SchottDiefranken20010209 Nr. 1163 ZRG 119 (2002) 20

 

 

Die Franken und die Alemannen bis zur „Schlacht bei Zülpich“ (496/97), hg. v. Geuenich, Dieter (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 19). De Gruyter, Berlin 1998. XIV, 690 S.

 

Der umfangreiche Band verdankt seine Entstehung einem historischen Fixpunkt, der Schlacht von Zülpich, in der durch den Sieg der Franken über die Alemannen die Weichen für das weitere Schicksal Europas gestellt worden seien. Bekanntlich - hier mit Bedacht gebraucht - habe der Frankenkönig Chlodwig vor der Schlacht gelobt, für den Fall des Sieges den christlichen Glauben in der katholischen Bekenntnisform anzunehmen. Mit der spektakulären Taufe zu Reims durch Bischof Remigius sei dann das Versprechen eingelöst worden. Die 1500jährige Wiederkehr dieses angenommenen Ereignisses hat das Jahr 1996 zu einem „Chlodwig-Jahr“ werden lassen, aus dessen zahlreichen Aktivitäten ein internationales wissenschaftliches Kolloquium in Reims, das sich sogar des Besuches des Papstes erfreute, hier besonders erwähnt sei.

Auch die vorliegende Publikation, die 29 Einzelbeiträge umfasst, ist aus einer wissenschaftlichen Tagung an „historischer Stätte“, nämlich am Schlachtort Zülpich selbst, hervorgegangen. Die Anführungszeichen im Buchtitel weisen indessen darauf hin, dass es sich bei dieser „Entscheidungsschlacht“ durchaus nicht um eine gesicherte historische Tatsache handelt. So macht der Herausgeber in seinem Beitrag „Chlodwigs Alemannen-Schlacht(en) und Taufe“ (siehe bereits Dieter Geuenich „Geschichte der Alemannen“, 1997; dazu die Besprechung in ZRG Germ. Abt., 115 [1998] S. 658-660) wahrscheinlich, dass sich der Frankenkönig in mehreren Schlachten gegenüber verschiedenen alemannischen Verbänden behauptet hat. Dem Berichterstatter, Gregor von Tours, ging es dabei eigentlich und vornehmlich um den Propagandaeffekt für den richtigen Glaubensentscheid, zumal in anderen, kaum weniger zuverlässigen Quellen als Motiv für den Übertritt Chlodwigs zum Christentum der Sieg über die Westgoten oder Burgunder genannt wird.

Erweist sich also die „Schlacht von Zülpich“ als ein höchst zweifelhafter Fixpunkt, so bleibt doch das Faktum, dass anfangs des 6. Jahrhunderts die Alemannen auf Dauer unter fränkische Herrschaft gerieten und dass die alemannische Geschichte damit in eine neue Phase trat. Diese Zäsur bildet mehr oder weniger dann auch die obere Zeitgrenze des vorliegenden Sammelbandes. Insgesamt wird hier in beachtlicher Weise der gegenwärtige Forschungsstand vorgeführt, wie er aus historischer, archäologischer und philologischer Perspektive resultiert. Die Gesamtthematik konzentriert beziehungsweise kristallisiert sich um das Problem der Ethnogenese im weitesten Sinne. Ein eigentlich rechtshistorischer Beitrag findet sich nicht darunter. Das ist für die Alemannen durchaus verständlich, da die alemannischen Rechtsquellen erst im 7. Jahrhundert mit dem Pactus Alamannorum einsetzen. Weniger einsichtig ist diese Abstinenz für die Franken, deren erste Lex - von Karl August Eckhardt auch als „Pactus“ bezeichnet - immerhin noch zu Lebzeiten Chlodwigs erlassen wurde und die doch eine recht ausdrucksstarke Quelle darstellt. Man mag sich dieses Fehlen daraus erklären, dass das Schwergewicht des Bandes eher im Bereich der alemannischen Geschichte liegt, zumal die ersten Anregungen zu diesem Kolloquium vom Alemannischen Institut in Freiburg im Breisgau ausgingen. Immerhin fällt dabei gelegentlich auch etwas für die fränkische Rechtsgeschichte ab, so der von Matthias Springer („Riparii - Ribuarier“) erbrachte Nachweis, dass es einen fränkischen Teilstamm der Ribuarier nie gegeben hat, sondern dass „Ribuarien“ eine aus römischen Verhältnissen abgeleitete Bezeichnung für das Gebiet um Köln war. Dazu ist festzustellen, dass sich die rechtshistorische Forschung dies inzwischen längst zu eigen gemacht hat (vgl. Ruth Schmidt-Wiegand „Lex Ribuaria“ in HRG 2, Berlin 1978, Sp. 1923). Springer stellt damit auch den Entstehungszeitpunkt der Lex Ribuaria - 7. oder 8. Jahrhundert? - erneut zur Diskussion, ohne sich jedoch letztlich für eine der bisher vorgeschlagenen Datierungen entscheiden zu können.

Trotz der oben erwähnten, zeitlichen Quellenferne des alemannischen Rechts unternimmt Ruth Schmidt-Wiegand den Versuch, zu „Rechtsvorstellungen bei den Franken und Alemannen vor 500“ vorzustoßen. Der Titel verspricht eine Aussage zu beiden Stämmen, konzentriert sich aber auf das Recht der Alemannen, wobei die Lex Salica fallweise erklärend mitherangezogen wird. Die Verfasserin richtet ihr Augenmerk auf die - wenigen - Glossen der mit Sicherheit aus dem 8. Jahrhundert stammenden Lex Alamannorum, die gelegentlich Wendungen wie „quod Alamanni nasthait dicunt“ (was die Alemannen Nesteleid = Zopfeid nennen) enthält und setzt diese funktional mit den Malbergischen Glossen der Lex Salica gleich. Nun mag es sein, dass diesen Sprachglossen des Alemannenrechts in einem Rechtsverfahren, welcher Art auch immer ein solches gewesen sein mag, eine formale Bedeutung zugekommen ist, aber lässt sich damit ein Rückschluss ins 5. Jahrhundert (!) rechtfertigen? Die alemannischen Glossen des 8. Jahrhunderts weisen ja doch im Gegensatz zu den Malbergischen Glossen bereits eine althochdeutsche Prägung auf, und der ältere alemannische Pactus des 7. Jahrhunderts kennt gerade keine solchen volkssprachigen Erwähnungen. Die Verfasserin überbrückt die zeitliche Lücke durch Berufung auf den meist in Handschriften zur Lex Baiuvariorum überlieferten „Moyses-gentis-Prolog“, der eine Gesetzgebungsgeschichte des alemannischen und des bayerischen Rechts bis zum Frankenkönig Teuderich I. (511-532) bietet. Freilich wird dieser Prolog heute allgemein und fast unwidersprochen als literarisches Werk des 8. Jahrhunderts angesehen, dessen Verfasser eine Vorlage aus den Etymologien des Isidor von Sevilla fiktional mit fränkischen Gesetzgebungsakten angereichert hat. Aber selbst wenn man hier für einmal dem Moyses-gentis-Prolog historische Glaubwürdigkeit zubilligen will, so ist damit für eine sprachliche Rückschlussmethode überhaupt nichts gewonnen. Schmidt-Wiegand stellt ferner auf die zahlreichen Verweise der Lex Alamannorum in der Form „sicut lex habet“ (wie es das Recht bestimmt) ab, die keine Entsprechung in der Lex scripta haben und daher als Hinweis auf mündliche Rechtsgewohnheiten angesehen werden können. Auch dem ist zuzustimmen, jedoch bleibt der Einwand, dass es sich hier um die Mündlichkeit des 8. Jahrhunderts handelt, die über eine solche des 5. Jahrhunderts überhaupt nichts auszusagen vermag. Die ganze Hypothese ist auf zu viele schwache Konstruktionen angewiesen, als dass sie letztlich überzeugen und weiterführen könnte.

Schmidt-Wiegand versteht ihren Beitrag als „Versuch, von den Leges barbarorum, den Stammes- oder Volksrechten der fränkischen Kodifikationszeit, aus ein Bild von einer archaischen Rechtskultur zu gewinnen, die in der Mündlichkeit lebte und allein durch orale Tradition erhalten und weitergegeben worden ist“ (S. 545). Sie scheint damit einen Gegensatz anzunehmen zwischen einer „vorkodifikatorischen“ oralen Phase und der „nachkodifikatorischen“ Zeit, in der die Lex scripta galt und mit Hilfe eines effizienten Gerichtsverfahrens für das alemannische Rechtsleben bestimmend war. Die Verfasserin sieht sich damit in Opposition zu jenen Thesen, die angesichts der Labilität und geringen materiellen Leistungsfähigkeit des gerichtlichen Verfahrens weiterhin „archaische“ und „orale“ Zustände mit Rachereaktionen und Befriedungsmechanismen außerhalb der Gerichtsbarkeit annehmen. Damit soll letztlich die These gerettet werden, dass die erhaltenen lateinischen Leges-Texte den Volksgerichten als Subsumtionsgrundlage gedient hätten und von diesen in neuzeitlicher Manier genutzt worden seien. Es ist hier nicht der Ort, diesen Fragenkomplex neu aufzurollen. Man kann sich mit der Feststellung begnügen, dass auch im 8. Jahrhundert „haisterahandi“ (bewaffneter Überfall), „mortaudo“ (Mordtötung), „hrevowunt“ (tödliche Verwundung), „balcbrust“ (Hautbruch), „pulislac“ (Beulenschlag) usw. nach Ausweis der Lex zu den Tatbeständen gehörten, „qui saepe solent contingere in populo“ (die oft im Volke vorzukommen pflegen, LA 44). Dass all dies und vieles mehr auch schon im 5. Jahrhundert zum alemannischen Alltag gehörte, darf man ohne Skrupel annehmen, nur kann man die Glossen des 8. Jahrhunderts kaum als Beweis dafür heranziehen.

 

Zürich                                                                                                               Clausdieter Schott