EckhardtBrüdergrimm20010910 Nr. 10462, 10424 ZRG 119 (2002) 53

 

 

Brüder Grimm, Briefwechsel mit Herman Grimm (einschließlich des Briefwechsels zwischen Herman Grimm und Dorothea Grimm, geb. Wild), hg. und bearb. v. Ehrhardt, Holger (= Brüder Grimm, Werke und Briefwechsel, Kasseler Ausgabe, Briefe Band 1). Brüder Grimm-Gesellschaft, Kassel 1998. 616 S. und 16 z. T. farbige Bildtafeln.

Brüder Grimm, Briefwechsel mit Ludwig Hassenpflug (einschließlich der Briefwechsel zwischen Ludwig Hassenpflug und Dorothea Grimm, geb. Wild, Charlotte Hassenpflug, geb. Grimm, ihren Kindern und Amalie Hassenpflug), hg. und bearb. v. Grothe, Ewald (= Brüder Grimm, Werke und Briefwechsel, Kasseler Ausgabe, Briefe Band 2). Brüder Grimm-Gesellschaft, Kassel 2000. 448 S. mit 37 z. T. farbigen Abb.

 

Die Briefwechsel von Jacob und Wilhelm Grimm sind nicht nur für Germanisten, sondern auch für Rechtshistoriker von großem Interesse. Die von der Brüder Grimm-Gesellschaft e. V. in Angriff genommene Kasseler Ausgabe hat 1998 und 2000 die ersten beiden vorzüglich ausgestatteten Bände Briefwechsel vorgelegt, die 640 von insgesamt mehr als 38.000 Briefen edieren bzw., sofern nur erschlossen, wenigstens verzeichnen. Es ist ein Mammutunternehmen, das hier mutig angegangen worden ist, das aber auch mit einem hohen wissenschaftlichen Anspruch auftritt, an dem es sich messen lassen muß.

In den Einleitungen beider Bände wird in einer „editorischen Notiz“ auf „Richtlinien zur Edition und Kommentierung“ der Briefekommission der Brüder Grimm-Gesellschaft e. V. verwiesen, die im Jahrbuch der Brüder Grimm-Gesellschaft veröffentlicht werden sollen. Inzwischen sind zwei Jahrbücher erschienen, Jahrbuch VI 1996 im Jahr 2000, Jahrbuch VII 1997 im Jahr 2001. Man findet darin zwar (vielleicht nicht mehr ganz) „aktuelle Überlegungen zur Vorbereitung einer kritisch-kommentierten Ausgabe der Werke der Brüder Grimm in Einzelausgaben“ von Bernhard Lauer (VI S. 175ff.), nicht aber die angekündigten „Richtlinien“ für die Briefedition. Und so verweist Ewald Grothe (S. 51 Anm. 161) zusätzlich auf Holger Ehrhardt (S. 29-31), wo wir erfahren, daß die Autographen sozusagen „abgemalt“ werden sollen, allerdings nicht als Facsimile, sondern als Umsetzung der Schreibschrift des 19. Jahrhunderts in eine Druckschrift des 20. Jahrhunderts mit Sonderzeichen wie langem s und den alten Zeichen für Pfund, Reichstaler usw.

Ich weiß nicht, was das bringen soll? Natürlich kann man Briefe historischer Persönlichkeiten nicht vereinfachen wie andere historische Quellen und auch nicht etwa fortlassen, „was nicht hierhergehörte“, wie Herman Grimm selbst es getan hat[1]. Aber verdienen graphische Eigentümlichkeiten, die später erst (nicht in den Grimm-Briefen[2]) gewissen Regeln folgen (langes s am Wortanfang und in der Wortmitte, rundes s am Ende von Silben und Wörtern), eine besondere Hervorhebung, vor allem dann, wenn z. B. bei Jacob Grimm langes und rundes s anscheinend nicht sicher zu unterscheiden sind? Nehmen wir als Beispiel Ehrhardt Nr. 91 vom 17. 6. 1848: Ich sehe zwischen Zeile 4 und 6 es mit langem s und Zeile 7 Blumes mit rundem s keinen graphischen Unterschied und würde immer rundes Schluß-s setzen; wohl aber sehe ich Unterschiede zwischen Zeile 1 husten und hast (beide bei Ehrhardt mit rundem s): husten entspricht wolltest in Zeile 3 (Ehrhardt richtig mit langem s), hast dagegen wuste in Zeile 3 und festtag in Zeile 4 (Ehrhardt richtig mit rundem s). Aber was haben wir von dieser m. E. belanglosen Korrektur?

Manches ist im zweiten Band bereits anders geregelt worden. Wenn z. B. Ehrhardt (S. 30) noch formulierte: „Das im 19. Jahrhundert gebräuchliche „en“-Kürzel wurde kursiv in eckigen Klammern wiedergegeben“, so hat Grothe das Kürzel teils kursiv in eckigen Klammern wiedergegeben wie Ehrhardt (z. B. Grothe Nr. 56 vorletzte Zeile KurPrinz[en]), teils – wie sonst üblich – kommentarlos aufgelöst (ebenda Zeile 3 Göttingen und Zeile 4 einen), d. h. das Kürzel selbst im selben Brief unterschiedlich behandelt.

Auch mit der Schrift von Wilhelm Grimm kann es Schwierigkeiten geben, weil z. B. die Endungen –es und –er nicht immer eindeutig zu unterscheiden sind. Nehmen wir als Beispiel nochmals Grothe Nr. 56 von 1830 zwischen 28. 9. und 4. 10.: Grüß den Louis u. sage ihm die K. die sich gleich nach ihm erkundigte, wolle einen Abdruck ihrer Bilder geben, ich weiß nun nicht, ob sie ihn hinschickt oder mir gibt. So Grothe, der Anm. 680 darauf hinweist: „Die Kurfürstin war künstlerisch begabt und hat nachweislich zwischen 1800 und 1825 einige Gemälde und Zeichnungen angefertigt.“ Aber m. E. heißt es nicht ihrer Bilder, sondern ihres Bildes, zumal es dann heißt: ich weiß nun nicht, ob sie  i h n  (den Abdruck ihres Bildes; die Mehrzahl ihrer Bilder würde auch hier die Mehrzahl bedingen) hinschickt. Und Abdruck kann doch nicht ein Gemälde oder eine Zeichnung sein, wohl aber eine Radierung von Ludwig Emil Grimm von Kurfürstin Auguste, die er nach einem Gemälde von Friedrich Bury machte[3]. Hier bringt die Korrektur also eine sachliche Änderung.

Abgesehen von solchen vielleicht strittigen Lesungen sind beide Editionen sorgfältig gearbeitet, soweit Stichproben ein derartiges Urteil zulassen. Vor allem gilt das für die Kommentierung in den Anmerkungen, die dankenswerterweise am Fuß der Seiten stehen, nicht – wie sonst in germanistischen Editionen vielfach üblich – in einem eigenen Anmerkungsapparat. Die vorkommenden Personen werden auch immer wieder aufs neue identifiziert, ein aufwendiges Verfahren, das aber dem interessierten Leser das Hin- und Herblättern weitgehend erspart. Wünsche bleiben kaum offen. Dennoch möchte ich auch hier, noch einmal zu Grothe Nr. 56, einen ergänzenden Vorschlag machen: In der viertletzten Zeile druckt Grothe 3fürstl. Küche und notiert dazu in Anm. 685: „Nicht ermittelt“. Über dem, was wie eine 3 aussieht, befindet sich noch ein Haken, der zur Spitze des f führt, und damit ähnelt der Buchstabe am ehesten einem großen H wie z.B. in Hut (Grothe Nr. 54, 2. Absatz Zeile 7). Und da Wilhelm Grimm in Fulda bei der Kurfürstin war, ließe sein Urteil über die Hochfürstliche Küche vermuten, daß er auch bei der Kurfürstin gespeist hat.

Bei den Schriftwechseln der Brüder Grimm mit Wilhelms Sohn Herman und mit Ludwig Hassenpflug, dem Schwager der Brüder, handelt es sich um familiäre Korrespondenzen überwiegend familiären Inhalts. Das schmälert durchaus nicht ihre Bedeutung, weil bei den Brüdern Grimm natürlich auch das familiäre Umfeld interessiert. Aber es gibt darin auch Briefe von allgemeinerem Interesse, z. B. die Briefwechsel mit Ludwig Hassenpflug aus dem Jahre 1830 oder Herman Grimms Berichte an seinen Onkel Jacob Grimm aus dem Berlin des Jahres 1848. Und Rechtshistoriker interessiert aus Wilhelm Grimms Brief an Ludwig Hassenpflug vom März 1830 aus Göttingen (Grothe Nr. 20) vielleicht der Passus: Werde ich gebeten, so kann ich lesen, allein es ist hier wie aller Orten eine solche Stumpfheit gegen alles, was nicht zum Examen nützt, daß ich doch nicht weiß, ob ich etwas zu Stand gebracht hätte. Ich glaube auch nicht, daß sich viele zu den Rechtsalterthümern melden werden. Klingt irgendwie aktuell.

 

Marburg                                                                                                          Wilhelm A. Eckhardt



[1] Vgl. Wilhelm A. Eckhardt, Bettines Bericht über ihren letzten Besuch bei Goethe, in: Hartwig Schultz (Hrsg.), „Die echte Politik muß Erfinderin sein“, Berlin 1999, S. 387ff., hier S. 390.

[2] Vgl. aber Ulrich Hussong, Beobachtungen zur Handschrift von Jacob Grimm, in: Archiv für Diplomatik 45, 1999, S. 423ff., hier S. 429ff.

[3] Ingrid Koszinowski/Vera Leuschner, Ludwig Emil Grimm, Werkverzeichnis Band 1, Marburg 1990, S. 113f. (P 226). – Auch der Abdruck des Dürerfestes ist natürlich nicht die Bleistiftzeichnung L. E. Grimms (Grothe Anm. 681), sondern die danach gemachte Radierung.