Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats (RHR). Serie II Antiqua, hg. v. der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Österreichischen Staatsarchiv, Band 3 Karton 135-277f., hg. v. Sellert, Wolfgang, bearb. v. Rasche, Ulrich. Erich Schmidt, Berlin 2016. 883 S. Besprochen von Bernd Schildt.

 

Die Erschließungsarbeiten der Akten des Kaiserlichen Reichshofrats schreiten zügig voran. Nach dem Abschluss der Arbeiten an den „Alten Prager Akten“ (APA) liegt nunmehr bereits der dritte Band des weitaus umfangreicheren Bestandes der Serie II „Antiqua“ (ca. 16.000 in 1.084 Kartons verwahrte Akten) vor. Überliefert sind Akten des 16. bis 18. Jahrhunderts, wobei das Schwergewicht im 17. Jahrhundert liegt und der Bestand insoweit zeitlich an die Alten Prager Akten (schwerpunktmäßig aus dem 16. Jahrhundert) anschließt. Im Ergebnis einer am Ende des 18. Jahrhunderts ansatzweise versuchten – aber nach der Auflösung des Reichshofrats nicht weiter betriebenen – Neuordnung der Judizialakten des Reichshofratsarchivs wurden die Akten mit den nach den Klägernamen geordneten Buchstaben A-G (und die ersten 17 Akten des Buchstaben H) allerdings aus dem Bestand entnommen und zum größten Teil in die neu gebildeten Serien „Decisa“ (entschiedene bzw. liegengebliebene Prozesse), zum geringeren Teil in die Serie „Obere Registratur“ (seinerzeit noch laufende Prozesse) eingeordnet. Deshalb finden sich in den „Antiqua“ heute „nur“ noch die Klägerbuchstaben H-Z (ausgenommen H 1-17). Die Beschränkung der Verzeichnung auf die „Antiqua“ ist unter pragmatischen Gesichtspunkten zwar durchaus nachvollziehbar, bleibt aber gleichwohl für die rechtshistorische Forschung bedauerlich. Für die beiden  Serien „Decisa“ und „Obere Registratur“ bleibt die Forschung weiterhin auf die inhaltlich eher bescheidene Verzeichnung im heute auch in digitaler Form als Access-Datenbank verfügbaren Wolfschen Repertorium angewiesen.

 

Im vorliegenden dritten Band sind 1.153 Akten aus den Kartons 135-277f. mit den Klägerbuchstaben K-M nachgewiesen. Damit sind nunmehr 2.821 der geschätzten 16.000 Akten dieses Bestandes (ca. 18 %) erschlossen. Die Verzeichnung folgt mit einigen bestandsspezifischen Modifizierungen den bereits für die APA gültigen und sich an den Verzeichnungsrichtlinien für das Reichskammergericht orientierenden Verzeichnungskategorien: 1. Aktenserie, 2. Signatur, 3. Historischer Findbehelf, 4. Kläger(in)/Antragsteller(in)/Betreff, 5. Beklagte(r)/Antragsgegner(in), 6. Laufzeit, 7. Reichshofratsagenten, 8. Verfahrensgegenstand – zeitgenössische Formulierung, 9. Verfahrensgegenstand – moderne Beschreibung, 10. Vorinstanzen, 11. Entscheidungen, 12. Enthält, 13. Bemerkungen (Altsignatur, Überlieferungs-, Ordnungs- und Erhaltungszustand), 14. Umfang (Folien). Die Angaben zu Ziffer 3 "Historischer Findbehelf" entfallen bei der Verzeichnung, da Findbehelfe für die Serie „Antiqua“ nicht vorliegen; insoweit ist die Angabe auf dem (erfreulicherweise vorhandenen) Lesezeichen missverständlich. Der inhaltlichen Erschließung des Bandes dienen umfangreiche Indices: 1. Chronologische Konkordanz (S. 709-715). 2. Register der Reichshofratsagenten (S. 717-726), 3. Register der Vorinstanzen, juristischen Fakultäten und Schöppenstühle (S. 727-729), 4. Personen- und Ortsregister (S. 731-820) 5. Sachregister (S. 821-868), 6. Signaturenkonkordanz (S. 869-883).

 

Anders als das Reichskammergericht war der Reichshofrat keine reine Gerichtsinstanz, sondern übte in nicht unbeträchtlichem Umfang auch Verwaltungstätigkeit aus, was bei quantifizierenden Vergleichen beider Institutionen immer in Rechnung zu stellen ist. Vor diesem Hintergrund sind die bekannten Vorwürfe der Reichsstände, mit der verbreiteten Praxis der Einholung eines votum ad imperatorem durch den Reichshofrat würde dessen Unabhängigkeit desavouiert werden, sachlich unbegründet, denn diese Sichtweise verkennt, dass der Reichshofrat eben nicht wie das Reichskammergericht „lediglich“ höchstes Reichgericht sondern oberste Justiz- und Regierungsbehörde zugleich gewesen war (Sellert). Insoweit sich der Reichshofrat als dem Reichskammergericht übergeordnet verstand, agierte er nicht als Gericht sondern eher als eine – modern gesprochen – Justizaufsichtsbehörde. Konkurrenz zwischen beiden Gerichten gab es wohl nur in Zuständigkeitsfragen. Der Reichshofrat folgte dabei dem Grundsatz, dass bereits am Reichskammergericht anhängige Sachen auch dort zu entscheiden seien und hob deshalb in einem Fall sogar seine eigene bereits ergangene Entscheidung (Nr. 544) auf.

 

Die inhaltliche Bandbreite der Streitigkeiten mit denen der Reichshofrat befasst gewesen war, ist beträchtlich. Neben einigen (wenigen) Strafsachen, für die das Gericht anders als das Reichskammergericht eine Zuständigkeit besaß, finden sich zahlreiche Religionsprozesse, Untertanenprozesse und Verfahren mit wirtschaftlichem Hintergrund (Druckprivilegien, Darlehen, Kauf, Schuldverschreibungen, Besitzrecht), ferner Prozesse lehenrechtlichen und verfassungsrechtlichen sowie familien- und erbrechtlichen Inhalts. Für das Lehnswesen verfügte der Reichshofrat ebenso wie bezüglich kaiserlicher Reservatrechte und Prozessen aus Reichsitalien über eine ausschließliche Zuständigkeit. Breiten Raum nahmen auch prozessuale Fragen und gerichtsinterne Probleme ein. Außerhalb der judiziellen Tätigkeit gingen beim Reichshofrat zahlreiche Suppliken und Fürbittschreiben ein.

 

Da die Auswertung einzelner Inventarbände der Reichshofratsakten anders als beim Reichskammergericht (wegen der hier regional nach Bundesgliedern erfolgten Aufteilung der Prozessakten) keinen Überblick über die Inanspruchnahme des jeweiligen Gerichts aus einzelnen Regionen und bezogen auf bestimmte Sachgegenstände und zeitliche Schwerpunkte zu gewähren vermag, bleibt zu hoffen, dass auch die Reichshofratsinventare alsbald in der Bochumer Datenbank zur Rechtsprechung des Reichskammergerichts erfasst werden können. Sie würde damit zu einer Datenbank der Höchstgerichtsbarkeit im Alten Reich erweitert werden und vergleichende Untersuchungen zu den beiden höchsten Reichsgerichten wesentlich erleichtern.

 

Jatznick                                                                                                        Bernd Schildt