Furchtlose Juristen. Richter und Staatsanwälte gegen das NS-Unrecht,  hg. v. Maas, Heiko. Beck, München 2017. 333 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Der Herausgeber nimmt in seinem Geleitwort über die positive Seite der Erinnerung seinen Ausgang von Rolf Hochhuth, der in einem Aufsehen erregenden Vorgang Hans Filbinger (1913-2007), der von einem früheren Richter der Wehrmacht des Deutschen Reiches in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft zu dem Ministerpräsidenten des demokratischen Bundeslands Baden-Württemberg aufgestiegen war, 1978 wegen der Mitwirkung an (vier) Todesurteilen einen furchtbaren Juristen genannt hatte. Daran hatte Ingo Müller (Nordböhmen *1942, von 1995 bis 2008 Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung – Fachbereich Polizei – in Hamburg) 1987 mit einem bis 2014 in sieben überarbeiteten Auflagen veröffentlichten Werk über die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz angeknüpft. Darin wurde dargelegt, wie die Justiz mitgeholfen hatte, die nationalsozialistische Herrschaft aufrechtzuerhalten, den Rechtsstaat zu zerstören und politische Gegner zu vernichten und dabei den Völkermord an den Juden Europas und die Massenmorde an Behinderten, Homosexuellen, „Asozialen“, Sinti und Roma, Polen und Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion mitvorbereitet und bei der Ausführung mitgewirkt hatte.

 

Auf dieser Grundlage entstand lange Jahrzehnte nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft die weit verbreitete Ansicht, dass die überwältigende Mehrheit der Justizjuristen des Deutschen Reiches zwischen 1933 und 1945 Mitläufer oder gar Mittäter der Verbrechen waren. Dieses Bild ergänzt das nach dem Geleitwort des Herausgebers beschämend schmale vorliegende Buch mit der Versuch der Erinnerung an die nur wenigen Richter und Staatsanwälte, die sich während der nationalsozialistischen Herrschaft erkennbar dem Unrecht entgegengestellt haben. Es hat nach seiner Ankündigung unmittelbar das Interesse eines sachkundigen Rezensenten erweckt, so dass es an dieser Stelle genügt, auf wenige Umstände vorweg aufmerksam zu machen

 

Erfasst sind nach einer Einführung Johannes Tuchels über Möglichkeiten und Grenzen des Widerstands von Richtern und Staatsanwälten insgesamt siebzehn Biographien - Bräuninger, Friedrich (1877-1942), Dohnanyi, Hans von (1902-1945), Ehret, Wílhelm (1898-1982), Gauger, Martin (1905-1941), Heldmann, Heinrich (1871-1945), Husen, Paulus van (1891-1971), Kreyßig, Lothar (1898-1986), Lenz, Otto (1903-1957), Mosler, Karl (1872-1946), Reichling, Karl (1888-1978), Sauerländer, Johann David (1881-1969), Steinmetz, Karl (1893-1955), Strassmann, Ernst (1897-1958), Weiler, Alfred (1898-1990), Wintersberger, Karl (1880-1970), Hartinger, Josef, (1893-1984) und Zürcher, Paul (1893-1980) – sechzehner Autoren (darunter auch Ingo Müller) des gesamten schwarz-weiß gehaltenen Bandes. Wie die furchtbaren Juristen keine Furcht erzeugen hätten müssen, hätten auch die furchtlosen Juristen eigentlich keine Furcht haben müssen, weil sie ja nur das von der Gesellschaft gewollte Recht auf Mitmenschen anzuwenden hatten. Weil das Recht aber die subjektive Entscheidung eröffnet und der Mensch im oft gefälligen Dienste der Macht auch davon aus unterschiedlichsten Beweggründen in vielfältigen Hinsichten Gebrauch macht, verdient die Minderheit, die dabei persönlichen Mut gegenüber Druck oder Gefahr zeigt, ehrende Anerkennung, wie sie das vorliegende Buch gegenüber wenigen, deren Namen überwiegend längst vergessen sind, beispielhaft versucht.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler