TheisenDieurkundenundbriefedermarkgräfin Nr. 10141 ZRG 119 (2002) 33

 

 

Die Urkunden und Briefe der Markgräfin Mathilde von Tuszien, hg. v. Goez, Elke/Goez, Werner (= Monumenta Germaniae Historica, Laienfürsten- und Dynastenurkunden der Kaiserzeit 2). Hahn, Hannover 1998. XLIII, 666 S., Abb.

 

Die beiden Erlanger Mediävisten Werner Goez und Elke Goez, die sich schon seit geraumer Zeit mit der Familie der Canossaner beschäftigen und hervorragende Kenner dieser Periode sind, legen nunmehr eine moderne, kritische Edition der Urkunden und Briefe der Mathilde von Tuszien vor[1]. Die vorgenannten Wissenschaftler haben ein Forschungsdesiderat durch das vorliegende Werk erfüllt.

Durch ihre Vorarbeiten zum 11. und 12. Jahrhundert sind die Herausgeber des mathildischen Urkundencorpus prädestiniert die Ausgabe zu betreuen. Zunächst führt ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis in die Edition und die Geschichte der Mathilde ein. Enthalten sind alle wichtigen Arbeiten zu dieser Epoche und zur Familie der Canossaner. In einem weiteren Schritt zeichnen die Herausgeber die fast einzigartige Quellenlage für das ausgehende 11. Jahrhundert nach. Ihnen gelang der Nachweis von 139 echten Stücken, von denen 74 im Original erhalten sind. 115 Deperdita gelang es zu rekonstruieren, so daß die Forschung nunmehr auf einen Bestand von 254 Urkunden zurückgreifen kann.

Wie die beiden Editoren angeben, besteht die Möglichkeit, daß sich die Deperdita noch geringfügig erhöhen, wenn weitere oberitalienische Quellenbestände aufgearbeitet werden. Aufgenommen wurden außerdem Dokumente, in denen eine Mitwirkung der Mathilde von Tuszien erwähnt wird. Sie sind im Anhang aufgeführt: Die Urkundenedition enthält damit 282 Stücke. Daraus wird die herausragende Bedeutung der Mathilde deutlich; mit der Herausgabe des umfangreichen, weit verstreuten Urkundenbestandes wird nicht nur dem Rechtshistoriker ein wichtiges Arbeitsinstrument in die Hand gegeben, mit dem, noch intensiver als bisher, die Probleme des Investiturstreits[2] und die damit einhergehende vermehrte Beschäftigung mit dem kanonischen und spätantiken römischen Recht untersucht werden kann. Die kritische Edition gewährt durch ihre Reichhaltigkeit einen fast einzigartigen Einblick in das Wirken der Mathilde: Ihre Jurisdiktion, die Handhabung der öffentlichen Ämter und die vertraglichen Beziehungen zu dem lokalen Adel ermöglichen eine genauere Darstellung der Arbeitsweise in dem mathildischen Herrschaftsbereich, der unterschiedlichste Gebiete umfaßt, in denen nicht nach einem einheitlichen Recht gelebt wird.

In der Einleitung (1-30) stellen die Herausgeber die Geschichte der Erforschung der mathildischen Urkunden dar (3-5), um dann ihre Vorgehensweise zur Edition der Dokumente zu erläutern (1, 28-30). Hinzuweisen ist auf den diplomatischen Aufbau der verschiedenen Urkundentypen und der Ausfertigungen. Verschiedene Siegeltypen und die eigenhändigen Unterschriften der Mathilde sind in Photographien abgebildet. Der Betrachter erhält die symbolischen aber auch die tatsächlichen Unterfertigungen der Beatrix und der Mathilde veranschaulicht.

Die Edition ermöglicht nunmehr umfassend, für einen weltlichen Herrschaftsbereich die Relevanz der Notare detailliert nachzuvollziehen, was für das 11. und beginnende 12. Jahrhundert selten ist. Wie schon Giovanna Nicolaj[3] hervorgehoben hat, ist die mathildische Toscana eine wichtige Brücke einer beginnenden Auseinandersetzung mit spätantiken römischen Rechtsvorstellungen. Auf die Bedeutung der toskanischen Juristen hat ebenfalls dezidiert Ennio Cortese hingewiesen.[4] Für eine weitergehende Betrachtung und Auseinandersetzung mit den Rechtsgrundlagen in der Toskana haben die Herausgeber mit ihrer Edition alle Voraussetzungen geschaffen.

Hinzuweisen ist auf das Sachregister, in dem die oftmals unterschiedlichen Bedeutungen der einzelnen termini aufgeführt werden. Dadurch erhält der Rechtshistoriker ein notwendiges Instrument, mit dem er eine Weiterentwicklung in der Begrifflichkeit nachweisen kann. Folgende Beispiele erläutern die Bedeutung einer Aufschlüsselung: „Beneficium“ wird im Index als Wohltat oder Lehen aufgeführt. Das Wort „Bonum“ wird ebenfalls aufgrund seiner unterschiedlichen Bestimmung durch differenzierte Belegstellen ausgewiesen. Die Erklärung der Bedeutungsvielfalt eines Begriffes erleichtert die Benutzung der Quellen und ermöglicht weitergehende differenzierende Studien.

Durch den umfangreichen Besitz der Canossaner in verschiedenen Rechtsgebieten kann der Rechtshistoriker vielfältige unterschiedliche Vertragstypen, Urkundenformulare und deren kautelarjuristische Ausgestaltung nachvollziehen und die Bedeutung für die Rechtsentwicklung herausarbeiten. Die Neuedition zahlreicher Gerichtsverhandlungen ist eine willkommene Ergänzung zu den verdienstvollen Arbeiten Cesare Manaresis und Raffaele Volpinis. Vor allem Placita nach 1100 sind nunmehr in einer leicht zugänglichen Weise benutzbar gemacht worden. Die Wirkungen des langobardischen und frühmittelalterlichen römischen Rechts zueinander können anhand der mathildischen Urkunden und der von der Mitherausgeberin Elke Goez[5] bearbeiteten Regesten der Beatrix untersucht werden. Ein Beispiel ist das Placitum von 1092[6], in dem das klagende Kloster mit dem Codex Iustinianus argumentiert, während der Beklagte seine Rechtsauffassung mit langobardischen Rechtsvorstellungen begründet. Mathilde entscheidet sich hier für ein Gottesurteil. Im Jahre 1076 hat sich der in das canossanische Hofgericht gehörende Richter Nordillus noch für die römischrechtliche Argumentation entschieden.[7].

Leider fordern verschiedene Aspekte auch Kritik heraus, wobei an dieser Stelle einige Beispiele dargestellt werden sollen. In den Kopfregesten werden Begriffe verwandt, die der juristischen Terminologie nicht entsprechen und beispielsweise verschiedene Pachtrechtsinstitute verbinden, die im 11. und 12. Jahrhundert eine unterschiedliche Handhabung hatten. Im Kopfregest zu Nr. 34, 119 (ähnlich in Nr. 35, 122; Nr. 54, 164, Nr. 110, 292) wird ausgeführt, verschiedene Personen erhielten „Land im Umkreis von Nonantola zu emphyteutischer Libellarleihe“. Dies ist schon ein Widerspruch an sich. Emphyteuse und Libellarpacht schließen sich in Nonantola (und auch anderswo an der Grenze zwischen Lombardia und Romania) aus. Während die erstere meistens auf drei Generationen abgeschlossen wird, geht die zweite nur auf 29 Jahre. Sie ist außerdem gerade in Nonantola in dem Vertragszeitraum auf männliche Nachkommen übertragbar. In dem vorgestellten Vertrag wird aber ausdrücklich die weibliche Nachkommenschaft als möglicher späterer Vertragspartner aufgenommen[8]. Weiterhin ist der Vertrag in perpetuum abgeschlossen (121, Zeile 22), also eine Ewigpacht, die mit der Libellarpacht in keinem Fall zu vereinbaren ist. Eindeutig liegt eine Emphyteuse vor, die - wie im Nonantolaner Formular üblich - mit der precaria verbunden worden ist. Beide bilden dort eine Einheit und sind rechtsdogmatisch gesehen dem spätantiken Erbpachtvertrag nachgebildet[9]. Mathilde läßt vertraglich ebenfalls festlegen, daß ein Entfremden dieser Güter nicht möglich sein sollte. Darunter versteht sie alle Möglichkeiten des Verkaufs, der Schenkung, des Tausches. Einzig eine libellarische Weiterverpachtung an Personen geringeren Standes soll erlaubt sein. Dadurch wird deutlich, daß ähnlich wie bei Kirchen einer Entfremdung vorgebeugt werden sollte, da einerseits eine Libellarpacht (S.121, 16, „sed habeatis potestatem in minoribus personis libellum faciendi“) mit ihrer beschränkten Geltungsdauer zeitlich übersehbar war und andererseits gegen die Kleinpächter leichter vorgegangen werden konnte. Diese formularmäßige Erwähnung ist jedoch juristisch nicht geeignet, die Emphytheuse als „Libellarleihe“ zu bezeichnen. Auch ist das Libell rechtlich bewertet keine (unentgeltliche) „Leihe“, sondern eine Pacht. Der Unterschied war auch den damaligen Notaren bekannt, die eindeutig zwischen Leihe und Pacht zu unterscheiden wissen.

Weiterhin ist darauf hinzuweisen, daß beispielsweise in Nr. 44, 142f., „dare“ und „concedere“ juristisch nicht als eine Schenkung angesehen werden können. Vielmehr wäre es juristisch genauer gewesen, die Leistung, die Mathilde vergibt, als eine Unterstützung zu bezeichnen, wie das Diplom selbst erwähnt. Ebenso ist in Nr. 46, 145 nicht von einem „Stiften“ einer kirchlichen Institution zu reden, sondern besser von einer Gründung, da mit der im Kopfregest angeführten Terminologie eine moderne juristische Terminologie verwendet wird, die es im 11. Jahrhundert nicht gab und einen anderen Sachverhalt meint.

So wäre in Urkunde Nr. 58, 181f. darauf hinzuweisen gewesen, daß die Streitigkeit um eine Libellarpacht ging, wofür ein bestimmter Zins (pensio) zu entrichten war. Das Kopfregest erwähnt nur eine Belehnung. Davon ist in dem Diplom keine Rede; Mathilde sagt nur, der Bischof von Lucca habe die genannten Personen in die Güter zu investieren. Schuldrechtliche Grundlage (causa) dafür war die Libellarpacht, wofür der Zins zu begleichen war.

Ein weiteres Beispiel zeigt sich in Nr. 107. Die Herausgeber bezeichnen dort das Rechtsgeschäft in dem Kopfregest als „Feudalemphyteuse.“ Die Bezeichnung ist jedoch juristisch fragwürdig. Deutlich wird das Rechtsgeschäft dort nicht als ius feudorum bezeichnet. Die Pächterin erhält das Gut erneut per emphiteuticariam ius, also zu emphyteutikarischem Recht und wiederum nur - wie üblich - für drei Generationen; in der vierten Generation sollte der Vertrag erneuert werden. Aus der üblichen Verpflichtung die Güter zu verteidigen, kann keine Feudalbeziehung hergeleitet werden. Deren Definition ist anderslautend und wird auch in einem anderen Sinne juristisch verwandt. Das ius feudorum kommt auch parallel in mathildischen Urkunden vor.[10] Eine Gleichsetzung erfolgt im 11. im 12. Jahrhundert nicht.

In der Erläuterung der Urkunde Nr.128, einer Gerichtsentscheidung, in der auch Irnerius erwähnt wird, geht es um emphyteutikarisch ausgegebene Güter. Die Herausgeber führen folgendes an: „Beachtenswert ist die Anwesenheit von zwei Ravennaten 13 Jahre nach dem Tod von Wibert-Clemens III.“ Dabei stellt sich die Frage, warum dies beachtenswert sein soll. Das Kloster St. Andreas in Ravenna hatte mittels einer älteren Emphyteuse bestimmte Güter vergeben, auf die sich der Rechtsstreit bezog. Daher ist die Anwesenheit eines advocatus der vorgenannten Kirche und eines weiteren Ravennaten nichts außergewöhnliches, ging es doch um den Besitz der Kirche.

Das Kopfregest bei Dep. 111, 464 gebraucht den juristisch fehlerhaften Begriff „Libellarleihe“, der in dem Diplom nicht erwähnt wird. Die Eltern der Mathilde hatten die Güter per instrumentum precharie weitergegeben. Die precaria ist keine Libellarpacht. Sie ist auch schon seit der Spätantike keine „Bittleihe“ mehr, sondern verbindet sich mit der normalen Pacht, die den Pachtgeber nunmehr zeitlich bindet.[11] In dieser Weise ist das im Mittelalter benutzte Institut der precaria zu verstehen. Weiterhin wird in dieser nicht mehr vorhandenen Urkunde ein instrumentum locationis erwähnt, also ein Vertrag, in dem für längere Zeit ein Gut verpachtet wird, was ein Bezug auf die spätantike locatio conductio ist. Sie gestaltete sich in dieser Zeit zur locatio ad longum tempus[12] aus. Es ist folglich juristisch unrichtig, von einer Libellarleihe zu sprechen, da weder ein Libellarvertrag noch eine (unentgeltliche) Leihe vorliegt. Daß Beatrix und Mathilde, beziehungsweise ihren Notaren, der rechtsgeschäftliche Unterschied zwischen den einzelnen Pachttypen bekannt war, zeigt unter anderem Nr. 9, 57. Dem Beschenkten wird verboten, verschiedene Güter zu entfremden, worunter die beiden Markgräfinnen unter anderem die Libellarpacht, die Prekarie und die Emphytheuse zählen[13]: Damit liegt ein Beleg für die unterschiedliche Struktur der Verträge vor.

Die angeführten Beispiele mögen genügen, um aufzuzeigen, daß gegenüber der juristischen Terminologie in den Kopfregesten Vorsicht geboten ist. Eine Überprüfung anhand des Urkundentextes ist somit wohl notwendig.

Überprüft werden könnte auch, ob für die Urkunde Nr. 134, 342ff. für die die Herausgeber keine Originalüberlieferung angeben, nicht doch ein Originaldiplom aus dem Archivio di Stato di Reggio Emilia, Fondo Archivio della Badia di Nonantola, 1114, November 1, in Frage käme. Das bedürfte jedoch genauerer Untersuchung, die anhand der hier vorliegenden (schlechten) Photographie der Urkunde nicht geleistet werden kann.

Resümierend ist festzuhalten, einerseits ist eine bedeutende Edition angefertigt worden, die wichtige Quellen für den Rechtshistoriker erschließt. Leider wird andererseits dieses positive Bild durch die unpräzise Verwendung juristischer Begrifflichkeit beeinträchtigt. Die falsch gebrauchten und zusammengeführten Vertragstypen erschweren die Benutzung und sind irreführend, da sie in einer solchen Form nicht existierten. Damit ergibt sich ein ambivalentes Bild: Während die Editionen vorbildlich sind, scheint die juristische Terminologie in den Kopfregesten und den Erläuterungen sehr oft angreifbar und der rechtshistorischen Verbesserung fähig. Differenzierte präzise rechtliche Begriffe hätten den Zugang erleichtert.

Trotz der geäußerten Kritik ist aber nicht zu übersehen, daß der Rechtsgeschichte mit der Edition ein wichtiges Hilfsmittel für die weitere Erforschung der wiederbeginnenden Auseinandersetzung mit dem Recht im 11. und 12. Jahrhundert in Italien vorliegt.

 

Leipzig                                                                                               Frank Theisen



[1] Vgl. die Besprechung von Wilhelm Kurze, in: QuFiAB 80 (2000), 729-730; zu verweisen ist auch meine Rezension in: Ius Commune 27 (2000), 454-458

[2] Siehe zu der Problematik nunmehr die neue Biographie von Uta-Renate Blumenthal, Gregor VIII. Papst zwischen Canossa und Kirchenreform, 2001.

[3] Giovanna Nicolaj, Cultura e prassi di notai preirneriani. Alle origini del rinascimento giuridico, 1991. Siehe die Besprechung von Frank Theisen, in: SZ 114 (1997), 525-528.

[4] Ennio Cortese, Intorno agli antichi Iudices toscani e ai caratteri di un ceto medievale, in: Scritti in Memoria di Domenico Barillaro, 1982, 5 ff.

[5] Elke Goez, Beatrix von Canossa und Tuszien. Eine Untersuchung zur Geschichte des 11. Jahrhunderts, 1995, 195-235.

[6] MGH D Math, Nr. A 7, 483, Z. 18-19, „Et insuper causidici abbatis ostenderunt legem serenissimi imperatoris Iustiniani...“.

[7] Vergleiche dazu zuletzt ausführlich Frank Theisen, Die Wiederentdeckung des römischen Rechts im Alltag des 11. Jahrhunderts, in: TR 62 (1994), 127-143.

[8] MGH DMath., Nr. 34, S. 121, Z .21-22, „et si filii masculini non habueritis, tunc deveniat in filiabus.“

[9] Die Unterschiede zwischen Emphyteuse und libellarischer Pacht hebt beispielsweise auch Bruno Andreolli, Il contratto di livello, in: Andreolli, Contadini su terre di signori, 1999, 66 hervor.

[10] Vergleiche beispielsweise MGH D Math., Nr. 114, 303, Z. 24-25, „Nordilus et eius filii habeant et teneant ex parte memorate ecclesie nomine feodi..., ut serviat domne Matilde diebus vite sue...“. Daraus wird deutlich, daß Nordilus ihr für die Belehnung zu dienen habe. Dies war die Verpflichtung aus dem vertraglichen Gegenseitigkeitsverhältnis.

[11] Siehe Ernst Levy, Weströmisches Vulgarrecht. Das Obligationenrecht, 1956, 164, 258ff.; Theo Mayer-Maly, Locatio conductio, 1956, 20, 79f.; Max Kaser, Das römische Privatrecht, Zweiter Abschnitt. Die nachklassischen Entwicklungen, 2. Aufl. 1975, 407.

[12] Siehe zur locatio ad longum tempus die immer noch wichtigen Ausführungen von Paolo Grossi, Locatio ad longum tempus. Locazione e rapporti reali di godimento nella problematica del diritto comune, 1963.

[13] MGH D Math, Nr. 9, 57, Z. 14-15, „...aut in beneficium dandi neque per libellum aut per precariam neque per infiteosin...“.