Die letzten NS-Verfahren – Genugtuung für Opfer und Angehörige –Schwierigkeiten und Versäumnisse der Strafverfolgung, hg. v. Lüttig, Frank/Lehmann, Jens (= Schriften der Generalstaatsanwaltschaft Celle 1). Nomos, Baden-Baden 2017. 263 S.  Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Adolf Hitler hat nach seiner Ernennung zu dem Reichskanzler des Deutschen Reiches die seinen zahlreichen Wählern gegenüber angekündigte  nationalsozialistische Politik mit Hilfe zahlreicher Helfer zu verwirklichen versucht. Dazu wurde in zahllosen Fällen Recht gebrochen und Unrecht verübt. Nach seiner Selbsttötung in Berlin an dem 30. April 1945 und dem Zusammenbruch des von ihm errichteten Regimes stellte sich die Frage der Bestrafung nationalsozialistischer Straftäter, für die der vorliegende erste Band einer neuen Schriftenreihe der Generalstaatsanwaltschaft Celle eine Bilanz versucht.

 

Ausgangspunkt ist die an dem 15. Juli 2015 erfolgte Verurteilung des sechsundneunzigjährigen SS-Unterscharführers Oskar Gröning wegen Beihilfe zu Mord in 300000 rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren durch das Landgericht Lüneburg, die der Bundesgerichtshof Deutschlands an dem 20. September 2016 bestätigte.  Grönings Aufgabe in dem Konzentrationslager Auschwitz hatte zwischen 1942 und 1944 darin bestanden, das auf der Rampe abgestellte Gepäck der nach Auschwitz deportierten Menschen zu bewachen und vor einer Plünderung zu bewahren. Daneben hatte er das Geld der Deportierten später nach Währungen zu sortieren, zu verbuchen, zu verwalten und nach Berlin zu transportieren.

 

Der auf dieser Grundlage entstandene Sammelband enthält nach einer aufrüttelnden Einleitung Frank Lüttigs dreizehn Beiträge über historische und Rechtliche Grundlagen, Verfahrensbeteilige und den Blick von draußen. Sie beginnen mit Christoph Safferlings Studie vom Versagen der Politik und der Justiz bei der Strafverfolgung nationalsozialistischer Täter in dem Nachkriegsdeutschland. Sie enden mit Per Hinrichs‘ Bericht über die Recherche zu den letzten nationalsozialistischen Prozessen.

 

In diesem weit gespannten Rahmen werden nach dem Versuch der Erklärung, warum es nach dem großen Frankfurter Auschwitzprozess ein halbes Jahrhundert dauerte, bis Oskar Gröning verurteilt wurde, Parlamente der Nachkriegsdemokratie, der Beitrag der zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zu der Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, die Sicht von Polizei und Staatsanwaltschaft, die Verteidigung, Nebenkläger, Stimmungsberichte aus den Gemeinden, the Bookkeeper und andere Fragen erörtert. Am Ende werden Autoren und Herausgeber  in jeweils wenigen Sätzen dem Leser vorgestellt. Ein Sachregister hätte die wichtigsten sachlichen Gesichtspunkte des interessanten und wichtigen Werkes noch benutzerfreundlich aufschließen können.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler