Forster, Wolfgang, Karl Christian Friedrich Krauses frühe Rechtsphilosophie und ihr geistesgeschichtlicher Hintergrund (= Münchener Universitätsschriften. Juristische Fakultät. Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 83). Aktiv Druck & Verlag, Ebelsbach 2000. XI, 383 S.

 

Karl Christian Friedrich Krause (1781-1832), zu Lebzeiten trotz dreimaliger Habilitation nie etabliert, posthum durch die Vermittlung seiner Schüler im ‚Krausismo‘ Spaniens und Südamerikas Symbol für einen sozial-liberalen Progressismus und einer der großen ‚Exportschlager‘ der deutschen Rechtsphilosophie, wird von der Philosophiegeschichte seit knapp zwanzig Jahren neu entdeckt. Aus deutscher Perspektive hing das langzeitige Desinteresse an Krause wohl auch damit zusammen, daß seine Philosophie nur als eine „bizarre Variante der großen Systementwürfe des deutschen Idealismus“[1] gedeutet wurde. Im Lichte der kantischen Vernunftkritik erschien sein Festhalten an einer metaphysischen ontologischen Rechtsbegründung und sein erkenntnistheoretischer Monismus als naiver Rückfall in ein vorkritisches Naturrecht. Vor allem Peter Landau hat seit 1985[2] demgegenüber gefordert, Krause außerhalb der kantischen Tradition zu interpretieren. Landau hat Krauses Rechtsphilosophie dementsprechend vor allem als Weiterentwicklung der Gedankengänge von Leibniz und des Wolffianismus gedeutet[3]. Die von Landau betreute Münchener Dissertation von Wolfgang Forster nimmt in ihrer Suche nach dem ‚geistesgeschichtlichen Hintergrund‘ der frühen Rechtsphilosophie Krauses dieses Spannungsfeld zwischen vorkritischen (vor allem Spinoza, Leibniz, Wolff) und zeitgenössischen (insb. Fichte und der frühe Schelling) Einflüssen in den Blick (S. 39ff.). Fluchtpunkt ist Krauses frühe „Grundlage des Naturrechts“ von 1803.

 

In einem historisch-biographischen Teil (S. 45-80) sammelt Forster zunächst minutiös Indizien für frühe Prägungen Krauses. Die Auswertung bisher ungenutzter Nachschriften (vgl. etwa S. 53f.) und der handschriftliche Nachlass Krauses sowie seines Vaters Johann Friedrich Gotthard ermöglicht es Forster, ein dichtes Bild der philosophischen Lesearbeit Krauses und der von ihm in Jena besuchten philosophischen Vorlesungen (Zusammenstellung S. 66) zu zeichnen. Vor allem die starke Beeinflussung des Vaters durch Wolffianer wie Johann Peter Reusch und Darjes spricht für eine frühe Kontaktaufnahme zur vorkritischen Tradition. Im Jena ‚um 1800‘ hörte Krause freilich auch – entgegen seiner späteren autobiographischen Hinweise durchaus begeistert (S. 73f.) – intensiv Fichte, später dann Schellings Naturphilosophie und, bisher nicht bekannt, höchstwahrscheinlich auch Friedrich Schlegels Vorlesungen über Transzendentalphilosophie von 1800/01.

 

In einem zweiten systematisch-vergleichenden Teil bringt Forster zunächst Krauses Frühschriften in Kontakt zu den Jenenser Zeitgenossen und zur älteren Tradition. Ziel seiner Untersuchungen ist dabei der ‚philosophische Ausgangspunkt‘ Krauses, den er zunächst aus Krauses veröffentlichten und unveröffentlichten Schriften vor 1803 herausdestilliert (S. 91ff.). Durchaus im Einklang mit der bisherigen Forschung findet er diesen in Krauses Beharren auf einer Einheit zwischen Vernunft und sinnlicher Realität und der innerhalb dieser Einheit herrschenden Harmonie der Elemente (S. 133ff.). ‚Harmonie‘ ist zugleich der oberste Grundsatz des Krauseschen Rechtssystems, aus dem er das Recht deduzierte (S. 210ff.), wie Forster im einzelnen dann in seiner Analyse des Naturrechts von 1803 zeigt.

 

In einem ersten Schritt setzt Forster nun Krauses Harmonieaxiom in Beziehung zu zeitgenössischen und älteren Denkern. Im Abgleich zu Fichte, Schelling, Schlegel und Thorild einerseits sowie Spinoza, Leibniz, Wolff und seinen Anhängern andererseits, zeigt sich die Stärke des Autors, nicht vorschnell Abhängigkeiten zu konstruieren, sondern dem spekulativen Aspekt dieser ‚Vorläufersuche‘ Rechnung zu tragen. Es bleiben somit lediglich „historische und strukturelle Übereinstimmungen“ (S. 178).

 

Krauses materialer Ausgangspunkt erweist sich dabei durchaus nicht blind gegenüber der Kantschen Vernunftkritik. Wenn Krause sich auch erst in späteren Jahren vertieft mit Kant beschäftigte (S. 66f.), setzte er sich doch intensiv mit den Naturrechtsentwürfen seiner Zeitgenossen, insbesondere Fichtes (S. 91ff., 110ff., 210f. u. ö.) und Schellings (S. 125ff., 264 ff. u. ö.), auseinander. Krauses Interpretation von Friedrich Schlegels Systemversuch von 1800/01 (S. 141f.) zeigt deutlich, daß Krause durchaus bewußt Position bezog und auf einem monistischen Erkenntnismodell mit der Möglichkeit unmittelbarer Prinzipienerkenntnis beharrte. Man kann dies durchaus auch als ganz zeittypischen Versuch deuten, die von Kant aufgerissene Lücke gerade in der Systemfrage zu schließen[4]. Forster betont demgegenüber mit Landau eher die jenseits der großen idealistischen Systembauer laufenden älteren Traditionslinien. ‚Harmonie‘ zeige sich terminologisch vor allem vom Wolff-Schüler Johann Peter Reusch und vom Kant-Kritiker Thomas Thorild beeinflußt (S. 144ff.), inhaltliche Prägungen fänden sich durch Spinoza, Leibniz, Wolff, Thorild und Schlegel (S. 146-168).

 

In einem zweiten Schritt sucht Forster nach einem „gemeinsamen philosophischen Traditionsstrang“ (S. 178), in den Krauses philosophische Ausgangsüberlegungen und insbesondere sein Harmoniekonzept überführt werden können. Er findet diesen im „Prinzip der Fülle“, einer geistesgeschichtlichen Großlinie, die A. O. Lovejoy in seinem 1936 veröffentlichten Werk: „The Great Chain of Beeing“ zog. Damit bindet er sich an die Richtigkeit der von Lovejoy gezogenen Linie, die er dann – bisweilen weit entfernt von Krause – im einzelnen diskutiert (etwa S. 191). Der sich hier andeutenden Gefahr, im weiten Rückgriff auf Platon, Augustinus oder Otto von Freising jenseits der historischen Befunde Zusammenhänge zu erfinden, entgeht Forster auch hier durch die enge Anbindung an Krauses Schriften und ihren unmittelbaren Kontext. Krauses Habilitationsschrift von 1801 leitet die das Recht prägende Harmonievorstellung aus der universalen ontologischen Einheit von Vernunft und Welt ab, derzufolge alles, was denkmöglich ist, auch existiert: „Alles ist, was zusammen sein kann“ (S. 178, 200). Wie prägend diese Vorstellung – Lovejoys ‚Prinzip der Fülle‘ – für die vorkritische Schulmetaphysik im 18. Jahrhundert war, zeigt Forster anhand einer Auseinandersetzung zwischen Crusius und Wolff, die Krause über seinen Vater kannte. Auch hier finden sich klare Bezugspunkte, so daß Forsters Deutung, Krause habe hier die „von Crusius auf Wolff projizierte Position“ übernommen (S. 204), plausibel erscheint. Sehr klar kann Forster mit diesem Ansatz auch sonst eher belächelte Besonderheiten Krauses erklären, wie seine Vorstellung eines auch für andere ‚Sonnenwelten‘ geltenden allgemeinen Naturrechts (S. 184ff.).

 

Insgesamt ergibt sich für Forster kein „eindeutiges Ergebnis in dem Sinne, daß Krause sich einer Schule oder einem bestimmten Denker angeschlossen hätte“ (S. 207). Er findet jedoch neben den im biographischen Teil herausgearbeiteten Indizien „auch inhaltliche Übereinstimmungen, die eindeutig nahelegen, daß Krause in der Tradition der Wolffschen Schulmetaphysik steht und diese metaphysischen Grundlagen auch nie aufgegeben hat“ (S. 208).

 

Der ‚geistesgeschichtliche Hintergrund‘ von Krauses frühem Naturrecht wird damit jedenfalls mit Blick auf seinen ‚Ausgangspunkt‘, das Axiom der Harmonie, auf eine neue, alles verfügbare Quellenmaterial einbeziehende Grundlage gestellt. Forsters Untersuchung ergänzt damit in vielem die bisher wohl tiefgreifendste Gesamtdarstellung des Werks von Krause durch Orden Jiménez[5], der jedoch stärker Krauses späteren Panentheismus zur Interpretation auch der frühen Philosophie Krauses heranzieht.

 

Obwohl Krauses Naturrecht sich deduktiv gab, kann der ‚philosophische Ausgangspunkt‘ den ‚geistesgeschichtlichen Hintergrund‘ von Krauses früher Rechtsphilosophie natürlich nicht abdecken. Viele andere Einflüsse auf Krause werden von Forster angedeutet, aber nicht vertieft. Dies gilt etwa für Krauses früh geäußertes Bedürfnis, an einer „Verbesserung der gesellschaftlichen Grundverhältnisse“ als Wissenschaftler mitzuarbeiten, oder auch für den ausnahmsweise signifikanten Einfluß Fichtes auf Krauses Eherechtskonzeption (S. 251, 321ff., 335). Nicht für alle, aber doch für entscheidende Fragen um Krauses frühe Rechtsphilosophie liegt damit eine erste befriedigende Antwort vor.

 

Köln                                                                                                  Hans-Peter Haferkamp



[1] Landau, Karl Christian Friedrich Krause und Christian Wolff, in: Philipps/Wittmann (Hrsg.), Rechtsentstehung und Rechtskultur. Heinrich Scholler zum 60. Geburtstag, Heidelberg 1991, S. 136.

[2] Landau, Karl Christian Friedrich Krauses Rechtsphilosophie, in: Kodalle, Karl Christian Friedrich Krause (1781-1832). Studien zu seiner Philosophie und zum Krausismo, Hamburg 1985, S. 80 ff.

[3] Neben den genannten Arbeiten vor allem Landau, Stufen der Gerechtigkeit. Zur Rechtsphilosophie von Gottfried Wilhelm Leibniz und Karl Christian Friedrich Krause, Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte Jahrgang 1995, Heft 7, München 1995.

[4] Hierzu Frank, ‚Unendliche Annäherung‘. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik, Frankfurt a. M. 1997.

[5] Rafael V. Orden Jiménez, El sistema de la filosofía de Krause. Génesis y desarollo del Panenteísmo, Madrid 1998; daneben nun Claus Dierkmeier, Der absolute Grund des Rechts. Karl Christian Friedrich Krause (1781-1832) in Auseinandersetzung mit Fichte und Schelling, Hamburg 2002.