Hillebrand, Christian, Die Real Audiencia in Mexiko (= Berliner Schriften zur Rechtsgeschichte 4). Nomos, Baden-Baden 2016. 238 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die Real Audiencia in Mexiko war das höchstinstanzliche und meist letztinstanzliche Appellationsgericht im Gebiet des Vizekönigsreichs Nueva España mit dem Sitz in Mexiko-Stadt. In seiner Berliner Dissertation untersucht Hillebrand die Gründung, den Aufbau, die Organisation und die Zuständigkeit sowie die administrativen Aufgaben der Audiencia. Die Gründung der Audiencia, einer „wohlbekannten Institution“ durch Karl V. erfolgte 1527 „als folgerichtige Reaktion auf die Probleme der spanischen Kolonisation in Mexiko“ (S. 55; Streitigkeiten der Eroberer untereinander, Anschuldigungen gegen Cortés). Die Audiencia von 1527 wurde bereits im November 1529 abgesetzt wegen ihres Strebens nach Macht und Reichtum (Ausbeutung). Präsident der neuen (zweiten) Audiencia von 1530 war zunächst der Erzbischof von Santo Domingo; mit der Begründung des Vizekönigreichs Hispanien ging das Amt des Präsidenten der Audiencia an den jeweiligen Vizekönig (Liste sämtlicher Präsidenten im Anhang 2, S. 233ff.). Die neue Audiencia führte zur Konsolidierung der Souveränität des Königs gegenüber den Konquistadoren und zu einer wenn auch nicht dauerhaften Reform des ausbeuterischen Encomienda-Systems (S. 66ff.), so dass mit der Einschränkung der Macht der Konquistadoren die Audiencia zu einem „Fundament für eine zentral verwaltete Kolonie“ wurde, das zur Machtbalance und somit zur politischen Stabilität im weit entfernten Mexiko wesentlich beitrug“ (S. 76). Der Aufbau und die Organisation der Audiencia richtete sich nach spanischen Ordonnanzen von 1528/1530, 1542, 1563, 1568, 1739 und 1776 sowie von 1812 (entsprechend der Verfassung von Cadiz). Der Vizekönig hatte als Präsident der Audiencia im Wesentlichen nur eine repräsentative Funktion; an der Rechtsprechung konnte er nur dann teilnehmen, wenn er „Rechtsgelehrter“ war, was selten der Fall war (S. 91f.). Zu den Magistraten der Audiencia (S. 95ff.) gehörten die Oidores (Richter der Zivilkammern), der Alcaldes del crimen (Strafrichter) sowie die Fiscales, die Vorläufer der heutigen Staatsanwälte. Voraussetzung für die Ernennung zu Richtern, die ganz überwiegend aus Spanien kamen, war der Abschluss des Studiums der Rechte und einige Praxis (S. 105). Eine wichtige Aufgabe war die Visitation von Gerichtsbezirken der Audiencia (S. 109f.). Den Ficsales oblag u. a. auch die Wahrung der Rechte der Indios (S. 116). Auf den Seiten 117ff. geht Hillebrand auf die „unterrangigen Ämter“ der Audiencia ein, u. a. auf die Berichterstatter (relatores), die Anwälte und Prokuratoren sowie die im Hinblick auf die Indios wichtigen Dolmetscher (intérpretes). Die Amtsträgerstellen der Audiencia wurden entweder durch Kauf (seit Philipp II., im 17. und 18. Jahrhundert generell) oder durch eine Direkternennung durch den König erworben. 1776 wurde das Amt des Regenten (regente) der Audiencia geschaffen, der eine Art „Gegengewicht“ gegenüber dem Vizekönig bilden und die Kompetenzen der Amtsträger der Audiencia klarstellen sollte (S. 85ff.). Der Kontrolle der Amtsträger erfolgte in einem juicio de residencia, ein Verfahren, in dem die Amtsführung von Amtsträgern am Ende ihrer Dienstzeit oder nach Ablauf von jeweils fünf Jahren untersucht wurde (S. 135ff.).

Im Abschnitt über die Aufgaben der Audiencia unterscheidet Hillebrand zwischen Zuständigkeiten in der Rechtsprechung (S. 143ff.) und in der Administration (S. 179ff.). Die Audiencia war grundsätzlich Appellationsgericht, dessen Entscheidungen mit der Supplikation oder der Appellation an den Consejo de Indias angefochten werden konnten (letzteres auch in Strafsachen bei schwerwiegenden Delikten). Die Audiencia entschied außerdem Appellationen gegen Verwaltungsentscheidungen und Regierungsentscheidungen (insbesondere hinsichtlich Tributverpflichtungen, S. 147ff.). Der Abgrenzung der Zuständigkeiten der säkularen Gerichtsbarkeit gegenüber der geistlichen Gerichtsbarkeit dienten die recursos de fuerza (S. 149ff.). Zugleich war die Audiencia auch Nachlassgericht insbesondere hinsichtlich der ohne Testament verstorbenen Spanier, die ohne ihre Familienangehörigen nach Mexiko gekommen waren. Zu den administrativen Aufgaben der Audiencia gehörten die (beratende) Teilnahme an Regierungsentscheidungen, die Stellvertretung des Vizekönigs als Präsident der Audiencia und Aufträge durch den Vizekönig oder den König unmittelbar (S. 179ff.). Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich mit der Abgrenzung zu anderen Organen (S. 190ff.), insbesondere gegenüber dem Consejo de Indias, der Casa de contratación in Sevilla (zuständig für Handel und Verkehr mit den Kolonien), den speziellen Strafgerichten gegen Banden und Wegelagerer und gegenüber den Militärgerichten (S. 191ff., 202ff.). In weiterem Abschnitt befasst sich Hillebrand mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen den Audiencias in Spanien und in Mexiko (S. 211ff.). Im 5. Abschnitt „Gesamtergebnis“ (S. 217ff.) stellt Hillebrand heraus, dass die Audiencia in Mexiko und der Vizekönig aufeinander angewiesen waren und es so der spanischen Krone gelang, „ein im Wesentlichen wirksames System von Gegengewichten im weit entfernten Mexiko zu errichten“, so dass „trotz der weiten Distanz zwischen Heimat und Kolonie eine wirksame Verwaltung und Regierung“ ermöglicht wurde (S. 219). Mit dem Werk Hillebrands liegt erstmals eine umfassende Darstellung der Real Audiencia in Mexiko vor (vgl. S. 15f.). Entsprechend der umfassenden Zielsetzung der Darstellung war es nicht möglich, auch noch auf die Judikatur der Audiencia näher einzugehen. Gleichwohl wären einige Hinweise auf die Inhalte der Judikatur der Audiencia in Strafsachen und Zivilsachen willkommen gewesen. Dies gilt insbesondere für die Verfahren, in denen Indios beteiligt waren. Auch weitere Details zum Verfahrensrecht wären von Interesse gewesen. Etwas genauer hätte auch der Jurisdiktionsbezirk der Audiencia in Mexiko im Hinblick auf die weiteren Audiencias im Vizekönigreich Hispanien umschrieben werden sollen. Insgesamt bringt Hillebrand in seinem Werk aber einen detaillierten Überblick über die Institution der Audiencia in Mexiko, auf dem weitere Untersuchungen (insbesondere auch über die Richter der Audiencia) aufbauen können.

 

Kiel

Werner Schubert