch Teilnahme am Romzug. Teilnahme an Aufständen gegen den König oder Unterstützung von dessen Gegnern. Parteizugehörigkeit bei zwiespältigen oder Gegen-Königswahlen. Eigene Königskandidaturen. Bewußtsein der Königsverwandtschaft (Belege für consanguinitas mit der Königsfamilie in Urkunden oder in der Hausüberlieferung, Vorkommen ottonischer Namen).“ Gerade der letzte Punkt ist für die Wolfsche These von zentraler Bedeutung: Wenn nur ein Königswähler nachweisbar ist, der keine Königsverwandtschaft besitzt, dann ist sie hinfällig, während andererseits der Nachweis, daß alle Wähler ottonischer Abstammung waren, lediglich die Voraussetzung für Wolfs Gedankengebäude sicherstellt, dessen Richtigkeit aber noch keineswegs beweist – denn eine Tatsache allein bezeugt die aus ihr gezogenen Schlußfolgerungen nicht; dazu sind schon noch weitere Indizien nötig. Daher reicht es auch nicht aus, den gegen Wolfs erbrechtliche Theorie vorgebrachten Einwand, „daß die Angehörigen des mittelalterlichen Hochadels doch fast alle miteinander verwandt waren“ (S. 5; vgl. auch ebd. Anm. 8), mit dem Hinweis zurückzuweisen, es käme nicht auf die „bloße Verwandtschaft“ an, sondern auf die „königliche Abstammung“ (S. 5), und zwar als Mitglied eines der vielberufenen Tochterstämme.

 

In seinem einleitenden Beitrag „Königswähler und königliche Tochterstämme“ (S. 1-77) breitet Armin Wolf daher noch einmal seine schon aus zahlreichen anderen Publikationen bekannte Theorie anhand eines umfangreichen genealogischen Materials aus, bezieht sie diesmal aber auch auf Familien, die bisher noch nicht als zum Kreis der Königswähler zählend beachtet worden sind, und versucht die gegen seine Hypothese eingewandten Überlegungen zu entkräften. Die genealogischen Einzelheiten brauchen, auch wenn sie gelegentlich umstritten sind und von anderen Forschern anders gesehen werden als von Wolf, hier nicht weiter zu interessieren, da in den diskutierten Problemfällen ohnehin keine sichere Entscheidung über die familiären Zusammenhänge getroffen werden kann. Bemerkenswert hingegen ist etwas anderes: die Einbeziehung von „acht weltlichen Mitwählern“ (S. 40), die bei der Doppelwahl von 1198 selbst nicht persönlich, sondern durch Briefe und Gesandte mitgewirkt hatten, in das Gebäude der Wolfschen Theorie. Für diese entstehen dadurch nämlich Schwierigkeiten.

 

Vier von diesen acht Mitwählern – näherhin den staufischen Pfalzgrafen von Burgund, den Herzog von Lothringen-Bitsch, den wettinischen Markgrafen von Landsberg und den bayerischen Pfalzgrafen aus dem Hause Wittelsbach – klassifiziert Wolf nämlich als „Sekundogenituren von Königswählern“, sie waren „also jüngere Brüder oder Vettern der Hauptwähler im Mannesstamm“ (S. 40); die übrigen vier hingegen – den Herzog von Zähringen, den Herzog von Kärnten, den Markgrafen von Vohburg und den Pfalzgrafen von Tübingen – muß er ein eigenständiges Wahlrecht zubilligen, ohne für den Kärntner und den Tübinger die nach der eigenen Theorie über ein angeblich ererbtes Königswahlrecht notwendige Abstammung von einem königlichen Tochterstamm darlegen zu können. Wird ein solcher Nachweis für die Vohburger (vgl. S. 41) und die Zähringer noch unternommen (vgl. den Exkurs I auf S. 55-58), so bleibt das Ergebnis in den beiden anderen Fällen offen; die königliche Abstammung wird zwar vermutet (sonst wäre ja auch die erbrechtliche Theorie erledigt), aber nicht demonstriert, denn, so lautet das Eingeständnis: „bei dem Herzog von Kärnten und dem Pfalzgrafen von Tübingen (bestehen) genealogisch noch offene Fragen über die Abstammung aus einem älteren Tochterstamm“ (S. 42).

 

Wenn man wohl auch keine Zweifel hegen muß, daß A. Wolf diese Fragen über kurz oder lang zu beantworten weiß, so bleibt doch immerhin das bedenkliche Phänomen, daß er zu einer weiteren Hilfskonstruktion greifen muß, um seine Theorie zu retten. Eine solche Hilfskonstruktion ist etwa auch der im 13. Jahrhundert angeblich eingetretene Verlust des Königswahlrechtes der Herzöge von Brabant und von Oberlothringen (vgl. Armin Wolf, Les deux Lorraine et l’origine des princes électeurs du Saint-Empire. L’impact de l’ascendence sur l’institution, in: Francia 11 [1983] S. 241-256), eine andere die aus der Evidenz der Quellen im Sinne der eigenen Theorie abgeleitete, aber (auch in diesem Beitrag auf S. 50f.) nicht wirklich erklärte Beendigung der bis 1152 greifbaren Regeneration des Kreises von zur Königswahl berechtigten Familien durch das Einrücken von nachrangigen Tochterstämmen für ausgestorbene (vorrangige) Tochterstämme. Nun kommt also noch die Sekundogenitur von Hauptwählern aus den Tochterstämmen hinzu, die dem in der Goldenen Bulle von 1356 verankerten, nach Wolf (vgl. S. 18) eigentlich aber bereits wesentlich früher Geltung besitzenden Prinzip widerspricht, nach dem die Wahlstimme an das (Kur-)Land gebunden ist. Nun lautet die Auskunft (S. 40): „Indem sie [die jüngeren Brüder oder Vettern der Hauptwähler im Mannesstamm 1198/99] Gesandte und Briefe schickten, konnten sie offenbar den Anspruch aufrechterhalten, daß das Wahlrecht wie ein Erbrecht zu gesamter Hand allen männlichen Mitgliedern der Dynastie zustehe. Dies läßt die Deutung zu, daß das Wahlrecht prinzipiell dem ganzen königlichen Tochterstamm zugehörte, daß die Tendenz aber dahin ging, daß es vor allem von der Primogenitur ausgeübt wurde“. Eine Theorie, die in zunehmendem Maße Hilfskonstruktionen benötigt, um bestehen zu können, ist jedoch brüchig; sie sollte aufgegeben werden, wenn es einfachere Lösungsmöglichkeiten für ein Problem gibt. Das Königswahlrecht etwa, das ja in Ländern, in denen die Ottonen keine Rolle spielten, ebenso geübt worden ist wie in der fränkischen Epoche, in der es noch keine ottonischen Tochterstämme gab, läßt sich z. B. ganz einfach auch als ein durch Macht und politischen Einfluß begründetes Recht von ‚Beherrschten‘ begreifen, sich den Herrscher selbst auszusuchen. Die ins Wanken geratene These dürfte daher auch kaum durch den angekündigten Versuch (vgl. S. 53 Anm. 90) zu retten sein, das Stimmrecht der geistlichen Wähler ebenfalls zurückzuführen auf die Zugehörigkeit zu „einigen wenigen Verwandtschaftsverbänden, für welche königliche Abstammung – zumeist in sekundären oder jüngeren Tochterstämmen – nachzuweisen oder zumindest sehr wahrscheinlich zu machen ist“.

 

Methodisch ist schließlich noch anzumerken, daß weder der Nachweis eines königlichen Abstammungsbewußtseins im wahlberechtigten Adel (vgl. S. 43-50) noch der Hinweis darauf, daß „das Prinzip der Erblichkeit seinerzeit so selbstverständlich (war), daß es gar nicht nötig war, diese Begründung des Wahlrechts schriftlich festzuhalten“ (S. 52), ausreichen, um den gegen Wolfs erbrechtliche Begründung des aktiven Königswahlrechtes geäußerten Einwand zu entkräften, eine solche Vorstellung habe keine Spuren in den Quellen zurückgelassen (vgl. etwa die Feststellung von Manfred Groten in den Rhein. Vierteljahrsblättern 63 [1999] S. 366: „Kein mittelalterlicher Autor verrät Kenntnis“ der von A. Wolf aufgestellten „Regeln. Kein Wähler oder Thronanwärter hat sich unseres Wissens je auf sie berufen. Erstaunlicherweise scheint nie ein Streit um die Zulassung zum Wahlgremium ausgebrochen zu sein. Mehr noch: Alle Quellen, die eingehender über Königswahlen im Reich berichten, lassen die Existenz der Wolfschen Regeln als höchst zweifelhaft erscheinen“). Dieser Einwand fordert ja nicht, daß irgendeine Quelle aus dem Mittelalter die erbrechtliche Wahlrechtstheorie explizit formuliert – wie Wolf offenbar meint (vgl. S. 52) –, sondern fragt lediglich nach in den Quellen überlieferten Indizien, die auf die von Wolf behauptete Theorie hinweisen, bisher aber noch nicht beigebracht worden sind. Der die Vergangenheit (re)konstruierende Historiker bedarf bei seinem Geschäft zwar der produktiven Phantasie (vgl. dazu Johannes Fried, Wissenschaft und Phantasie. Das Beispiel der Geschichte, in: HZ 263 [1996] S. 291-316), aber das Ergebnis seines Bemühens muß von den Quellen her überprüfbar bleiben. Auf die von A. Wolf vorgetragene Theorie angewandt bedeutet dies: Die aus den Quellen gewonnenen Einsichten in das Verwandtschaftsnetz des mittelalterlichen Adels im Reich und über das Bewußtsein der Fürsten von ihrer königlichen Abkunft mögen ja grundsätzlich zutreffen, die aus ihnen erschlossenen Prinzipien eines erbrechtlich begründeten Königswahlrechtes bleiben trotzdem solange das ausschließliche Produkt einer modernen Vorstellungswelt wie es keinen Reflex von ihnen in den mittelalterlichen Quellen selbst gibt.

 

Die übrigen Beiträge des Bandes bilden, die Wolfsche These mehr oder weniger akzeptierend und den aufgestellten Fragenkatalog in unterschiedlichem Maße berücksichtigend, ein buntes Kaleidoskop über verschiedene Familien von Königswählern und Wahlkandidaten; sie sind in der Regel recht lesenswert und informativ und greifen in ihrer Darstellung gelegentlich weit über den Anlaß ihres Entstehens hinaus. Keiner jedoch bringt Belege, die die erbrechtliche Theorie wirklich beweisen könnten; manche hingegen stehen ihr ambivalent oder mit deutlicher Distanz gegenüber. Insgesamt jedoch können sie hier nur kurz erwähnt werden:

 

Ivan Hlaváček handelt in souveräner Kenntnis der Quellen und Literatur über „Die böhmische Kurwürde in der Přemyslidenzeit“ (S. 79-106), weist dabei zu Recht auf die oft viel zu sehr „rechtshistorisch und statisch“ orientierte Analyse der Quellen hin, während der „Kontext mit der dynamischen und nicht immer geradlinigen politischen Entwicklung“ (S. 80) vernachlässigt werde, betont daher auch die Bedeutung praktischer Machtpolitik gegenüber eng gefaßten juristischen Postulaten (vgl. S. 101) und liefert schließlich noch einen wichtigen Hinweis auf den frühen (zumindest zeitweiligen) Besitz des Schenkenamtes in der Obhut des böhmischen Herzogs, indem er das Münzbild Herzog Swatopluks (1107-1109) mit entsprechender Darstellung erörtert (vgl. S. 84ff.). Gudrun Pischke bestätigt mit ihren umfänglichen und manchmal unübersichtlichen – laut eigener Auskunft von den Ergebnissen Tanja Brüschs (Die Brunonen, ihre Grafschaften und die sächsische Geschichte. Herrschaftsbildung und Adelsbewußtsein im 11. Jahrhundert, 2000) in zentralen Punkten abweichenden – Darlegungen über die „Brunonen und Welfen als Königskandidaten und Königswähler vom 11. bis 14. Jahrhundert“ (S. 107-161) die Einsichten A. Wolfs, von denen sie zuvor vorbehaltlos ausgeht, reflektiert aber nicht, was es für die Wolfsche These bedeutet, wenn Brun von Braunschweig und Ekkehard von Meißen im 11. Jahrhundert als Königskandidaten und Königswähler auftraten, obwohl sie nur eine „vorkönigliche Verbindung zu den Ottonen“ (S. 118) besaßen. Helmut Flachenecker betrachtet „Die Wittelsbacher und ihre Kurstimme(n) im 13. Jahrhundert“ (S. 163-186), ohne damit etwas Konkretes zu den Wolfschen Fragen beisteuern zu können, obwohl die von ihm angeführte Bitte Heinrichs von Niederbayern an Papst Gregor X. aus dem Jahre 1271, seine Zugehörigkeit zu den Königswählern (Romani Imperii electores) zu bestätigen (vgl. S. 174 f.), ein bedenkliches Licht auf die erbrechtliche Theorie wirft. Karlheinz Blaschke, der Nestor der sächsischen Landesgeschichtsforschung, behandelt „Die sächsische Kur: Askanier und Wettiner“ (S. 187-201), wobei er zwar grundsätzlich von Wolfs Erbrechtsthese ausgeht, aber hauptsächlich nach den Kriterien fragt, die zu der Reduktion der fürstlichen Wahlbeteiligung im 13. Jahrhundert führten; hierbei betont er vor allem die Zufälligkeit der Entwicklung und den Umstand, daß sich die Askanier (anders als die Wettiner) ihr kurfürstliches Stimmrecht durch Beteiligung an den Königswahlen „‘verdient‘“ (S. 199) hätten. Armin Wolf selbst, Lücken füllend von ausgebliebenen Beiträgen, traktiert „provisorisch“ (S. 203 und 213) die Themen „Die Babenberger und Habsburger in Österreich als Königswähler und Königskandidaten“ (S. 203-212) und „Die Herzöge von (Nieder)Lothringen/Brabant als Königswähler und Königskandidaten“ (S. 213-224) und kommt natürlich zu dem erwünschten Ergebnis, auch wenn er die königliche Abstammung des babenbergischen Markgrafen Leopold III. (des Heiligen), eines der Königskandidaten von 1125, lediglich postulieren kann (vgl. S. 203) und für die Brabanter Herzöge das Karolingerbewußtsein wesentlich wichtiger war als die ottonische Abstammung. Alois Schütz („Die Grafen von Dießen und Andechs, Herzöge von Meranien“, S. 225-315) schildert breit die Geschichte des bayerischen Adelsgeschlecht und dessen Königsnähe und Königsferne sowie – auf der Wolfschen These über die Herkunft Kunos von Öhningen aufbauend – die ottonische Abstammung und setzt sich dabei scharf mit den Einreden von Eduard Hlawitschka (etwa: Wer waren Kuno und Richlind von Öhningen? Kritische Überlegungen zu einem neuen Identifizierungsvorschlag, in: ZGOrh 128 [1980] S. 1-49; Der Thronwechsel des Jahres 1002 und die Konradiner. Eine Auseinandersetzung mit zwei Arbeiten von Armin Wolf und Donald C. Jackman, in: ZRG Germ. Abt. 110 [1993] S. 149-248) auseinander. Helmut Assing, der den „Aufstieg der askanischen Markgrafen von Brandenburg in den Kurfürstenrang“ verfolgt (S. 317-358), geht zwar anfangs mit der Wolfschen These konform, gelangt dann aber zu einer beachtlichen Modifikation, indem er schon für das 13. Jahrhundert eine „Versachlichung“ (S. 318 und 357) des Wahlrechtes feststellt, eine Bindung an das ‚Land‘ (an die „Markgrafschaft“ [S. 332]), die für erbrechtliche Vorstellungen keinen Raum mehr läßt und einhergeht mit der Bedeutungszunahme des Fürstentums Brandenburg im 13. Jahrhundert und eine Entwicklung nachholt, die für Bayern, Böhmen, Sachsen und die rheinische Pfalzgrafschaft schon früher abgeschlossen war, für die übrigen Fürstentümer im Reich aber nicht rechtzeitig genug in Gang gesetzt wurde, um eine Verfestigung des Königswahlrechtes bewirken zu können. Besondere Beachtung verdienen die klaren und gut dokumentierten Ausführungen von Peter Wiegand über „Die Ludowinger und die deutsche Königswahl im 13. Jahrhundert. Wahlverfahren im Lichte von ‚Papstnähe‘ und kanonischem Recht“ (S. 359-418), in denen nicht nur die ludowingische „Papstnähe“ (vgl. etwa S. 385) als Faktor der Königswahlpolitik beschrieben wird, sondern auch die (schon lange beobachteten) kanonischrechtlichen Einflüsse verfolgt und dabei vor allem die Bedeutung des Schiedsverfahrens (vgl. dazu jetzt auch in anderem Zusammenhang Martin Kaufhold, Deutsches Interregnum und europäische Politik. Konfliktlösungen und Entscheidungsstrukturen. 1230-1280, 2000) und der von Papst Innozenz III. ausgehenden Initiativen herausgearbeitet wird; für „eine dynastische Determinierung des ludowingischen Königswahlrechts“ (S. 415) bleibt da kein Platz mehr. Dirk Heirbaut („On and over the Edge of the Empire: the Counts of Flanders and Hainault and the Election of the Kings of the Romans [1000-1314]“, S. 419-455) und Klaus van Eickels („Die Grafen von Holland und ihre Entwicklungsmöglichkeiten an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter: Landesherren, Reichsfürsten, Kurfürsten?“, S. 457-483) beleuchten schließlich die Nordwestecke des Reiches und die Geschichte der Grafen von Flandern, Hennegau und Holland, wobei van Eickels in seinen klaren und systematischen Ausführungen über die Reichszugehörigkeit der holländischen Grafen, deren lediglich quasifürstliche Position im Reichsverband und die territorialen Grundlagen der Grafschaft keine besondere Betonung der ottonischen Herkunft durch die Holländer feststellen kann (vgl. S. 482) und sich letztlich gezwungen sieht, die Wolfschen Kategorien zu problematisieren (vgl. etwa S. 480f.). Beschlossen wird der Band durch einen aus dem geographisch-genealogischen Rahmen fallenden Beitrag, in dem der verdiente Rechtshistoriker Peter Landau der Frage nachgeht: „Was war um 1300 ein Kollegium?“ (S. 485-495) und dabei zu dem Ergebnis kommt, daß das zunächst im Kirchenrecht definierte collegium eine korporative Einheit darstellte, die gewohnheitsrechtlich entstehen konnte und eine juristische Person war und die vor allem bei – formalisierten – Wahlen (nicht zuletzt auch nach dem Mehrheitsprinzip) tätig wurde.

 

Es ist sicherlich ungerecht, die Fülle dieser Beiträge so knapp und mit Blick nahezu ausschließlich auf die Wolfsche Theorie vorzustellen; daher sei noch einmal ausdrücklich betont, daß sich in allen Ausführungen ein reiches historisches Material zu den genannten Regionen und Familien findet, das auch unter anderen Perspektiven hilfreich und nutzbringend ist. Hier jedoch kommt es hauptsächlich darauf an, die These A. Wolfs zu beleuchten, da sich deren – auch innere – Problematik in etlichen und selbst in positiv zu ihr eingestellten Beiträgen widerspiegelt. Das Rätsel um die Entstehung des Kurfürstenkollegiums bleibt daher ungelöst, und die Diskussion wird weitergehen, da es nie restlos lösbar sein wird. A. Wolf selbst kündigt darüber hinaus seine weitere Beschäftigung mit dem Problem an, und dies nicht zuletzt, weil er feststellen muß (S. 70): „Zu den Ergebnissen der Tagung, deren Vorträge in diesem Band vereinigt sind, gehört ..., daß in den Königswählerdynastien das Bewußtsein karolingischer Herkunft teilweise noch stärker als das ottonischer Abstammung festzustellen ist“ – woraus er den Schluß zieht, daß nun der von ihm 1968 ursprünglich verfolgte, aber zunächst verworfene Ansatz wieder aufgenommen werden müsse, nämlich zu prüfen, ob nicht anstelle der ottonischen, die karolingische Abstammung, ob nicht der ottonische, sondern der karolingische Tochterstamm entscheidend war für das aktive wie passive Königswahlrecht. Der eine wird’s mit Wohlwollen, der andere mit Schrecken vernehmen.

 

Leipzig                                                                                   Franz-Reiner Erkens