SeckelmannPross20010912 Nr. 10193 ZRG 119 (2002) 80

 

 

Pross, Harry, Zeitungsreport. Deutsche Presse im 20. Jahrhundert. Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 2000. VIII, 334 S. 21 Abb.

 

Mit der Begrüßung des Jahres 1900 durch die Presse fängt die Monographie von Harry Pross an. Dennoch wirkt der Band wie eine sentimental journey in die siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Pross ist einer der Altmeister der Medienkonzentrationsforschung und Medienwirkungsforschung und war von 1968 bis 1983 Professor für Publizistik an der Freien Universität Berlin. Er möchte in seinem „roundup zum Jahrhundertwechsel“ (335) als „beobachtender Teilnehmer“ das Verhältnis der Presse zu der jeweiligen Staatsform untersuchen und auch polemisch kommentieren (VII). Dabei will er sich besonders der Frage nach der Funktionsweise der Presse in der „doppelten“ Abhängigkeit von Pressegesetzen und wirtschaftlicher Macht widmen.

Die Exposition verrät es: Pross kann nur eine Verfallsgeschichte erzählen. Und richtig, er beginnt seine Betrachtung mit der Klage, wie die Zeitungen bereits im Kaiserreich „zunehmend abhängig vom Inseratenaufkommen und den inserierenden Wirtschaftskräften“ wurden. Dies habe „mit zunehmenden Auflagen und Vermehrung der Publikation zu immer einsehbareren Meinungskartellen“ geführt (24). Auch nach dem Ersten Weltkrieg seien, so Pross, Chancen vertan worden, die Presse „vom internen Druck des Kapitals zu befreien“ (51). Vom Annoncenteil abhängige Zeitschriften hätten „die Oberhand“ behalten (52). Als nahezu zwangsläufig erscheint das Aufkommen von Alfred Hugenbergs Pressekonzern. Durch ein Reichspressegesetz von staatlicher Seite in die Zange genommen, habe der „branchenübliche Opportunismus des antizipierenden Gewerbes (...) 1930/31 eine braune Tönung“ angenommen (79), gipfelnd in der Katastrophe der Konzentration von Macht und Medien im Dritten Reich (102). Pross Idealbild ist demgegenüber die liberale Presse des 19. Jahrhunderts, die noch nicht dem Druck der Anzeigenkunden ausgesetzt gewesen sei (26). Ob dieses Bild des 19. Jahrhunderts sich auch aus den Quellen belegen läßt, ist allerdings fraglich. Immerhin bestand schon um 1860 die „Vossische Zeitung“ zu zwei Dritteln aus Anzeigen.[1]

Pross gewinnt seinen erzählerischen Elan aus der moralischen Entrüstung über die Einschränkung der Meinungsfreiheit. Diese macht er (nicht immer ganz trennscharf) an zwei Aspekten fest: an der äußeren Begrenzung durch (juristische) Staatsintervention und an der inneren durch (wirtschaftliche) Medienkonzentration. Da er beide mit der gleichen Empörung beschreibt, bleibt die versprochene Analyse des Wechselspiels von Presse und Regierungsform im Verlaufe der Epochen (immerhin behandelt er das Kaiserreich, die Weimarer Republik, NS-Deutschland, die beiden deutschen Staaten nach 1945 und das wiedervereinigte Deutschland) auf halbem Wege stehen.

An Spannung gewinnt die Darstellung bei Pross Schilderung der Entwicklung der bundesdeutschen Presse ab 1945. Pross Mißtrauen gegen die Vereinigten Staaten einerseits (198) und die bundesdeutsche Justiz andererseits vermittelt noch einmal einen authentischen Eindruck von den Debatten der siebziger Jahre. Und so erschrickt man auch nicht beim Anblick des Wiedergängers der „psychischen Gewalt“. Diese Rechtsfigur aus der Spiegel-Affäre (203ff.) scheint, obwohl sie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 10. Januar 1995 für verfassungswidrig erklärt hat,[2] für Pross nicht recht tot zu sein. Noch für 1999 wirft er der deutschen Rechtsprechung vor, „bei passivem Widerstand, defensivem Verhalten, wie Nichtweitergehen, Sitzenbleiben, demonstrativem Handhalten und ähnlichen Staatsaktionen (...) im magischen Bockshorn zu sitzen, in das sie seinerzeit die für deutsche Verhältnisse exzessive Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit gejagt hat“ (206f.). Und weiter mutmaßt er: „Es fehlte nicht viel, und man würde auch heute den Arbeitskampf wieder als verbotene Gewalt interpretieren, wäre er nicht durch das Gebot der Sozialstaatlichkeit institutionalisiert“ (207). Diese Fundamentalkritik wird von Pross nicht weiter belegt, etwa durch eine Auseinandersetzung mit der - durchaus bedenklichen – Konstruktion des „körperlich wirkenden Zwangs“ durch den Bundesgerichtshofs.[3]

Einen weiteren Verfall der Meinungsfreiheit macht Pross in dem Auftauchen „einer elektronisch gesteuerten Spannungsindustrie im Jahr 2000“ aus (1). Die „sittliche(n) Forderung der Presse- und Medienfreiheit“ könne im Zeitalter der Globalisierung und dem Postulat der „Wirtschaftlichkeit technischer Signale“ nur untergehen. An dieser Stelle wäre eine Auseinandersetzung mit den aktuellen medientheoretischen Debatten, etwa über Freiheit und Kontrolle im Cyberspace, wünschenswert gewesen. Die auf Globalisierung der Kommunikation angelegten Neuen Medien[4] sind nicht nur offen für Konzentrationsprozesse,[5] sondern eröffnen mit ihren egalitären Zugangsmöglichkeiten gerade Chancen für eine aktiv partizipierende politische Öffentlichkeit.[6]

Pross macht durch die hochmoralische Polemik seiner zu einfachen Antworten viele seiner durchaus interessanten Fragen zunichte. Das Verhältnis von Staat und Presse wäre in der Tat ein reizvoller Gegenstand gewesen, insbesondere auch aus rechtshistorischer Perspektive.[7] Hier hätten die Kontinuitäten und Brüche staatlicher Zugriffsversuche auf die Presse analysiert werden können; etwa die Traditionen des Denkens, die sich in den staatlichen Versuchen äußerten, nach dem Zweiten Weltkrieg einen regierungstreuen Sender zu installieren (182ff.). Auch die von Pross verfolgte zweite Linie, die das Verhältnis von journalistischer Meinungsäußerung zu wirtschaftlichen Postulaten und die Geschichte der „inneren“ Pressefreiheit beschreibt, wäre ein lohnendes Forschungsobjekt gewesen.

 

Frankfurt am Main                                                                                         Margrit Seckelmann



[1] ) Rudolf Stöber, Deutsche Pressegeschichte. Einführung, Systematik, Glossar, Konstanz 2000. Vgl. die Besprechung in diesem Band.

[2] ) BVerfGE 92, 1, - „Sitzblockaden II“.

[3] ) BGHSt 41, 182 – „Kurdendemonstration“.

[4] ) Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 2. Aufl., Wiesbaden 2000; Marshall McLuhan / Bruce R. Powers / Claus-Peter Leonhardt, The Global Village. Der Weg der Mediengesellschaft in das 21. Jahrhundert; Norbert Bolz, Weltkommunikation, München 2001.

[5] ) Rudolf Maresch/Niels Werber (Hrsg.) Kommunikation. Medien. Macht, Frankfurt/Main 1999

[6] ) Patrick Donges/ Otfried Jarren, Politische Öffentlichkeit durch Netzkommunikation, in: Klaus Kamps (Hrsg.), Elektronische Demokratie? Perspektiven politischer Partizipation, Opladen 1999, 85-108; Meike Zwingenberger, Gemeinschaftsformen in der globalen Informationsgesellschaft; in: Winand Gellner/Fritz von Orff (Hrsg.), Demokratie und Internet, Baden Baden 1998, 227 - 239; Manfred Faßler/Wulf R. Halbach (Hrsg.), Cyberspace. Gemeinschaften, Virtuelle Kolonien. Öffentlichkeiten, München 1994.

[7] ) Vgl. etwa: Dirk Dunkhase, Das Pressegeheimnis. Wandel und Perspektiven gesetzlicher Sicherungen der Pressefreiheit gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen (= Schriften zu Kommunikationsfragen, Bd. 24), Berlin 1998.