PolaschekReiter20010910 Nr. 10392 ZRG 119 (2002) 56

 

 

Reiter, Ilse, Ausgewiesen, abgeschoben. Eine Geschichte des Ausweisungsrechts in Österreich vom ausgehenden 18. bis ins 20. Jahrhundert (= Wiener Studien zu Geschichte, Recht und Gesellschaft 2). Lang, Frankfurt am Main 2000. XIV, 824 S.

 

Das vorliegende Buch ist aus der im Sommersemester 1997 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien angenommenen Habilitationsschrift Ilse Reiters hervorgegangen. Es befaßt sich mit den vielfältigen rechtlichen Regelungen sowie der höchstgerichtlichen Judikatur zum österreichischen Ausweisungsrecht vom 18. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Wie breit das zu behandelnde Thema gestreut ist, zeigt sich etwa daran, daß bei der Darstellung der Rechtslage in der Habsburgermonarchie nach 1848 die beiden Gemeindegesetze von 1849 beziehungsweise 1859 ebenso ausführlich besprochen werden wie das Heimatgesetz 1863 und die Novelle 1896, das Staatsbürgerschaftswesen sowie die Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit (S. 31ff.). Eine besondere Position in diesem Abschnitt nimmt die Darstellung der Ausweisung als strafrechtliches Instrument ein (S. 67ff.). Der Bogen reicht hier von den frühneuzeitlichen Rechtsquellen bis hin zu den strafrechtlichen Nebengesetzen des späten 19. Jahrhunderts. Dabei wird auch der Judikatur des Obersten Gerichtshofes ein breiter Platz eingeräumt.

Die Ausweisung als staatliche Polizeimaßnahme (der sogenannte „Schub“) sowie als Recht der autonomen Gemeinde werden ebenfalls detailliertest dargestellt (S. 144ff.). Die Beschreibung des Ausweisungsrechts in der Ersten Republik nimmt, da eine weitgehende Rezeption des Normbestandes erfolgte, etwas weniger Raum ein (S. 318ff.). Durch die teilweisen Änderungen in der Kompetenzlage, wodurch es zu länderweisen Sonderregelungen kam, und zusätzlichen Spezialgesetzen, etwa betreffend die Staatsbürgerschaft, wurde die Materie jedoch keineswegs leichter handhabbar.

Von besonderem Interesse über die Rechtsgeschichte hinaus ist insbesondere die Untersuchung des Ausweisungsrechts als Instrument staatlicher Maßnahmenpolitik (S. 379ff.). Dies gilt in erster Linie für die Verwendung als Repressionsmittel gegen Sozialdemokraten und Anarchisten (S. 387ff.) sowie die Ausweisung von Flüchtlingen (S. 470ff.). Als akribische Bestandsaufnahme erweist sich auch die Beschreibung der „Effektuierung von Ausweisungserkenntnissen“ (S. 523ff.). Den logischen Schluß bilden schließlich die rechtlichen Regelungen betreffend die unerlaubte Rückkehr der Ausgewiesenen (S. 732ff.) sowie die Darstellung der zeitgenössischen Kritik am Ausweisungsrecht (S. 765ff.).

Die Breite der bearbeiteten Materie schlägt sich auch im Literaturverzeichnis (23 Seiten) sowie der Anzahl der Fußnoten nieder (4096). Der akribische Fleiß und die Sorgfalt der Verfasserin bei der Behandlung dieses Themas sind zu bewundern. Der daraus resultierende Umfang der Arbeit (der sich nicht zuletzt notwendigerweise auch auf den Preis des Buches niederschlägt) und die Dichte der Informationen werfen allerdings die allgemeine Frage auf, ob nicht eine gewisse Beschränkung zuweilen sinnvoller ist: Einzelne Bereiche laufen in einer derart umfangreichen Darstellung Gefahr, in der Menge „unterzugehen“. Aus dem vorliegenden Stoff wäre es auch möglich gewesen, zwei - wenn nicht sogar drei – „schmälere“ Bücher und einige Aufsätze zu machen.

 

Graz                                                                                                     Martin F. Polaschek