FiedlerRichter20010616 Nr. 10386 ZRG 119 (2002) 50

 

 

Richter, Klaus, Deutsches Kolonialrecht in Ostafrika 1885-1891 (= Rechtshistorische Reihe 237). Lang, Frankfurt am Main 2001. 122 S.

 

Die Arbeit beschäftigt sich mit einem wichtigen Kapitel der deutschen Rechtsgeschichte, das fast vergessen schien. Die Arbeit selbst entstand an der Universität Potsdam bei Stefan Saar und wurde unter Christian Kirchner (Berlin) abgeschlossen. Die Anregung zur Beschäftigung mit dem Kolonialrecht kam jedoch von Elmar Wadle (Saarbrücken). Daß Deutschland nur kurze Zeit über Kolonien verfügte, ist fast vergessen worden, ebenso die Tatsache, daß das gesamte deutsche Kolonialsystem zur Verteilungsmasse des ersten Weltkrieges gehörte.

Im ersten Teil schildert der Autor anschaulich den Weg zur Schaffung von Kolonien im Osten Afrikas, im zweiten Teil (S. 51ff.) geht er auf die staats- und völkerrechtlichen Einzelheiten der Problematik ein. Dabei wird deutlich, daß ein so dynamischer Politiker wie Bismarck keineswegs auf Kolonien Wert legte und statt dessen stärker die Harmonie mit Frankreich und vor allem mit Großbritannien in den Vordergrund schob. Dazu passte es, daß sich die deutsche Reichsregierung lange Zeit dagegen wehrte, daß in den deutschen Kolonien auch deutsche Staatsgewalt ausgeübt wurde. Statt dessen vertraute die Reichsregierung auf die Kühnheit einzelner Personen bei der Kolonisierung verschiedener Teile Afrikas. Die Arbeit ist von vorneherein staats- und völkerrechtlich angelegt, so daß das deutsche Kolonialstaatsrecht zur Geltung kam. Auf diese Weise wurde das deutsche Staatsrecht um Fragen ergänzt, die etwa für Frankreich ganz selbstverständlich wurden. In Erinnerung geblieben ist die schwierige Positionsbestimmung zwischen Algerien und Frankreich, wenn es darum ging, die Zugehörigkeit der früheren Kolonie zu festzulegen.

Die eigentliche Kolonisation wurde von den dafür vorgesehenen Gesellschaften vorgenommen, insbesondere von der „Gesellschaft für Deutsche Kolonisation“ (GfdK) und der „Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft“ (DOAG) (S. 22ff., 26ff.). Es zeigt sich, daß die Welt der Staaten Europas im 19. Jahrhundert langsam aufgebrochen wurde durch einzelne Staaten überseeischer Natur, aber auch durch internationale Vereinigungen, die selbst keinen Staatscharakter hatten.

Tauchen schon im ersten Teil erhebliche juristische Fragen auf so wird diese Perspektive verstärkt ab S. 51.

Im zweiten Teil der Arbeit schildert der Autor die unterschiedlichen Positionen in der deutschen staats- und völkerrechtlichen  Literatur und gelangt zu den verschiedenen Positionen des internationalen Rechts des 19. Jahrhunderts. Dabei geht es nur begrenzt um die Frage, ob dem Kaiser oder dem Reich die Souveränität über die Kolonien zukam. Deutlich wird vor allem, wie stark die Thematik in die Entwicklung des allgemeinen Völkerrechts im 19. Jahrhundert eingebunden ist. Das geltende Völkerrecht war sehr stark von Europa geprägt und nur wenige überseeische Staaten besaßen die volle völkerrechtliche Souveränität. Das führte dazu, daß die neuen Gebiete und die entsprechenden Verträge meist mit „barbarischen“ Staaten geschlossen wurden und die entsprechenden Verträge ganz selbstverständlich nur eine begrenzte Dauer aufwiesen. Die Schutzbriefe konnten die bestehenden Mängel nur begrenzt abdecken. Ganz konsequent gelangt der Autor zu der Erörterung der Rechtsnatur der Schutzbriefe (S. 64ff.). Ebenso zu der Beurteilung der Kolonien als Protektorate (S. 70ff.) oder als Gebiete mit einer eigenen Selbstverwaltung. Von der völkerrechtlichen mußte die staatsrechtliche Bewertung des Begriffes „Kolonie“ unterschieden werden (S. 72ff.). Der Autor beurteilt die staatsrechtliche Stellung der Kolonien im Spiegel der Reichsgesetzgebung und stellt die unterschiedlichen Auffassungen ausführlich dar (S. 73f.). Die wieder gegebene Debatte zur Reichsgesetzgebung (S. 79ff.) gibt die verschiedenen Positionen anschaulich wieder.

Der dritte Teil enthält die „Schlußbetrachtungen“ (S. 97ff.) und vor allem das notwendige Quellen- und Literaturverzeichnis. Sehr vermißt wird ein Abkürzungsverzeichnis, das das Auffinden vor allem der in ausländischen Zeitschriften erschienen Beiträge erheblich erleichtert hätte. Sehr zu loben ist die im Anhang wiedergegebene reichhaltige Auswahl von Dokumenten, die an sich sonst nur schwer zugänglich gewesen wären (S. 105ff.). Nach der Schrift von Richter wird es nicht mehr möglich sein, das Thema zu vernachlässigen oder nur am Rande abzuhandeln. Eine bemerkenswerte Arbeit.

 

Saarbrücken                                                                                                  Wilfried Fiedler