MohnhauptDasler20010915 Nr. 10463 ZRG 119 (2002) 23

 

 

Dasler, Clemens, Forst- und Wildbann im frühen deutschen Reich. Die königlichen Privilegien für die Reichskirche vom 9. bis zum 12. Jahrhundert (= Dissertationen zur mittelalterlichen Geschichte 10). Böhlau, Köln 2001. XI, 310 S.

 

Der Rechtshistoriker nimmt die überarbeitete historische Göttinger Dissertation von 1996 mit erwartungsvollem Interesse zur Hand, da sie im Titel und Untertitel mit „Forst“, „Wildbann“, „Privilegien“ und „Reichskirche“ Begriffe aufnimmt, die sämtlich juristisch geprägt sind, jedoch im Mittelalter noch keineswegs über einen präzisen Inhalt verfügen. Bis heute müht sich die Forschung  um Klarstellungen mit unterschiedlichem Erfolg. Die Bemühungen des Verfassers vermögen nur wenig zu befriedigen.

Das Untersuchungsziel besteht darin, die „praktische Bedeutung“ (S. 1) und „Wirkungsgeschichte der Forste und Wildbänne“ (sic!) darzustellen, die von den „ostfränkisch-frühdeutschen Herrschern“ des 9. bis  12. Jahrhunderts verliehen wurden (S. 257). In knappen Fallstudien werden 87 einzelne Forstgebiete in alphabetischer Reihenfolge daraufhin untersucht, welcher Art diese Verleihungen gewesen sind. Das Untersuchungsgebiet erstreckt sich bis in das heutige Frankreich (Cambrai, Metz), die heutige Schweiz, Südtirol, Slovenien und das heutige Belgien; Reichsitalien bleibt ausgespart. Behandelt werden die Verleihungen an geistliche Empfänger und solche Forstgebiete, die eine namentliche Bezeichnung tragen und für die eine Grenzbeschreibung gegeben ist.

Der Verfasser möchte vor allem (S. 257) die „gängigen Vorstellungen über die Eigenschaften des Wildbanns“ korrigieren (inhaltlicher Umfang des Wildbanns; Herrschaftsbegründung durch Wildbann), indem er diesen „mit den Quellen konfrontiert“ (S. 1). Daran, dies in angemessener kritischer Interpretation zu tun, hindert ihn oft das Fehlen der rechtlichen Bewertungsmaßstäbe. Daraus resultiert wiederum eine Fülle von konjunktivischen Aussagen, die allesamt Mutmaßungen, Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten der Interpretation umschreiben.

Forst und Wildbann werden vom Verfasser zutreffend unterschieden. Mit der Einforstung wird der Wald zum Forst erklärt und erhält damit einen rechtlichen Status, der bei der Forstverleihung die Zustimmung ursprünglich Berechtigter zur Nutzungseinschränkung verlangt. Die in die Urkunden aufgenommene Konsensformel gilt dem Verfasser jedoch als „beliebige Floskel“ (S. 9), außer wenn Namen genannt werden. Die Konsensformel kann aber generell nicht „als beliebige Floskel abgetan werden“, da Grundstücksübertragungen wegen der möglichen Rechte Dritter nur mit deren Zustimmung streitfrei übertragen werden können. Darin liegt der juristische Zweck und Kern der Konsensformel, die der Verfasser auch bei der privilegialen Wildbannverleihung ausdrücklich erwähnt (S. 120 Anm 469). Diese Wildbannverleihungen bezeichnet der Verfasser unreflektiert als „Privilegien“, ohne diesen für die mittelalterliche Rechtsordnung eminent konstitutiven Begriff näher zu erläutern und seine rechtlichen Elemente anhand der Privilegienlehre für die Analyse der jeweiligen Bannverleihungen nutzbar zu machen. In Abgrenzung zum Forst qualifiziert der Verfasser den Wildbann korrekt als Nutzungsrecht im Sinne der ausschließlichen Jagdberechtigung mit der Folge, daß das Forstgebiet einer allgemeinen Nutzung entzogen wird und das Jagdrecht nur noch dem Wildbannberechtigten zusteht. Der Verfasser weiß hier „Vorbehaltsklauseln“, „Jagdverbot für Unbefugte“ und „allgemeines Nutzungsverbot“ nicht als essentielle Elemente des Privilegs zu bewerten, so daß er in ihnen keinen „tieferen Sinn“ zu erkennen vermag (S. 15, 257). Die Diplomatik hat jedoch hinreichend deutlich gemacht, daß die „dispositio“ im Zusammenhang mit der „sanctio“ die Übertragung einer Berechtigung (z. B. des Jagdrechts) mit dem Verbot jeglicher Störung des Berechtigten bei der Ausübung seines Rechts und jeder Zuwiderhandlung verknüpft ist. Dazu gehört auch das Verbot, „infestationis calumniam ingerere“ (S. 17), die der Verfasser als „Selbstverständlichkeit“ und „überflüssige Wiederholungen ohne eigenen echten Gehalt“ ansieht. Vorsicht ist jedoch geboten, Urkundenformeln und „allgemeine Klauseln“ dieser Art nicht „wörtlich“ zu verstehen (S. 18, 19). Das gilt natürlich auch für den Inhalt der Wildbanne (ungewöhnlich, daß der Verfasser stets die Pluralbildung „Bänne“ gebraucht), die in der Regel das Jagdrecht beinhalten, aber auch im konkreten Einzelfall – was der Verfasser weitgehend ablehnen möchte – ein „quodlibet ius exercere“ (S. 18) unterschiedlichen Inhalts umfassen konnten (Holz, Rodung usw.).

Im Kapitel „Forste und Herrschaft“ wendet sich der Verfasser gegen die Ansicht, daß Forstverleihungen auch als Mittel zur Herrschaftsbildung anzusehen seien, und tut dies mit der Begründung, daß „entsprechende Hinweise in den Verleihungsurkunden fehlen“ (S. 30). Nur für die Bannwaldforste bejaht der Verfasser eine herrschaftsbildende Wirkung, denn mit diesen „erhielt der Empfänger schließlich schlicht und einfach ein weiteres Stück Land“ (S. 30f.). Das ist nun doch eine zu einfache Begründung, denn „Herrschaft“ ist nicht nur als ein einheitliches historisches Phänomen institutionalisierter Macht (Max Weber) zu sehen, sondern konstituiert sich über Raumbildung, Grenzziehung und die mit Grund und Boden verbundenen konkreten Einzelrechte, unter denen die Bannrechte Herrschaftssplitter bilden, die sich zu einer umfassenden Summe „Herrschaft“ bündeln können. Für den Verfasser ist die „einzige Herrschaft die Kontrolle der Jagd“ (S. 33). Auch die Gerichtsbarkeit ist jedoch ein wichtiges Element der Herrschaft, die an Grund und Boden haftet und vom Verfasser nur kurz erwähnt (S. 35, 261), aber im Zusammenhang mit Forst- und Wildbannverleihung als herrschaftsbildendes Element nicht gewürdigt wird.

Interessant ist die Frage, weshalb Wildbanne überwiegend an die „Reichskirche“ erteilt wurden (S. 260f.). Im Titel seiner Dissertation hatte der Verfasser noch von den „geistlichen Empfängern“ gesprochen, welche Formulierung vorzuziehen ist, da die Reichskirche ein höchst komplexes Gebilde war und keine in sich geschlossene reichsrechtliche Verfassung besaß, wenn sie auch auf Reichsrecht beruhte. Der Verfasser sieht den Grund für die Privilegierung der geistlichen Empfänger in adeligen Lebensgewohnheiten, im „politischen Wert“ und in wirtschaftlichen Interesse. Daß der König durch eine gezielte Bann- und Forstverleihung eine Privilegienpolitik betrieb, um die Geistlichkeit an sich zu binden, wird vom Verfasser nicht behandelt. Auffällig ist, daß ab 1080 keine Wildbannverleihungen und Konfirmationen mehr auftauchen. Der Verfasser sieht einen Grund dafür im Sinken der königlichen Autorität: „Das Königtum gerät in schweres Wetter“ (S. 263). Sprachliche Fehlleistungen wie diese sind leider recht häufig (S. 257: „ ... an Unzufriedenheit konnte dem König nicht gelegen sein“; S. 260: „ ... Überlassung von Jagdwild ... öffnet ein Fenster in die ottonisch-salische Zeit“; S. 262: „Auch dieser Befund kratzt an der Vorstellung von der herrschaftsbildenden Kraft der Privilegien ...“), die auch hier auf ein Betreuungsdefizit schließen lassen. Oft mißt der Verfasser die Privilegien zu sehr nach modernem Rechtsverständnis an der Langzeitwirkung des Gesetzes und bewertet demgemäß das Privileg negativ als ein „kurzlebiges Behelfsmittel“, das doch gerade die Bedeutung der Forst- und Wildbannprivilegien als fungible individuelle Rechtsgestaltungsmittel mit Drittwirkung unterstreicht. Dahinter kann sich sehr wohl auch eine „herrschaftsstrategische“ (S. 263) Zielrichtung verbergen, die die Ausbildung von Siedlungsgebieten, Grenzziehungen und Grundherrschaft bis zur Landeshoheit sowie von Verwaltungs- und Gerichtsbezirken entscheidend zu befördern vermag. Dafür gibt der Verfasser selber in seinen Fallstudien (S. 37ff.) zu den topographisch aufgeschlüsselten Forst- und Wildbanngebieten zahlreiche in diesem Sinne interpretierbare Beispiele.

 

Frankfurt am Main                                                                              Heinz Mohnhaupt