Böhme, Linda, Die gütliche Beilegung von Rechtsstreitigkeiten vor den gesellschaftlichen Gerichten der DDR (= Internationale Göttinger Reihe Rechtswissenschaften Band 61). Cuvillier, Göttingen 2015. 310 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Geschichte des Rechtes ist die Geschichte unterschiedlicher Zielsetzungen menschlicher Individuen, deren Unterschiedlichkeit nach einer Lösung strebt. Standen dabei nach allgemeiner Einschätzung anfangs individuelle Eigenschaften wie körperliche Stärke oder geistige Beweglichkeit im Vordergrund, so führte die weitere Entwicklung vor allem zum öffentlichen Austrag durch die Entscheidung Dritter. Angesichts der theoretischen Einsichten des Marxismus sollte dabei die Bedeutung des von den Produktionsverhältnissen abhängigen ideologischen Überbaus vermindert werden, weshalb in einem sozialistischen Staat auch nach Alternativen zu den staatlichen Urteilen gesucht wurde.

 

Mit einem gewichtigen und interessanten Teilaspekt dieser Problematik beschäftigt sich die von Rudolf Meyer-Pritzl betreute, 2015 von der juristischen Fakultät der Universität Kiel angenommene, hilfreiche Textanhänge enthaltende Dissertation der Verfasserin. Sie gliedert sich nach einer kurzen Einleitung über den Gegenstand der Untersuchung, den Gang der Darstellung und die Zielsetzung in fünf Kapitel. Sie betreffen die Ideologie und die Gesellschaft als Fundamente der gesellschaftlichen Gerichte, die Entwicklungsphasen der gesellschaftlichen Gerichte (Konfliktkommissionen, Schiedskommissionen, gesellschaftliche Gerichte) und deren Stellung in dem sozialistischen Rechtspflegesystem bzw. dem Gerichtsaufbau der Deutschen Demokratischen Republik, die gesellschaftlichen und parteipolitischen Beweggründe für die Errichtung der gesellschaftlichen Gerichte, das Verfahren in der sozialistischen Praxis (Zusammensetzung, Aufgabenstellung, sachliche Zuständigkeit, örtliche Zuständigkeit, Verfahren, Zusammenarbeit mit staatlichen Organen und gesellschaftlichen Organisationen) und die weitere Entwicklung nach dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik und deren Funktionsnachfolger bis zur Mediation.

 

In der abschließenden sachgerechten  Würdigung kann die Verfasserin feststellen, dass das Verfahren vor den gesellschaftlichen Gerichten hinsichtlich vieler Aspekte gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen hat und dass die gesellschaftlichen Gerichte letztlich die verlängerten Arme des Staates bildeten. Gleichwohl kann die Verfasserin auch ansprechend auf einige positive Seiten der gesellschaftlichen Gerichte, an denen teilweise bis zu 300000 Menschen in irgendeiner Form mitwirkten, hinweisen. Trotzdem bewertet sie die Einrichtung auf Grund ihrer starken Verankerung im Kommunismus und der daraus folgenden ideologischen Überschattung zu Recht negativ, weil sie nicht der Konfliktlösung, sondern unter einem scheindemokratisierenden Deckmantel vorrangig der Sicherung der politischen Vormachtstellung der herrschenden Partei nicht zuletzt mittels sozialistischer Erziehung dienen sollten.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler