Das Tier in der Rechtsgeschichte, hg. v. Deutsch, Andreas/König, Peter (= Schriftenreihe des deutschen Rechtswörterbuchs 27). Winter, Heidelberg 2017. 673 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die meisten Beiträge des Bandes gehen auf die internationale interdisziplinäre Tagung der Forschungsstelle „Deutsches Rechtswörterbuch“ der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 2. bis 4. April 2014 über das Tier vornehmlich in der deutschen Rechtsgeschichte zurück. Der umfangreiche einleitende Beitrag Andreas Deutschs bringt eine Gesamtschau über das Tier in der deutschen Rechtsgeschichte unter Einbeziehung der Einzelbeiträge (S. 11-102). Ausführlich werden behandelt das Tier als Nutzobjekt des Menschen, die Vermenschlichung des Tieres, die Tierverwandlungen und das Tier als Feind des Menschen. Belege über einen Tierschutz um seiner selbst willen lassen sich erst ab dem 18. Jahrhundert finden. Detaillierter schildet Friedrich-Christian Schroeder die „Geschichte der Strafbarkeit von Tierquälerei“ (S. 151-166), die erstmals im sächsischen Kriminalgesetzbuch von 1838 verankert wurde.

 

Der Vortragsteil des Bandes wird eröffnet mit dem Beitrag Thomas Gergens: „Tierisches, menschliches, göttliches Recht? Bemerkungen zum Verhältnis Tier-Mensch-Gott in der Rechtsgeschichte und geltendem Recht“ (S. 103-121). Herausgestellt werden folgende Themen: Gerichtliche Verfahren gegen Tiere, Haftung des Tierhalters, die Heiligen zwischen Gott, Mensch und Tier sowie die Versachlichung der Tiere in der Neuzeit (Haftung für Viehmängel, Tiere im Strafgesetzbuch und Grundgesetz sowie im Vollstreckungsrecht). Wolfgang U. Eckart legt in seinem Beitrag „Philosophisch-kulturgeschichtliche Aspekte der Tier-Mensch-Beziehung aus medizinisch-historischer Perspektive“ u. a. die Theriophilie insbesondere in der Renaissance, der Aufklärung sowie im 19. Jahrhundert gegenüber der kartesianischen Mechanismuslehre des 17. Jahrhunderts dar. Martin H. Jung weist in seinem Beitrag: „Das Tier in der Ethik des frühneuzeitlichen Protestantismus“ (S. 139ff.) nach, dass der Tierschutzgedanke im Wesentlichen von protestantischen Geistlichen wie Gerber, Scriver und Spener entwickelt worden und vornehmlich von württembergischen Pietisten aufgegriffen worden sei. Im Winter 1837/1838 entstand in Stuttgart der erste deutsche Tierschutzverein.

Aus der Sicht der „Historisch-Philologischen Bezeichnungsforschung“ geht Hans Höfinghoff den Tieren in den frühmittelalterlichen Leges nach (S. 167ff.). Dietlinde Munzel-Everling beschreibt die zahlreichen Tierdarstellungen in den Sachsenspiegel-Bilderhandschriften, für die sich in den „nachfolgenden Jahrhunderten im rechtlichen Bereich nichts Vergleichbares“ findet. Parallel zum Beitrag Munzel-Everlings widmet sich Bernd Kannowski den Tieren im Schwabenspiegel (S. 211ff.) mit drei „dominanten Themenfeldern“ (Schaden durch Tiere, Schaden an Tieren und Eigentum an Tieren). Abschließend erläutert er mehrere ganzseitige Abbildungen aus der illustrierten Brüsseler Handschrift des Schwabenspiegels. Dieser berücksichtigt nach Kannowski stärker die Perspektive „von adeligem Rittertum und höfischer Kultur“ (S. 230), während im Sachsenspiegel die ländlich-bäuerliche Lebenswelt im Vordergrund stehe. Michael Prosser-Schell stellt einige „seltsam anmutende Artikel zum Umgang mit Tieren“ in „Dingrecht- und „Offnungs“-Texten heraus (S. 243ff.; u. a. Besthaupt, Zinshühner, Gastung für durchziehende Tierherden, Freikauf von Haushühnern). Das römische Recht ließ – so Andreas Wacke in seinem unterhaltsamen Beitrag: „Der Vogel Strauß als frühes Beispiel für Gesetzesanalogie: ein Phantasma? Grenzfragen der römischen Tierhalterhaftung“ (S. 265ff.) – in Anlehnung an die Haftung für Vierbeiner nach dem Zwölftafelgesetz mit der actio utilis auch eine Haftung für Schäden von Zweifüßlern (auch für den Vogel Strauß) zu. Martin P. Schennach thematisiert in seinem Beitrag „Jagdrecht, Wilderei und ‚gute Policey‘. Ordnungsvorstellungen in der Frühen Neuzeit“ (S. 309ff.) die Monopolisierung der Jagd bei Adel und Landesfürsten und die umfangreiche Wildereigesetzgebung mit zum Teil „drastischen Strafdrohungen“. Hans-Georg Hermann beschreibt in seinem Beitrag „Zur Stellung der Tiere im Almrecht“ (Tiere als Vermögens- und Haftungsobjekt, Ressourcenkonkurrenz, Konkretisierung und Quantifizierung von Weiderecht, Fluchtrechte und Tiere als Schadensquelle). Kurt Andermann erläutert die Funktion der Zinshühner im „Spiegel der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Überlieferung als Rekognitionszinse (S. 365ff.). Dem umfangreichen Beitrag von Gisela Wilbertz: „Der Abdecker und das Tier – ein komplexes Verhältnis“ (S. 377ff.) ist zu entnehmen, dass der Abdecker zwar primär für die Beseitigung von Tierkadavern und deren Verwertung zuständig, darüber hinaus aber auch als „Tierheiler“ tätig war. Tiere waren die Verursacher der „Unehrlichkeit“ des Abdeckereiberufs. Mit Einführung der Gewerbefreiheit im 19. Jahrhundert fanden die Abdeckerprivilegien ein Ende (in Preußen erst 1872). Die Abdeckerei wurde zunehmend durch die bald einsetzende Professionalisierung industriell betrieben und erstmals zentral geregelt durch das Tierkörperbeseitigungsgesetz vom 1. 2. 1939 (vgl. auch die Tierseuchengesetze von 1880 an und das Gesetz über die Beseitigung von Tierkadavern vom 17. 6. 1911).

 

Im Abschnitt über „Tiere im Strafrecht: ‚Täter‘, ‚Opfer‘ und ‚Objekt‘“ geht Peter Dinzelbacher auf Strafprozesse gegen Tiere ein, die nicht rein fiktiv waren, sondern von der zweiten Hälfte des 13. bis zum beginnenden 17. Jahrhundert stattgefunden hatten (S. 413ff.). Lesenswert sind insbesondere die „rechtsgeschichtlich-immanenten“, religionswissenschaftlichen, sozialpsychologischen und qualitätsgeschichtlichen Versuche zur Erklärung des Phänomens der Tierprozesse. Der Beitrag Stephan Meders handelt von der „Todesstrafe des Hängens mit Wölfen und Hunden“ (S. 463ff.), während Andreas Deutsch allgemein die Rolle des Tieres bei der Strafvollstreckung gegen Menschen untersucht (S. 449ff.). Die Sexualität zwischen Mensch und Tier („Bestialität“) ist Gegenstand der Abhandlung von Francisca Loetz und Aline Steinbrecher in ihrem Beitrag: „ ‚Bestialität‘: Tierliche Kriminalität im frühneuzeitlichen Zürich“ (S. 487). Wolfgang Schild befasst sich in seinem Beitrag mit „Tiergestalten und Hexereiverbrechen“ (S. 511) insbesondere mit „Nicht-Tieren“ in Tiergestalt, den Teufelsdämonen und vor allem den „Hexenleuten“.

 

Im Abschnitt „Tiere und Recht in Sprache und Kultur“ befassen sich Georg Scheibelreiter mit dem Tier als „Symbolträger in der Heraldik“ (S. 559ff.) und Johannes Tripps mit „Tierdarstellungen in rechtlichen Kontexten: Franz von Assisi und der Wolf von Gubbio“ (S. 581) sowie Anja Lobenstein-Reichmann mit „Tiermetaphern, nicht nur im Recht“ (S. 593ff.). In ihrem Beitrag betrachtet Jana Jürgs Aspekte des Rechts (Konzeption von Recht, Verhältnis von Recht und Macht) in den Reineke-Fuchs-Epen von 1539 (niederdeutsch) und von 1544 (hochdeutsch) unter Berücksichtigung der Reineke-Fuchs-Fassungen von 1498 und 1650 (S. 619ff.). Nach Jürgs beruht die Fassung von 1539 auf einem pessimistischen Weltbild und einer konservativen Gesinnung, während die Fassung von 1544 die „Existenz eines auf innerweltlich-moralisch-menschlichen Grundlagen basierenden Rechts- und Machtsystems postuliert“ (S. 631). Nach Ulrich Kronauer – so in seinem Beitrag: „Von der Grausamkeit gegen Tiere in der französischen und deutschen Aufklärung“ – lehnten der Freiherr von Knigge (Über den Umgang mit Menschen, 1790) und Rousseau (1755) Grausamkeiten gegen Tiere ab, welch letzterer sich auch gegen das Verzehren von Tieren wandte, während das Zedlersche Universallexikon (Bd. 11, 1735) und die Encyklopädie von Krünitz (Bd. 46, 1789) Rücksichtslosigkeiten gegen Tiere nicht entgegentraten.

Der Band wird abgeschlossen mit einer Übersicht über die Autoren des Bandes, einem Abbildungsverzeichnis, einem Personen- und Tierverzeichnis sowie mit einem aussagekräftigen Stichwortregister. Eine Gesamtbibliografie zur Thematik des Bandes wäre erwünscht gewesen. Die Entwicklungen über das „Tier im Recht“ sind zwar für das 19. und 20. Jahrhundert auch berücksichtigt; doch hätte man sich hierzu teilweise eine etwas breitere Darstellung gewünscht. Das Werk dokumentiert die große Bedeutung der Tiere insbesondere im Mittelalter und in der frühen Neuzeit und erschließt mit seinen rechtshistorischen, auch interdisziplinär ausgerichteten Beiträgen aus der Kunstgeschichte sowie der Literatur- und Sprachwissenschaft das „Tier in der Rechtsgeschichte“ erstmals in nahezu enzyklopädischer Breite. Das lesenswerte, von Andreas Deutsch und Peter König herausgegebene Werk ist ein Fundgrube für die Thematik des Bandes und vermittelt zahlreiche Anregungen für die weitere Forschung zum „Tier in der Rechtsgeschichte“.

 

Kiel

Werner Schubert