Mit Freundschaft oder mit Recht? Inner- und außergerichtliche Alternativen zur kontroversen Streitentscheidung im 15.-19. Jahrhundert, herausgegeben von Cordes, Albrecht, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien, 2015, 291 S.  Besprochen von Reinhard Schartl.

 

Der Band enthält die meisten Vorträge des wissenschaftlichen Kolloquiums der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung, zugleich Jahrestagung des Frankfurter LOEWE-Schwerpunkts „Außergerichtliche und gerichtliche Konfliktlösung“, das vom 2. bis 4. 10.2013 in Wetzlar abgehalten wurde, sowie zwei nur schriftlich vorliegende Referate. Wie der Herausgeber, der Frankfurter Rechtshistoriker Albrecht Cordes, im einleitenden Beitrag „ ,Mit Freundschaft oder mit Recht‘ Quellentermini und wissenschaftliche Ordnungsbegriffe“ belegen kann, stellen die beiden Formeln „mit Freundschaft oder mit Recht“ und „mit Minne oder Recht“ entgegen einer früheren Meinung nicht lediglich gerichtlich-formelles und außergerichtliches Verfahren einander gegenüber. Vielmehr scheinen auch andere Deutungen möglich, wobei „mit Recht“ ein klares Profil habe, während „mit Minne“, „mit Freundschaft“ oder „gütlich“ begrifflich diffus seien. Philipp Höhn stellt in seinem Beitrag „Verflechtungen der Streitschlichtung? Zum Austrag kaufmännischer Interessenkonflikte im Hanseraum (1365-1435)“ die allerdings nicht überraschende These auf, dass einvernehmliche, konsensuale Konfliktbeilegungen besonders effektiv gewesen seien, da sie einen schnellen und nachhaltigen Interessenausgleich versprachen, dessen Wirksamkeit auf der verbindlichen Zustimmung der Konfliktparteien beruhte. Der Verfasser ermittelt, dass sich besonders städtische Führungsgruppen wie die Ratsherren als Vermittler betätigten, wobei ihnen Amt, Reputation, diplomatische Beziehungen und Verbindungen zu Herrschern neben Verhandlungsgeschick und Zugang zu Informationen zustattenkamen. Ute Rödel als ausgewiesene Kennerin der gerichtlichen Urkunden König Ruprechts von der Pfalz untersucht „König Ruprecht (1400 -1410) als Richter und Schlichter“. Unter anderem weist sie darauf hin, dass während der Regentschaft Ruprechts das Hofgericht häufig den Streitenden auferlegte, bis zur Verhandlung außergerichtlich eine freundschaftliche Lösung zu suchen. Konnten die Urteiler in komplizierten Sachen nicht entscheiden, ließ der Hofrichter vom König und seinem Rat eine Unterweisung für das weitere Verfahren erbitten, was ebenfalls zu einer außergerichtlichen Lösung führen konnte. Wie Rödel feststellt, wurde sowohl vom König als auch von den Reichsgliedern das außergerichtliche Verfahren dem Hofgerichtsprozess vorgezogen, wobei der König selbst entschied oder die Sache an einen Schiedsrichter delegierte. Kam es zu einem Sühneverfahren, einigten sich die Parteien zunächst darüber, die Entscheidung Schiedsrichtern zu übertragen, die nach „Minne oder Recht“ entscheiden sollten. Wie die Verfasserin richtig deutet, einigten sich die Parteien damit vorab, das Schiedsurteil anzunehmen, und stimmten anschließend im Vermittlungsverfahren gegebenenfalls einer erzielten Einigung zu. In den Quellen findet sie eine strikte Unterscheidung zwischen Verfahren nach „Minne“ oder nach „Recht“, wobei ersterem der Vorrang eingeräumt worden sei, da eine einvernehmliche Lösung des Streits erfolgversprechender und „nachhaltiger“ gewesen sei. Adam Wijffels befasst sich mit „Krieg, Diplomatie und Recht: Die englisch-hansischen Konflikte 1468-1603“. Der Verfasser zeigt anhand dreier sogenannter Momentaufnahmen, wie sich im behandelten Zeitraum die englischen Kaufleute gegenüber ihren hansischen Konkurrenten dadurch Vorteile verschaffen konnten, dass ihre Interessen zunehmend von der englischen Krone unterstützt wurden, während sich die deutschen Kaufleute auf den Hanseverband stützten, der nach und nach uneinheitlicher und somit unwirksamer wurde. Die erste Momentaufnahme betrifft den Utrechter Frieden von 1474, der zwar die Position der Engländer im Preußenhandel verbesserte, insgesamt allerdings für die Hanse als vorteilhaft beurteilt wird. Die zweite Momentaufnahme stellt die Verhandlungen in den Jahren ab 1552 dar, in denen die englischen Kaufleute die Abschaffung der Privilegien für die hansische Konkurrenz und deren Ausschluss vom Englandhandel forderten. In der dritten Momentaufnahme beschreibt der Verfasser, wie sich die Hanse in den 1580er Jahren gegen die monopolistische Politik der Engländer wandte, während es der englischen Seite gelang, von Elisabeth I. die Schließung des  Stalhofs und die Einziehung der letzten hansischen Privilegien zu erwirken. Antonio Sánchez Aranda stellt unter dem Titel „Arbitrio iuris oder Schlichter: Die Reform der katholischen Könige (1474-1504). Ein Versuch, die Rolle der Richter als Schiedsrichter bei Rechtsstreitigkeiten einzuschränken“ die Entwicklung in Spanien dar. Während der Regentschaft Alfons X. erging das Gesetzeswerk Partidas (1265), das zwischen wie in einem Gerichtsverfahren handelnden Schiedsrichtern im engeren Sinne und Schlichtern unterschied. Es gestattete den Richtern, einen begonnenen Prozess auch als Streitschlichter nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden. Die ab 1474 in Kastilien herrschenden katholischen Könige strebten eine Reform der Gerichte an, um die Verfahren zu beschleunigen, indem sie unter anderem den übertriebenen Gebrauch der Literatur des ius commune einschränkten. Bereits 1489 und nochmals 1503 wurde den Richtern eine Betätigung als Schiedsrichter verboten, was seinen Grund auch darin hatte, zu verhindern, dass dem Fiskus „Rechtsverluste“, das heißt Gebührenausfälle entstanden. Als Ausnahme war die Schiedsgerichtsbarkeit schließlich nur noch in schwierigen Fällen zulässig. Horst Carl befasst sich mit dem Thema „Über das Ausloten von Grenzen: Schiedsgerichtsbarkeit im Schwäbischen Bund (1488-1534)“. Das Bundesgericht hatte zwar in den Bundesbriefen nicht ausdrücklich die Befugnis erhalten, nach „minne und recht“ zu entscheiden, nach der einleuchtenden Ansicht des Verfassers waren jedoch – wenn sich auch ein obligatorisches Güteverfahren nicht nachweisen lässt – gütliche Regelungen möglich. Neben einer Schilderung der Entwicklung der Verfassung und des Verfahrens vor dem Bundesgericht bewertet Carl das Verhältnis zum Reichskammergericht, das als Appellationsinstanz eingerichtet war, wobei der Verfasser allerdings die Appellation gegen Zwischenurteile und Beiurteile des Bundesgerichts als höchst umstritten bezeichnet. Insgesamt kommt er zu dem Ergebnis, dass die Landfriedensinstanz ihre Existenz mehr noch als das höchste Reichsgericht allein dadurch gerechtfertigt habe, dass nicht zu den Waffen gegriffen wurde. Die finnische Rechtshistorikerin Mia Korpiola, Expertin für spätmittelalterliches und frühneuzeitliches schwedisches Eherecht, behandelt „Marriage-Counselling and Reconciliation in Marriage Cases in the Ecclesiastical Courts of Reformation Sweden (16th-17th Centuries)“. Als Material benutzte die Autorin kirchliche Gerichtsbücher seit den 1590er  Jahren. Sie analysiert als ersten von zwei Falltypen den Bruch oder das Bestreiten eines Verlöbnisses seitens eines Verlobten. Über den Wunsch, das Verhältnis zu beenden, befand das jeweilige Domkapitel, das auch unter Einbeziehung der Gemeindeebene auf eine versöhnliche Lösung drängte. Kam es zu keiner gütlichen Einigung, die entweder in der Eheschließung oder in der freundschaftlichen Auflösung des Verlöbnisses mit einer Entschädigung für die Verlobte und gegebenenfalls mit Unterhalt für ein gemeinsames Kind bestehen konnte, wurde die Schuldfrage aufgeworfen. Dabei konnte auf einen Verlust der Verlobungsgeschenke, Schadensersatz für etwaige Hochzeitaufwendungen, Strafe oder auf ein Heiratsverbot bis zur Heirat des unschuldigen Teils erkannt werden. Gerade in dem weiteren Falltyp des Ehebruchs zeigt Korpiola, wie das Domkapitel Druck auch auf die unschuldige Partei ausübte, den schuldigen Ehegatten wieder in Freundschaft aufzunehmen. Insgesamt sieht die Verfasserin in der schwedischen Praxis mehr Alternativen als „Freundschaft oder Recht“, nämlich ein freundschaftliches Recht. Die schottische Rechtshistoriker Mark Godfrey stellt ein weiteres nordeuropäisches Thema mit dem Titel „Alternative Dispute Resolution within Law Courts in 16th-Century Scotland“ vor. Er untersucht, wie sich die Entstehung des Court of Session als zentrales Gericht Schottlands im Jahre 1532 auf die Anrufung der Gerichte im Verhältnis zu privaten Formen der Justiz auswirkte. Dabei erweist sich bis zum Ende des 16. Jahrhunderts – obwohl sich während dieser Zeit auch die im Clanwesen verwurzelte Blutfehde hielt – eine deutliche Zunahme der Gerichtsfälle. Godfrey vermutet als Grund dafür, dass die besitzende Elite die größere Sicherheit einer gerichtlichen Entscheidung bevorzugte. Gerichtliches Verfahren wurde ferner genutzt, um das Ergebnis einer privaten Streitbeilegung durchzusetzen. Der Autor zeigt auf, dass Gerichtsverfahren ausgesetzt wurden, während private Verhandlungen liefen, und wie das Gericht auf eine schiedsrichterliche Beilegung hinwirkte, was er mit der Funktion des englischen Court of Chancery vergleicht. Sigrid Westphal „Austräge als Mittel der Streitbeilegung im frühneuzeitlichen Adel des Alten Reiches“ stellt die Frage, wie sich das Verhältnis gewillkürter, also weder durch Gesetz  noch durch Privileg errichteter Austräge zur Höchsten Gerichtsbarkeit gestaltete, und untersucht dies am Beispiel der Ernestiner, einer der Wettiner Linien. Insbesondere erläutert sie am Testament des Herzogs Ernst des Frommen (1654), wie durch nacheinander geschaltete Güteverfahren eine Entscheidung gesucht werden sollte, während er selbst die Anrufung der Reichgerichte ausschloss. Gleichwohl stellt die Autorin fest, dass sich die Austräge letztlich als wenig effektiv erwiesen und sich deshalb Streitparteien doch an den Reichshofrat wandten. Zusammenfassend sieht Westphal darin eine Möglichkeit, schon durch die Androhung, sich an eines der Reichsgerichte zu wenden, den Gegner zu gütlichen Verhandlungen zu bringen. Bernhard Diestelkamp berichtet in dem ausführlichen Beitrag „Landgraf, Reichskammergericht, Kaiser, Reichshofrat (als privilegien-erteilende Instanz) und Vergleichsverhandlungen als konkurrierende (alternative) Handlungsoptionen vom 16. Jahrhundert bis zum Ende des Alten Reiches“ über die sich jahrhundertelang hinziehenden Streitigkeiten des Dorfes Freienseen im Vogelsberg mit den Grafen von Solms-Laubach, deren Leibeigene der kleinere Teil der Dorfeinwohner waren, während der größere Teil den hessischen Landgrafen gehörte. Ihren Ausgangspunkt nahmen die Auseinandersetzungen, als der solmsische Graf von den Freienseern vermehrte Fuhrdienste für den Bau einer neuen Residenz verlangte, diese sich erstmals an das Reichskammergericht wandten und 1554 zunächst ein Mandat wegen Landfriedensbruchs erwirkten. Die Grafen bestritten demgegenüber die von den Einwohnern behaupteten kaiserlichen Privilegien. Es folgten zahlreiche Versuche des Dorfes, vor dem Reichskammergericht, dem Reichshofrat und den jeweils regierenden Kaisern ihre Rechte bestätigt zu erhalten, jedoch ohne nachhaltigen Erfolg. Die Landgrafen als Schutzherren des Dorfes brachten 1639 eine gütliche Verhandlung mit den Solms-Laubachern und den Freienseern zustande, in der die Parteien aber nur die bisherigen Entscheidungen des Reichskammergerichts anerkannten. Weitere Verhandlungen brachten keine Fortschritte. Als 1806 die zuvor reichsunmittelbaren Grafen von Solms-Laubach zu großherzoglich-hessischen Standesherren wurden, gingen die am Reichskammergericht noch anhängigen Sachen auf das Darmstädter Oberappellationsgericht über, dessen Urteile aber nicht überliefert sind. Insgesamt sieht Diestelkamp in den langdauernden Konflikten nur vereinzelte Versuche, Lösungen anstatt „in Recht“ „in Freundschaft“ zu suchen. In einem gleichfalls ausführlichen Beitrag „Urteil versus Vergleich?  Entscheidungspraxis und Konfliktregulierung des Reichshofrats im 17. Jahrhundert im Spiegel neuerer Aktenerschließung“ hinterfragt Ulrich Rasche angesichts der geringen Urteilsquote der Wiener Instanz, ob der Vergleich quasi eine gegenpolige Alternative zum Urteil war. Sein Untersuchungsmaterial von ca. 1.400 Judizialakten des Reichshofrats aus dem 17. Jahrhundert interpretiert er dahin, dass die Entscheidungen nicht unbedingt im Sinne ihrer materiellen Umsetzung fungierten, sondern als abgestufte Voten zugunsten des Klägerstandpunkts, mit denen Druck auf die Gegenseite ausgeübt wurde, sich überhaupt einzulassen und sich dann dem Standpunkt der anderen Seite anzunähern bis zur Beilegung des Streits. Diese zentrale These des Verfassers erweckt allerdings Zweifel und müsste detailliert belegt werden. Als Resümee kritisiert Rasche in der Justizforschung die anachronistische Fixierung auf das selten ergangene Endurteil sowie eine zu kurz greifende Konfrontierung mit dem Vergleich, die aufzugeben und stattdessen das Steuerungspotenzial anderer Entscheidungen im Hinblick auf die Konfliktregulierung zu erkennen sei. Anja Amend-Traut analysiert „Wie Prozesse enden können – alternative Formen der Beendigung reichskammergerichtlicher Zivilverfahren im 17. und 18. Jahrhundert“. Von der Erkenntnis ausgehend, dass es in der frühen Neuzeit für die Beendigung von Prozessen keine klare Abgrenzung zwischen Klagerücknahme, Erledigung und Verzicht gab, untersucht sie 21 Verfahren vor dem Reichkammergericht, die ohne Definitivsentenz förmlich endeten. Dabei lässt sich keine Einwirkung des Höchstgerichts oder der Anwälte selbst feststellen. War es im Verfahren bereits zur Litiskontestation gekommen, konnte es nicht mehr einseitig beendet werden, was die von Amend-Traut untersuchten Fälle bestätigen. Die Rücknahme (renunciatio) des verfahrenseinleitenden Antrags (Klage, Appellation, Mandatsgesuch) wurde regelmäßig behördlich protokolliert und dem Reichskammergericht mitgeteilt. In dem Beitrag Sonja Breustedts geht es um „Kaufmännische Pareres – Gutachten als Konsens im 17. und 18. Jahrhundert“. Die Autorin hat sich im Rahmen ihres Dissertationsvorhabens mit einer Sammlung Frankfurter Pareres, das heißt von Kaufleuten erstellte Gutachten über Handelsgewohnheiten befasst. Die Pareres konnten Vorstufen zu einer außergerichtlichen Einigung sein. Soweit sie Konflikte mit „Freundschaft“ beilegten, war nach Breustedts Erkenntnissen Geschäftssinn gemeint. In einem weiteren englischsprachigen Bericht über „Judicial and Extrajudicial Conflict Resolution in the Code de procédure civile of 1806. Between Historical Heritage and Revolutionary Innovation“ weist Serge Dauchy darauf hin, dass der Code de procédure civile anders als der Code civil an vorrevolutionäre Gesetzgebung wie die Ordinance von 1667 anschloss und im Gegensatz zum revolutionären Ideal zu stehen scheint, Konflikte unförmlich beizulegen und die Justiz ohne Prozess zu organisieren. Jedoch sah das Gesetz von 1806, insoweit Vorschläge aus der Revolutionszeit aufgreifend, die Einrichtung einer Friedensgerichtsbarkeit (justice de paix) und den Versuch einer gütlichen Einigung als Klagevoraussetzung (mit Ausnahme einiger Rechtsbereiche und eiliger Sachen)  vor. Yorick Wirth schließlich stellt in kurzer Zusammenfassung mit der Überschrift „Englische superior courts und ihre Reform im 19. Jahrhundert“ sein Promotionsvorhaben über die Common Law- und Equity-Gerichtsbarkeit in England und ihre Veränderungen im 19. Jahrhundert vor.

 

Bad Nauheim                                                Reinhard Schartl