BuschmannNobis20010903 Nr. 10176 ZRG 119 (2002) 67

 

 

Nobis, Frank, Die Strafprozessgesetzgebung der späten Weimarer Republik (1930-1932), insbesondere die Notverordnung vom 14. Juni 1932 (= Juristische Zeitgeschichte 3, Beiträge zur modernen deutschen Strafgesetzgebung 6). Nomos, Baden-Baden 2000. XV, 190 S.

 

Die Geschichte des Prozeßrechts, namentlich des Strafprozeßrechts und hier insbesondere die des Strafprozeßrechts der Neuzeit, zählt nicht gerade zu den bevorzugten Gegenständen der rechtsgeschichtlichen Forschung. Bis heute gibt es keine geschlossene prozeßrechtsgeschichtliche Gesamtdarstellung, begonnene Darstellungen der älteren Forschung sind zumeist Torsi geblieben und für die Neuzeit ist man ohnehin auf die Darstellungen der deutschen Rechtsgeschichte oder die Einleitungen der Kommentare zu den geltenden Prozeßrechtsgesetzgebungen oder die geschichtlichen Abrisse in den größeren Lehrbüchern des Prozeßrechts angewiesen.

Umso mehr ist zu begrüßen, daß sich der Verfasser der vorliegenden Studie, einer von Thomas Vormbaum betreuten juristischen Dissertation, die 1999 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Fernuniversität Hagen angenommen wurde, einer Thematik angenommen hat, die gerade für die Entwicklung des Prozeßrechts der jüngsten Vergangenheit eine besondere Bedeutung erlangt hat: des Strafprozeßrechts der späten Weimarer Republik. Dessen Entwicklung hat nicht nur auf das Strafprozeßrecht der nationalsozialistischen Zeit eingewirkt, sondern auch Auswirkungen auf die Gestaltung des Strafprozesses der Folgezeit bis hin zur Gegenwart gehabt. Der äußere Rahmen dieser Strafprozeßgesetzgebung der späten Weimarer Zeit ist bekanntlich – wie übrigens die gesamte Reichsgesetzgebung dieser Zeit – bestimmt durch die Notverordnungsgebung des Reichspräsidenten. Höhepunkt dieser Verordnungsgebung war die große Verordnung vom 14. Juni 1932, die insbesondere für die Entwicklung des Strafprozesses der folgenden Jahre eine besondere Rolle gespielt hat. Sie bildet daher mit Recht den Mittelpunkt der Untersuchung der Entwicklung des Strafprozeßrechtes, die der Verfasser in seiner Arbeit unternimmt.

Der Verfasser beginnt nach einer kurzen Einleitung, in der er sein Untersuchungsziel definiert, den Gang der Untersuchung erläutert und den gegenwärtigen Forschungsstand beschreibt, mit einem knappen, aber präzisen Abriß der politischen Lage am Ende der Weimarer Republik und einer Schilderung der verfassungsrechtlichen Grundlage der Notverordnungsgebung in Gestalt des Art. 48 WRV sowie dessen Wandel von einer Notstandsbestimmung zum nahezu ausschließlichen Gesetzgebungsartikel. Es folgt eine Darstellung des Inhaltes der Notverordnung vom 14. Juni 1932, der vorausliegenden einschlägigen Notverordnungen aus den Jahren 1930 bis 1932 sowie der Entstehungsgeschichte aller dieser Maßnahmen. Zu Recht sieht der Verfasser den eigentlichen Ursprung aller dieser Verordnungen in den Maßnahmen, die seit dem Jahre 1918 getroffen oder vorgeschlagen wurden, etwa in dem Entwurf Goldschmidt/Schiffer, der sog. Lex Emminger aus dem Jahre 1924, dem Entwurf von 1930 sowie den unmittelbaren Vorbereitungen der Verordnung vom 14. Juni 1932. Der Inhalt der Verordnung fand übrigens, wie der Verfasser zu Recht betont, in der damaligen Öffentlichkeit keineswegs ungeteilte Zustimmung, doch hielt sich die Diskussion, insbesondere in der Fachpresse, in Grenzen, weil sie überlagert und in den Hintergrund gedrängt wurde durch die viel bedrückendere Problematik der Finanzierung von Sozial- und vor allem Arbeitslosenversicherung. Immerhin wurde an den Vorschriften im einzelnen z. T. heftige Kritik geübt, ohne daß diese Kritik den Verordnungsgeber veranlaßt hätte, legislative Änderungen vorzunehmen. Ein Grund für diese Haltung des Verordnungsgebers war wohl die überwiegend geäußerte Meinung, dass die in der Verordnung getroffenen Maßnahmen angesichts der bestehenden großen wirtschaftlichen und finanziellen Probleme als notwendig betrachtet werden müßten. Im Anschluss an diese Schilderung geht er Verfasser der Frage nach, inwieweit die Vorschriften der Verordnung tatsächlich als durch das Diktat der Einsparung veranlasst angesehen werden konnten oder ob die in ihr enthaltenen Änderungen nicht vielmehr unter Ausnutzung der bestehenden Ausnahmesituation durch Notverordnung vorgenommen wurden, weil eine Realisierung auf dem Wege einer parlamentarischen Beratung und Beschlussfassung nicht möglich erschien. Der Verfasser neigt der letzteren Auffassung zu und versucht dies exemplarisch an Hand der Neuregelung des Beweisaufnahmerechts, des Schnellverfahrens und der Rechtsmittelbeschränkung nachzuweisen, die allesamt Maßnahmen darstellen, die keineswegs durch den Druck der Kostenersparnis veranlasst waren, sondern von dem Bestreben der Ministerialbürokratie bestimmt wurden, die liberal-rechtstaatlichen Grundentscheidungen der Prozeßgesetzgebung von 1877 zu revidieren. Dennoch könne man diese Maßnahmen nicht als Vorwegnahme späterer, vom nationalsozialistischen Gesetzgeber getroffener Regelungen betrachten, meint der Verfasser, sondern müsse sie als Ausdruck einer autoritären Staatsauffassung begreifen, die in der Weimarer Zeit genauso verbreitet gewesen sei wie später in der Zeit des Nationalsozialismus und übrigens auch heute. Unter Berufung auf Ingo Müllers bekannte Thesen äußert der Verfasser die Ansicht, daß die Ministerialbürokratie in geschichtlichen und vor allem wirtschaftlichen Krisensituationen stets mit denselben justiziellen Maßnahmen reagiere, nämlich der Verkürzung der Rechtsmittel, der Zurückdrängung des Kollegialprinzips und der Laienbeteiligung sowie der Abschaffung des Beweisrechts der Verteidigung. Insgesamt läßt sich für den Verfasser aus diesen Maßnahmen eine durchgehende Tendenz zur Umgestaltung des Strafverfahrens in einen inquisitorischen Strafprozeß ableiten, die sich bis in die Gegenwart verfolgen lasse und keineswegs als typisch etwa für die Notverordnungsgebung der späten Weimarer Republik oder die nachfolgenden nationalsozialistischen Maßnahmen angesehen werden dürfe.

Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Diagnose über die Entwicklung des deutschen Strafprozeßrechts im 20. Jahrhundert zutreffend ist oder nicht. Manches wird man auch anders einschätzen können, etwa die Rolle einer funktionierenden und vor allem prozessuale Neutralität wahrenden und staatlich garantierten Autorität der Justiz, die keineswegs als Ausdruck einer autoritären Staatsauffassung erscheinen muß. Eine solche Justiz, wenn es sie denn gäbe, könnte auch als Ausdruck institutionalisierter Rechtsautorität erscheinen. Immerhin ist gerade im Blick auf die gegenwärtigen Bestrebungen in der deutschen Justizpolitik nicht zu bestreiten, daß manche der legislativen Maßnahmen der letzten Monate eine verdächtige Ähnlichkeit mit jenen Regelungen und deren offiziellen Begründungen zeigen, die am Ende der Weimarer Republik in der vom Verfasser behandelten Notverordnung vom 14. Juni 1932 enthalten waren. Die Kenntnis der Geschichte des Strafprozeßrechts der jüngeren Vergangenheit hätte hier, wäre sie bis zu den Ministerialreferenten des zuständigen Ministeriums durchgedrungen, als Korrektiv durchaus hilfreich und wirksam sein können. Es steht zu hoffen, daß die vorliegende Arbeit des Verfassers, die sich im übrigen durch Klarheit und nüchterne Rationalität der Darstellung auszeichnet, manchem am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten die Augen öffnet und ihn vielleicht nachdenklich stimmt, wenn es um Fragen der Reform der Strafjustiz, namentlich des Strafprozesses, geht.

 

Salzburg                                                                                 Arno Buschmann