Vietta, Silvio, Die Weltgesellschaft. Wie die abendländische Rationalität die Welt erobert und verändert hat. Nomos, Baden-Baden 2016. 240 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Die Menschen der gesamten Welt haben neben zahllosen individuellen Einzelmerkmalen auch verschiedene gemeinsame Artmerkmale, zu denen vor allem ihr Verstand gehört. Mit seiner Hilfe haben sie sich im Laufe der Geschichte ihr Umfeld zu eigen gemacht und dabei möglichst für sich verändert. Das Verwenden der ratio lässt sich dabei verständlich als Rationalität bezeichnen.

 

Mit ihr beschäftigt sich der 1941 geborene, 1970 in Würzburg mit einer philosophischen Dissertation über Sprache und Sprachreflexion promovierte und zuletzt in Hildesheim als Professor für Literatur- und Kulturgeschichte tätige Verfasser seit vielen Jahren. Dementsprechend legte er bereits 1981 eine Untersuchung über neuzeitliche Rationalität und moderne literarische Sprachkritik vor. Seitdem hat er den Gegenstand von der  Beschränkung auf die Philologie gelöst und zeitlich-räumlich etwa durch Reisen nach Brasilien und Indien globalisiert.

 

Das vorliegende Werk gliedert sich auf dieser Grundlage nach einer Einleitung mit dem Ausgangspunkt der Weltgesellschaft als eines Produkts der Weltgeschichte in vier Kapitel über die Revolution der Rationalität mit der Entdeckung der Wissenschaft, die militärische Rationalität mit dem Kern der Phalanx, das Verhältnis von Rationalität und Religion und die Beziehung zwischen Rationalität und Reichtum. Demnach hat sich die Weltgesellschaft in einem Langzeitvorgang von 2500 Jahren auf der Grundlage der pythagoräischen Philosophie durchgesetzt, deren Erkenntnisse Aristoteles an Alexander den Großen vermittelte. Allerdings ist dieser Siegeszug der Rationalität auch verbunden mit der Asymmetrie von Macht, mit Rationalitätssiegern und Rationalitätsverlierern, mit Herrschaft und Unterdrückung sowie mit der Spaltung der Welt in arm und reich,, weswegen der Verfasser am Ende ansprechend für einen Paradigmawechsel der Rationalität plädiert, nämlich von einer ausbeuterischen Rationalität zu einer nachhaltigen Rationalität, in deren Rahmen die Erde nicht eines von vielen Verkaufsobjekten ist, sondern (jedenfalls bisher) der einzige Wohnort des Menschen in dem Kosmos, der neben Vernunft auch dem Glück einen festen Raum belassen muss oder soll.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler