Ernst Rudolf Huber. Staat – Verfassung – Geschichte, hg. v. Grothe, Ewald (= Staatsverständnisse 80). Nomos, Baden-Baden 2015. 303 S. Besprochen von Karsten Ruppert.

 

Ernst Rudolf Huber war der bekannteste Schüler des Staatsrechtslehrers Carl Schmitt. Beide haben den liberalen Parteienstaat der Weimarer Republik bekämpft und sich freiwillig, wenn auch in unterschiedlicher Weise, in den Dienst des nationalsozialistischen Regimes gestellt. Nach dem Krieg gelang Huber dennoch auf einigen Umwegen die Rückkehr in sein Metier und die akademische Welt. Dieser Lebensweg und das an dessen Ende stehende monumentale Lebenswerk seiner „Deutschen Verfassungsgeschichte“ begründen die doch erstaunlich intensive Beschäftigung mit einem Vertreter des öffentlichen Rechts, der in seinem Fach keine Spuren hinterlassen hat. Produkt dieses immer noch anhaltenden Interesses ist der zu besprechende Band von Aufsätzen. In ihnen wird versucht, Huber in der Geschichte der Rechtswissenschaft und schon deutlich weniger auch der Geschichtswissenschaft zu verorten. Das geschieht durch die Untersuchung ausgewählter Stationen seiner Biografie und Leistungen wie Eigenarten seiner rechtswissenschaftlichen Arbeit.

 

Zunächst werden die persönlichen Netzwerke vorgestellt, die Hubers Werk und Karriere prägten. Für die erste Hälfte seines Lebens war sein Doktorvater Carl Schmitt die überragende Figur. Umso erstaunlicher ist die Eigenständigkeit, die der Schüler allmählich ihm gegenüber gewann. In der zentralen Institution des Staates sah der Idealist Huber ein Ordnung und Geschlossenheit stiftendes Instrument, der kühle Dezisionist Schmitt nur ein Ergebnis machtpolitischer Entscheidungen. Die verschiedenartige Bewertung des Nationalsozialismus und der eigenen Verstrickungen darin führten dann nach dem Krieg zum allmählichen Versickern der Kontakte. Nicht deutlich genug wird im Aufsatz Reinhard Mehrings herausgearbeitet, dass für diese Entwicklung doch wohl auch die unterschiedlichen Charaktere des a-moralischen Katholiken Carl Schmitt und des idealistischen Protestanten Huber entscheidend waren.

 

Die beiden biografischen Studien Florian Meinels und Ulf Morgensterns zeigen, wie nützlich Huber sowohl sein Mitdoktorand Ernst Forsthoff als auch sein Schüler Hellmut Becker wurden. Forsthoff besorgte Huber unmittelbar nach dem Krieg erste Lehraufträge und ebnete ihm mit anderen die Rückkehr in die Vereinigung der Staatsrechtslehrer. Dass für die bereits 1956 erreichte Rehabilitierung persönliche Netzwerke weitaus wichtiger waren als bisher erbrachte wissenschaftliche Leistungen deckt Frieder Günther auf. Den Weg dahin hatte auch Hellmut Becker geebnet. Er hatte trotz seiner Mitgliedschaft in der NSDAP keine Schwierigkeiten, sich sofort als Verteidiger  belasteter Nationalsozialisten zu profilieren und zu einem der einflussreichsten Bildungspolitiker der Bundesrepublik Deutschland aufzusteigen.

 

Der zweite Teil des Bandes setzt den Schwerpunkt auf „Positionen und Begriffe“ des Werks. Er beginnt mit einer von Martin Otto nachgezeichneten Kontroverse Hubers, der ja in Kirchenrecht promoviert worden war, mit dem Greifswalder Kirchenrechtler Günther Holstein über Grundfragen der Kirchenordnung. Während Huber, der in kirchenpolitischen Kontroversen um 1930 einen flexiblen Standpunkt einnahm, die Verfassung der Kirche nüchtern als juristisches Gebilde begreift, will sein Gegner deren göttlichen Auftrag davon nicht losgelöst wissen. Seitdem hat sich Huber mit dem geltenden Kirchenrecht nicht mehr beschäftigt.

 

Ernst Rudolf Huber war an dem historisch wichtigen Prozess um die Absetzung der sozialdemokratischen Landesregierung Preußens durch die rechtskonservative Reichsregierung von Papen nicht direkt beteiligt. Er hat nur an dem von seinem Lehrer Carl Schmitt als Vertreter des Reiches vorgelegten Schriftsatz mitgearbeitet. Christoph Gusy kann zeigen, dass Hubers Behandlung der damaligen Vorgänge in seiner Verfassungsgeschichte dennoch wichtige Einsichten gewähren. Er betont weiterhin, dass Huber so im Schatten seines Mentors wichtige Kontakte zu konservativen Kreisen in der Reichsregierung wie der Reichswehrführung gewonnen habe.

 

Nachdem das Jahr 1933 mit der nationalsozialistischen Machtübernahme die Erfüllung der politischen und mit Heirat und Berufung nach Kiel die Erfüllung seiner privaten Träume gebracht hatte, steuerte Ernst Rudolf Huber mit der Übernahme der Herausgeberschaft der „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“ im Sommer 1934 auf den Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Karriere zu. Hier entwickelte er das Konzept einer „Staatswissenschaft“, die alle sich mit dem Staat befassenden Wissenschaften integrieren sollte. Die einem solchen Konzept entgegenlaufende geschichtliche Entwicklung und das daraus resultierende wissenschaftliche Spezialistentum glaubte er als Produkt des durch den Nationalsozialismus überwundenen Zeitalters des Liberalismus abtun zu können. Detailliert zeigt Wilhelm Bleek die Durchsetzung wie das Scheitern dieses Konzepts auf. Er macht darüber hinaus deutlich, wie Huber dabei zum nationalsozialistischen Wissenschaftler wurde: Durch den im Konzept schon steckenden Zug zum Totalitären, die Übernahme nationalsozialistischer Werte und Begriffe wie die Legitimierung des Systems, in dem es in die Tradition deutschen Staatsrechtsdenkens gestellt wird. Dass Huber mit seiner Idee nicht nur in der Tradition Lorenz von Steins, dem Gründer der Zeitschrift stand, sondern bei diesem auch Anleihen machte bei dem Begriff des Konstitutionalismus als Staatsform, der für seine Verfassungsgeschichte zentral werden sollte, deckt Dirk Blasius auf.

 

Einen noch wirkungsmächtigeren Dienst leistete Huber dem Regime durch die bis heute gültige Darstellung des Verfassungsrechts des nationalsozialistischen Reiches. Dies konnte ihm, so Ewald Wiederin, gelingen, da er den nationalsozialistischen Staat nicht als Rechtsordnung begriff, sondern als politisches System, das wie Huber selbst schrieb, nur aus den „geistigen Kräften, die unser Volk beseelen“, verstanden werden könne. Dass auch Hubers Militärverfassungsgeschichte von 1938 zur historischen Legitimierung des „Dritten Reiches“ diente, unterstreicht nochmals Jörg Echternkamp.

 

Mit der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789“ ist Huber heute vor allem noch in der Rechtswissenschaft doch auch der Geschichtswissenschaft gegenwärtig. Ein mehrfach aufgelegtes und überarbeitetes Werk von über 7000 Seiten, das nochmals durch mehrere Bände ergänzender Dokumente erweitert wurde. Es ist kein Ruhmesblatt der Verfassungsgeschichtsschreibung, dass sie ihm bis heute nichts annähernd Gleichwertiges an die Seite stellen konnte. Ein Lebenswerk, das meist zugleich fasziniert, erschreckt und irritiert. Doch um die Wirkung geht es Ewald Grothe nur am Rande. Vielmehr deckt er auf, dass der dem Werk zugrundeliegende weite Begriff von Verfassung, der bis hin zu kirchlichen und gesellschaftlichen Kräften reicht, Erbe des Konzepts der „Staatswissenschaften“ der dreißiger Jahre ist. Des Weiteren stellt er heraus, dass die Idee, die das Gesamtwerk zusammenhält, die des Konstitutionalismus mit der strengen Trennung und Gegenübersetzung von Gesellschaft und Staat ist. Er wird als die den deutschen Verhältnissen gemäße politische Ordnung gepriesen. Das gilt auch für die Weimarer Verfassung, die als eine verhängnisvolle Verleugnung dieser Tradition verstanden wird.

 

Grothe legt aber nicht nur die konzeptionellen Grundlagen des Unternehmens offen, sondern weist auch eingehend nach, wie sehr es das Produkt der nach dem Zusammenbruch erzwungenen öffentlichen Abstinenz und akademischen Verbannung ist. Dabei kann er zahlreiche bisher nicht bekannte Details über die Lebensumstände präsentieren, unter denen das Werk entstanden ist, und die Mühen, die es machte, dafür einen Verleger zu finden. Etwas bedauerlich ist, dass Grothe einer Spur, die in seinem Beitrag, doch auch in einigen anderen auftaucht, nicht nachgegangen ist. Es drängt sich nämlich der Eindruck auf, dass die Hinwendung zur Verfassungsgeschichte schon im letzten Drittel des „Dritten Reichs“ auch auf eine allmähliche Entfremdung von diesem gedeutet werden kann. Wohl weniger aus ideologischen Gründen als aufgrund der Einsicht, dass dieses Regime mit den Kategorien des Rechts eben doch nicht zu fassen ist. Kompensation des Scheiterns auf dem Gebiete des Verfassungsrechts also durch die Hinwendung zur Verfassungsgeschichte.

 

Über den Staatsrechtswissenschaftler Ernst Rudolf Huber sind schon eine Menge Monografien, Aufsätze und Sammelbände erschienen - nicht zuletzt vom Herausgeber dieses Bandes. Umso nachdrücklicher muss hervorgehoben werden, dass die Beiträge dieses Bandes nicht nur den Stand der Forschung kompetent zusammenfassen, sondern die meisten auch neue Fakten und Aspekte dieses Forscherlebens präsentieren. Dies gelingt vor allem deswegen, weil einige Autoren nicht nur den inzwischen im Bundesarchiv zugänglichen Nachlass Hubers herangezogen, sondern auch die Papiere von Personen seines Umfelds ausgewertet haben, ja selbst in Verlagsarchive hinabgestiegen sind. Grothe ist es gelungen, für diesen Band ausgewiesene Kenner zu gewinnen, deren Beiträge die Qualität haben, die man erwarten kann. Die meisten fokussieren sich aber zu sehr auf Huber selbst. Wie er und seine Arbeit im jeweiligen zeitgenössischen Kontext zu bewerten sind, kommt dabei oft zu kurz.

 

Eichstätt                                                         Karsten Ruppert