Hamm, Berndt, Ablass und Reformation – erstaunliche Kohärenzen. Mohr Siebeck, Tübingen 2016. 281 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Sobald der Mensch sich der Welt und sich selbst einigermaßen bewusst wird, versucht er, sich die vielfältigen Gegebenheiten nach bestem Vermögen zu erklären. Aus diesem Bestreben sind im Laufe der Zeit auch die heute noch bestehenden Religionen entstanden. Unter ihnen vertritt das Christentum die Vorstellung, dass der Mensch von Geburt an gut und böse sein kann, aber gut und nicht böse sein soll, so dass seine Güte gefördert und seine Bosheit oder Sünde bekämpft wird, damit an dem Tage des jüngsten Gerichts eine möglichst umfassende Auferstehung von Toten und ein ewiges seliges Leben gelingen kann.

 

Mit dem in diesem Zusammenhang schon früh entwickelten Ablass und der an dem Ende des Spätmittelalters versuchten Reformation beschäftigt sich die vorliegende Studie des in Tauberbischofsheim 1945 geborenen, in evangelischer Theologie in Heidelberg und Tübingen ausgebildeten, in Tübingen 1975 mit einer Dissertation über Promissio, pactum, ordinatio – Freiheit und Selbstbindung Gottes in der scholastischen Gnadenlehre promovierten und in Tübingen 1982 habilitierten, 1984 für neuere Kirchengeschichte an die Universität Erlangen-Nürnberg berufenen und 2011 in den Ruhestand getretenen Verfassers. Sie will nach ihrem Vorwort das Verhältnis von mittelalterlichem Ablasswesen und Reformation nicht nur in herkömmlicher Weise als Geschichte einer Konfrontation beschreiben, sondern vor allem auch als einen erstaunlichen Zusammenhang tiefgehender Gemeinsamkeit verstehen. Deswegen präzisiert sie ihren Inhalt mit dem vollen und prägnanten Titel als das Evangelium des Ablasses und das Evangelium der Reformation – die Geschichte eines erstaunlichen Zusammenhangs und eines fundamentalen Zerwürfnisses.

 

Gegliedert ist das eine neue Sichtweise vorschlagende, unter das Motto „Keiner hat jemals einen so umfassenden Ablass verkündigt wie Luther“ gestellte Werk in vier Kapitel. Sie betreffen die Problemstellung (einschließlich des Ablassbegriffs), den Weg zur totalen Einschränkung der Ablassgnade seit dem elften Jahrhundert, die Geschichte einer Kohärenz zweier Innovationen und ein Resümee mit Weiterführung. Auf diesem Wege gelingt ihm ein ansprechender Vergleich zwischen der spätmittelalterlichen geldwirtschaftlichen Ablassverkündigung der Kirche und der geldfreien, alle Menschen unabhängig von ihren irdischen Gütern gleich behandelnden, spätmittelalterliche Innovationskräfte revolutionär umgestaltenden Gnadenbotschaft Luthers, wobei er Kohärenz der Grundlagen und Bruch des Lösungsweges als zwei verschiedene Seiten derselben Geschichte einstuft.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler