BuschmannSchulze20000314 Nr. 1032 ZRG 118 (2001)

 

 

Schulze, Hans Karl, Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter. Band 3 Kaiser und Reich (= Urban-Taschenbuch 463). Kohlhammer, Stuttgart – Berlin – Köln 1998. 293 S.

Mit dieser Darstellung legt der Verfasser den dritten Band seiner Schilderung der verfassungsgeschichtlichen Grundstruktur des mittelalterlichen deutschen Reiches vor, der einerseits dem Reich und dessen Entwicklung, andererseits dem Kaisertum des Mittelalters als Element der mittelalterlichen Verfassungsentwicklung gewidmet ist. Das Buch gliedert sich in zwei Abschnitte, einen ersten, der das Reich, und einen zweiten, der das Kaisertum behandelt.

Der erste Teil beginnt mit einer begrifflichen und begriffsgeschichtlichen Erläuterung zum Begriff des Reiches, wobei der Verfasser auch auf die heftig umstrittene Frage eingeht, inwieweit die historischen Erscheinungsformen der mittelalterlichen Reiche als Staaten zu charakterisieren sind, nachdem sich inzwischen doch wohl herumgesprochen hat, daß der neuzeitliche Staatsbegriff nicht ohne weiteres auf frühere Formen der Herrschaftsbildung angewendet werden kann. Es folgt der Versuch, die historischen Erscheinungsformen der mittelalterlichen Herrschaftsbildungen vom Fränkischen Großreich bis zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Sinne der zuvor erläuterten Begriffe einzuordnen und zu erfassen, wobei zu Recht auf die Unzulässigkeit des verbreiteten Sprachgebrauches, unterschiedslos von einem „Deutschen Reich des Mittelalters“ zu sprechen, hingewiesen wird. An diesen Versuch der begrifflichen und begriffsgeschichtlichen Einordnung der historischen Erscheinungsformen mittelalterlicher Herrschaftsbildungen schließen sich Ausführungen über das Reichsgebiet als Herrschaftsgebiet und über die Ausübung der Herrschaftsgewalt in diesem Gebiet an, in denen der Verfasser bemüht ist, die Unterschiede zwischen der personenverbandsorientierten Herrschaftsausübung zur Zeit des Fränkischen Großreiches und der tendenziell stärker territorial geprägten Herrschaft des Hoch- und Spätmittelalters in Gestalt der Königslandschaften oder königsnahen Landschaften herauszuarbeiten. Den Schluß des ersten Teiles bilden Darlegungen über das Verhältnis von Reich und Nation, die heilsgeschichtliche Auffassung vom Reich und die Symbolik der Reichsinsignien, wobei der Verfasser bei der Erörterung der Frage nach dem Verhältnis von Reich und Nation im Heiligen Römischen Reich zu Recht auf die große Variationsbreite des Begriffes „Nation“ hinweist, die Zweifel aufkommen läßt, ob namentlich mit dessen neuzeitlicher Bedeutung bei der Erfassung der mittelalterlichen Erscheinungsformen wirklich etwas auszurichten ist.

Der zweite Teil des Buches befaßt sich mit dem Kaisertum und dessen Bedeutung für die Verfassungsentwicklung im Mittelalter. Auch hier beginnt der Verfasser mit begrifflichen und begriffsgeschichtlichen Erläuterungen über das Kaisertum und dessen Merkmale im Abendland, wobei er zutreffend über den Rahmen des spezifisch mittelalterlichen Kaisertums hinausgeht, nachdem das mittelalterliche Kaisertum sich stets als Fortsetzung des antiken Kaisertums, zumindest aber als Anknüpfung an dieses verstanden hat. Wie im ersten Teil folgt auch hier auf die Begriffserklärung der Versuch, die historischen Erscheinungsformen des mittelalterlichen Kaisertums im Sinne der begrifflichen und begriffsgeschichtlichen Erläuterungen einzuordnen, wobei der Verfasser nicht nur zwischen dem fränkischen Kaisertum und dem Kaisertum des Hoch- und Spätmittelalters unterscheidet, sondern auch zwischen dem Kaisertum der einzelnen Herrschergeschlechter und vor allem dem Kaisertum des Hochmittelalters und dem des Spätmittelalters. Den Schluß bildet eine Betrachtung der verschiedenen Merkmale des Kaisertums im Mittelalter, etwa die fränkische Kaiserwürde und deren Vorstellung von der Aachener Kaiseridee, oder das Heerkaisertum der sächsischen Kaiser, das „romfreie“ Kaisertum und das Romkaisertum der deutschen Könige und schließlich das Zweikaiserproblem des Abendlandes und das Verhältnis von Kaisertum und Papsttum sowie dessen zeitgenössische rivalisierende Begründungsversuche.

Das Buch ist als Lehrbuch der Verfassungsgeschichte konzipiert und soll über die wesentlichen Elemente der mittelalterlichen Kaiser- und Reichsgeschichte unterrichten. Seine Grundkonzeption wie auch die der früher erschienenen Bände ist wesentlich den Gedanken Walter Schlesingers verbunden und geht von einem begriffs- und institutionengeschichtlichen Ansatz aus, hier allerdings nicht in der traditionellen periodenbezogenen Form der klassischen Rechts- und Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts und der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, sondern in der Form einer querschnittartig angelegten Darstellung der Geschichte der einzelnen Institutionen und deren begriffsgeschichtlicher Erfassung, - eine Darstellungsweise, die freilich ebenso reizvoll wie problematisch ist. Sie ist reizvoll, indem sie einen zusammenhängenden Überblick über zentrale Institutionen des mittelalterlichen Verfassungslebens ermöglicht, der bei der herkömmlichen Darstellungsweise leicht verloren geht, problematisch, weil eine solche isolierte Betrachtung den Zusammenhang zwischen den einzelnen Institutionen und dem Ganzen in den Hintergrund treten läßt und damit die Totalität des Gesamtgefüges der Verfassung und deren Entwicklung aus den Augen verliert. Problematisch aber auch, weil sie die Gefahr erzeugt, daß, wenn die Verfassungsgeschichte in lauter einzelne querschnittartig behandelte Institutionen und deren Entwicklung gegliedert wird, diese in der Folge als ein Konstrukt aus einzelnen Elementen, die nebeneinander oder nacheinander bestehen, erscheinen muß, und nicht als eine fortschreitende und miteinander verbundene Entwicklung von Institutionen und deren Rolle im Gefüge des Ganzen. So gesehen wird man die vorliegende Darstellung eher als eine Ergänzung, nicht hingegen als eine grundlegende Darstellung der mittelalterlichen Kaiser- und Reichsgeschichte anzusehen haben, weniger hingegen als eine Schilderung der Verfassungsgeschichte in ihrer Gesamtheit, auch wenn in einem weiteren Band die Entwicklung nachgeordneter Institutionen geschildert werden sollte.

Salzburg                                                                                                              Arno Buschmann