Senfft, Alexandra, Der lange Schatten der Täter. Nachkommen stellen sich ihrer Familiengeschichte. Piper, München 2016. 352 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist eine besondere individuelle Beziehung, die beide Seiten einmalig und nachhaltig prägen kann. Kinder werden wesentlich auch durch ihre Eltern geformt und Eltern wahrscheinlich irgendwie auch durch ihre Kinder. Dementsprechend bewerten sie sich wohl lebenslang gegenseitig und manche Kinder wünschen sich ebenso andere Eltern wie manche Eltern andere Kinder.

 

Die Verfasserin ist die 1961 geborene Enkelin des von Adolf Hitler 1941 in die Slowakei gesandten Nationalsozialisten Hanns Ludin, der für Judendeportationen verantwortlich war und deswegen 1947 als Kriegsverbrecher gehenkt wurde, Die Mutter der Verfasserin zerbrach an dieser Herkunft und die Verfasserin leidet irgendwie an ihrer Mutter und an ihrem Großvater. Nach dem Studium der Islamwissenschaft wurde sie 1988 Nahostreferentin der Bundestagsfraktion der Grünen in dem deutschen Bundestag, danach Beobachterin  der Vereinten Nationen in der Westbank und bis 1991 Pressesprecherin der Vereinten Nationen im Gazastreifen. Nach einem Bericht über die gegenwärtige Situation der Presse in Jordanien (1989) legte sie als versierte internationale Journalistin 2007 eine deutsche Familiengeschichte unter dem Titel Schweigen tut weh vor.

 

In dem die gleiche Thematik betreffenden vorliegenden Werk will sie verstehen und erklären, wie sich die hergebrachten familiären Muster des Erzählens und Nichterzählens schwierigen Lebens durchbrechen lassen und warum es auch mehr als 70 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs wichtig sein kann oder muss, sich einer belasteten Vergangenheit zu stellen. Zu diesem Zwecke behandelt sie Oskar Gröning und Hanns Ludin und berichtet einfühlsam und spannend von den vielfältigen Schicksalen von Paula Albrecht, Quentin van der Heer, Barbara Fenner, Wolfgang Wagner, Ute Schenk, Illa Malterer, Hans Johann Scheringer, Freimut Duve, Stefan Ochaba und schließlich einer Reise nach Auschwitz und warum es trotz eines still vererbten Leides wichtig ist, zu lachen. Im Ergebnis ist ihr das im Kreise vieler gleichgesinnter, möglichst unbelasteter oder sich selbst befreiender  Freunde leichter mögliche Erinnern ein nötiger Auftrag in der Gegenwart für die Zukunft, zumal Menschen wie ihr hingerichteter Großvater im Dienste von Selbstsucht, Eigennutz, Verblendung und Gehorsam auch jetzt noch etwa im Gewande von Pegida oder einer Alternative für Deutschland Fremdes wie Flüchtlinge oder Islam abweisen, ohne dass dies einer umfassenden, von der Verfasserin befürworteten Menschlichkeit entsprechen kann.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler