Münkler, Herfried, Der dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma. Rowohlt, Reinbek 2017. 975 S., Abb. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

An dem 23. Mai 1618 stürzten nach einem ersten Prager Fenstersturz des Jahres 1419, der die Hussitenkriege auslöste, aufgebrachte Angehörige der evangelischen Stände Böhmens in Prag die kaiserlichen Statthalter Jaroslaw Borsita Graf von Martinitz und Oberstlandrichter Wilhelm Slawata sowie den Kanzleisekretär Philipp Fabricius aus einem Fenster des Sitzungszimmers der Burg in den 17 Meter tiefen Schlossgraben. Trotz ihres teilweise kaum verletzten Überlebens wurde diese Handlung zu dem wichtigsten Anlass eines bis zu den Frieden von Münster und Osnabrück von 1648 dauernden Ringens führender Mächte Europas um die politische Gestaltung der Herrschaft über das Heilige römische Reich und damit auch Europa. Vierhundert Jahre nach diesem Ereignis legt der 1951 in Friedberg in Hessen geborene, 1981 an dem Ende eines Studiums von Germanistik, Politikwissenschaft und Philosophie in Frankfurt am Main bei Iring Fetscher über Machiavelli promovierte, 1987 mit einer Schrift über Staatsraison – ein Leitbegriff der frühen Neuzeit - habilitierte, seit 1992 mit dem Schwerpunkt politische Theorie und Ideengeschichte in Berlin lehrende Politikwissenschaftler Herfried Münkler nach einer 2013 in Erinnerung an 1914 veröffentlichten, ebenso voluminösen Behandlung des großen Krieges zwischen 1914 und 1918 eine neue umfangreiche Geschichte dieses dreißigjährigen Mordens und Brennens mit vielleicht sechs Millionen Opfern und einem machtpolitischen Wechsel von Hierarchie zu Gleichgewicht vor.

 

In ihr vertritt er die Vorstellung, dass der dreißigjährige Krieg nicht nur für die Geschichte als Wendepunkt bedeutend sei, sondern auch das Verständnis der Gegenwart erleichtere, weil wer sich mit diesem Krieg beschäftige, eine Menge zum Verständnis der eigenen Zeit lernen könne. Ihm entspreche nämlich grundsätzlich die Gesamtheit der neueren Kriege in Nordafrika und Südwestasien. Um dies verständlich machen zu können, sei (gerade 400 Jahre nach Ausbruch des dreißigjährigen Krieges) eine ausführliche Darstellung notwendig.

 

Unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung hat sich für sie ein ausgewiesener Sachkenner interessiert. Deswegen genügt an dieser Stelle ein einfacher Hinweis auf das gewichtige, beeindruckende, nach einer Einleitung in sieben Kapitel (Anfänge und Vorgeschichte, der böhmisch-pfälzische Krieg, der niedersächsische-dänische Krieg, italienisch-polnisches Zwischenspiel, der schwedische Krieg mit den großen Schlachten, der Zerfall der Macht, der lange Weg nach Münster und Osnabrück) gegliederte Buch. Möge der modelltheoretischen Betrachtung, die das Gemenge aus Religionskrieg, Hegemonialkrieg, Bürgerkrieg und Verfassungskonflikt in Motive, Bedingungen und Faktoren zerlegt sowie vorsichtig Gewinner (das katholische Frankreich und Schweden an der Seite der Protestanten, Territorialherren) und Verlierer (Dänemark, Spanien, Reich und vor allem die einfachen Leute) scheidet, der erhoffte Erfolg zu Teil werden.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler