HattenhauerGarnier20000811 Nr. ZRG 118 (2001)

 

 

Garnier, Claudia, Amicus amicis – inimicus inimicis. Politische Freundschaft und fürstliche Netzwerke im 13. Jahrhundert (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters 46). Hiersemann, Stuttgart 2000. X, 375 S.

Die von Gerd Althoff betreute Dissertation setzt bei der von Papst Stephan II. und Pippin im Jahre 754 verwendeten Formel „amicus amicis inimicus inimicis“ an und wendet sich dann alsbald dem 13. Jahrhundert mit seinem reichen Bestand deutscher Vertragstexte zu. Deren Inhalt, historischer Ort und politische Funktion wird nach dem neuesten Forschungsstand dargestellt. Nach kurzer Einleitung zu „foedus und amicitia im Mittelalter“ geht es im ersten Hauptabschnitt um „vertikal strukturierte Bündnisse der Könige und der Fürsten“ (S. 25 ‑ 69) Philipps von Schwaben, Wilhelms von Holland und Adolfs von Nassau. Die Freundschaftsverträge werden als zweckgebundene Instrumente zur Verfolgung politischer Ziele dargestellt: „foedus und amicitia als herrschaftliche Bindungsprinzipien“. Im zweiten Hauptteil werden als Beispiele „horizontal strukturierter Bündnisse“ die Einungen der rheinischen Königswähler (S. 73 ‑ 131) beschrieben. Die Verträge seien nun zu einem festen Schema entwickelte Instrumente der territorialherrschaftlichen Konsensfindung geworden. Sodann folgt ein Abschnitt „Bündnisstruktur und Konflikt“ (S. 135 ‑ 229), der die Verträge der Erzbischöfe von Köln und der Herzöge von Brabant darstellt. Die aus dem Lehnswesen bekannten Zusagen von consilium et auxilium erscheinen als „reziproke Pflichten“, wobei es zu deren fortschreitend ins einzelne gehenden Konkretisierung und Absicherung durch Eide, Bürgen und Selbstverpflichtung komme. Besondere Betonung wird auf die Schriftform als konstitutives Element der Verträge gelegt. Es folgt ein Abschnitt „Mediation und Arbitration als Formen der Konfliktprävention und -beilegung“ zu den vereinbarten Schiedsklauseln und Schiedsverfahren (S. 233 ‑ 294). Die Verfasserin kommt zu dem Ergebnis (S. 297-308), die Vertragsparteien hätten sich zwar als amici verstanden und verpflichten wollen, dies jedoch im Sinne des do‑ut‑des‑Prinzips. Auch im 13. Jahrhundert habe sich diese von Pippin und Stephan II. vorgegebene Prämisse nicht gewandelt. Der hier untersuchte Zeitabschnitt sei eine Phase des Übergangs gewesen. Es habe ein Lernprozess stattgefunden, der mit der „Entwicklung der Literalität korrespondiere“. Als „Spiegelbild eines kompakten Freund‑Feind‑Denkens“ hätten sich die Allianzen allerdings nur begrenzt zur „Gestaltung politischer Interaktionen“ geeignet.

Diese Darstellung des deutschen Vertragswesens des 13. Jahrhunderts bietet dem Verfassungshistoriker eine hilfreiche Zusammenfassung der für ihn besonders wichtigen Thematik. Wenn auch der Gegenstand in hochmoderner Historikersprache vorgestellt wird, überraschen Darstellung wie Konsequenzen ihn allerdings nicht überall. Gelegentlich beschränkt sich der Erkenntnisgewinn auf die Einsicht, dass man den Gegenstand sprachlich auch anders als gewohnt darstellen kann. Diese Verträge scheinen dem Juristen als Frühformen moderner Staatsverträge., wie sie bis heute unter den Namen von Freundschaftsverträgen abgeschlossen werden. Zumal angesichts der von der Verfasserin erwähnten Tatsache, dass es sich bei den dargestellten deutschen Quellen nur um einen Ausschnitt einer gesamteuropäischen Technik hochmittelalterlichen Friedensschlusses gehandelt hat, erscheinen viele dieser Konflikte wie ihrer Lösungsversuche insbesondere dem modernen Völkerrechtler vertraut. Für den Rechtshistoriker wäre daher eher ein vertieftes Eingehen auf die Ursprünge und Vorgeschichte dieses Vertragswesens von Interesse. Das 13. Jahrhundert hatte im Zeichen fortschreitender Territorialisierung im Reich wie in den Ländern bereits Ansätze moderner Verfassungsstrukturen, sowohl in den Konflikten wie in den angestrebten Lösungen. Wie aber ist man bis dahin gelangt? Die Verfasserin schlägt rasch den Boden vom Jahre 754 in das 13. Jahrhundert und scheint zu unterstellen, dass der in ihren Quellen zutage getretene politische Gebrauch des amicus‑Begriffs zwischenzeitlich keine wesentlichen Wandlungen erfahren hat. Das mag hier so gewesen sein, zumal die im Jahre 754 verwendete Formel römisch‑antik wirkt. Diese Deutung des Begriffs von Freundschaft im allgemeinen und von politischer Freundschaft im besonderen kann aber auch eine Wiederbelebung zwischenzeitlich nicht in Gebrauch gewesenen Denkens gewesen sein. Um das herauszufinden, hätte man wohl den amicus‑Begriff im Übergang von der Antike zum Hochmittelalter genauer ausleuchten müssen. Allein der in eine Fußnote verbannte Hinweis auf Aristoteles dürfte dazu kaum genügen, zumal die Verfasserin auch den biblischen Freundschaftsbegriff hätte bedenken ‑ bei Jesus Sirach nachschlagen und die Freundschaft Davids mit Jonathan einbeziehen ‑ können. War die Abgrenzung von politischer und privater Freundschaft damals wirklich so wenig fragwürdig wie sie es heute ist? Hat das biblische Erbe etwa auch das Denken der damaligen, klerikalen wie weltlichen, Vertragspartner mitbestimmt? Und wie steht es mit der steten Betonung der Verträge, dass der Vertragspartner zugleich Freund und consanguineus sei, wo doch das deutsche Wort „Freund“ ursprünglich den Blutsverwandten bezeichnet hat? Dass hier Fragen offen bleiben, zeigt die ‑ von der Verfasserin keineswegs übersehene, wenngleich nicht verfolgte (S. 75) ‑ Tatsache des weiten und variantenreichen den Gegenstand beschreibenden Wortfeldes. Wenn die Verträge derart unterschiedliche Bezeichnungen erfahren haben, könnte dies dann nicht auf Schwierigkeiten bei der rechtlichen Erfassung hindeuten? Hätte das ein Anlass zum genauen Ausleuchten des Vokabulars sein können?

Dieselbe Frage nach verfassungsrechtlichen Wurzeln der Freundschaftsverträge stellt sich auch angesichts des häufigen Gebrauchs der lehnsrechtlichen Formel „consilium et auxilium“. Die Verfasserin vermutet selbst (S. 68), dass die Bündnisse „die Lehnsstruktur ergänzten“. Wenn Pippin und Stephan II. sich als gleichberechtigte Vertragpartner einigen mussten, dann doch wohl, weil der Franke nicht als Lehnsmann des Papstes auftreten wollte. Wenn aber ein halbes Jahrtausend später der alte Lehnsverband nicht mehr ausreichte und Lehnsleute ‑ wie die Verfasserin es nennt: „horizontal“ ‑ innerhalb der Lehnsverfassung zum Instrument vertraglicher Einung greifen, dann wird die Sache doch spannend und weiteren Nachfragens wert. Dann ließen sich hier womöglich lehnsrechtliche Wurzeln des hochmittelalterlichen Vertragswesens ausgraben. Vielleicht hätte man dazu wie auch zum Freundschaftsbegriff der Vertragspartner auch etwas durch Auslegung der Vertragspräambeln, soweit solche vorhanden sind, ermitteln können. Nachdem die Verfasserin die Betonung auf den modern‑frühstaatlichen Charakter der Verträge gelegt hat, wäre nun wohl die Klärung der Vorgeschichte und der frühmittelalterlich‑lehnsrechtlichen Wurzeln des hochmittelalterlichen Vertrags­wesens an der Reihe.

Kiel                                                                                                                  Hans Hattenhauer