BuschmannDasstrafgesetzbuch20000620 Nr. 10100 ZRG 118 (2001)

 

 

Das Strafgesetzbuch. Sammlung der Änderungsgesetze und Neubekanntmachungen, hg. v. Vormbaum, Thomas/Welp, Jürgen. Band 1 1870 bis 1953, X, 537 S. Band 2 1954 bis 1974, 433 S. (= Juristische Zeitgeschichte, Abteilung 3 Beiträge zur modernen deutschen Strafgesetzgebung). Nomos, Baden-Baden 1999

Mit dieser unfangreichen Edition wird – aufgeteilt auf zwei Teilbände - der erste Band der dritten Abteilung der von Thomas Vormbaum initiierten Publikationsreihe „Juristische Zeitgeschichte“ vorgelegt, die sowohl Monographien wie Quellen und Materialien zur deutschen Strafgesetzgebung des 19. und 20. Jahrhunderts umfassen wird, aus denen nach den Plänen des Initiators zu einem noch nicht feststehenden Zeitpunkt ein Handbuch der Geschichte deutschen Strafgesetzgebung entstehen soll. Die jetzt vorgelegten Teilbände enthalten einen Textabdruck sämtlicher seit dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches erlassenen Änderungsgesetze und zwischenzeitlich erfolgten Neubekanntmachungen des Gesetzbuches bis zum Jahre 1974, von denen übrigens, wie die Herausgeber zutreffend betonen, ein Drittel in den ersten 80 Jahren verkündet wurden, während zwei Drittel der gesamten Textmenge auf die letzten 40 Jahre der Geltungsdauer des Strafgesetzbuches entfielen – signifikanter Beleg für die rotierende Gesetzgebungsmaschine des modernen Gesetzesstaates und für dessen Regelungswut. Ein dritter Band soll das Publikationsvorhaben abschließen und eine chronologische sowie nach Paragraphen geordnete Übersicht sämtlicher Änderungen des Strafgesetzbuches enthalten, ähnlich wie dies kürzlich für das Bürgerliche Gesetzbuch von H.-W. Strätz unternommen worden ist.[1] Zugleich soll nach Abschluß des Gesamtwerkes eine CD-Rom erstellt werden, die es möglich macht, für jeden Tag seit dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches die jeweils geltende Fassung der einzelnen Vorschriften abzurufen, wie es die Herausgeber in ihrer Einführung ausdrücken.

Die Herausgeber unternehmen mit dieser Dokumentation den Versuch, eine juristische Entwicklung zu erfassen und vor Augen zustellen, die alle Merkmale einer unendlichen Geschichte an sich trägt. Sieht man einmal von der Gesetzgebung im Verwaltungsrecht ab, die immer neue Gesetze und Gesetzgebungswerke hervorbringt, dann gibt es wohl kaum ein Gebiet der gesetzgeberischen Tätigkeit, in dem derart viele und schnell aufeinander folgende Änderungsgesetze und legislative Reformen stattgefunden haben wie auf dem Gebiet des Strafrechts und hier insbesondere beim Strafgesetzbuch. Bereits ein Jahr nach dem im Jahre 1870 erfolgten Inkrafttreten des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund, auf dem bekanntlich das Strafgesetzbuch beruht, erging das erste Änderungsgesetz, mit dem der Geltungsbereich des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund auf das Gebiet des gesamten Deutschen Reiches von 1871 ausgedehnt wurde. Weitere Änderungen folgten noch vor der Jahrhundertwende, so daß schon im Jahre 1876 eine Neubekanntmachung des Strafgesetzbuches erforderlich wurde – gerade 4 Jahre nach dessen Inkrafttreten als Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Auch nach der Jahrhundertwende setzte sich diese Tendenz zur ständigen Änderung des Strafgesetzbuches fort. Gleichzeitig begegnen die ersten Bestrebungen zu einer umfassenden Strafrechtsreform, die alsbald zur Bildung zunächst eines Reformkomitees und später zur Großen Strafrechtskommission beim Reichsjustizamt führten, aus deren Arbeit noch vor dem Ersten Weltkrieg ein erster Entwurf eines reformierten Strafgesetzbuches hervorging. Nach den Änderungen und Ergänzungen des Strafgesetzbuches während des Ersten Weltkrieges fand unmittelbar nach dessen Ende im Jahre 1924 der erste große Eingriff in den Textbestand des Strafgesetzbuches durch die Verordnung über die Vermögensstrafen und Bußen statt, die bekanntlich auf der Grundlage des Ermächtigungsgesetzes vom 8. Dezember 1923 erlassen worden war. Zahlreiche weitere Änderungen erfolgten in der Weimarer Zeit und in der Zeit des Nationalsozialismus, in der wiederholt auch Entwürfe für ein neues Strafgesetzbuch vorgelegt wurden, zuletzt in den Jahren 1936 und 1944, die jedoch allesamt keine Gesetzeskraft erlangten. Von den zahlreichen Änderungen in der nationalsozialistischen Zeit haben übrigens nicht wenige das Ende des Nationalsozialismus überlebt und sind noch heute geltendes Recht. Die weitaus meisten Änderungen des Strafgesetzbuches erfolgten allerdings erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland, die sich in einer wahren Flut von Änderungsgesetzen und vor allem in den insgesamt 6 Gesetzen zur Reform des Strafgesetzbuches niederschlugen, die seit Beginn der Strafrechtsreform im Jahre 1969 verkündet wurden. Am 13. November 1998 wurde übrigens das Strafgesetzbuch noch einmal neu bekannt gemacht, nachdem es schon zuvor im Jahre 1953 und zu Beginn der Strafrechtsreform im Jahre 1969 in einer Neufassung verkündet worden war. Kurz nach dieser letzten oder besser vorläufig letzten Neubekanntmachung ergingen wiederum weitere Änderungsgesetze: In der Tat eine unendliche Geschichte, die Geschichte des Strafgesetzbuches und seiner ständigen Änderungen.

In den vorliegenden Bänden wird diese legislative Entwicklung, vollständig dokumentiert. Sämtliche Änderungsgesetze und Reformgesetze sind in vollem Wortlaut abgedruckt, ausgenommen jene, die neben den Änderungen des Strafgesetzbuches auch noch Änderungen anderer Gesetze enthalten. Die Gesetzgebung vom Jahre 1974 bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird der dritte Band des Werkes enthalten, von dem zu hoffen ist, daß er alsbald erscheinen kann, damit in der Zwischenzeit wegen der vielen Änderungen nicht noch ein weiterer Band notwendig wird. Die zahlreichen Entwürfe eines neuen Strafgesetzbuches aus der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg, aus den zwanziger Jahren und aus der Zeit des Nationalsozialismus sind nicht abgedruckt. Dies lag auch außerhalb der Intentionen der Herausgeber, zumal der Wortlaut dieser Entwürfe zum größten Teil in dem von W. Schubert, J. Regge, P. Rieß und W. Schmid herausgegebenen Quellenwerk zur Strafrechtsreform enthalten ist.[2] Zusammen mit diesem Quellenwerk und den schon im Jahre 1954 veröffentlichten Materialien zur Strafrechtsreform ist mit dem vorliegenden Werk unter Einschluß des in Vorbereitung befindlichen dritten Bandes eine nahezu vollständige Dokumentation der Gesetzgebung zum Strafgesetzbuch erstellt, die es schon jetzt erlauben würde, eine erste überblicksmäßige Darstellung über den Verlauf der Strafrechtsreform seit dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches von 1871 zu geben. Dazu einen entscheidenden Beitrag geleistet zu haben, ist das besondere Verdienst der Herausgeber, das neben den Strafrechtshistorikern auch alle diejenigen zu schätzen wissen werden, denen es über die bloße Kenntnis der strafrechtlichen Vorschriften hinaus um ein tieferes Verstehen des Strafrechts und dessen Entwicklung geht. Gerade das Strafrecht erfordert nicht nur in der Theorie, sondern auch in der täglichen Praxis eine solche Vertiefung, ohne die eine vorurteilsfreie Handhabung der strafrechtlichen Vorschriften und überhaupt eine wohlabgewogene Anwendung des strafrechtlichen Instrumentariums nicht möglich ist. Das anhaltende Interesse vor allem der Strafrechtspraktiker an der Geschichte des Strafrechts läßt hoffen, daß das vorliegende Werk auch in die Hände jener gelangt, die tagtäglich mit der Realität der Strafrechtspraxis konfrontiert sind.

 

Salzburg                                                                                                         Arno Buschmann



[1] Vgl. H.-W. Strätz , J. v. Staudingers Kommentar zum Bürgerliche Gesetzbuch. BGB Synopse 1896-1998, Berlin 1998, XVIII, 1736 Seiten, als Jubiläumsausgabe des Staudinger’schen Kommentarwerkes aus Anlaß der 100. Wiederkehr des Erscheinens des ersten Bandes veröffentlicht

[2] Vgl. W. Schubert, J. Regge, P. Rieß, W. Schmid (Hrsg.),  Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, Berlin New York 1988ff., auf etwa 20 Bände berechnet, von denen zur Zeit insgesamt 8 Bände in 2 Abteilungen vorliegen, wobei die Teilbände als Einzelbände gezählt sind.