ZimmermannPapsturkunden20000710 Nr. 10005 ZRG 118 (2001)

 

 

Papsturkunden und europäisches Urkundenwesen. Studien zu ihrer formalen und rechtlichen Kohärenz vom 11. bis 15. Jahrhundert, hg. v. Herde, Peter/Jakobs, Hermann (= Archiv für Diplomatik Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde Beiheft 7). Böhlau, Köln – Weimar – Wien 1999. XI, 433 S.

Der Band enthält die Referate eines im Herbst 1996 in Heidelberg von der Commission internationale de Diplomatique veranstalteten Symposions, das „als ein handfestes Exemplum für vergleichende europäische Kulturgeschichte“ (S. X im Vorwort) den Einfluß des päpstlichen Urkundenwesens sowohl in formaler Hinsicht als auch kanzleigeschichtlich für das spätere Mittelalter untersuchen wollte. Nicht weniger als 22 Referenten aus dem romorientierten Abendland von Portugal bis Polen haben ihren Beitrag dazu in fünf Sprachen geliefert. Meist waren dabei regionale Verhältnisse im Visier und werden nützliche Informationen aus Ungarn, Polen, den Niederlanden, Dänemark, England, Spanien, Portugal, Sizilien, Frankreich und Deutschland geliefert oder auch enger bloß aus Aquileia, Genua, Passau, Würzburg, Prag und Braga. Neben den zumeist behandelten Königs‑ und Bischofsurkunden bzw. königlichen und bischöflichen Kanzleien widmet sich ein Referat immerhin auch den Legatenurkunden, ein anderes den Justizbriefen in Frankreich, ein drittes den Arengen in Notariatsinstrumenten. Es ist dies die einzige spezielle Untersuchung einer Urkundenformel. Daß das Formular der Papsturkunde und seine Vorbildhaftigkeit überall den Schwerpunkt der Ausführungen bilden mußte, versteht sich von selbst. Die Lektüre des Bandes erweckt, da Diskussionsvoten nicht publiziert werden, den Eindruck der Aneinanderreihung und des Nebeneinanderstehens von isolierten Beobachtungen. Möge sich jeder holen, was ihn interessiert und er brauchen kann für seine eigenen Arbeiten, z. B. daß in Ungarn unter König Bela III. am Ende des 12. Jahrhunderts unter westeuropäischem und nicht nur päpstlichem Einfluß eine Reform des Kanzlei‑ und Urkundenwesens stattgefunden hat, oder daß sich der Episkopat in Deutschland, aber nicht nur hier, in der Ausstattung und Gestaltung seiner landesfürstlichen Diplome doch eher die Urkunden der Könige und Kaiser und nicht die des kirchlichen Vorgesetzten, des Papstes, zum Vorbild nahm. Das Fazit der Tagung, das sich dem Leser aufdrängt, die Antwort auf die von den Veranstaltern gestellte Frage, ob es Einflüsse des päpstlichen Urkundenwesens anderswo und weitab von Rom gegeben hat, kann nur lauten: Ja, es gab sie in unterschiedlicher Intensität. Aber das hat man eigentlich schon vor der Tagung gewußt, und eine zweite oder dritte Tagung mit Referaten über die 1996 in Heidelberg nicht behandelten Länder und Regionen braucht nicht veranstaltet zu werden, obwohl Referenten und Referate sichtlich vom Zufall abhängig waren. Da Urkunden bekanntlich Schriftstücke rechtlichen Inhaltes sind, kommt ihrer äußeren und inneren Gestaltung natürlich größte rechtliche Bedeutung zu und interessiert nicht nur den um den Erweis der Echtheit seiner Quellen bemühten Historiker und Diplomatiker, sondern nicht minder den Juristen und Rechtshistoriker. Insofern kann die Beschäftigung mit dem Tagungsband in einer Zeitschrift für Rechtsgeschichte nur empfohlen werden. In besonderem Maße wird aber das Interesse des Rechtshistorikers durch das schon genannte Referat von Hans Günther Schmidt (Würzburg) über den „Einfluß der päpstlichen Justizbriefe auf die Justizbriefe der französischen Königskanzlei um 1300“ (S. 365‑391) und durch die Ausführungen von Othmar Hageneder (Wien) über „Die Rechtskraft spätmittelalterlicher Papst‑ und Herrscherurkunden“ (S. 401‑429) erregt. Letzterer hat sich zu seinem Thema in den letzten Jahren schon mehrfach geäußert und herausgestellt, daß es der römischen Kurie bei ihrer steigenden Bedeutung als Entscheidungsinstanz und bei der wachsenden Zahl von Urkundenausstellungen trotz Registerführung völlig unmöglich war, sowohl den nötigen Überblick über frühere Vorgänge zu behalten als auch die von Petenten oder ihren Prokuratoren an den Papst herangetragenen Bitten um Privilegien hinsichtlich ihrer Echtheit und Berechtigung genugsam zu überprüfen. So mußten Mittel und Wege gefunden werden, den Urkundenaussteller, also den Papst und seine Kurie, vor betrügerischer Erschleichung eines Privilegs oder einer urkundlichen Entscheidung und vor der Blamage eines Fehlurteils zu schützen. Es geschah dies bekanntlich durch Einfügung von Formeln in den Urkundentext, die den Urkundeninhalt von Bedingungen abhängig machten und in seiner Gültigkeit in gewissem Maße einschränkten. Es sind dies die Wendungen „ex certa scientia“, „non obstantibus“ und „propter importunitatem petentium“. Hageneder untersucht ihr Aufkommen, ihre Diskussion in der Kanonistik und ihre Übernahme auch im Bereich des weltlichen Urkundenwesens. Seine hochinteressanten, am Ende des Tagungsbandes gleichsam als krönender Abschluß stehenden Ausführungen berühren sich mit dem Einleitungsreferat von Rudolf Hiestand (Düsseldorf) über „Die Leistungsfähigkeit der päpstlichen Kanzlei“ (S. 1‑26), das mit Zahlenmaterial aufwartet und insbesondere den bekanntlich den Autor besonders beschäftigenden „lateinischen Osten“ in seinen Beziehungen zum Papsttum ins Visier nimmt. Was die von Schmidt behandelten Justizbriefe anlangt, so darf hervorgehoben werden, daß in einem ersten Abschnitt das Wesen der „Lettre de Justice“ in Frankreich dargestellt wird, dann als Pendant und Vorbild die päpstlichen Delegationsmandate, beides mit Zitierung der meist ähnlichen Formulierungen, um abschließend als Erklärung der Gemeinsamkeiten unter anderen auf die universitäre Ausbildung sowohl der päpstlichen als auch der königlichen Kanzleibeamten hinzuweisen.

Es braucht nur an Harry Bresslaus Abhandlung von 1918 über die „Internationalen Beziehungen im Urkundenwesen des Mittelalters“ erinnert zu werden, um herauszustellen, daß das Thema der Heidelberger Tagung von 1996 seit langem die Diplomatiker beschäftigt. Die  Publikation der Tagungsreferate hat verdienstvoll unser Wissen verbreitert.

Tübingen                                                                                            Harald Zimmermann