Ginard i Féron, David, Mallorca während der Franco-Diktatur. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft 1939-1975. Mit einem Vorwort von Bernecker, Walter L. Aus dem Katalanischen von Keitz und Montserrat Santamaria, Dorothee von (= Kultur und Gesellschaft der katalanischen Länder 1). Edition tranvía – Verlag Walter Frey, Berlin 2001. 175 S. 10516 unter dem 20. 9. 2001 von Thomas Gergen erbeten, 2001-09-28 bestellt, 2001-10-11 erhalten, versandt, 2001-11-22 Besprechung per e-mail erhalten

 

Mit dem ersten Band, der die neugegründete Reihe „Kultur und Gesellschaft der katalanischen Länder“ eröffnet, werden gleich zwei Grundcharakteristika der gegenwärtigen Historiographie Spaniens erkennbar. Zum einen befassen sich spanische Autoren selbst mit ihrer eigenen Geschichte, erobern sie gleichsam zurück, was mit der Devise „recuperación de nuestra historia“ augenfällig wird, nachdem bereits etliche Historiker aus dem Ausland zur spanischen Geschichte geschrieben haben. Zum zweiten erlebt die Regionalgeschichtsschreibung seit oder wahrscheinlich wegen der Institutionalisierung des spanischen Staates der „Autonomen Gemeinschaften“ einen nennenswerten Aufschwung. Denn zur Betonung ihrer Identität und zur Abgrenzung von der gesamtspanischen Kultur sind vor allem Regionen wie Katalonien, das Baskenland oder Galizien bestrebt, die ihnen eigene Geschichte lückenlos zu erforschen.

 

Gerade die Erforschung der Opposition gegen die Franco-Diktatur bietet diese Möglichkeit der Abgrenzung, war doch Franco während vier Jahrzehnten hindurch bemüht, unter permanenter Betonung der rein spanischen Identität (hispanidad) die regionalen Kulturen und Sprachen zugrundezurichten[1].

 

Der Mallorquiner David Ginard i Féron paßt in die beschriebene Gruppe der Regionalhistoriker hinein, die von Josep Massot i Muntaner inspiriert wurde. Dieser begann unmittelbar nach Francos Tod im Jahre 1975 mit der kritischen Analyse des Bürgerkriegs und der Auswirkungen der Franco-Herrschaft und wurde somit gewissermaßen zur Galionsfigur aller Regionalhistoriker, vgl. hierzu Buchtitel wie La Guerra Civil a Mallorca[2], Església i societat a la Mallorca contemporània[3], El primer franquisme a Mallorca [4] sowie Guerra Civil i repressió a Mallorca[5] sowie neuerdings De la guerra i de l´exili[6].

 

Ginard i Féron beschäftigt sich zwar allgemein mit der antifranquistischen Opposition, wie die Titel seiner Bücher bezeugen: La resistència antifranquista a Mallorca (1939-1948)[7] oder L´oposició al franquisme a les Balears (1936-1975)[8], doch liegt sein Schwerpunkt eindeutig auf der Gegnerschaft des politisch „links“ anzusiedelnden Lagers: L´esquerra mallorquina i el franquisme[9] oder L´oposició antifranquista i els comunistes mallorquins (1939-1977)[10] oder El moviment obrer de Mallorca i la Guerra Civil (1936-1939)[11].

 

Diese Grundrichtung wird auch in dem hier zu besprechenden Band deutlich, der sechs Studien zur genannten Thematik aneinanderreiht, die der Autor bereits früher in katalanischer Sprache veröffentlicht hat. Die jetzt vorliegende Übersetzung ist m. E. gut gelungen; nur ganz wenige sprachliche Unebenheiten fallen auf, so etwa „libertäre Opposition“ (S. 133) bzw. „libertäre Bewegung“ (S. 141) als Direktübersetzung des Adjektivs „libertario/a“ oder die Wendung „im übrigen Staat“ für die Verdeutlichung des Gegensatzes zwischen den Regionen und dem spanischen Zentralstaat.

 

Doch nun zum Inhalt: Nach der Präsentation des Forschungsstandes zum Franquismus auf Mallorca im ersten Kapitel folgt das zweite über die Entwicklung der mallorquinischen Wirtschaft vom Bürgerkrieg bis zur Expansion des Tourismus. Dabei gliedert Ginard i Féron den Gesamtzeitraum grob in drei Phasen, erstens in die wirtschaftliche Rezession der vierziger Jahre, zweitens in die Wiederbelebung der Konjunktur der fünfziger und drittens in den Tourismus-Boom der sechziger und siebziger Jahre. Zwischen 1929 und 1936 führte die Weltwirtschaftskrise und die damalige politische Instabilität in Spanien zu einer Stagnation von Industrie und exportorientierter Landwirtschaft. Dabei erlebte der Tourismus einen ersten bedeutenden Aufschwung. Der Bürgerkrieg zwischen 1936 und 1939 zog ein konjunkturelles Wachstum lediglich einiger Bereiche der mallorquinischen Wirtschaft nach sich, so etwa der Schuhindustrie. Zwischen 1939 und 1951 kam es infolge des Bürgerkriegs und des Zweiten Weltkriegs sowie auf Grund der Autarkiepolitik Francos zu einer alle Bereiche der mallorquinischen Wirtschaft erfassenden Krise. Mit der Expansion des Tourismus in den fünfziger Jahren war der Weg Mallorcas zu einer Dienstleistungsinsel für Ferienurlauber endgültig geebnet, was bekanntlich bis zum heutigen Tage ungebremst anhält. Die Ausführungen des Autors zur Situation der Wirtschaft dienen ihm dabei für die Beschreibung des Erfolgs bzw. je nach Sichtweise des Mißerfolgs der antifranquistischen Opposition. Im dritten Kapitel „Die mallorquinische Arbeiterbewegung und der Bürgerkrieg“ sowie im fünften „Die mallorquinische Arbeiterbewegung während des Franquismus“ stellt er die unterschiedlichen Lager und Traditionen der Organisationen und der dazugehörigen politischen Parteien vor, ehe er abschließt mit dem sechsten Kapitel, in dem er allgemein „Die antifranquistische Opposition auf Mallorca“ behandelt.

 

M. E. steht das vierte Kapitel, das wegen des Themas „Die Lebensbedingungen auf Mallorca in der Zeit nach dem Bürgerkrieg“ besser hinter das zweite mit der Beschreibung der wirtschaftlichen Entwicklung gepaßt hätte, etwas unglücklich zwischen den Kapiteln 3 und 5, in denen die Oppositionsbemühungen beschrieben werden. Ungeachtet der Plazierung dient es jedoch dem Nachweis, daß die Opposition im Vergleich zum Festland eher schwach ausfiel, da die Insel wirtschaftlich erfolgreicher dastand als das übrige Spanien. Der Einfluß der Franco-Gegner war nicht konstant und ihre Aktionsformen und deren Intensität variierten während der verschiedenen Perioden beträchtlich. In den vierziger Jahren tauchte der Widerstand gegen Franco als eine Fortführung der Arbeiterbewegung aus der Vorbürgerkriegszeit auf und bestand aus den sich wieder formierenden Parteien und Gewerkschaften der Zeit der Republik. Dieser erste Antifranquismus erreichte eine große Verbreitung, brach aber mit dem Ende der vierziger Jahre aufgrund der Repression und der Konsolidierung der Diktatur wie auch im übrigen Spanien jäh zusammen. Im März 1948 wurden ungefähr 80 mallorquinische Antifranquisten (Mitglieder des Partido Comunista de España, der Joventudes Socialistas Unificadas und der Agrupación Fuerzas Armadas República Española) verhaftet, ins Gefängnis gebracht und viele von ihnen gefoltert. Obwohl letztendlich nur der führende Kommunist Joan Albertí Moll verurteilt wurde, verblieben etwa 20 Oppositionelle bis Ende des Jahres im Gefängnis, andere verloren ihren Arbeitsplatz oder mußten gar nach Algerien oder Frankreich auswandern. Die antifranquistischen Untergrundsgruppen wurden vollständig zerschlagen (S. 142-143).

In den fünfziger und während eines Großteils der sechziger Jahre war von organisiertem Antifranquismus nichts zu spüren. Neben der Angst vor Sanktionen muß diese Haltung auf die Zufriedenheit mit der guten Konjunkturlage dank des Tourismus zurückgeführt werden. Der Autor gibt aber auch den Organisationen selbst die Schuld am Mißerfolg der Opposition, da sie unfähig waren, Programme, Strategien und Organisationsformen zu entwickeln, die der Inselgesellschaft angemessen gewesen wären. Die Opposition äußerte sich viel eher in Kultur- und Bürgervereinen und Gewerkschaften als durch Mitgliedschaft in politischen Untergrundparteien. Im Gegensatz etwa zu Katalonien sah sich die Insel von der nationalen politischen Dynamik Spaniens mitgezogen. Allerdings war der katalanische Einfluß zumindest im Jahrzehnt vor Ende der Franco-Herrschaft vor allem im universitären und kulturellen Rahmen präsent. Der Autor stellt überdies nachvollziehbar dar, daß die geographische Verbreitung des organisierten Antifranquismus sehr unregelmäßig war und sich auf die Stadt Palma beschränkte, während er in kleineren Orten auf Mallorca, Menorca, Ibiza und Formentera nicht existierte oder sehr begrenzt auftrat.

 

Wenngleich man kritisieren kann, daß der Autor die kirchliche und christ-demokratische Opposition kaum zu Wort kommen läßt – etwa knapp die Gründung der Izquierda Demócrata Cristiana (IDC) im Jahre 1957 (S. 145) - und den Justiz- und Verwaltungsbereich nicht angesprochen hat, ist indes seine sachlich-distanzierte Analyse (S. 82-83) der Probleme um die Sprachenregelungen, die Unterdrückung des Katalanischen und die historischen Wurzeln der Sprachenkonflikte positiv zu bewerten[12].

 

Alle diese gravierenden Beschränkungen der Opposition spielten für die Ergebnisse der spanischen Parlamentswahlen vom Juni 1977 eine Rolle und bedingten das gute Abschneiden der konservativen Unión de Centro Democrático (UCD) des spanischen Ministerpräsidenten Adolfo Suárez, einem Parteienbündnis, welches sicherlich dem moderaten und konservativen Naturell der balearischen Wählerschaft entsprach[13]. Obwohl UCD aus Gruppierungen bestand, die auf den Inseln nicht mehr als 300 Anhänger hatte und sogar auf die Aufstellung von Politikern mit antifranquistischem Image verzichtete, kam die Partei auf 51,05 Prozent der Wählerstimmen. Bezeichnend war dagegen, daß Parteien mit deutlich antifranquistischer Tendenz und deren Kandidaten keine großen Erfolge zu verbuchen hatten.

Insgesamt gesehen hat David Girard i Féron ein sehr lohnenswertes Buch verfaßt, mit dem er eine gute Synthese eigener sowie fremder Forschungen zur antifranquistischen Opposition Francos vorlegt. Als zentrales Ergebnis läßt sich mit dem Autor festhalten (S. 133):

 

„Aufgrund der bis heute durchgeführten Forschungen kann man sagen, daß die politische Opposition und die verschiedenen sozialen Bewegungen, die sich in dieser Phase entwickelten – Bewegungen der Arbeiter, Studenten und Intellektuellen, lokale Bewegungen u. a. m. -, zwar nicht den Sturz der Diktatur bewirken konnten, aber entscheidend dazu beitrugen, ihre Fortdauer über den Tod des Diktators hinaus unmöglich zu machen.“

 

Saarbrücken                                                                                                  Thomas Gergen



[1] Vgl. Thomas Gergen, Sprachengesetzgebung in Katalonien – Die Debatte um die „Llei de Política Lingüística“ vom 7. Januar 1998, Diss. Saarbrücken, Tübingen 2000, S. 20-21.

[2] Barcelona 1976.

[3] Barcelona 1977.

[4] Barcelona 1996.

[5] Barcelona 1997.

[6] Barcelona 2000.

[7] Palma 1991.

[8] Palma 1997.

[9] Palma 1994.

[10] Barcelona 1998.

[11] Barcelona 1999.

[12] Thomas Gergen, Sprachengesetzgebung, S. 14-19.

[13] Walter Haubrich, Spaniens schwieriger Weg in die Freiheit. Von der Diktatur zur Demokratie, Bd. 2: 1975-1977, Berlin 1997, S. 342-346.