LacourRublack20000615 Nr. 10112 ZRG 118 (2001)

 

 

Rublack, Ulinka, The Crimes of Women in Early Modern Germany (= Oxford Studies in Social History). Oxford University Press, Oxford 1999. X, 292 S.

Ein schmaler Band zu einem Thema, das endlich breitere Behandlung verdiente: weibliche Straftaten. Gekürzt ist diese spannend geschriebenen Cambridger Dissertation unter dem plakativen Titel „Magd, Metz’ oder Mörderin. Frauen vor frühneuzeitlichen Gerichten“ 1998 als Fischer-Taschenbuch erschienen und hat im Besprechungswesen ganz unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Der geradezu euphorischen Bewertung durch Norbert Schindler in „Historische Anthropologie“ (7, 1999) mag sich die Rezensentin nicht anschließen. Ulinka Rublack hat nämlich nicht, wie Schindler schreibt, abgesehen von Zauberei „das gesamte Spektrum der Frauenkriminalität“ in Südwestdeutschland entfaltet, sondern sich auf Eigentums-, Vermögens- und Sittlichkeitsdelikte beschränkt. Gewalttaten finden nur als Kindestötung und Gattenmord Beachtung. Verbalinjurien und Realinjurien fallen aus unerfindlichen Gründen unter den Tisch. Dabei ist aus der historischen Kriminalitätsforschung bekannt, dass sich Frauen verbaler Aggression und körperlicher Gewalt keineswegs enthielten. Immerhin waren fünf bis zwanzig Prozent der Täter weiblichen Geschlechts. Gerade Kindestötung und Sittlichkeitsdelikte sind - als fast ausschließlich bzw. zur Hälfte von Frauen verübte Taten - bereits so gut erforscht, dass der vorliegende Band kaum Neues beizusteuern vermag.

Vieles ist längst bekannt, z. B. dass Strafen exemplarisch verhängt wurden und dank Fürbitten von Verwandten und Nachbarn, in denen sich die soziale Verankerung des Delin­quenten erwies, gemildert werden konnten. Oder dass im 17. Jahrhundert zulasten von Frauen enge moralisch-sittliche Standards durchgesetzt wurden. So steckt das Interessante an diesem Buch eher im Detail: z. B. dass die Ehe als so schutzwürdig angesehen wurde, dass auch stadtbekannte Wiederholungstäterinnen nicht in die Verbannung geschickt wurden, wenn ihr Ehemann schuldlos war. Oder dass bei weiblichen Angeklagten besonders auf die zur Schau gestellten Gefühle geachtet wurde. Wegen der für unglaubwürdig gehaltenen Aussagen von Frauen suchte das Gericht nach „Beweisen“ in der Gemütslage der Inquisitin. Tiefes, stilles Schluchzen galt als Zeichen für Unschuld im Gegensatz zu Blässe, Zittern, Seufzen, „Krokodilstränen“ und hysterischem Weinen. „Gut“ und „schlecht“ waren geschlechtsspezifisch definiert: Wurde bei Männern eine konsistente Aussage eher als wahr gewertet, so betrachtete man dasselbe Verhalten bei einer Frau als verstockt. Bei Frauen rechnete man mit Inkonsistenz, die man aber als Zeichen der Unzuverlässigkeit ihrer Darlegung bewertete.

Sorgfältig entwickelt ist eine Typologie von Diebinnen. Der Grasdiebstahl war ein geschlechtsspezifisches Frauendelikt, galt es doch als Pflicht der Mädchen und Dienstmädchen, für Futter zu sorgen. Doch Dienstmägde stellten überhaupt - neben Armen und Professionellen - eine der drei großen Täterinnengruppen dar. Wenn Mägde der Versuchung nicht widerstehen konnten, Nahrung, Wein oder Geld abzuzweigen, verwendeten sie das Gestohlene häufig, um Freunden Geschenke zu machen, zur Geselligkeit, um ein soziales Netz zu knüpfen oder einen Mann zu beeindrucken. Geld wurde auch für die eigene Kleidung oder Aussteuer ausgegeben, denn ordentliche, ansprechende Kleider erhöhten die Chancen auf dem Heiratsmarkt. Ursprüng­lich wurden Diebstähle der Mägde mit Lohnkürzung oder Entlassung informell vom bestohlenen Hausvater bestraft. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts änderte sich die Einstellung. Vom Hausvater wurde Kooperation mit der Obrigkeit erwartet. Ungehorsam der Mägde und Knechte wurde als Angriff auf die ständische Hierarchie gesehen, der öffentlich bestraft werden musste. Die Grenze zwischen armen Gelegenheitsdiebinnen und Professionellen ist nicht immer scharf zu ziehen, denn auch Frauen, die gewohnheitsmäßig für ihren Lebensunterhalt stahlen, arbeiteten gelegent­lich, meist im Sommer als Tagelöhnerinnen. Andere überbrückten nur akute Not oder griffen bei sich bietender Gelegenheit zu. Kriege stellten mit den Plünderungen der Soldaten für manche Frauen solche Gelegenheiten dar, etwas für sich abzuzweigen. Als Hauptursache ist die Armut, besonders alleinstehender Mütter kleiner Kinder, anzusprechen. Solche Frauen waren chronisch unterbezahlt und fanden schwer Arbeit. Ein weiterer Faktor war die „Allgegenwart gebrauchter und wieder gebrauchter Waren“, die den Verkauf von Diebesgut einfach machte (S. 119).

Sittlichkeitsdelikte wurden in Württemberg und den untersuchten Reichsstädten sehr hart bestraft, mit zur Mitte des 17. Jahrhunderts steigender Tendenz. Unzucht wurde schließlich mit mehr als zwei Wochen Gefängnis geahndet. Uneheliche Mütter konnten des Landes und damit ins Elend verwiesen werden, besonders wenn sie sich mit einem Soldaten eingelassen hatten. Großeltern wurde untersagt, das illegitime Enkelkind zu versorgen. Die Geselligkeit junger Leute in Spinn­stuben, beim Wein oder nächtlichen Tanz galt prinzipiell als verdächtig und wurde untersagt. Mit besonderem Misstrauen beobachtete man die „Eigenbrödlerinnen“, Frauen, die als Spinnerinnen oder Näherinnen von ihrer unabhängigen Arbeit außerhalb eines festen Dienstverhältnisses lebten, und Mägde.

Im Kapitel über Inzest spürt Rublack geschickt den Einstellungen nach. Immer wieder findet sich die Äußerung - sowohl von Seiten des missbrauchenden Mannes als auch von Müttern -, eine junge Frau solle sich fügen, denn der Mann werde ihr keinen „Schaden tun“ (S. 238), das bedeutete, er werde sie nicht schwängern. In eklatantem Widerspruch zur immer rigider werdenden Sexualmoral bewertete man hier - innerhalb der Familie - lediglich eine Schwangerschaft als „schlecht“. Wenn sexueller Missbrauch vom Haushaltsvorstand begangen wurde, konnte die Familie dagegen wenig tun. Nur eine Anzeige hätte dem tragischen Geschehen ein Ende gesetzt, diese hätte jedoch die wirtschaftliche und moralisch-gesellschaftliche Grundlage der Familie zerstört, vor allem wurde eine (über 14-jährige) missbrauchte Tochter oder Stieftochter ebenfalls verbannt oder gar hingerichtet: eine fast unlösbare Situation. Gerade für viele Stieftöchter stellte sexuelle Gefügigkeit geradezu eine „Bezahlung“ dar für männlichen Schutz und Fürsorge. Weibliche Abhängigkeit in männlich dominierten Häusern förderte solche auch emotional für alle Familienmitglieder extrem schwierige und belastende Zustände. Die Mög­lichkeit eines Mannes, seine sexuellen Ansprüche gegenüber einer Frau seines Hauses durch­zusetzen, basierte auf seiner Macht als Haushaltsvorstand. Er konnte Gehorsam und Still­schweigen erzwingen. Männlichkeit bedeutete Macht, Attraktivität, Gewalt, Kontrolle und Befriedigung. Sexuelle Aggression war auch eine Möglichkeit zu zeigen, wer im Haus das Sagen hatte, wenn z. B. der Vater seine Schwiegertochter vergewaltigte und der Sohn nichts dagegen zu unternehmen wagte. Bisweilen diente ein sexueller Missbrauch eindeutig dem Beweis der eigenen Manneskraft, beispielsweise im Falle eines relativ jungen Mannes, der eine wesentlich ältere Witwe heiratete und deren Tochter, die im Alter eher zu ihm passte, vergewaltigte. Erduldete aber eine Frau den Missbrauch ohne laut zu schreien, wurde dies vom Gericht als Einverständnis gewertet, die Frau wurde zur Mit- oder gar Hauptschuldigen. Männer fanden vor Gericht - je nach ihrer gesellschaftlichen Stellung - eher Gnade als missbrauchte junge Frauen.

Insgesamt ist das Buch jenen zu empfehlen, die sich - unter den genannten Ein­schränkungen - einen ersten Überblick zum Thema weibliche Kriminalität (und Lebensumstände) in der frühen Neuzeit verschaffen möchten.

Anschau                                                                                                                    Eva Lacour