Bergstermann, Sabine, Stammheim. Eine moderne Haftanstalt als Ort der Auseinandersetzung zwischen Staat und RAF (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 112). De Gruyter/Oldenbourg, Berlin 2016. VIII, 338 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

In dem Laufe seiner Geschichte hat der Mensch zwecks Verbesserung seiner Lebensverhältnisse allmählich den Staat entwickelt und seitdem ist die Gefahr entstanden, dass der Staat mehr und mehr den Menschen zu beherrschen versucht und beherrscht. Dadurch werden nicht mehr nur Lebensverhältnisse für den Einzelnen verbessert, sondern wird der Einzelne auch in seinen Rechten und Möglichkeiten  eingeschränkt. Die jeweils optimale Balance zwischen beiden Bestrebungen ist schwierig und deswegen auch immer wieder in Einzelfällen umstritten.

 

Einen bekannten Sonderfall dieser Problematik behandelt die nach Studium und Promotion als Mitarbeiterin des strategischen Innovationszentrums der Polizei Bayerns tätige Verfasserin in ihrer von Martin Geyer betreuten, von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützten und in dem Sommersemester 2013 in der neueren/neusten Geschichte der Universität München angenommenen Dissertation über die Justizvollzugsanstalt Stammheim bei Stuttgart. Diese interessante Arbeit gliedert sich nach einem kurzen Vorwort in neun Abschnitte. Sie betreffen  ein Gefängnis als fragliches Symbol für einen tödlichen Ort in bleierner Zeit, das Verhältnis von Strafrechtsreform  und innerer Sicherheit, die umstrittene Organisation des Haftvollzugs, die Haftbedingungen und Strategien der Roten Armee Fraktion vor Stammheim, die tatsächlich von dem Staat den Gegnern gewährten Privilegien der Roten Armee Fraktion in Stammheim, legislative Reaktionen und Prozess neben Stammheim, Stammheim in dem so genannten deutschen Herbst, den Diskurs über den Staat in Zusammenhang mit Stammheim und schließlich die Frage, was nach Stammheim bleibt.

 

Ziel des ersten, verschiedenen früheren Skandalen um Inhaftierungen folgenden Neubaus eines Gefängnisses in der Bundesrepublik Deutschland in als modern geltendem Beton des Jahres 1963 war eigentlich eine humane, reformierte und kostensparende Haftanstalt, in welcher der siebte Stock ursprünglich für jugendliche Gefangene vorgesehen war. Seit dem zwischen 1975 und 1977 in einem Gerichtssaal neben dem Hafthochhaus durchgeführten Strafverfahren gegen Mitglieder der die Zerstörung des Staates anstrebenden Roten Armee Fraktion wurde die Haftanstalt zu einem Symbol der erbitterten Verfolgung von Staatsgegnern durch den sich bedroht fühlenden Staat. Auf der Grundlage vieler Quellen untersucht die Verfasserin sorgfältig die mit der Selbsttötung der bekanntesten Beteiligten endende Auseinandersetzung zwischen dem über die Durchsetzungsgewalt verfügenden Staat und einigen ihn in dem Rahmen ihrer Möglichkeiten angreifenden und von einem gewissen Umfeld medial wirksam gestützten, vor Straftaten nicht zurückschreckenden Einzelnen, ohne dass dadurch alle Einzelfragen abschließend nachträglich aufgeklärt werden können.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler