JerouschekDillinger20000621 Nr. 1131 ZRG 118 (2001)

 

 

Dillinger, Johannes/Fritz, Thomas/Mährle, Wolfgang, Zum Feuer verdammt. Die Hexenverfolgungen in der Grafschaft Hohenberg, der Reichsstadt Reutlingen und der Fürstpropstei Ellwangen (= Hexenforschung 2). Steiner, Stuttgart 1998. X, 516 S.

Der vorliegende Band versammelt drei Examensarbeiten, die vom Tübinger Landeshistoriker Sönke Lorenz angeregt und betreut wurden. Lorenz´ Tübinger Institut ist inzwischen fraglos zu einem Zentrum der Hexenforschung gediehen, und die programmatische Vorgabe, „auf absehbare Zeit wird es nur mit Hilfe von methodisch und theoretisch anspruchsvollen Regional- und Lokalstudien gelingen, das widerspruchsvolle Ineinander eines ´Verfolgungswillens von unten´ und einer ´Verfolgungsbereitschaft von oben´ zu verstehen, die den Hexenprozessen ihre eigentliche Dynamik verliehen“ (S. VIII), findet sich durch die hier vorgelegten Arbeiten nachdrücklich bestätigt. In der Tat gewinnt es mittlerweile den Anschein, als sei die Frage, ob die Hexenverfolgungen ´von oben´ oder ´von unten´ initiiert worden wären, dem historischen Erscheinungsbild der Verfolgungen kaum je angemessen.

Mitunter wurden Verfolgungen sogar fast jenseits der obrigkeitsgerichtlichen Gerichtsverfassung mit eigenen Untersuchungsausschüssen durchgeführt, und nicht einmal selten finden sich auch Konstellationen, in denen die Obrigkeit nur widerwillig Verfolgungsbegehren ´von unten´ nachgab. Dann aber konnten die Verfolgungen eine verhängnisvolle Eigendynamik entfalten, wenn obrigkeitlicher Verfolgungseifer das Prozedere diktierte. Die Einrichtung von ´Sondergerichten´ wird man hierfür als symptomatisch ansehen dürfen. Für alle diese Verfolgungsszenarien finden sich Beispiele in den hier vorzustellenden Arbeiten, die das bislang vorliegende Mosaik der südwestdeutschen Hexenverfolgungen in wichtigen Punkten vervollständigen. Die Arbeiten unterstreichen zugleich das hohe Niveau der deutschen Hexenforschung im weltweiten Vergleich, und alle drei sind zu recht in die Reihe aufgenommen worden.

Die Verfolgungen in der Grafschaft Hohenberg werden von Johannes Dillinger behandelt (S. 1-161). Die Grafschaft zählte zum österreichischen Streubesitz im Südwesten des Reichs. 1381 durch Kauf erworben, blieb sie politisch vom ´älteren´ Vorderösterreich gesondert und unterstand unmittelbar der Tiroler Regierung in Innsbruck. Auf die Hohenberger Verfolgungen war man auch deshalb aufmerksam geworden, weil der Tübinger Universitätsprofessor und schwäbische Chronist Crusius für den 17.05.1796 vermerkt, die meisten seiner Hörer hätten die Vorlesung über Thukydides geschwänzt, um sich eine Hexenverbrennung in Rottenburg anzuschauen (S. 58). Rottenburg am Neckar war der Hauptort der zersplitterten habsburgischen Exklave im protestantischen Herzogtum Württemberg. Die Innsbrucker Regierung war bereits 1531 zur Verfahrensweise in Hexenprozessen von Hohenberg aus angefragt worden, und obwohl die Innsbrucker Weisung die torturindizielle Erheblichkeit einer Besagung guthieß, kam es zu keiner Expansion der Verfolgung über die anstehenden drei Fälle hinaus(S. 21). Dies entspricht auch der insgesamt als gering einzuschätzenden zeitgenössischen Verfolgungsintensität im deutschen Südwesten. Bemerkenswert waren einmal das niedrige theologische Reflektionsniveau, auf dem die Prozesse inhaltlich geführt wurden, wobei hier die ´hohe´ Dämonologie unter die volkstümliche Superstition subsumiert wurde (S. 24, 27), und zum anderen der obrigkeitsfeindliche Affekt, der in den Aussagen zum Ausdruck gelangte und die im weltlichen Leben führenden Schichten auch im Sabbatszenario als dominierend sich abbilden ließ (S. 25f., 78). Wie ausgeklügelt das Wahnsystem des Hexenprozesses war, läßt sich beispielhaft daran ermessen, daß im überregional bekanntgewordenen Fall des Teufels von Schiltach das eigentlich prozeßerschütternde Alibi kurzerhand mit der Flugmöglichkeit entkräftet wurde, was Erasmus von Rotterdam zu einem skeptischen Prozeßkommentar bewog (S. 34). Fraglich bleibt freilich Dillingers Annahme, die Rottenburger Prozesse nach 1531 hätten sofort unter dem Einfluß der Carolina gestanden, auch wenn diese nicht zitiert worden sei: Der Constitutio Criminalis Carolina bedurfte es nicht, um eine besagungsrestriktive Judikatur zu entwickeln, und für die Folgezeit hätte es eigentlich interessiert, inwieweit die Landordnungen für Tirol von 1570 bzw. 1603 Berücksichtigung fanden.

Bemerkenswert ist aber, daß die Instanzen vor Ort wie die Räte in den Städten es regelmäßig verstanden, Hexenverfolgungen unter Umgehung der Regierung in Innsbruck oder deren Verwaltungsspitze in der Grafschaft durchzuführen. Dabei erscheint es kaum vorstellbar, daß die Zentrale von den Verfolgungen nichts mitbekommen haben sollte. Im Nachhinein erscheint es eher so, als habe die selbst wenig verfolgungsinteressierte Regierung in Innsbruck eine indifferente Haltung bezogen und die Hohenberger Amtswalter gewähren lassen. Dabei hätte deren Eigenmächtigkeit durchaus Anlaß zu einer landesherrlichen Intervention geboten! 13 Exekutionen in Oberndorf 1587 (S. 36), 42 Verbrennungen in Rottenburg bei vier Bränden 1596 (S. 58f.), um nur zwei Verfolgungswellen herauszugreifen, belegen die überdurchschnittliche Intensität, mit der in Hohenberg vermeintliche Hexen verfolgt und getötet wurden. Für die gesamte Grafschaft konnte Dillinger 441 Verfahren nachweisen, die Rate der Verurteilungen lag hoch, bei ca. 80 Prozent, das Verfolgungskonzept entsprach dem überkommenen Muster, das die Hexerei als frauenspezifisches Delikt ausgab. Nur in 33 Prozessen wurden Männer angeklagt, wobei ´nur´ zwei Drittel davon auch zum Tod verurteilt und verbrannt wurden.

Daß die Gesamtzahl der Verfolgungsopfer wahrscheinlich höher gewesen sein dürfte, liegt schon in Anbetracht der defizitären Quellenüberlieferung nahe. Allerdings läßt die vorliegende Untersuchung insoweit Fragen offen, als einmal eine Flugschrift, die von 42 Verbrennungen berichtet, für unglaubwürdig befunden wird, weil Crusius sich ausführlicher mit einer solchen Verfolgung befaßt hätte, während sieben Verbrennungen zu Rottenburg im Jahre 1578, über die eine Flugschrift berichtet, für glaubwürdig erachtet werden, obwohl Crusius sie überhaupt nicht erwähnt! (S. 40,42) Die Höhepunkte der Verfolgungen lagen in den Jahren 1596 bis 1603 in Rottenburg und zwischen 1598 und 1605 in Horb (S. 56ff.). Hier wird besonders die fatale Rolle der Besagungen deutlich, die lediglich in einem Drittel der Fälle keine Prozeßfolgen zeitigten. Allerdings war hier kein ´Besagungsexport´ vom einem Verfolgungszentrum in das andere zu verzeichnen, der andernorts durchaus zu einer Expansion der Verfolgungen führen konnte. Besonders nachteilig wirkte sich im Untersuchungsraum aus, daß die eigentlich obligatorische Ratsuche in Innsbruck eingestellt wurde, nachdem sich der Schriftverkehr beschwerlich und für Prozeßinitiativen nachteilig gestaltete (S. 62f.).

Auch von rechtshistorischem Interesse sind die Befunde, die auf eine indizielle Differenzierung zwischen Beschimpfung und Denunziation bei geäußertem Hexereiverdacht verweisen. (S. 74f.) Die Verfolgung der crimen-exceptum-Theorie in einem Rechtsgutachten von 1594 wird man hingegen kaum als Abkehr vom Reichsrecht der Carolina qualifizieren können (S. 50f.), da jene ja in das gemeine Recht eingebettet war, dem sich auch die Peinliche Gerichtsordnung verpflichtet wußte. Einen interessanten Nebenaspekt bildet der Befund, daß Christoph Wendler, landesherrlicher Statthalter in Rottenburg, offenbar über das Funktionieren von Hexenprozessen genau Bescheid wußte: je nach Interesse manövrierte er Belastungszeugen aus den Prozessen heraus, und an Stellen, wo eigentlich er selbst sich eine Besagung hätte einfangen sollen, blieb im Protokoll eine Leerstelle offen (S. 53). Das Bewußtsein der Manipulierbarkeit von Prozessen schlug aber nach Dillinger nicht unmittelbar auf den Hexenprozeß an sich durch, da insofern zunächst lediglich der Eindruck zurückblieb, es wären Schuldige laufen gelassen worden(S. 88). Offensichtlich schlug das Ausgreifen der Verfolgungen auf Oberschichtsangehörige auch in keine Vertrauenskrise um, zumal wirtschaftlich aggressives Verhalten zu einem prozeßrelevanten Faktor geraten konnte (S. 76).

Letzten Endes war es aber nicht zufällig doch ein Oberschichtenprozeß, der das Ende der Verfolgungen überhaupt einläuten sollte: nach 1590 hatte der Horber Händler und Bierbrauer Martin Gerber die Mehrheitsfraktion im Rat durch sein aggressives kapitalistisches Geschäftsgebaren gegen sich aufgebracht, und diese gedachte sich des ökonomisch bedrohlichen Rivalen mittels einen Hexereiverfahrens zu entledigen (S. 98ff.). Das Vehikel hierzu bildete Gerbers Tochter Christina, die mit dem reichen Wirt und Händler Johann Rauscher verheiratet war. Anders als andernorts, wo das Ausgreifen des Verfolgungsparadigmas auf die Oberschicht das dysfunktionale Potential des Hexenprozesses an sich offenlegte, waren es hier die Petitionen an die Innsbrucker Zentrale, die diese zur Aufgabe ihrer bislang gezeigten Indifferenz zwangen. Eine interventionistische Politik war um so mehr angezeigt, als die intermediären Instanzen in der Grafschaft durch obstruktives Verhalten es auf einen offenen Machtkampf ankommen ließen, was Innsbruck zu einer Machtdemonstration zwang. Mehrere Visitationen führten, namentlich zu Horb und Rottenburg, zur Liquidation der lokalen Autonomie und damit auch des Hexenprozesses. Die federführenden Ratsfraktionen wurden abgesetzt, Polizeyordnungen reglementierten künftig das Verfahren, die freilich weniger Eindruck machten, als das konkrete Vorgehen der Visitationskommissionen (S. 110): In Oberndorf, das nicht visitiert worden war, fanden Prozesse noch in den 1630er Jahren statt.

Ausgesprochen spannend liest sich die Untersuchung von Thomas Fritz über die ´Hexenverfolgungen in der Reichsstadt Reutlingen´ (S. 163-324). Hier spielten die Hexenverfolgungen einen maßgeblichen Part in einem Machtspiel um die politische Führung in der Reichsstadt unter der Achalm. Die Analyse der Reutlinger Verfolgungen ist wissenschaftlich von um so größerem Interesse, als sich hier aufgrund der geographischen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen ein Vergleich mit den Verfolgungen in der benachbarten Reichsstadt Esslingen geradezu anbot: Hier wie dort unterstanden den Städten kleinere, ländliche Territorien, bildete der Weinbau den wichtigsten ökonomischen Faktor und standen die Kommunen aufgrund ihrer Enklavenlage in politischer Frontstellung zum Herzogtum Württemberg. Aus meiner Sicht ist aber weit eher bemerkenswert, wie wenig sich die unterschiedliche verfassungsrechtliche Struktur - in Reutlingen war der kaiserlich aufoktroyierte ´Hasenrat´ 1576 zugunsten der zünftischen Verfassung wieder beseitigt worden, in Esslingen blieb er bestehen - sich auf die Verfolgungen auswirkte. Wie in Esslingen schlugen auch in Reutlingen die initialen Wiesensteiger Verfolgungen zu Beginn der sechziger Jahre des 16. Jahrhunderts durch und sorgten für ein verfolgungsfreundlicheres politisches Klima als zuvor: „Das Jahrhundert der großen Hexenverfolgungen war angebrochen“ (S. 191).

Die drei Verbrennungen folgten dem von Kramer in seinem ´Malleus maleficarum´ vorbereiteten Verfolgungsstereotyp: die Opfer waren Frauen, alt, arm, zwei waren Witwen. Wenn Fritz freilich das Prozedere mit so starken Worten wie „glatter Rechtsbruch und Justizfrevel“ (S. 194) kommentiert, so wäre eine profundere Analyse der Rechtsgrundlagen durchaus von Nöten gewesen. Die in den neunziger Jahren noch geübte Zurückhaltung machte 1603 einer erneuten Verfolgungsinitiative Platz (S. 207, 212). Bei den sieben Verbrennungen wurde praktisch auch die zuvor unterbliebene Verfolgung miterledigt. Wie in Esslingen werden auch in Reutlingen Verfolgungskonjunkturen greifbar, die aufs Engste mit personellen Veränderungen in der Führungsspitze korrelieren. Völlig plausibel erscheint dabei die Deutung, der jeweilige Generationenabstand lasse darauf schließen, daß erst eine neue Generation, die noch nicht aus einer zuvor gescheiterten Verfolgungswelle die nötigen Lehren gezogen hatte, eine neuerliche Verfolgung in Gang bringen mochte (S. 302). Anders als in Esslingen hatte Reutlingen aber nur 1612/13 mit Betzingen sein ´Hexendorf´, den Verfolgungsschwerpunkt bildete die Stadt.

Das interessanteste Kapitel Reutlinger Hexenverfolgung bilden ohne Zweifel die sich seit 1660 anbahnenden letzten beiden großen Verfolgungswellen, die den vergleichsweise höchsten Blutzoll von den insgesamt mindestens 53 Opfern forderten. Wenn in Reutlingen der nachmalige Bürgermeister Johann Philip Laubenberger als Chef einer Inquisitionskommission in Hexensachen hiermit den Grundstein zu seiner politischen Karriere legte, so drängt sich in der Tat die Parallele zum Esslinger Ratsadvokaten und Vorsitzenden des dortigen ´Sondergerichts´ auf, worauf auch Sönke Lorenz in seinem Vorwort (S. VIII) aufmerksam macht. Wie dieser spielte sich auch Laubenberger zum ´Hardliner´ und Volkstribun auf, um seinen politischen Gegner, den moderaten Apotheker und Bürgermeister Heinrich Efferen, mittels der Verfolgung von dessen Frau als Hexe auszuschalten. Unter seiner Ägide machte sich eine vergleichbare Pogromstimmung breit, und auch hier suchte man die verfolgungsrestriktive Ratsuche nach Tübingen zu umgehen. Daß freilich die indizielle Bedeutung der Bezichtigung durch Moribunde prozedural nichts mit deren gewähnter „Hellsichtigkeit hinsichtlich ihrer Mörder“ (S. 259, Fn. 70) zu tun hatte, dessen hätte sich Fritz durch einen Blick in die Constitutio Criminalis Carolina und die Sekundärliteratur vergewissern können. Aufschlußreich wäre auch gewesen, wenn er berücksichtigt hätte, daß 1662 ausländische Instruktionen über Denunziationen Reutlinger Untertanen noch abgewiegelt wurden: Im Rat herrschte noch eine Patt-Situation (S. 261f.).

Den endgültigen Durchbruch an die Spitze schaffte Laubenberger erst 1665, nachdem ein zwölfjähriger Bub als vom Teufel besessen in Erscheinung trat und sich der Teilnahme an Hexentänzen berühmte. Dieses Mal wußte Laubenberger das in den Aussagen angelegte Denunziationspotential geschickt zu nutzen, binnen kurzem waren alle Schlüsselposition in der administrativen und politischen Führung der Reichsstadt mit Parteigängern besetzt, und mit der nächsten Wahl erklomm Laubenberger als Amtsbürgermeister die Spitze der Reichsstadt. Sein Gegenspieler Efferen hingegen mußte seine Frau in Sicherheit bringen, bevor er selbst resignierte, sein Vermögen aufgab und ins Württembergische auswanderte. Freilich wurde ihm eine späte Genugtuung zuteil, als er an der Spitze einer Untersuchungskommission Unregelmäßigkeiten im Rechnungswesen der Stadt nachgehen sollte, die sich in Folge der unter Korruptionsverdacht stehenden Amtsführung Laubenbergers eingestellt haben sollten. Zunächst aber nutzte der charismatische „homus novus“ (sic!, S. 241) die Hexenverfolgung meisterhaft für seine Karriere, für die er buchstäblich über Leichen ging.

Im Nachhinein mutet es seltsam an, daß ausgerechnet Laubenberger die Wende einleitete und 1666 zum Prozeßskeptiker konvertierte (S. 281). Wenn darauf abgestellt wird, daß Laubenbergers Bekehrungserlebnis sich der Lektüre von Meyfarts prozeßkritischer Schrift ´Christliche Erinnerung...´ verdankte, so weist Fritz zurecht darauf hin, daß der gebremste Verfolgungseifer bereits Ende 1665 greifbar wird. Laubenbergers bedauernde Anmerkung, „verschütt’ Wasser last sich nit uffheben“ (S. 287f.), kann man dabei durchaus als geheuchelt verstehen, da seine Abkehr just zu dem Zeitpunkt erfolgte, in dem er sämtliche Ziele erreicht hatte und die Hexenverfolgungen aus mehreren Gründen für ihn kontraproduktiv wurden. Diese Sichtweise wird auch durch Hinweise unterstrichen, daß Laubenberger die Prozesse durchaus zynisch geführt hat, indem er Besagte gegen Bezahlung außer Verfolgung stellte (S. 286).

Was den überregionalen Verfolgungskontext anlangt, so ist auffällig, daß in Reutlingen wie in Esslingen nicht selten Selbst- und Fremddenunziationen bezüglich der Eltern oder Verwandtschaft, die von pubertierenden Kindern vorgebracht wurden, die Prozeßlawinen auslösten (S. 248, 264, 269, 278, 286). Daß die Obrigkeit aus finanziellen Erwägungen heraus an Hexenprozessen interessiert gewesen wäre, wie dies nicht selten behauptet wird, läßt sich jedoch auch anhand der Reutlinger Quellenbefunde nicht erhärten (S. 290).

Dies gilt auch für die Hexenverfolgungen in der Fürstpropstei Ellwangen, die Wolfgang Mährle im dritten Teil des Sammelbandes nachzeichnet (S. 325-500). Schon was die reine Opferzahl anlangt, erscheinen diese mit ca. 450 Hinrichtungen in einer anderen Dimension. Auch hier dürften finanzielle Motive nicht den Ausschlag gegeben haben, beklagt doch der Fürstpropst - aus heutiger Sicht durchaus doppelbödig - die Unrentabilität zu vieler Verfahren (S. 410f., 362f., 396), wobei die Scharfrichter zu den eigentlichen Profiteuren gehört haben dürften. Die exorbitante Verfolgungswelle von 1611 bis 1618 mit über 400 Hinrichtungen unter den Fürstpröpsten Johann Christoph I. von Westerstetten und Johann Christoph von Freyberg und Eisenberg hält jedem Vergleich mit den Verfolgungen in den benachbarten fränkischen Hochstiften Bamberg, Würzburg und Eichstätt stand und bildete für jene womöglich sogar den Auftakt (S. 368ff.). Als Initiator erscheint Johann Christoph I., der 1613 zum Bischof von Eichstätt gewählt wurde und den Verfolgungseifer dorthin importierte. Die auf die Gegenreformation eingeschworenen geistlichen Potentaten gerierten sich ihrem Selbstverständnis nach als ´moralische Unternehmer´, und man kann die in einen immensen Blutzoll ausartenden Hexenverfolgungen dieser katholischen Territorien ohne weiteres als die katholische Misere der Gegenreformation bezeichnen.

Eine Beschleunigungsnovelle des Fürstpropsts, die Strafverfahren innerhalb von drei Tagen zu erledigen vorschrieb, und ein ´Sondergericht´, dem zwei neueingestellte Hofräte vorsaßen, wirkten dynamisierend auf die Prozesse (S. 383). Die vertrackte ´Rationalität´ - um mit Schwerhoff zu sprechen - offenbart sich auch hier, denn mit der Delegitimierung des Hexenmals als Indiz, eigentlich ein Rationalisierungsfortschritt, gewann die Besagung eine verfahrensbeherrschende Bedeutung (S. 385, 387). Ähnlich führte die Abschaffung der ´absolutio ab instantia´, was immerhin den Weg zu unbedingten Freisprüchen eröffnet hätte, nur dazu, daß überhaupt keine Freilassungen mehr vorkamen. Eine Erosion des hermetischen Verfolgungskonzepts erfolgte erst, als die Manipulierbarkeit von Aussagen und Geständnissen in den Gefängnissen offenbar wurde: Inhaftierte ´Hexen´ wurden von den Wärtern vergewaltigt, sexuell genötigt und erpresst, und die Besagungen konnten so gezielt gesteuert werden (S. 400f.). Die Verschickung von Besagungslisten führte zu einem Prozeßexport ins Ausland, etwa in die Deutschordenskomturei Ellingen oder in die Reichsstädte Dinkelsbühl, Aalen und Schwäbisch-Gmünd (S. 433f.).

Die Verfolgungen in der Fürstpropstei, die 1588 mit 17 bis 20 Hinrichtungen begannen, konzentrierten sich auf die ca. 1500 Einwohner zählende Residenzstadt, wobei die noch unerledigten Besagungen aus dieser abrupt abgebrochenen Verfolgungswelle aber aufgehoben wurden. Als „Schlüsselfigur“ (S. 356) fungierte hier wieder ein Pubertant, der im Rahmen einer Diebstahlsinquisition seine Mutter als Hexe denunzierte. Katastrophal wirkte sich auch die Denunziation der Eltern durch ein Mädchen aus, die nicht nur die Eltern auf den Scheiterhaufen brachte. Allem Anschein nach erhöhte die Selbstdenunziation die Glaubwürdigkeit, die Erklärung für dieses Verhalten als „Profilierungssucht“ (S. 390) scheint mir aber zu vordergründig zu sein. Hier hätte die These H. Webers, der die Destruktivität mit kindlichen Mißbrauchstraumatisierungen erklärt, eine eingehendere Auseinandersetzung verdient gehabt, zumal solche Fälle sich 1652 und 1694 wiederholen sollten (S. 445). Zu Prozessen mit Exekutionen kam es aber nur mehr 1622 und 1627. Wie sehr die Hexenverfolgungen von dem Rückhalt der politischen Führung abhingen, ersieht man auch daran, daß der federführende Vorsitzende des ´Sondergerichts´, der weltliche Rat Dr. jur. Carl Kiebler, 1613 zum Stiftskanzler aufrückte, nach dem Tod des ihn protegierenden nachfolgenden Fürstpropsts 1620 aber alsbald entmachtet und auf eine bedeutungslose Stelle mit geringem Salär abgeschoben wurde.

Fazit: Die drei Beiträge sind insofern von hoher Bedeutung, als sie Forschungslücken schließen und unsere Kenntnis von den südwestdeutschen Hexenverfolgungen vervollständigen. Sie dokumentieren zum einen den Fortschritt, den die Hexenforschung dem sozialgeschichtlichen Forschungszugang verdankt, unterstreichen zugleich aber das Desiderat einer Perspektivenerweiterung, die kaum einem historiographischen Sujet besser ansteht als der Hexenforschung.

Jena                                                                                                               Günter Jerouschek