Kertzer, David Israel, Der erste Stellvertreter. Papst Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschismus, aus dem Englischen von Richter, Martin, mit einem Vorwort von Wolf, Hubert. Theiss/Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2016. 607 S., Abb., Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Als geistiges Oberhaupt der katholischen Christen ist der Papst eigentlich ein bedeutender Mann in der Geschichte der christlichen Welt, doch wird die Religion seit der Aufklärung durch zahlreiche abweichende Vorstellungen gefährdet. Zwecks Erhalt seiner Stellung muss der Papst als politischer Mensch daher spätestens seit dem 19. Jahrhundert nach Verbündeten suchen, welche die Erosion durch Humanismus und Ideologie irgendwie mildern oder verhindern können. Allerdings bergen manche Kooperationen neue Gefahren, so dass stets größtmögliche Vorsicht auf allen beteiligten Seiten geboten ist.

 

Der sich mit dieser Thematik beschäftigende Verfasser der vorliegenden gewichtigen Studie wurde 1948 geboren, 1969 an der Brown University graduiert, 1974 an der Brandeis University promoviert und 1992 von dem Bowdoin College als Professor für Anthropologie und Geschichte an seine Heimatuniversität zurückberufen. Nach bedeutenden Monographien über The Kidnapping of Edgardo Mortara und das Verhältnis des Papstes zu den Juden (2001) veröffentliche er 2014 nach siebenjähriger Forschung das vorliegende große Werk, das 2014 unter dem Titel The Pope and Mussolini erschien und die geheime Geschichte von Pius XI. und dem Aufstieg des Faschismus in Europa ausführlich darstellt. Gegliedert ist es in drei Teile über den Papst und den Diktator, gemeinsame Feinde sowie Mussolini, Hitler und die Juden mit insgesamt 29 Kapiteln.

 

Die spannende, detailreiche und deswegen zutreffend preisgekrönte, aber doch auch prägnant zugespitzte Darstellung beginnt mit der Wahl Pius‘ XI. zum neuen Papst (1922), der unmittelbar der Marsch Mussolinis auf Rom folgt. Von da an steht – der als monomanischer Einzelgänger mit ausschweifendem Sexualleben  beschriebene - Mussolini und mit ihm auch Adolf Hitler fast mehr im Vordergrund als der – als aufbrausend, eigensinnig, herrisch und durchsetzungsschwach charakterisierte Papst, weil dieser sich öffentlich möglichst bedeckt hält, auch wenn sich beide Seiten heimlich in einem Haus mit zwei verschiedenen Eingängen treffen. Der Verfasser kann an Hand seiner gründlichen Recherchen in zahlreichen Dokumenten zeigen, dass Papst Pius XI. (1857-1939)  zwar den ungläubigen Faschisten Benito Mussolini (1883-1945) eher hasste („Was für ein Flegel und Verräter war Mussolini mir gegenüber!“), aber mit ihm doch zwecks Mehrung und Sicherung der Macht längere Zeit heimlich zum Schaden von Menschlichkeit und Menschheit zusammenarbeitete, und sich dessen auch hinter einer widersprechenden Außendarstellung durchaus bewusst sein konnte.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler