Röhrmann, Konstanze, Das Ehescheidungsrecht des ALR und die Reformvorschläge im 19. Jahrhundert. Tectum Verlag, Baden-Baden 2017. IX, 337 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Obwohl mit den Arbeiten von Stephan Buchholz, Dirk Blasius, Wiebke Mund und des Rezensenten (einschließlich dessen Quellenedition in der Gesetzrevision, Bd. II 5, 6) hinreichend Überblicksdarstellungen zum preußischen Ehe- und Ehescheidungsrecht vorliegen, fehlte bislang eine Detaildarstellung der einzelnen Scheidungstatbestände des ALR sowie eine nähere Darstellung des preußischen Ehescheidungsrechts bis 1794. Dies erfolgt nunmehr mit der an der Freien Universität in Berlin entstandenen Dissertation Konstanze Röhrmanns. Im Abschnitt B II (S. 9-29) geht Röhrmann zunächst der Ehescheidung im protestantischen Ehescheidungsrecht vom 16.-18. Jahrhundert unter Berücksichtigung der Entwicklung in Preußen nach. Wichtig ist die Feststellung, dass bereits 1748 die Ehescheidung von den Konsistorien auf die weltlichen Gerichte übertragen worden war und die große Mehrheit der protestantischen Theologen am Ende des 18. Jahrhunderts der Meinung waren, „auch die starke und unüberwindliche Abneigung (invincibilis aversatio) löse die Ehe auf“ (S. 28). In Teil B III schildert Röhrmann die Entstehung des ALR-Scheidungsrechts unter dem Einfluss Friedrichs II. Bereits im „Project des Corporis Juris Fridericiani“ von 1749 war die „einverständliche Scheidung“ als allgemeine gesetzgeberische Regelung völlig neu (S. 47) entsprechend dem naturrechtlichen Gedankengut (Gesetzeskraft in einigen Provinzen, S. 36ff.). Für die Entstehung des ALR-Scheidungsrechts waren dann maßgebend ein Edikt von 1782, eine KO von 1783 sowie die Arbeiten von Svarez (S. 40ff.).

 

Im Hauptteil (S. 53-308) geht Röhrmann für die Normen bzw. Normengruppen des ALR-Scheidungsrechts deren Herkunft und Entstehung sowie der jeweiligen Rechtsprechungs- und Reformgeschichte bis 1861 nach. Berücksichtigt wird nicht nur die (veröffentlichte) Judikatur des Obertribunals, sondern auch die des Reichsgerichts sowie die Entstehungsgeschichte des BGB (insbesondere zum Scheidungsgrund der Geisteskrankheit und der – abgelehnten – einverständlichen Scheidung). Dabei wäre es für den Leser, der nicht die komplexe (und weitgehend gescheiterte) Geschichte einer Reform des ALR-Scheidungsrechts kennt, besonders hilfreich gewesen, wenn Röhrmann zum besseren Verständnis der Normanalysen über die geplanten Reformen einen Überblick gegeben hätte (hierzu u. a. die Übersicht bei W. Mund, Das preußische Ehescheidungsrecht in der Judikatur des Berliner Obertribunals von 1835 bis 1879, 2008, S. 35ff.). Im Einzelnen werden detailliert untersucht die Ehescheidungsgründe von ALR II 1 §§ 669-718 (sehr ausführlich u. a. der Ehebruch, die bösliche Verlassung, die Versagung der ehelichen Pflicht, Raserei und Wahnsinn sowie die beiderseitige Einwilligung bei Kinderlosigkeit und die einseitige Abneigung). Untersucht werden auch die Einwendungen gegen den Scheidungsausspruch, die Scheidungsstrafen und Unterhaltsansprüche sowie die zeitweilige Trennung (Reformen bzw. Reformversuche in den 1840er und 1850er Jahren). Das französische, in der Rheinprovinz geltende Ehescheidungsrecht wird durchgehend berücksichtigt. Für die Reformgeschichte werden unter anderem herangezogen: Die Vorhaben der Gesetzrevision unter detaillierter Herausarbeitung der Vorschläge des Revisors von 1830 (Wünsch), die Entwürfe von Kamptz, die unter Savigny bis 1844 entstandenen Vorlagen sowie die (weniger breit) behandelten Gesetzesvorhaben von 1854-1861. Die Ansichten von Ludwig v. Gerlach, Kamptz, Savigny und Friedrich Julius Stahl (auch aus seiner bayerischen Zeit als von der Erlanger Universität gewähltes Mitglied der Kammer der Abgeordneten) im Einzelnen charakterisiert. Die Judikatur des Obertribunals richtete sich nicht an den Reformvorhaben aus, sondern beschränkte sich auf eine „um größte Exaktheit bemühte Gesetzesinterpretation“ (S. 317); anders z. T. dann das Reichsgericht, dessen Judikatur zum Ehescheidungsrecht des ALR einer eingehenden Untersuchung wert wäre. Das Verfahrensrecht (S. 309-312) hätte im Ganzen breiter berücksichtigt werden sollen. Soweit Röhrmann auf die Entstehung einzelner Normen des BGB-Scheidungsrechts und auf die Diskussion verworfener Anträge eingeht, hätte dies etwas ausführlicher geschehen sollen. Im Hinblick auf den reichhaltigen Inhalt der Untersuchungen wäre zumindest ein Personenregister wünschenswert gewesen.

 

Die Untersuchungen Röhrmanns verdeutlichen, dass die bisher vorliegenden, eingangs erwähnten Arbeiten zum ALR-Scheidungsrecht einer Weiterführung durch eine Detailanalyse der ALR-Scheidungsnormen bedurften. Diese liegt nunmehr mit der profunden, immer gut lesbaren Darstellung  Röhrmanns vor, die für die Rechtsgeschichte des Allgemeinen Landrechts im Hinblick auf dessen liberales, naturrechtlich beeinflusstes Ehescheidungsrecht von großem Interesse ist.

 

Kiel

Werner Schubert