War die „Vertreibung“ Unrecht? Die Umsiedlungsbeschlüsse des Potsdamer Abkommens und ihre Umsetzung in ihrem völkerrechtlichen und historischen Kontext, hg. v. Koch, Christoph. Lang, Frankfurt am Main 2015. XV, 403 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Jede Vertreibung ist eine Handlung eines Beteiligten gegenüber einem zweiten Beteiligten. Wegen ihrer jeweiligen Interessen können die beiden Beteiligten die Handlung unterschiedlich sehen, einstufen und werten. Der Vertreiber wird Gründe anführen können, warum er vertreibt, der Vertriebene wird diese Gründe in Zweifel ziehen und als Unrecht ansehen können oder dürfen.

 

Mit der Vertreibung (oder vorsichtshalber „Vertreibung“) als Umsetzung des Potsdamer Abkommens in ihrem völkerrechtlichen und historischen Kontext beschäftigt sich der vorliegende Sammelband. Bereits bei seinem Bekanntwerden erweckte er das besondere Interesse eines sehr sachkundigen Rezensenten. Da der Verlag ihm bisher kein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellen konnte, müssen an dieser Stelle wenige allgemeine Hinweise des Herausgebers genügen.

 

Das vorliegende interessante Werk umfasst nach einem Grußwort Rudolf von Thaddens und einer Abhandlung des in Slawistik, Baltologie, Byzantinistik und Indogermanistik in Bonn und München ausgebildeten, für vergleichende und indogermanische Sprachwissenschaft an der Freien Universität in Berlin tätigen Herausgebers über Unrecht 13 Beiträge. Sie gliedern sich in eine juristische Sektion mit vier Beiträgen und einen literarischen Exkurs und in eine historische Sektion mit acht Beiträgen, wobei Tilo Marauhn mit einem völkerrechtlichen Rückblick auf die Umsiedlungsbeschlüsse von Potsdam (zugleich ein Plädoyer für zukunftsorientierte Vergangenheitsbewältigung) beginnt und Anja Mihr mit einer Studie über Transitional Justice und Demokratisierung in dem Kontext von Flucht und Vertreibung schließt. Daneben werden das Menschenrecht auf Heimat, Schuld und Verantwortung, die deutsche Minderheit in der Tschechoslowakei, die deutschsprachige Nachkriegsliteratur, der Weg von  dem Bevölkerungstransfer zum Vertreibungsverbot, Ursachen und Ereignis von Flucht und Verreibung der ostdeutschen Bevölkerung zwischen 1944 und 1947/1948, die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus Polen als Folge des zweiten Weltkriegs, die Aussiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei, der Bund der Vertriebenen, der deutsche Angriff auf Polen und die deutsch-polnische Auseinandersetzung um die Termini Vertreibung oder Zwangsumsiedlung betrachtet, wobei die vielfältigen bedeutsamen Einsichten zu Recht und Unrecht in der Geschichte ein Sachregister benutzerfreundlich aufschließen hätte können.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler