Lindemann, Uwe, Das Warenhaus. Schauplatz der Moderne. Böhlau, Wien 2015. 377 S., Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die vielfältigen zwischenmenschlichen Interessen haben seit langem die ursprüngliche Eigenversorgung des Einzelnen oder seiner ihn umgebenden Gruppe weitgehend durch den Güteraustausch ersetzt. Im Zuge dieser Entwicklung ist anscheinend in angelsächsischen Ländern in dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in einfacher Form der in Abteilungen gegliederte Großladen entstanden. Von Paris aus kam seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das zentral geführte, in Abteilungen gegliederte Großwarenhaus mit einiger Verspätung auch in den deutschsprachigen Raum.

 

Mit ihm beschäftigt sich das vorliegende, in zehn Jahren von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung gebrachte, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unter Freistellung geförderte Werk des im Jahre 1998 in Bochum mit einer Dissertation über die Wüste – Terra incognita, Erlebnis, Symbol – eine Genealogie der abendländischen Wüstenvorstellungen in der Literatur von der Antike bis zur Gegenwart promovierten, an dem Lehrstuhl für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Bochum tätigen Verfassers. Es gliedert sich in einer Einleitung und zwei Sachteilen über Figuren der Transgression und Figuren der Limitation in insgesamt 12 Kapitel und einen Schluss. Im Einzelnen geht es dabei um die Ordnung der „Dinge“ um 1900, interdiskursiven Raum und kollektives Imaginäres, Metapher für Gesellschaft, konsumistische Praxis, Pathologie(n) der Moderne, Ökonomie und Weiblichkeit, Warenhauspolitik, Konsumexpertinnen und Kaufkraftdilettanten, Warenhauskultur, Verlusterzählungen, Familienökonomie und Globalisierung sowie Gegenwelten.

 

Im Ergebnis zeigt die vielfältige, zahlreiche unterschiedliche Aspekte ansprechende, vornehmlich kulturgeschichtliche und eines Sachregisters entbehrende Studie über einen integralen Schauplatz der Moderne nach Ansicht des Verfassers vor allem, dass es in Bezug auf das Warenhausthema kaum sinnvoll ist, zwischen der wirtschaftlichen Bedeutung des Warenhause und seiner symbolischen Valenz zu differenzieren. Für ihn fungiert dementsprechend das Warenhaus vor allem als epistemischer Filter, der nicht nur die Komplexität der modernen Erfahrungswirklichkeit reduziert und in einen holistischen Zusammenhang stellt, sondern das Wissen über die frühe Konsumgesellschaft auf eine bestimmte Weise ordnet. Die interdiskursive Funktion des Warenhauses, die den Blick auf das „Ganze“ der Moderne gestattet, ist nach dem Verfasser unmittelbar mit der kulturellen Funktion der Ermöglichung gesellschaftlicher Selbstverständigung verbunden.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler