Streck, Michael/Rieck, Annette, Die Akte Jeanne d’Arc. Prozess- und Vollstreckungsbericht 1431 – Urteilsanalyse und Thesen zur Verteidigung. Otto Schmidt, 2017. 219 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Die in Domrémy in Lothringen wohl an dem 6. Januar 1412 geborene, in Rouen an dem 30. Mai 1431 nach einem kirchlichen Verfahren des engländerfreundlichen Bischofs von Beauvais auf Grund Verurteilung wegen verschiedener Vorwürfe hingerichtete Jeanne d’Arc ist eine der wenigen Frauen der älteren Geschichte, die allgemeinere Bedeutung weltweit erlangten. Über sie ist, wie der Prolog des vorliegenden schlanken Berichts mitteilt, die Literatur reich und inflationär. Dessenungeachtet haben die Verfasser mit neugierigem Interesse, ja mit Lust ihr Werk in Angriff genommen und wollen versuchen, die Leserinnen und Leser in dieses Vergnügen mitzunehmen.

 

Dabei greifen sie Franz Salditts Befassung mit dem Prozess aus anwaltlicher Sicht auf und führen sie fort. Sie interessiert auch die Frage, ob man Jeanne d’Arc hätte verteidigen können, was sie bejahen. Vor diesem Hintergrund folgen die dem Prozess funktional.

 

Dementsprechend betrachten sie in ihrer sorgfältigen und verdienstvollen Untersuchung nacheinander das Prozesstagebuch, die handelnden Menschen, den Weg zu dem Verurteilungsprozess, die Gefangenschaft (nach Gefangennahme an dem 23. Mai 1430 durch Johann II. von Luxemburg nach dem Sieg der Truppen des Thronerben während des hundertjährigen Krieges über Engländer und Burgunder bei Orléans und der Niederlage bei Compiègne) und Vorbereitung des Prozesses, das Panorama des Prozesses, Vorwurf und Anklage, die Organe des Prozesses (Staatsanwaltschaft, Gericht, Verteidiger), die Vorermittlungen, Aussagepflicht und Aussageverweigerung, die Aussage vor der Inquisition in sechs öffentlichen Vernehmungen und neun nichtöffentlichen Verhören, die Stimmen und Prophezeiungen, letzte Schritte vor Beginn des ordentlichen Verfahrens, die Anklageschrift, die Verteidigungsmöglichkeiten, Jeanne in der Streitbefestigung, Zeugen und Sachverständige, liebevolle Ermahnungen und das Angesicht der Folter, die Haft, letztes Wort und erstes Urteil, Widerruf und Abschwörung, das zweite Urteil und seinen Vollzug, den Rückfall und das dritte und letzte Urteil als Ende des Verurteilungsprozesses und die Vollstreckung mit einem Ausblick auf einen Nichtigkeitsprozess oder Rechtfertigungsprozess sowie als drittes Verfahren die Heiligsprechung. Im Ergebnis wagen die Verfasser noch ein Résumé. Danach hätte, wenn Jeanne sich nicht selbst verteidigt hätte und ihr ein Verteidiger zur Seite gestanden hätte, ihr Hauptverfahren nicht mit dem Feuertod enden müssen, aber die Engländer hätten ihr Rachebedürfnis nicht gestillt, die Franzosen und ihre Könige hätten sich nicht in mystische Höhen erheben, die Kirche sie nicht zur Heiligen und Frankreich sie nicht zu seiner Nationalheiligen erklären können: Wären die Menschen nicht so, wie sie alle sind, bräuchten sie kein Recht, keinen Prozess und keinen Scheiterhaufen, auf denen die einen die anderen auf Grund behaupteter und angewandter richtiger Regeln (meist nicht ohne Lust) verbrennen.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler