Von Sachsen-Anhalt in die Welt. Der Sachsenspiegel als europäische Rechtsquelle, hg. v. Lück, Heiner (= Signa iuris 14). Junkermann, Halle an der Saale 2015. 259 S., 3 farb. Abb., 21 andere Abb., 1 Kart. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

 

Der Titel des vorliegenden Sammelbandes verweist auf das Bundesland, das durch einen namhaften Druckkostenzuschuß zum Erscheinen des Bandes beigetragen hat. Zu Zeiten Eikes von Repgow lag seine Heimat im Lande der Askanier, für das sich später die Bezeichnung Anhalt durchsetzte. Als 2012 das 800. Jubiläum Anhalts gefeiert wurde, nahm man das Todesjahr Bernhards von Anhalt oder das Jahr des Regierungsantritts Heinrichs I. zum Anlass für die Jubiläums-Feier. In den Rahmen dieser Jubiläums-Feier wurde im Oktober 2012 in Köthen eine Tagung mit dem Rahmenthema ‚Der Sachsenspiegel als europäische Rechtsquelle‘ veranstaltet. Neun Vorträge dieser Tagung sind in dem Band wiedergegeben. Die Referenten aus Japan, Tschechien, Polen, Litauen, Belgien, Russland, Ukraine, Spanien und Rumänien konnten ihre Beiträge fertig stellen, Beiträge aus Ungarn, Weißrussland und Estland werden wohl an anderer Stelle veröffentlicht. Ziel der Tagung und damit des Bandes soll es nach den Worten des verdienten Sachsenspiegelspiegelforschers Heiner Lück sein, einen kleinen Ausschnitt aus der ‚weiträumigen Wirkungsgeschichte des wichtigsten deutschen Rechtsbuchs und des berühmten Stadtrechts von Magdeburg‘ zu liefern. D. Sato (S. 9-22) gibt einen interessanten Überblick über die Forschung in Japan zum Sachsenspiegel. Als sich Japan im 19. Jahrhundert im Verlaufe der Mejii Restauration zur Einführung eines Rechtssystems nach europäischem Vorbild entschloss, lernten japanische Professoren den Sachsenspiegel und seine Bedeutung für das deutsche Zivilrecht kennen. Hieraus ergab sich in den folgenden Jahrzehnten bis zur Gegenwart ein andauerndes Interesse am Sachsenspiegel. Die daraus erwachsene Literatur, bis hin zu Übersetzungen des Sachsenspiegels ins Japanische, ist in einer erfreulichen Übersichtlichkeit zitiert. Im folgenden Beitrag zum Magdeburger-Leitmeritzer Recht in Böhmen (S. 23-40) wird dieses mit dem Prager Recht verglichen. Deutlich wird in dem Beitrag, dass hier noch erheblicher Forschungsbedarf besteht, um die Deutungen, die das Recht besonders in der Zeit zwischen 1947 und 1989 erfahren hat, an den Überlieferungszeugen neu zu durchdenken. Ob das Heilige römische Reich jemals in der Lage war, das Leitmeritzer Recht zu beeinflussen, muss sehr infrage gestellt werden. Wer oder welche Institution hätte diese Beeinflussung leisten können oder dürfen? A. Gulczy´nski widmet sich (S. 41-80) den Illustrationen in Leipzig, Krakau, Lemberg und Posen herausgegebener Drucke von Rechtstexten, die zwischen 1488 und 1616 erschienen. Der Beitrag gibt einen wertvollen Einblick in die Entstehungsgeschichte der Drucke und das Bildprogramm der Drucke. Die zahlreichen Abbildungen zeigen eine Vielfalt von Darstellungen, wie sie aus vergleichbaren deutschen Drucken von Rechtstexten nicht überliefert sind. Beachtlich ist, dass Drucke von 1535 (Abb. 6) und 1581 (Abb. 18) ein übereinstimmendes Rankenwerk auf dem Titelblatt aufweisen. Die Darstellung der Erbfolge (Abb. 17) findet Entsprechungen in Drucken der Stadtrechtsreformationen, die im 16. Jahrhundert erschienen. Der Autor gibt mit seinem Beitrag eine Anregung zu Forschungen in deutschsprachigen Drucken dieser Zeit. Der Einführung des Magdeburger Rechts und des Sachsenspiegels im Großfürstentum Litauen (S. 81-103) widmet sich der folgende Beitrag. Gerade die Verbindung zum römischen Recht, das seit Beginn des 16. Jahrhunderts durch in Italien und Frankreich ausgebildete Juristen in Litauen an Bedeutung gewann, ist dargestellt. Da ähnliche Studien zur Übernahme des Magdeburger Rechts in Polen in dieser Zeit sich auf die in dem Beitrag genannten Drucke von Rechtstexten stützen, ist der Gewinn an neuen Erkenntnissen gering. Die Werke von Jaskier, Groicki und Szcerbicz waren schon mehrfach Gegenstand von Studien zur Rechtsübernahme, so dass wohl allmählich das über lange Zeit bestehende Informationsdefizit beseitigt ist. In diesem Zusammenhang ist die weitere Studie (S. 211-222) zur Anwendung des Sachsenspiegels in der Ukraine und seine Aufnahme in das Litauische Statut zu sehen. D. Heirbaut stellt auf der Basis seiner Kenntnis des Lehnrechts in Flandern die interessante These (S. 106-122) auf, dass Eike von Repgow zuerst das Lehnrecht des Sachsenspiegels niedergeschrieben hat und ihm erst später das Landrecht folgen ließ. Gerade angesichts der jüngst verbreiteten These J. Weinerts (Halle/Saale), das Lehnrecht stamme überhaupt nicht von Eike von Repgow, verdient der Beitrag nicht geringe Aufmerksamkeit. Heirbaut hat seine Überlegungen in der Festschrift für Jürgen Weitzel (2014) weiter geführt. Neu ist seine Überlegung, dass Eike von Repgow Vorsprecher in einem Lehnsgericht war und nicht, wie bisher vermutet, Schöffe. Die Auseinandersetzung Weinerts in seiner Habilitationsschrift mit Heirbaut verdient gespannte Aufmerksamkeit. Im umfangreichsten Beitrag (S. 123-209) schreibt A. Rogatschewski ‚zur Rezeptionsgeschichte des Magdeburger Rechts in Russland: Die Stadt Belyj (17.-18.Jh.)‘. In beeindruckender Weise sind hier die Schwierigkeiten historischer Forschung geschildert. Erst anhand der Beschreibung des Schicksals einer Ortschaft in einem Grenzland mit Zerstörungen und Wechseln der Zugehörigkeit während dreier Jahrhunderte kann ermessen werden, welcher Verlust an Quellen in dieser Zeit eingetreten ist. Hinzu kommt die Schwierigkeit, derartige Studien zu finanzieren. Rogatschewski lässt erkennen, wie die Stimmung der Stadt sich auf seine Stimmung bei den Forschungen vor Ort auswirkt. Selten ist dies in einer wissenschaftlichen Studie zum Ausdruck gebracht. Zum Schluss der Abhandlung ediert er Urkunden aus der Litauischen Matrikel auf Belyj (1623-1625). Diese Proben zeigen, welcher Gewinn aus einer weiteren Edition dieses Quellenwerkes zu erwarten ist. Die beigegebenen Abbildungen zeigen durch ihre Herkunft aus verschiedenen Institutionen die Zerstreutheit der örtlichen Quellen auf. I. Czeguhns Beitrag ‚Rechtsbücher in Spanien‘ (S. 223 - 232) scheint auf den ersten Blick wenig zu dem Themenkreis zu passen, jedoch gibt er einen Einblick in die Fueros und die Foralrechte, die schon lange als verwandte Einrichtungen zu den Rechtsbüchern zur Kenntnis genommen wurden, wenn sich auch wenige Untersuchungen mit ihrem Inhalt und ihrer Entstehung befasst haben. Als eine Neuentdeckung stellt Czeguhn eine Constitution von 1251 vor, die vom Rat Kataloniens eingeführt wurde. Der Protokolleintrag aus dem Archivo de las Cortes de Aragón verweist darauf, dass man diese Gesetzessammlung erlässt ‚sicut habent speculum Saxoniae‘. Erfreulicherweise stellt der Autor eine besondere Studie in Aussicht, die wohl auch über die Wege berichten wird, auf denen die Kenntnis des Sachsenspiegels schon etwa 20 Jahre nach seiner Niederschrift in den Westen Europas gelangte. Dieser Fund eröffnet der Sachsenspiegelforschung neue Perspektiven, denn die Forschung in Dokumenten anderer Ständeversammlungen aus dem 13. und 14. Jahrhundert könnte zeigen, dass dies kein einzelner Zufallsfund ist. In den späten 1920er Jahren gab es durch die Görres-Gesellschaft in Spanien dort bereits Forschungen, die zu Spuren germanischen Rechts in einheimischen Quellen führten. Sie erhalten durch diesen Fund eine überraschende Aktualität. D. Moldt untersucht ‚Sächsisch-magdeburgisches Recht bei den Siebenbürger Sachsen‘ (S. 233-252). Im Wesentlichen hält er eine sorgfältige Studie des bekannten Codex Altemberger für erforderlich und gibt Anregungen zur Auswertung der in dem Codex überlieferten Rechtstexte. Leider erwähnt er nicht, ob er eine dieser Studien zu erarbeiten gedenkt.

 

Wie es bei derartigen Sammelwerken unterschiedlicher Autoren üblich ist, sind die Beiträge recht heterogen. Die redaktionelle Schlussarbeit lässt Wünsche offen; die Bearbeitung gerade bei Texten, die nicht in der Heimatsprache verfasst wurden, fehlte eine glättende Hand, so dass Schreibfehler  u. Ä. leider den Gesamteindruck mindern. Ein Register fehlt dem Werk.

 

Neu-Ulm                                                                                                       Ulrich-Dieter Oppitz