Löffelsender, Michael, Kölner Rechtsanwälte im Nationalsozialismus. Eine Berufsgruppe zwischen „Gleichschaltung“ und Kriegseinsatz (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 88). Mohr Siebeck, Tübingen 2015. XI, 208 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.

 

Mit dieser Studie, einer Kölner Dissertation, werden die bislang zahlenmäßig eher geringeren regionalen rechtshistorischen Arbeiten, die sich mit der Anwaltschaft befassen, um eine wichtige Arbeit ergänzt und erweitert. Nach vielfacher vorliegenden Forschungen zur Verfolgung jüdischer Juristen, über das allgemeine Verhältnis der Juristen zur NSDAP, zu dem NS-Juristenbund und dem „Kriegseinsatz“ der Anwaltschaft fehlt es noch weitgehend an übergreifenden oder über die lokalen, regionalen oder einzelne Bereiche der Geschichte der Anwälte hinausgehenden Arbeiten. (Davon ausgenommen ist das große sozialhistorisch-vergleichende Werk Hannes Siegrists über Anwälte in Deutschland, Italien und der Schweiz.)

 

Mit der „Machtergreifung“ stehen die Fragen der organisatorischen Wechsel, der Veränderung von Strukturen, der Anpassung und des Opportunismus einer Gruppe, der Gleichschaltung der Anwaltsvereine und Kammern sowie der ideologischen Identifizierung zur Debatte. Die „Arisierungs“- und „Säuberungs“-Aktionen und Prozesse werden in ihren rasanten und brutalen Entwicklungsschritten und in der Dynamik deutlich.

 

Der Aufstieg des sehr mitgliederschwachen Juristenbundes der Nationalsozialisten von einer marginalen Gruppe Hans Franks von kaum mehr als 1000 formellen Mitgliedern vor 1933 zu einer umfassenden Organisation bis hin zu schließlich mehr als 100 000 „Rechtswahrern“ und einer innerhalb derselben ansehnlichen und einflussreichen Hochschulgruppe – bis 1936 unter Führung des „Kronjuristen“ Carl Schmitt, der von Köln aus bald in Berlin ein erweitertes und einflussreicheres Wirkungsfeld suchte und fand – ist charakteristisch für den Erfolg der NSDAP bei der Rekrutierung von Anhängern, bei denen sich vor allem die Frage stellt, ob die bereits vorhandenen Gesinnungen der Weimarer Zeit in der studentischen Generation, die ökonomische Krisenentwicklung der Professionen und die Tendenz, das eigene berufliche Fortkommen vor allem in den Berufszweigen - neben Richter- und Beamtenschaft – in den sog. freien Berufen als Juristen nachhaltig zu fördern. Hier werden vor allem auch die neuen oder sich eilfertig der politischen Situation anpassenden Amtsträger der Kammern kritisch in den Blick genommen.

 

Betrachtet man in den folgenden Phasen seit 1933 die Aktionen gegen missliebige, „nichtarisch versippte“, linker oder liberaler Gesinnungen verdächtigte Berufskollegen durch allgemeinere Verfolgung, Disziplinierung oder andere Ahndung „abweichenden Verhaltens“ ist die Politisierung der tradierten Standesorganisation unübersehbar. Der Verfasser vermag auf der Grundlage einer nicht immer guten, ja oft beklagenswert schlechten Quellenüberlieferung aufschlussreiche Einzelfälle vorzustellen, die mehr noch als bloße statistische Übersichten paradigmatisch die Verfolgung durch Gestapo, durch Denunziationen oder durch Strafurteile aufzeigen. Den Ehrengerichten und der sog. Gauehrengerichtsbarkeit des NS-Juristenbundes kam dabei eine speziellere Funktion zu, deren Breite und Tiefe augenfällig wird und die Wirkungen aufzeigt, die von solchen krassen „Grenzsetzungen“ für den Berufszweig ausgingen.

 

Das Gebiet des Oberlandesgerichts Köln ist aussagekräftig durch die Beteiligung der Anwaltschaft in den besetzten Westgebieten, die Mobilisierung der anwaltlichen Juristen und ihrer Einsätze an der „Heimatfront“ und im Krieg in Europa. Die Bedeutung solcher auf archivalische Bestände vorzugweise aus Nordrhein-Westfalen, aber auch aus anderen Archiven gestützter Forschungen, die über gedruckte zeitgenössische Quellen und die bisherige Forschung hinausgehen, besteht – neben den durch Nennung von Namen und Personalisierung erreichten höheren Anschaulichkeits- und Differenzierungsgraden – in dem tiefer reichenden Erkenntnisstand über den Bruch mit der NS-Zeit ab 1933 bis hin zu dem „Neuanfang in Trümmern“ seit 1945.

 

Die (Selbst-) Gleichschaltung der Standesorganisationen unterscheidet diese Berufsgruppe der Akademiker nicht grundlegend von anderen akademischen Organisationen und Gruppen, von denen einige, namentlich in pädagogischen Berufszweigen, schon vor 1933 ihre politischen Präferenzen nicht nur im Wählerverhalten offenbart hatten.

 

Der Verfasser zeichnet für den Untersuchungsraum und die Anfangszeit ein „ambivalentes Bild“. Diese Übergangszeit mit ihren politischen Unsicherheiten über die weitere Entwicklung des NS-Regimes lässt noch größere Handlungsoptionen zu. Dennoch ist die Dominanz der antisemitischen Grundierung und Ausrichtung unübersehbar, die wie in vielen freien Berufen auch eine Folge der Konkurrenz in traditionell überfüllten Berufen und der seit der Wirtschafskrise besonderen Notlage akademischer Berufszweige war. Kollegiale Rücksichten oder zurückhaltendere Aktivitäten gegen nichtkonforme Mitglieder verdanken sich dann oft mehr den regionalen Bindungen oder auch den weiterhin bestehenden „Netzwerken“. Hingegen sollte die rassische Verfolgung und Ausgrenzung seit 1933 und der Holocaust seitdem und weit über das Kriegsende hinaus den nachhaltigsten Einbruch darstellen.

 

 Das von dem Verfasser untersuchte Kölner Sample ist letztlich in den prägenden Verhaltensmustern keine Ausnahme innerhalb der deutschen Gesellschaft zwischen 1933 und 1945, auch was die Spannweite von rabiaten Verfolgungstätern bis zu exponierteren oder weniger aktiveren Verweigerungen gegenüber den Zumutungen des Systems angeht. Die Mitgliedschaft in der NSDAP war interessanterweise vergleichsweise gering, während die Organisation im NS-Juristenbund fast alle erfasste. Auch in der Tendenz zur intriganten Denunziation wich die Anwaltschaft in Köln nicht vom generellen gesellschaftlichen Trend seit 1933 ab.

 

Soweit die Juristen seit Kriegsbeginn nicht eingezogen wurden, waren der Einsatz als Staatsanwälte oder Richter oder als Verwalter in besetzten Gebieten bevorzugte berufliche Felder, sei es auf Kriegsschauplätzen oder an der sichereren „Heimatfront“. Dass allen, wie es nach dem Kriege im Rahmen der Entnazifizierung durchgehend hieß, selbst bei der Besatzung in Polen oder anderen Gebieten die Massenverbrechen so gänzlich unbekannt geblieben sein sollen, kann nicht erst heute als ein exkulpierender Mythos der Selbstrechtfertigung und als Ergebnis von Verdrängung und bewusster Verschweigung gedeutet werden.

 

Die Arbeit reicht aber weit in die Zeit nach dem Ende des „Dritten Reichs“ hinaus. Die seit 1946 vereinheitlichte Entnazifizierung führte zu den bekannten Neuzulassungsproblemen. Mit dem Ende der von den Alliierten auf die Deutschen übergegangenen politischen Überprüfung wurde der Weg mindestens in den Anwaltsberuf auch für stärker und sogar massiv Belastete möglich. Damit wurde die rigidere Verbotspraxis der Militärregierung abgelöst. Prominente Berufsvertreter aus Köln wie Servatius konnten schon früh etwa als Verteidiger in Nürnberg auftreten. Die nachsichtigen Ausschüsse, welche sich mit juristischen Berufsträgern zu befassen hatten, sind aus bekannten Gründen über bestellte „Persilscheine“ und ominöse Leumundszeugnisse selbst bei durch Besatzungseinsätze gravierend belasteten Personen überaus rücksichtsvoll vorgegangen. Selbst hochrangige NS-Funktionsträger durften erfolgreich auf großzügige Blindheit gegenüber schwerwiegenden Belastungsmomenten und auf tradierte Standessolidarität vertrauen. Wenige Ausnahmen etwa bei Mordbefehlen bestätigen zuweilen die Regel; wenn aber die Instanzgerichte selbst solche Aktionen und permanente antisemitische Hetze als lässliche Sünden und verzeihliche Jugendtorheiten rubrizierten, wirft das ein bezeichnendes Licht auf das damalige innenpolitische Klima und das auf Schluss-Striche erpichte Rechtsverständnis bis weit über die 1960er Jahre und den Einschnitt des Frankfurter Auschwitzprozesses hinaus.

 

Während viele Studien früher durch erschwerten Archivzugang und durch zuweilen oder auch durchgängig sehr extensiv betriebenen „Datenschutz“ und offizielle oder offiziöse Rücksichtnahmen behindert wurden, lassen sich dank dieser Studie auch zahlreiche Lebensläufe und Strukturen eingehender, anschaulicher und aufschlussreicher erkennen, so wie etwa auch in der ebenfalls konkrete Personen benennenden Studie von Philipp Stiller über die Personalpolitik am Berliner Kammergericht.

 

Übersichten über die Amtsträger des Juristenbundes im Gau Köln-Aachen mit zum Teil bekanntesten und prominentesten Namen aus dem Jahre 1938 belegen, dass Anwälte die Hälfte der Führungsebene des NS-Juristenbundes stellten, aber auch die Mehrheit der Kreisgruppenführer, dass sie durchweg auch Mitglieder der NSDAP waren und dass neben der relativ geringen Zahl der „alten“ Parteigenossen die „Jungen“ der Jahrgänge 1902 bis 1904, fast durchweg erst 1933 der Partei beigetreten, zur „Funktionsgeneration“ gehörten, deren Karrieren dann auch oft in SS und SD weitere Schubkraft erhielten.

 

Das in Köln sichtbare Bild bestätigt in nuce für die Zeit zwischen 1933 und 1945 und für die Zeit bis 1960 cum grano salis die Ergebnisse, welche Hubert Rottleutner in seiner übergreifenden Forschung für die Juristen vorgelegt hat.

 

Das subtil aufgefächerte, subjektiv wie objektiv zu erforschende individuelle und kollektive Verhalten einer akademischen Generation und Profession in den tradierten und veränderten Strukturen des NS-Diktatur mit allen seinen Schattierungen von Mentalitäten und Handlungsoptionen und aktiven wie passiven Aktionsweisen ist in solchen exzellenten, immer noch selteneren Werken in begrüßenswerten Offenheit und engagierten Distanz zu den Personen und dem Gegenstand dieser durchaus heiklen und früher von Vorurteilen zugunsten der juristischen Berufe nicht immer freien rechtsgeschichtlichen Forschung nachzulesen.

 

Düsseldorf                                                     Albrecht Götz von Olenhusen