LandwehrDasältestegreifswalder20010918 Nr. 10180 ZRG 119 (2002) 33

 

 

Das älteste Greifswalder Stadtbuch (1291-1332), bearb. v. Poeck, Dietrich W. unter Heranziehung der nachgelassenen Vorarbeiten von Schroeder, Horst-Diether (= Veröffentlichungen der Historischen Kommisssion für Pommern Reihe 4, Quellen zur pommerschen Geschichte 14). Böhlau, Köln 2000. CLXXII, 301 S. 5 Abb., 2 Karten.

 

Das Greifswalder Stadtbuch ist ein Zeugnis des vielfältigen. insbesondere im lübischen Rechtskreis in vielfacher Gestalt anzutreffenden Stadtbuchwesens. Der hier edierte Liber civitatis ist das älteste überlieferte Stadtbuch der Stadt lübischen Rechts, dessen dokumentierter Vorläufer (vgl. Nr. 871) nicht erhalten ist. Er gehört zum Typus der älteren Einheitsstadtbücher. Erst im Laufe des 14. Jahrhunderts fand eine Aufteilung nach Geschäftszweigen und Geschäftsarten statt und es wurden ein Statutenbuch (liber de arbitrio consulum von 1322-1358), ein nach 1329 eingerichtetes Privilegienbuch, ein Stadtrentenbuch (liber de redditibus civitatis, seit 1349), ein Obligationenbuch (liber debitorum, von 1349-1442), ein Erbebuch (von 1350-1450), ferner Kämmereibücher (seit 1361) und schließlich Gerichtsbücher (libri judiciales, von 1383-1526) angelegt. die sämtlich nicht ediert sind.

Das älteste Stadtbuch, das wahrscheinlich mit dem 1451 in der sog. Rubenowschen Stadtverfassung erwähnten Großen Buch identisch ist, enthält für den 42 Jahre umfassenden Zeitraum von 1291-1332 insgesamt 1236 Eintragungen in lateinischer Sprache vornehmlich über Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen, die zwischen Bürgern vor dem Rat vorgenommen wurden. Die notula in dem Stadtbuch hatten, ohne daß dies vor dem 16. Jahrhundert (im Revidierten Lübecker Stadtrecht von 1586) ausdrücklich normiert ist, Beweiskraft vor Gericht. In zeitlicher Reihenfolge haben die Eintragungen zum Gegenstand: insbesondere Rechtsgeschäfte über Liegenschaften (hereditates), wie Kaufverträge (vendiciones et empciones) und Auflassungen (resignaciones), einschließlich Gewährschaftsleistungen (warandia), ferner Pfandsatzungen (obligaciones pignoraticiae oder titulo pignoris) sowie Rentenkäufe (redditus) und Geschäfte über Wortzinse (redditus ad censum), sodann Erbauseinandersetzungen (separationes bonorum hereditariorum), Einsetzung vor Vormündern (curatores oder provisores) und Bestellung von Mitgiften (dotalicia, dotes), ferner Innehabung von Nutzungsrechten an Nachbargrundstücken (insbesondere aqueductus), weiterhin Schuldgeschäfte (promissiones und obligaciones) und Bußgeldzahlungen (composiciones), darunter auch eine Totschlagsühne (Nr. 1007).

Die Tätigkeit des Rates beschränkte sich aber nicht in einer beurkundenden Tätigkeit, sondern in über 250 Fällen wurde er tätig, um Streitigkeiten (discordia) endgültig beizulegen (sopita et terminata) oder amicabiliter zu schlichten (sog. lentsake oder ent et lentsake).

Ferner enthält das Stadtbuch vom Rat in Einzelfällen ausgesprochene Strafandrohungen (Nr. 407, 608) und vor dem Rat abgeleistete Urfehden (orveyda).

Reichhaltige Auskünfte geben die Eintragungen im Stadtbuch über das Liegenschaftswesen. Neben Erbgrundstücken (hereditates) finden sich halbe (medietas oder dimidietas hereditatis) sowie dreigeteilte (tercia pars hereditatis) und schließlich auch künftige Erben (hereditaria. que in vulgo anwardinge dicitur, Nr. 1070, 1143). Ferner erscheinen auf fremdem Grund und Boden errichtete Buden der F1eischer (boda carnifica) und Krämer (boda penesticiales). Unter den Hausgrundstücken wird differenziert nach großen und kleinen Gebäuden (domus oder hereditates longae und parvae), Eckhäusern (domus angulares), Steinhäusern (domus lapideae) und Holzhäusern (hereditates ligneae), Fachwerkhäusern (domus argilleae), Backhäusern (domus pistrinae), Werkstätten (fabricae) und Mühlen (molendina). Neben bebauten Grundstücken sind auch Ackergrundstücke (jugera agrorum) Gegenstand von Rechtsgeschäften. Das Grundstück und das Eigentumsrecht daran werden, wie gezeigt, als Erbe (hereditas) bezeichnet, die Begriffe dominium und proprietas tauchen nicht auf. Dagegen ist häufig vom Besitz (possessio) Dritter die Rede.

In der ausführlichen Einleitung untersucht der Herausgeber die Eintragungen im Hinblick auf die Lage der dort genannten Häuser (S. XXIV-LXXV). Als Ausgangspunkt wählt er dabei die Kriegssteuerliste von 1327, in der zunächst die steuerpflichtigen Ratsherren und sodann straßenweise die beitragspflichtigen Hauseigentümer verzeichnet sind. Der Inhalt dieser Steuerliste wird ebenfalls, jedoch anders als das Original geordnet nach der Höhe der Abgabenpflicht, mitgeteilt (S. LXXV-LXXXI). Die Angaben in der Liste über die Hauseigentümer werden mit den Eintragungen im Stadtbuch und ergänzend im Obligationenbuch verglichen und auf diese Weise über 150, das sind mehr als ein Zehntel, der damaligen Erbgrundstücke und Erbeninhaber ermittelt und kartographisch erfaßt (S. 297-301). Die Dokumentation dieser Untersuchung erfolgt durch tabellarische Regesten, in denen Schuldner, Gläubiger, Belastungsart und Belastungshöhe, Grundstücke und Grundstückslage der Eintragungen mitgeteilt werden (S. LXXXIII-CXXII). Da in die Tabelle nur diejenigen Grundstücke aufgenommen sind, deren Lage sich eindeutig bestimmen ließ, werden nicht sämtliche 1236 Eintragungen, sondern nur etwa 800 in den Regesten dokumentiert. Bei der Untersuchung des Hausbesitzes wird vom Herausgeber nicht nur das Stadtbuch ausgewertet, sondern ergänzend werden auch die Eintragungen im Obligationenbuch von 1349 bis 1371 herangezogen. Die Befunde aus dem unedierten Obligationenbuch werden ebenfalls in tabellarischen Regesten als „Arbeitsinstrument“ (S. IX) mitgeteilt (S. CXXIII-CLXIX). Daraus muss man wohl die Schlußfolgerung ableiten, daß an eine Edition auch dieses Stadtbuches in absehbarer Zeit nicht gedacht ist.

Die Arbeit mit dem Text des ältesten Stadtbuches wird durch Verzeichnisse der Orts- und Personennamen (S. 243-276) sowie durch einen ausführlichen und zuverlässigen Index der Wörter und Sachen (S. 277-295) erheblich erleichtert. Nützlich wäre außerdem noch ein Glossar gewesen.

Dem 1990 verstorbenen ersten Bearbeiter Horst-Diether Schroeder und vor allem dem endgültigen Bearbeiter und Herausgeber Dietrich W. Poeck, Professor in Münster, gebührt Dank für die gelungene Editionsleistung. Durch sie wird der Forschung eine weitere inhaltsreiche Quelle zur Erforschung des Geschäftslebens und der Rechtswirklichkeit in einer Hansestadt während der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zugänglich gemacht.

 

Hamburg                                                                                                        Götz Landwehr