Conze, Eckart, Die große Illusion. Versailles 1919 und die Neuordnung der Welt. Siedler, München 2018. 558 S., Abb., Kart. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Der in dem Streben nach Macht 1914 von dem Kaiser Österreich-Ungarns gegenüber dem von Russland und Frankreich gestützten Königreich Serbien erklärte Krieg war ein Fehler, aus dem gleichwohl allgemein günstigere Folgerungen hätten gezogen werden können. Nach dem Siege der alliierten Mächte hätten diese den weiteren Verlauf der Weltgeschichte dadurch gestalten können, dass sie sich nachhaltig und entschieden für einen Ausgleich der gegenläufigen Interessen eingesetzt hätten. Dadurch wäre freilich die klare Unterscheidung zwischen Gewinnern und Verlierern sowie zwischen berechtigten Interessen und nichtberechtigten Interessen in Gefahr geraten.

 

Der in Coburg 1963 geborene, in Erlangen, Bonn und Köln sowie an der London School of Economics in Geschichte, Politikwissenschaft und öffentlichem Recht ausgebildete, in Erlangen bei Michael Stürmer mit der Dissertation Hegemonie durch Integration – Deutsch-französische Beziehungen in der amerikanischen Europapolitik promovierte, in Tübingen 1999 mit der fragenden Arbeit Adel im Niedergang an Hand familienbiographischer Studien über die Grafen von Bernstorff in dem 20. Jahrhundert habilitierte und seit 2003 in Marburg für neuere und neueste Geschichte tätige Verfasser widmet sich in dem vorliegenden, mit Karten des Deutschen Reiches und wichtigen Teilen Europas und zahlreichen Abbildungen versehenen Werk dem Kern dieser schon vielfach behandelten Thematik. Gegliedert ist die neue gewichtige, in dem größten Teil des Manuskripts in Genf von Februar bis April 2018 entstandene Untersuchung nach einer Einleitung mit Fragen an einen Frieden in drei Teile. Sie betreffen Wege aus dem Krieg zwischen 1916 und 1918, das Schließen des Friedens 1919/1920 und den Weg von Versailles zu dem Zweiten Weltkrieg.

 

In seinem Ergebnis verbindet der Verfasser das Scheitern des Friedens mit der Komplexität der Erwartungen, dem die Friedenskonferenz nicht gerecht werden konnte. Nationale Öffentlichkeiten und ganz unterschiedliche Vertreter partikularer Interessen übten nach seinen Erkenntnissen Druck auf die Verhandlungsführer und die Verhandlungen, von dem sich keiner der Handelnden hinreichend lösen konnte. Vor allem der Hass zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich wirkte auf den Vertrag ein, der deswegen kein Friede sein konnte, sondern nur eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, so dass die damit verbundene Demütigung der ihre Kriegsschuld bestreitenden Deutschen letztlich keine Akzeptanz des Ergebnisses, sondern nur die Hoffnung auf eine spätere, auf welche Weise auch immer mögliche Veränderung bewirkte, weshalb die Ordnung in Versailles nur instabil und kurzlebig wirken und als Illusion zu vielfacher nachhaltiger Enttäuschung führen konnte.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler