Bachmann, Matthias, Lehenhöfe von Grafen und Herren im ausgehenden Mittelalter. Das Beispiel Rieneck, Wertheim und Castell (= Dissertationen zur mittelalterlichen Geschichte 9). Böhlau, Köln – Weimar - Wien 2000. 302 S.

 

Die vorliegende bei Rolf Sprandel in Würzburg entstandene Untersuchung arbeitet die Beziehungen von Lehensgebern und Lehensnehmern sowie Gegenstände der Lehensvergabe im Spätmittelalter auf. Dies geschieht am Beispiel der Lehenhöfe der Grafen von Rieneck, Wertheim und Castell. Unter Zugrundelegung quantitativer Auswertungen der jeweiligen Lehensbücher analysiert Bachmann die Lehenhöfe im Hinblick auf den Umfang der vergebenen Lehen, der Personengruppen der Lehensnehmer sowie der verliehenen Objekte. Dabei zeigt der Verfasser sowohl die politischen, sozialen als auch wirtschaftlichen Zusammenhänge auf. Rechtliche Aspekte treten bewusst in den Hintergrund.

 

Die Ergebnisse werden durch sorgfältige und systematische Auswertung der Lehenbücher gewonnen. Dabei erfreut, dass die so gesammelten Informationen aufgrund der zahlenmäßigen Darstellung der Verwertung in historischen Datenbanken zugänglich sind. Hierin liegt wohl die wesentliche Leistung der Arbeit. Die anderweitig geäußerte Kritik einer zu beschränkten Forschungsrezeption[1] wird daher dem Wert der Untersuchung nicht gerecht. Im Vordergrund steht nicht die Erarbeitung neuer Erkenntnisse zum spätmittelalterlichen Lehenswesen auf der Grundlage einer umfassenden Rezeption der Literatur. Der Kern der wissenschaftlichen Leistung ist vielmehr die mühevolle und gelungene Auswertung der Quellen im vorgegebenen Rahmen und die statistisch brauchbare Darstellung der Ergebnisse. Damit liefert die Arbeit einen konkreten Beitrag auf ihrem Forschungsgebiet und wiederkäut nicht längst Bekanntes noch einmal. Dies wird den Ansprüchen an die vorliegende Untersuchung auch durchaus gerecht, da es sich um eine Dissertation und nicht um eine Habilitationsschrift handelt. In Anbetracht der Fülle des ausgewerteten Materials sind kleinere Korrekturmängel jedenfalls verzeihlich.

 

Die Interpretation der gefundenen Ergebnisse im wirtschafts-, politik-, sozial- und verfassungsgeschichtlichen Kontext fällt in der gebotenen Knappheit aus. Eine umfassende Darstellung wird erst möglich sein, wenn eine flächendeckende Auswertung von Lehensbüchern vorliegt. Vorgreifliche Interpretationsversuche müssten sich in Mutmaßungen versteigen, was der Forschung eher abträglich sein dürfte.

 

Auch das Ergebnis kann sich sehen lassen. Es stellt sich heraus, dass Rieneck und Castell – allem Anschein nach auch Wertheim – ihre Lehensgebiete ausgebaut haben. Dabei nimmt die Zahl der Vasallen im Vergleich zum ebenfalls expandierenden Hochstift Würzburg zu. Im Gegensatz zum Hochstift und zum Casteller Lehenhof sind im Wertheimer und im Rienecker Lehenhof fortwährend mehr adelige als nichtadelige Vasallenfamilien vertreten. Insgesamt sinkt jedoch der Anteil der adeligen Vasallenfamilien zunehmend. Dies kann möglicherweise ein Hinweis auf einen Unterschied in der Modernität der jeweiligen Herrschaftsstruktur sein. Eine Erklärung könnte jedoch auch in rein praktischen herrschaftserhaltenden Erwägungen gesucht werden. Daneben zeigt sich, dass in den Lehenhöfen der drei untersuchten Grafschaften Mitglieder der fränkischen Reichsritterschaft die Mehrheit der adeligen Familien stellen.

 

Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Schichten, aus denen sich die Vasallen zusammensetzen, stellt der Verfasser abschließend einige Thesen auf, anhand derer sich das Anwachsen der Lehensorte und Lehennobjekte möglicherweise erklären lässt. So ist etwa denkbar, dass Niederadelige ihren künftigen Lehensherren ihre Allode aus politischen Gründen auftrugen, um in den Genuss der Lehensleistungen des Lehensherren zu gelangen. Aber auch die spätmittelalterliche Agrarkrise könnte zu einem zunehmenden Verkauf von Eigentum Adeliger geführt haben, das von den Käufern anschließend als Lehen ausgegeben wurde. Daneben kommen Erbschaften der Lehensherren in Betracht mit der Folge, dass neue Belehnungen erforderlich wurden. Schließlich müssen auch widerrechtliche Aneignungen durch Eroberung von Gebieten und Usurpation von Klosterbesitztümern berücksichtigt werden. Letztendlich könnte die Zunahme der Vasallenzahl aber auch auf das machtpolitische Interesse der Lehensherren zurückzuführen sein, die durch die Vergabe von Eigenland als neuer Lehen die Bindung einer möglichst großen Zahl von Vasallenfamilien an ihren Lehenhof anstrebten. Diese Versuche dürften jedoch durch das vom Verfasser immer wieder angesprochene Problem der Mehrfachvasallität torpediert worden sein. Letztlich zeigt sich, dass die Fülle an möglichen Erklärungen zu weiteren großflächigen Untersuchungen Anlass gibt.

Alles in allem handelt es sich um eine lesenswerte Arbeit, die das Lehenswesen für die untersuchte Zeitspanne im Raum Mainfranken unter neuen Gesichtspunkten erschließt und zugleich neue Fragen aufwirft.

 

Würzburg                                                                                                Christian Szidzek



[1] So Besprechung Kurt Andermann, in: HZ, Bd. 273 (2001), S. 178f.