Suchtext: Regirung

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Abs. 6 In mein erstes Semester fiel die Hambacher Feier (27. Mai 1832), deren Festgesang mir in der Erinnerung geblieben ist, in mein drittes der Frankfurter Putsch (3. April 1833). Diese Erscheinungen stießen mich ab, meiner preußischen Schulung widerstrebten tumultuarische Eingriffe in die staatliche Ordnung; ich kam nach Berlin mit weniger liberaler Gesinnung zurück, als ich es verlassen hatte, eine Reaction, die sich wieder abschwächte, nachdem ich mit dem staatlichen Räderwerke in unmittelbare Beziehung getreten war. Was ich etwa über auswärtige Politik dachte, mit der das Publikum sich damals wenig beschäftigte, war im Sinne der Freiheitskriege, vom preußischen Offizierstandpunkt gesehn. Beim Blick auf die Landkarte ärgerte mich der französische Besitz von Straßburg, und der Besuch von Heidelberg, Speier und der Pfalz stimmte mich rachsüchtig und kriegslustig. In der Zeit vor 1848 war für einen KammergerichtsAuscultator und Regirungs-Referendar, dem jede Beziehung zu ministeriellen und höhern amtlichen Kreisen fehlte, kaum eine Aussicht zu einer Betheiligung an der preußischen Politik vorhanden, so lange er nicht den einförmigen Weg zurückgelegt hatte, der durch die Stufen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 12 Ancillon rieth mir, zunächst das Examen als RegirungsAssessor zu machen und dann auf dem Umwege durch die Zollvereinsgeschäfte Eintritt in die deutsche Diplomatie Preußens zu suchen; einen Beruf für die europäische erwartete er also bei einem Sprößlinge des einheimischen Landadels nicht. Ich nahm mir seine Andeutung zu Herzen und beabsichtigte, zunächst das Examen als Regirungs-Assessor zu machen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 19 Mein Eindruck von Institutionen und Personen wurde nicht wesentlich modificirt, nachdem ich zur Verwaltung übergegangen war. Um den Umweg zur Diplomatie abzukürzen, wandte ich mich einer rheinischen Regirung, der Aachner, zu, deren Cursus (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 21 Ich kann mir denken, daß bei Besetzung der rheinischen Regirungscollegien 1816 ähnlich verfahren worden war, wie 1871 bei der Organisation von Elsaß-Lothringen. Die Behörden, welche einen Theil ihres Personals abzugeben hatten, werden nicht auf das staatliche Bedürfniß gehört haben, für die schwierige Aufgabe der Assimilirung einer neu erworbenen Bevölkerung den besten Fuß vorzusetzen, sondern diejenigen Mitglieder gewählt haben, deren Abgang von ihren Vorgesetzten oder von ihnen selbst gewünscht wurde; in den Collegien fanden sich frühere Präfektur-Sekretäre und andre Reste der französischen Verwaltung. Die Persönlichkeiten entsprachen nicht alle dem unberechtigten Ideale, das mir in dem Alter von 21 Jahren vorschwebte, und noch weniger that dies der Inhalt der laufenden Geschäfte. Ich erinnere mich, daß ich bei vielen Meinungsverschiedenheiten zwischen Beamten und Regirten oder innerhalb jeder dieser beiden Kategorien, Meinungsverschiedenheiten, deren polemische Vertretung jahrelang die Akten anschwellen machte, gewöhnlich unter dem Eindrucke stand, "ja, so kann man es auch machen," und daß Fragen, deren Entscheidung in dem einen oder dem andern Sinne das verbrauchte Papier nicht werth war, eine Geschäftslast erzeugten, die ein einzelner Präfekt mit dem vierten Theile der aufgewandten Arbeitskraft hätte erledigen können. Nichtsdestoweniger war, abgesehn von den subalternen Beamten, das tägliche Arbeitspensum ein geringes und besonders für die Abtheilungs-Dirigenten eine reine Sinecure. Ich verließ Aachen mit einer, abgesehn von dem begabten Präsidenten Grafen Arnim-Boitzenburg, geringen Meinung von unsrer Bürokratie im Einzelnen und in der Gesammtheit. Im Einzelnen wurde meine Meinung günstiger durch meine demnächstige Erfahrung (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 23 [1-10] bei der Regirung in Potsdam, zu der ich mich im Jahre 1837 versetzen ließ, weil dort abweichend von den andern Provinzen die indirecten Steuern zum Ressort der Regirung gehörten und grade diese wichtig waren, wenn ich die Zollpolitik zur Basis meiner Zukunft nehmen wollte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 24 Die Mitglieder des Collegiums machten mir einen würdigern Eindruck als die Aachner, aber doch in ihrer Gesammtheit den Eindruck von Zopf und Perrücke, in welche Kategorie meine jugendliche Ueberhebung auch den väterlich-würdigen Oberpräsidenten von Bassewitz stellte, während der Aachner Regirungspräsident Graf Arnim zwar die generelle Staatsperrücke, aber doch keinen geistigen Zopf trug. Als ich dann aus dem Staatsdienste in das Landleben überging, brachte ich in die Berührungen, welche ich als Gutsbesitzer mit den Behörden hatte, eine nach meinem heutigen Urtheil zu geringe Meinung von dem Werthe unsrer Bürokratie, eine vielleicht zu große Neigung zur Kritik mit. Ich erinnere mich, daß ich als stellvertretender Landrath über den Plan, die Wahl der Landräthe abzuschaffen, gutachtlich zu berichten hatte und mich so aussprach, die Bürokratie sinke in der Achtung vom Landrath aufwärts; sie habe dieselbe nur in der Person des Landraths bewahrt, der einen Januskopf trage, ein Gesicht in der Bürokratie, eins im Lande habe. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 25 Die Neigung zu befremdendem Eingreifen in die verschiedensten Lebensverhältnisse war unter dem damaligen väterlichen Regimente vielleicht größer als heut, aber die Organe zum Eingreifen waren weniger zahlreich und standen an Bildung und Erziehung höher als ein Theil der heutigen. Die Beamten der Königlichen hochlöblichen Regirung waren ehrliche, studirte und gut erzogne Beamte, aber ihre wohlwollende Thätigkeit fand nicht immer Anerkennung, weil sie sich ohne locale Sachkunde auf Details zersplitterte, in Betreff deren die Ansichten des gelehrten Stadtbewohners am grünen Tische nicht immer der Kritik des bäuerlichen gesunden Menschenverstandes überlegen waren. Die Mitglieder der Regirungs-Collegien (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 27 Daneben ist der bürokratische Druck auf das Privatleben durch die Art der Ausführung der "Selbstverwaltung" verstärkt worden und greift in die ländlichen Gemeinden schärfer als früher ein. Vorher bildete der der Bevölkerung ebenso nahe als dem Staate stehende Landrath den Abschluß der staatlichen Bürokratie nach unten; unter ihm standen locale Verwaltungen, die wohl der Controlle, aber nicht in gleichem Maße wie heut der Disciplinargewalt der Bezirks- oder Ministerial-Bürokratie unterlagen. Die ländliche Bevölkerung erfreut sich heut vermöge der ihr gewährten Selbstregirung nicht etwa einer ähnlichen Autonomie wie seit lange die der Städte, sondern sie hat in Gestalt des Amtsvorstehers einen Vorstand erhalten, der durch Befehle von oben, vom Landrathe unter Androhung von Ordnungsstrafen disciplinarisch angehalten wird, im Sinne der staatlichen Hierarchie seine Mitbürger in seinem Bezirke mit Listen, Meldungen und Zumuthungen zu belästigen. Die regirte contribuens plebs hat in der landräthlichen Instanz ungeschickten Eingriffen gegenüber nicht mehr die Garantie, welche (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 29 Es liegt in der menschlichen Natur, daß man von jeder Einrichtung die Dornen stärker empfindet als die Rosen, und daß die erstern gegen das zur Zeit Bestehende verstimmen. Die alten Regirungsbeamten zeigten sich, wenn sie mit der regirten Bevölkerung in unmittelbare Berührung traten, pedantisch und durch ihre Beschäftigung am grünen Tische den Verhältnissen des praktischen Lebens entfremdet, hinterließen aber den Eindruck, daß sie ehrlich und gewissenhaft bemüht waren, gerecht zu sein. Dasselbe läßt sich von den Organen der heutigen Selbstverwaltung in Landstrichen, wo die Parteien einander schärfer gegenüberstehn, nicht in allen Stufen voraussetzen; das Wohlwollen für politische Freunde, die Stimmung bezüglich des Gegners werden leicht ein Hinderniß unparteiischer Handhabung der Einrichtungen. Nach meinen Erfahrungen aus jener und der spätern Zeit möchte ich übrigens den Vorzug der Unparteilichkeit im Vergleiche zwischen richterlichen und administrativen Entscheidungen nicht den erstern allein einräumen, wenigstens nicht durchgängig. Ich habe im Gegentheil den Eindruck behalten, daß Richter an den kleinen und localen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 36 [1-15] Für letztre war allerdings auf dem Ersten Vereinigten Landtage diese Autorität des Monarchen staatsrechtlich vorhanden, aber mit dem Wunsche und dem Zukunftsgedanken, daß die unumschränkte Macht des Königs selber ohne Ueberstürzung das Maß ihrer Beschränkung zu bestimmen habe. Der Absolutismus bedarf in erster Linie Unparteilichkeit, Ehrlichkeit, Pflichttreue, Arbeitskraft und innere Demuth des Regirenden; sind sie vorhanden, so werden doch männliche oder weibliche Günstlinge, im besten Falle die legitime Frau, die eigne Eitelkeit und Empfänglichkeit für Schmeicheleien dem Staate die Früchte des Königlichen Wohlwollens verkürzen, da der Monarch nicht allwissend ist und nicht für alle Zweige seiner Aufgabe gleiches Verständniß haben kann. Ich bin schon 1847 dafür gewesen, daß die Möglichkeit öffentlicher Kritik der Regirung im Parlamente und in der Presse erstrebt werde, um den Monarchen vor der Gefahr zu behüten, daß Weiber, Höflinge, Streber und Phantasten ihm Scheuklappen anlegten, die ihn hinderten, seine monarchischen Aufgaben zu übersehn und Mißgriffe zu vermeiden oder zu corrigiren. Diese meine Auffassung hat sich um so schärfer ausgeprägt, je nachdem ich mit den Hofkreisen mehr vertraut wurde und gegen ihre Strömungen und gegen die Opposition des Ressortpatriotismus das Staatsinteresse zu vertreten hatte. Letztres allein hat mich geleitet, und es ist eine Verleumdung, wenn selbst wohlwollende Publizisten mich beschuldigen, daß ich je für ein Adelsregiment eingetreten sei. Die Geburt hat mir niemals als Ersatz für Mangel an Tüchtigkeit gegolten; wenn ich für den Grundbesitz eingetreten bin, so habe ich das nicht im Interesse besitzender Standesgenossen gethan, sondern weil ich im Verfall der Landwirthschaft eine der größten Gefahren für unsern staatlichen Bestand sehe. Mir hat immer als Ideal eine monarchische Gewalt vorgeschwebt, welche durch eine unabhängige, nach meiner Meinung ständische oder berufsgenossenschaftliche Landesvertretung soweit controllirt wäre, daß Monarch oder Parlament den bestehenden gesetzlichen Rechtszustand nicht (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 38 Die Ueberzeugung, daß der uncontrollirte Absolutismus, wie er durch Louis XIV. zuerst in Scene gesetzt wurde, die richtigste Regirungsform für deutsche Unterthanen sei, verliert auch der, welcher sie hat, durch Specialstudien in den Hofgeschichten und durch kritische Beobachtungen, wie ich sie am Hofe des von mir persönlich geliebten und verehrten Königs Friedrich Wilhelms IV. zur Zeit Manteuffel's anstellen konnte. Der König war gläubiger, gottberufener Absolutist, und die Minister nach Brandenburg in der Regel zufrieden, wenn sie durch Königliche Unterschrift gedeckt waren, auch wenn sie persönlich den Inhalt des Unterschriebenen nicht hätten verantworten mögen. Ich erlebte damals, daß ein hoher und absolutistisch gesinnter Hofbeamter in meiner und mehrer seiner Collegen Gegenwart auf die Nachricht von dem Neufchâteler Aufstand der Royalisten in einer gewissen Verblüffung sagte: "Das ist ein Royalismus, den man heut zu Tage doch nur noch sehr fern vom Hofe erlebt." Sarkasmen lagen sonst nicht in der Gewohnheit dieses alten Herrn. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 39 Wahrnehmungen, welche ich auf dem Lande über Bestechlichkeit und Chicane von Bezirksfeldwebeln und subalternen Beamten machte, und kleine Conflicte, in welche ich als Kreisdeputirter und Stellvertreter des Landraths mit der Regirung in Stettin gerieth, steigerten meine Abneigung gegen die Herrschaft der Bürokratie. Von diesen Conflicten mag der eine erwähnt sein. Während ich den beurlaubten Landrath vertrat, erhielt ich von der Regirung den Auftrag, den Patron von Külz, der ich selbst war, zur Uebernahme gewisser Lasten zu bewegen. Ich ließ den Auftrag liegen, um ihn dem Landrathe bei seiner Rückkehr zu übergeben, wurde wiederholt excitirt, und eine Ordnungsstrafe von einem Thaler wurde mir durch Postvorschuß auferlegt. Ich setzte nun ein Protokoll auf, in welchem ich erstens als stellvertretender Landrath, zweitens (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 40 [1-17] als Patron von Külz als erschienen aufgeführt war. Comparent machte in seiner Eigenschaft ad 1 sich die vorgeschriebene Vorhaltung; entwickelte dagegen in der ad 2 die Gründe, aus denen er die Zumuthung ablehnen müsse; worauf das Protokoll von ihm doppelt genehmigt und unterschrieben wurde. Die Regirung verstand Scherz und ließ mir die Ordnungsstrafe zurückzahlen. In andern Fällen kam es zu unangenehmeren Schraubereien. Ich wurde zur Kritik geneigt, also "liberal" in dem Sinne, in welchem man das Wort damals in Kreisen von Gutsbesitzern anwandte zur Bezeichnung der Unzufriedenheit mit der Bürokratie, die ihrerseits in der Mehrzahl ihrer Glieder liberaler als ich war, aber in andrem Sinne. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 113 [1-36] zu leiten. Man sucht daher die bisherige Ritterschaft als solche Leute zu bezeichnen, die den alten Zustand erhalten und zurückführen wollen, während die Rittergutsbesitzer wie jeder andre vernünftige Mensch sich selbst sagen, daß es unsinnig und unmöglich wäre, den Strom der Zeit aufhalten oder zurückdämmen zu wollen. - Man sucht ferner auf den Dörfern die Vorstellung zu wecken und zu bestärken, daß jetzt die Zeit gekommen sei, sich von allen den Zahlungen, die nach den Separationsrecessen an Rittergüter zu leisten sind, ohne Entschädigung loszumachen; aber man verschweigt dabei, daß eine Regirung, die Recht und Ordnung will, nicht damit anfangen kann, eine Klasse von Staatsbürgern zu plündern, um eine andre zu beschenken, daß alle Rechte, die auf Gesetz, Erkenntniß oder Vertrag beruhn, alle Forderungen, die Einer an den Andern haben mag, alle Ansprüche auf hypothekarische Zinsen und Capitalien denen, die sie haben, mit demselben Rechtstitel genommen werden können, mit welchem man den Rittergütern ihre Renten ohne volle Entschädigung nehmen möchte. Man täuscht den Landmann darüber, daß er mit dem Rittergutsbesitzer das gleiche Interesse des Landwirthes und den gleichen Gegner in dem ausschließlichen Industriesysteme hat, welches seine Hand nach der Herrschaft in dem preußischen Staate ausstreckt; gelingt diese Täuschung, so wollen wir hoffen, daß sie nicht lange dauert, daß man ihr durch eine schnelle, gesetzliche Abschaffung der bisherigen politischen Rechte der Rittergüter ein Ende mache, und daß der ländlichen Bevölkerung nicht erst dann, wenn es an's Bezahlen geht, dann aber zu spät, die Augen darüber aufgehn, wie fein sie von den klugen Städtern überlistet ist." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 165 [1-41] einer Erklärung der preußischen und der östreichischen Regirung vom 10. März auf den 20. März nach Dresden berufenen Fürstencongreß gekommen wäre, so wäre nach der Stimmung der betheiligten Höfe eine Opferwilligkeit auf dem Altar des Vaterlandes wie die französische vom 4. August 1789 zu erwarten gewesen. Diese Auffassung entsprach den thatsächlichen Verhältnissen; das militärische Preußen war stark und intact genug, um die revolutionäre Welle zum Stehn zu bringen und den übrigen deutschen Staaten für Gesetz und Ordnung in Zukunft Garantien zu bieten, welche den andern Dynastien damals annehmbar erschienen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 166 Der 18. März war ein Beispiel, wie schädlich das Eingreifen roher Kräfte auch den Zwecken werden kann, die dadurch erreicht werden sollen. Indessen war am 19. Morgens noch nichts verloren. Der Aufstand war niedergeschlagen. Führer desselben, darunter der mir von der Universität her bekannte Assessor Rudolf Schramm, hatten sich nach Dessau geflüchtet, hielten die erste Nachricht von dem Rückzuge der Truppen für eine polizeiliche Falle und kehrten erst nach Berlin zurück, nachdem sie die Zeitungen erhalten hatten. Ich glaube, daß mit fester und kluger Ausnutzung des Sieges; des einzigen, der damals von einer Regirung in Europa gegen Aufstände erfochten war, die deutsche Einheit in strengerer Form zu erreichen war, als zur Zeit meiner Betheiligung an der Regirung schließlich geschehn ist. Ob das nützlicher und dauerhafter gewesen wäre, lasse ich dahingestellt sein. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 192 [1-50] bei dem Einflusse, den Abgeordnete der äußersten Linken auf sie besäßen, müsse man auf größere Ausschreitungen gefaßt sein, wenn die Regirung dem demokratischen Andringen Widerstand zu leisten und in festere Wege einzulenken versuche. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 199 Als Wrangel an der Spitze der Truppen eingezogen war (10. November), verhandelte er mit der Bürgerwehr und bewog sie zum freiwilligen Abzuge. Ich hielt das für einen politischen Fehler; wenn es zum kleinsten Gefecht gekommen wäre, so wäre Berlin nicht durch Capitulation, sondern gewaltsam eingenommen, und dann wäre die politische Stellung der Regirung eine andre gewesen. Daß der König die Nationalversammlung nicht gleich auflöste, sondern auf einige Zeit vertagte und nach Brandenburg verlegte und den Versuch machte, ob sich dort eine Majorität finden würde, mit der ein befriedigender Abschluß zu erreichen war, beweist, daß in der politischen Entwicklung, die dem Könige vorschweben mochte, die Rolle der Versammlung auch damals noch nicht ausgespielt war. Daß diese Rolle auf dem Gebiete der deutschen Frage gedacht war, dafür sind mir einige Symptome erinnerlich. In Privatgesprächen der maßgebenden Politiker während der Vertagung der Versammlung (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 205 Diese Hoffnung oder Erwartung, die bis in die "Neue Aera" hinein in Phrasen von dem deutschen Berufe Preußens und von moralischen Eroberungen einen schüchternen Ausdruck fand, beruhte auf dem doppelten Irrthum, der vom März 1848 bis zum Frühjahr des folgenden Jahres in Sanssouci wie in der Paulskirche bestimmend war: einer Unterschätzung der Lebenskraft der deutschen Dynastien und ihrer Staaten, und einer Ueberschätzung der Kräfte, die man unter dem Wort Barrikade zusammenfassen kann, so daß darunter alle die Barrikade vorbereitenden Momente, Agitation und Drohung mit dem Straßenkampfe, begriffen sind. Nicht in diesem selbst lag die Gefahr des Umsturzes, sondern in der Furcht davor. Die mehr oder weniger phäakischen Regirungen waren im März, ehe sie den Degen gezogen hatten, geschlagen, theils durch die Furcht vor dem Feinde, theils durch die innere Sympathie ihrer Beamten mit demselben. Immerhin wäre es für den König von Preußen an der Spitze der Fürsten leichter gewesen, durch Ausnutzung des Sieges der Truppen in Berlin ein deutsches Einheitsgebilde herzustellen, als es nachher der Paulskirche geworden ist; ob die Eigenthümlichkeit des Königs nicht eine solche Herstellung auch bei Festhalten dieses Sieges gehindert oder das hergestellte, wie Bodelschwingh im März fürchtete, wieder unsicher gemacht haben würde, ist allerdings schwer zu beurtheilen. In den Stimmungen seiner letzten Lebensjahre, wie sie auch aus den Aufzeichnungen Leopolds v. Gerlach und aus andern Quellen ersichtlich sind, steht die ursprüngliche Abneigung gegen constitutionelle Einrichtungen, die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit eines größern Maßes freier Bewegung der Königlichen Gewalt, als das in der preußischen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 217 [1-61] militärischem Gebiete ohne Hintergedanken übernommen, so weiß ich nicht, was zu Zweifeln an einem günstigen Erfolge hätte berechtigen können. Die Situation war nicht so klar in allen Rechtsund Gewissensfragen wie Anfangs März 1848, aber politisch immerhin nicht ungünstig. Wenn ich von Hintergedanken spreche, so meine ich damit den Verzicht auf Beifall und Popularität bei verwandten Fürstenhäusern, bei Parlamenten, Historikern und in der Tagespresse. Als öffentliche Meinung imponirte damals die tägliche Strömung, die in der Presse und den Parlamenten am lautesten rauscht, aber nicht maßgebend ist für die Volksstimmung, von der es abhängt, ob die Masse den auf regelmäßigem Wege von oben ergehenden Anforderungen noch Folge leistet. Die geistige Potenz der obern Zehntausend in der Presse und auf der Tribüne ist von einer zu großen Mannigfaltigkeit sich kreuzender Bestrebungen und Kräfte getragen und geleitet, als daß die Regirungen aus ihr die Richtschnur für ihr Verhalten entnehmen könnten, so lange nicht die Evangelien der Redner und Schriftsteller vermöge des Glaubens, den sie bei den Massen finden, die materiellen Kräfte, die sich "hart im Raume" stoßen, zur Verfügung haben. Ist dies der Fall, so tritt vis major ein, mit der die Politik rechnen muß. So lange diese, in der Regel nicht schnell eintretende Wirkung nicht vorliegt, so lange nur das Geschrei der rerum novarum cupidi in größern Centren, das Emotionsbedürfniß der Presse und des parlamentarischen Lebens den Lärm machen, tritt für den Realpolitiker die Betrachtung Coriolans über populäre Kundgebungen in Kraft, wenn auch in ihr die Druckerschwärze noch keine Erwähnung findet. Die leitenden Kreise in Preußen ließen sich aber damals durch den Lärm der großen und kleinen Parlamente betäuben, ohne deren Gewicht an dem Barometer zu messen, den ihnen die Haltung der Mannschaft in Reih und Glied oder der Einberufung gegenüber an die Hand gab. Zu der Täuschung über die realen Machtverhältnisse, die ich damals bei Hofe und bei dem (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 228 [1-65] mittelalterlichen Phantasie des Königs machte und dazu beitrug, daß der König über historische Formfragen und reichsgeschichtliche Erinnerungen die Gelegenheiten zu praktischem Eingreifen in die Entwicklung der Gegenwart versäumte. Das tempus utile für Einrichtung des Dreikönigsbundes wurde dilatorisch mit nebensächlichen Formfragen ausgefüllt, bis Oestreich wieder stark genug war, um Sachsen und Hanover zum Rücktritt zu vermögen, so daß beide Mitbegründer dieses Dreibundes in Erfurt ausfielen. Während des Erfurter Parlaments, in einer von dem General von Pfuel geladenen Gesellschaft, kamen vertrauliche Nachrichten einiger Abgeordneten zur Sprache über die Stärke der östreichischen Armee, die sich in Böhmen sammelte und dem Parlament als Gegengewicht und Correctiv dienen sollte. Es wurden verschiedene Zahlen, 80000 und 130000 Mann angegeben. Radowitz hörte eine Zeit lang ruhig zu und sagte dann mit dem ihm eignen Ausdruck unwiderleglicher Gewißheit auf seinen regelmäßigen Zügen in entscheidendem Tone: "Oestreich hat in Böhmen 28254 Mann und 7132 Pferde." Die Tausende, die er angab, sind mir obiter in Erinnerung, die übrigen Ziffern setze ich nach Gutdünken hinzu, nur um die erdrückende Genauigkeit der Angaben des Generals anschaulich zu machen. Natürlich brachten diese Zahlen aus dem Munde des amtlichen und competenten Vertreters der preußischen Regirung einstweilen jede abweichende Meinung zum Schweigen. Wie stark die östreichische Armee im Frühjahr 1850 in Böhmen gewesen ist, wird heut wohl feststehn; daß sie zur Olmützer Zeit erheblich mehr als 100000 Mann betrug, habe ich annehmen müssen *) *und hält sich so seiner Sache gewiß. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 233 Auch Herr von Manteuffel war von dem Könige zu dem Versuche veranlaßt worden, die preußische äußerste Rechte für Unterstützung der Regirungspolitik zu gewinnen und in diesem Sinne (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 235 [1-67] eine Verständigung zwischen uns und der Gagern'schen Partei anzubahnen. Er that das in der Weise, daß er Gagern und mich allein zu Tisch einlud und uns beide, während wir noch bei der Flasche saßen, allein ließ, ohne uns eine vermittelnde oder einleitende Andeutung zu hinterlassen. Gagern wiederholte mir, nur minder genau und verständlich, was uns als Programm seiner Partei und etwas abgemindert als Regirungsvorlage bekannt war. Er sprach, ohne mich anzublicken, schräg weg gegen den Himmel sehend. Auf meine Aeußerung, wir royalistische Preußen befürchteten in erster Linie, daß mit dieser Verfassung die monarchische Gewalt nicht stark genug bleiben werde, versank er nach der langen und declamatorischen Darlegung in ein geringschätziges Schweigen, was den Eindruck machte, den man mit Roma locuta est übersetzen kann. Als Manteuffel wieder eintrat, hatten wir mehre Minuten schweigend gesessen, ich, weil ich Gagern's Erwiderung erwartete, er, weil er in der Erinnerung an seine Frankfurter Stellung es unter seiner Würde hielt, mit einem preußischen Landjunker anders als maßgebend zu verhandeln. Er war eben mehr zum parlamentarischen Redner und Präsidenten als zum politischen Geschäftsmann veranlagt und hatte sich in das Bewußtsein eines Jupiter tonans hineingelebt. Nachdem er sich entfernt hatte, fragte Manteuffel mich, was er gesagt habe. "Er hat mir eine Rede gehalten, als ob ich eine Volksversammlung wäre," antwortete ich. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 248 [1-71] Stockhausen übernahm es, mein in der Lausitz liegendes Regiment zu benachrichtigen, daß er dem Lieutenant von Bismarck befohlen habe, in Berlin zu bleiben. Ich begab mich zunächst zu meinem Landtagscollegen Justizrath Geppert, der damals an der Spitze zwar nicht meiner Fraction, aber doch derjenigen Zahlreichen stand, welche man das rechte Centrum hätte nennen können, und die zur Unterstützung der Regirung geneigt waren, aber die energische Wahrnehmung der nationalen Aufgabe Preußens nicht nur prinzipiell, sondern auch durch sofortige militärische Bethätigung für angezeigt hielten. Ich stieß bei ihm in erster Linie auf parlamentarische Ansichten, die mit dem Programme des Kriegsministers nicht übereinstimmten, mußte mich also bemühn, ihn von einer Auffassung abzubringen, die ich selbst vor meiner Unterredung mit Stockhausen in der Hauptsache getheilt hatte, und die man als natürliches Erzeugniß eines verletzten nationalen oder preußischmilitärischen Ehrgefühls bezeichnen kann. Ich erinnere mich, daß unsre Besprechungen von langer Dauer waren und wiederholt werden mußten. Ihre Wirkung auf die Fractionen der Rechten läßt sich aus der Adreßdebatte entnehmen. Ich selbst habe am 3. December meine damalige Ueberzeugung in einer Rede ausgesprochen, der die nachstehenden Sätze entnommen sind 1): (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 252 [1-72] Regirung auslaufen. Ein kurzer Aufenthalt in Berlin, ein flüchtiger Blick in das hiesige Treiben hat mir gezeigt, daß ich mich geirrt habe. Der Adreßentwurf nennt diese Zeit eine große; ich habe hier nichts Großes gefunden als persönliche Ehrsucht, nichts Großes als Mißtrauen, nichts Großes als Parteihaß. Das sind drei Größen, die in meinem Urtheile diese Zeit zu einer kleinlichen stempeln und dem Vaterlandsfreunde einen trüben Blick in unsre Zukunft gewähren. Der Mangel an Einigkeit in den Kreisen, die ich andeutete, wird in dem Adreßentwurfe locker verdeckt durch große Worte, bei denen sich Jeder das Seine denkt. Von dem Vertrauen, das das Land beseelt, von dem hingebenden Vertrauen, gegründet auf die Anhänglichkeit an Seine Majestät den König, gegründet auf die Erfahrung, daß das Land mit dem Ministerium, welches ihm zwei Jahre lang vorsteht, gut gefahren ist, habe ich in der Adresse und in ihren Amendements nichts gespürt. Ich hätte dies um so nöthiger gefunden, als es mir Bedürfniß schien, daß der Eindruck, den die einmüthige Erhebung des Landes in Europa gemacht hat, gehoben und gekräftigt werde durch die Einheit derer, die nicht der Wehrkraft angehören, in dem Augenblicke, wo uns unsre Nachbarn in Waffen gegenüberstehn, wo wir in Waffen nach unsern Grenzen eilen, in einem Augenblicke, wo ein Geist des Vertrauens selbst in solchen herrscht, denen er sonst nicht angebracht schien; in einem Augenblicke, wo jede Frage der Adresse, welche die auswärtige Politik berührt, Krieg oder Frieden in ihrem Schoße birgt; und, meine Herrn, welchen Krieg? Keinen Feldzug einzelner Regimenter nach Schleswig oder Baden, keine militärische Promenade durch unruhige Provinzen, sondern einen Krieg in großem Maßstabe gegen zwei unter den drei großen Continentalmächten, während die dritte beutelustig an unsern Grenzen rüstet und sehr wohl weiß, daß im Dome zu Köln das Kleinod zu finden ist, welches geeignet wäre, die französische Revolution zu schließen und die dortigen Machthaber zu befestigen, nämlich die französische Kaiserkrone. ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 255 Die Hauptfrage, die Krieg und Frieden birgt, die Gestaltung Deutschlands, die Regelung der Verhältnisse zwischen Preußen und Oestreich und der Verhältnisse von Preußen und Oestreich zu den kleinern Staaten, soll in wenigen Tagen der Gegenstand der freien Conferenzen werden, kann also jetzt nicht Gegenstand eines Krieges sein. Wer den Krieg durchaus will, den vertröste ich darauf, daß er in den freien Conferenzen jederzeit zu finden ist: in vier oder sechs Wochen, wenn man ihn haben will. Ich bin weit davon entfernt, in einem so wichtigen Augenblicke, wie dieser ist, die Handlungsweise der Regirung durch Rathgeben hemmen zu wollen. Wenn ich dem Ministerium gegenüber einen Wunsch aussprechen wollte, so wäre es der, daß wir nicht eher (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 260 [1-75] in Petersburg beunruhigte und als eine militärische Gefahr im Kriegsfalle aufgefaßt wurde. Im März 1848 erschien den Russen die Entwicklung der Revolution in Deutschland und Polen noch als etwas Unberechenbares und Gefährliches. Der erste russische Diplomat, der in Petersburg durch seine Berichte eine andre Ansicht vertrat, war der damalige Geschäftsträger in Frankfurt am Main, spätre Gesandte in Berlin, Baron von Budberg. Seine Berichte über die Verhandlungen und die Bedeutung der Paulskirche waren von Hause aus satirisch gefärbt, und die Geringschätzung, mit welcher dieser junge Diplomat von den Reden der deutschen Professoren und von der Machtstellung der Nationalversammlung in seinen Berichten sprach, hatte den Kaiser Nicolaus dergestalt befriedigt, daß Budberg's Carrière dadurch gemacht und er sehr schnell zum Gesandten und Botschafter befördert wurde. Er hatte in ihnen vom antideutschen Standpunkte eine analoge politische Schätzung zum Ausdruck gebracht, wie sie in den altpreußischen Kreisen in Berlin, in denen er früher gelebt hatte, in landsmannschaftlicher und besorgter Weise herrschend war, und man kann sagen, daß die Auffassung, als deren erster Erfinder er in Petersburg Carrière machte, dem Berliner "Casino" entsprungen war. Seitdem hatte man in Rußland nicht nur die militärische Stellung an der Weichsel wesentlich verstärkt, sondern auch einen geringern Eindruck von der damaligen militärischen Leistungsfähigkeit der Revolution sowohl wie der deutschen Regirungen gewonnen, und die Sprache, welche ich im November 1850 bei dem mir befreundeten russischen Gesandten Baron Meyendorff und seinen Landsleuten hörte, war eine im russischen Sinne vollkommen zuversichtliche, von einer persönlich wohlwollenden, aber für mich verletzenden Theilnahme für die Zukunft des befreundeten Preußens durchsetzt. Sie machte mir den Eindruck, daß man Oestreich für den stärkern und zuverlässigern Theil und Rußland selbst für stark genug hielt, um die Entscheidung zwischen beiden in die Hand zu nehmen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 262 Mit den Mitteln und Gewohnheiten des auswärtigen Dienstes noch nicht so vertraut wie später, war ich doch als Laie nicht zweifelhaft, daß der Krieg, wenn er für uns überhaupt geboten oder annehmbar erschien, auch nach Olmütz in den Dresdner Verhandlungen jederzeit gefunden und durch Abbruch derselben herbeigeführt werden konnte. Stockhausen hatte mir gelegentlich sechs Wochen als die Frist bezeichnet, deren er bedürfte, um fechten zu können, und es wäre nach meiner Ansicht nicht schwer gewesen, das Doppelte derselben durch geschickte Leitung der Verhandlungen in Dresden zu gewinnen, wenn bei uns die momentane Unfertigkeit der militärischen Rüstungen der einzige Grund gewesen wäre, uns eine kriegerische Lösung zu versagen. Wenn die Dresdner Verhandlungen nicht dazu benutzt worden sind, im preußischen Sinne entweder ein höheres Resultat oder einen berechtigt erscheinenden Anlaß zum Kriege zu gewinnen, so ist mir niemals klar geworden, ob die auffällige Beschränkung unsrer Ziele in Dresden von dem Könige oder von Herrn von Manteuffel, dem neuen auswärtigen Minister, ausgegangen ist. Ich habe damals nur den Eindruck gehabt, daß letztrer nach seinem Vorleben als Landrath, RegirungsPräsident und Director im Ministerium des Innern sich in der Sicherheit seines Auftretens durch die renommirenden vornehmen Verkehrsformen des Fürsten Schwarzenberg genirt fühlte. Schon die häusliche Erscheinung Beider in Dresden - Fürst Schwarzenberg mit Livreen, Silbergeschirr und Champagner im ersten Stock, der preußische Minister mit Kanzleidienern und Wassergläsern eine Treppe höher - war geeignet, auf das Selbstgefühl der betheiligten Vertreter beider Großmächte und auf ihre Einschätzung durch die übrigen deutschen Vertreter nachtheilig für uns zu wirken. Die alte preußische Einfachheit, die Friedrich der Große seinem Vertreter in London mit der Redensart empfahl: "Sage Er, wenn Er zu Fuß geht, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 266 Nachdem die preußische Regirung sich entschlossen hatte, den von Oestreich reactivirten Bundestag zu beschicken und dadurch vollzählig zu machen, wurde der General von Rochow, der in Petersburg accreditirt war und blieb, provisorisch zum BundestagsGesandten ernannt. Gleichzeitig wurden zwei Legationsräthe für die Gesandschaft auf den Etat gebracht, ich selbst und Herr von Gruner. Mir wurde durch Se. Majestät und den Minister von Manteuffel vor meiner Ernennung zum Legationsrath die demnächstige Ernennung zum Bundestags-Gesandten in Aussicht gestellt. Rochow sollte mich einführen und anlernen, konnte aber selbst nicht geschäftsmäßig arbeiten und benutzte mich als Redacteur, ohne mich politisch au fait zu halten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 291 [1-88] Eurer Majestät zugezogen, und ich werde das Gefühl haben, meinen Gegnern ausgeliefert zu sein, wenn ich Gesandter in Wien werden sollte. Jede Regirung kann jeden Gesandten, der bei ihr beglaubigt ist, mit Leichtigkeit schädigen und durch Mittel, wie sie die östreichische Politik in Deutschland anwendet, seine Stellung verderben." Die Erwiderung des Königs pflegte zu sein: "Befehlen will ich nicht. Sie sollen freiwillig hingehn und mich darum bitten; es ist das eine hohe Schule für Ihre diplomatische Ausbildung, und Sie sollten mir dankbar sein, wenn ich diese Ausbildung, weil es bei Ihnen der Mühe lohnt, übernehme." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 382 Während Goltz und seine Berliner Genossen ihre Sache mit einem gewissen Geschick betrieben, von welchem der erwähnte Artikel eine Probe ist, war Bunsen, Gesandter in London, so unvorsichtig, im April 1854 dem Minister Manteuffel eine lange Denkschrift einzusenden, welche die Herstellung Polens, die Ausdehnung Oestreichs bis in die Krim, die Versetzung der Ernestinischen Linie auf den sächsischen Königsthron und dergleichen mehr forderte und die Mitwirkung Preußens für dieses Programm empfahl. Gleichzeitig hatte er nach Berlin gemeldet, die englische Regirung würde mit der Erwerbung der Elbherzogthümer durch Preußen einverstanden sein, wenn letztres sich den Westmächten anschließen wolle, und in London hatte er zu verstehn gegeben, daß die preußische Regirung dazu unter der bezeichneten Gegenleistung bereit sei 1). Zu beiden Erklärungen war er nicht ermächtigt. Das war denn doch dem Könige, als er dahinter kam, zu viel, so sehr er Bunsen liebte. Er ließ ihn durch Manteuffel anweisen, einen langen Urlaub zu nehmen, der dann in den Ruhestand überging. In der von der Familie herausgegebenen Biographie Bunsen's ist jene Denkschrift, mit Weglassung der ärgsten Stellen, aber ohne Andeutung von Lücken, abgedruckt und die amtliche Correspondenz, die mit der Beurlaubung endigte, in einseitiger Färbung wiedergegeben. Ein im Jahre 1882 in die Presse gelangter Brief des Prinzen Albert an den Freiherrn von Stockmar (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 385 In die Pläne der Ausschlachtung Rußlands hatte man den Prinzen von Preußen nicht eingeweiht. Wie es gelungen, ihn für eine Wendung gegen Rußland zu gewinnen, ihn, der vor 1848 seine Bedenken gegen die liberale und nationale Politik des Königs nur in den Schranken brüderlicher Rücksicht und Unterordnung geltend gemacht hatte, zu einer ziemlich activen Opposition gegen die Regirungspolitik zu bewegen, trat in einer Unterredung hervor, die ich mit ihm in einer der Krisen hatte, in welchen mich der König zum Beistande gegen Manteuffel nach Berlin berufen hatte. Ich wurde gleich nach meiner Ankunft zu dem Prinzen befohlen, der mir in einer durch seine Umgebung erzeugten Gemüthserregung den Wunsch aussprach, ich solle dem Könige im westmächtlichen und antirussischen Sinne zureden. Er sagte: "Sie sehn sich hier zwei streitenden Systemen gegenüber, von denen das eine durch Manteuffel, das andre, russenfreundliche, durch Gerlach und den Grafen Münster in Petersburg vertreten ist. Sie kommen frisch hierher, sind von dem Könige gewissermaßen als Schiedsmann berufen. Ihre Meinung wird daher den Ausschlag geben, und ich beschwöre Sie, sprechen Sie sich so aus, wie es nicht nur die europäische Situation, sondern auch ein richtiges Freundesinteresse für Rußland erfordert. Rußland ruft ganz Europa gegen sich auf und wird schließlich unterliegen. Alle diese prächtigen Truppen," - es war dies nach den für die Russen nachtheiligen Schlachten vor Sebastopol - "alle unsre Freunde, die dort geblieben sind," - er nannte mehre - "würden noch leben, wenn wir richtig eingegriffen und Rußland zum Frieden gezwungen hätten." Es würde damit enden, daß Rußland, unser alter Freund und Bundesgenosse, vernichtet oder in gefährlicher Weise geschädigt würde. Unsre, von Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 8 (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 401 Das einzige Mittel, unsre Theilnahme an den Conferenzen durchzusetzen, ist und bleibt die Zurückhaltung unsrer Erklärung über die östreichische Vorlage hier. Was soll man noch mit einem preußischen Quärulanten auf den Conferenzen, wenn man den Bundesbeschluß und damit uns, erst in der Tasche hat? Oestreich wird ihn schon auszulegen wissen, wenn nur nicht da sind. Aus der östreichischen Regirungspresse und aus dem Verhalten Rechberg's geht klar hervor, daß sie schon jetzt den dürftigen Vorbehalt in dem Oestreichisch-Bairischen Entwurf ausdrücklich auf Artikel V *) (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 432 An dem prinzlichen Hofe hatte das staatliche Interesse in der Abwehr von Schädigungen durch weibliche Einflüsse einen festen und klugen Vertreter an Gustav von Alvensleben, der an dem Frieden zwischen beiden Höfen nach Kräften arbeitete, ohne mit den politischen Maßregeln der Regirung einverstanden zu sein. Er theilte meine Ansicht von der Nothwendigkeit, die Frage der preußisch-östreichischen Rivalität auf dem Schlachtfelde zu entscheiden, weil sie in andrer Weise unlösbar sei. Er, der das vierte Corps bei Beaumont und Sedan führte, und sein Bruder Constantin, dessen selbständig gefaßten Entschlüsse bei Vionville und Mars la Tour die französische Rheinarmee vor Metz zum Stehn brachten, waren Musterbilder von Generalen. Wenn ich ihn gelegentlich nach seiner Meinung über den Ausgang einer ersten Hauptschlacht zwischen uns und den Oestreichern fragte, so antwortete er: "Wir laufen sie über, daß sie die Beine gen Himmel kehren." Und seine Zuversicht hat dazu beigetragen, mir in den schwierigen Entschließungen von 1864 und 1866 den Muth zu stärken. Der Antagonismus, in dem sein lediglich durch staatliche und patriotische Erwägungen bestimmter Einfluß auf den Prinzen mit dem der Prinzessin stand, brachte ihn zuweilen in eine Erregung, der er in Worten Luft machte, die ich nicht wiederholen will, die aber die ganze Entrüstung des patriotischen Soldaten über politisirende Damen in einer die Strafgesetze streifenden Sprache zum Ausdruck brachten. Daß der Prinz diesen seinen Adjutanten seiner Gemalin gegenüber hielt, war ein Ergebniß der Eigenschaft, die er auch als König und Kaiser bewährte, daß er für treue Diener ein treuer Herr war. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 477 [1-137] Bald nach dem Datum des letzten Briefes war die Verstimmung zwischen dem Könige und Manteuffel so acut geworden, daß der letztere sich schmollend auf sein Gut Drahnsdorf zurückzog. Um ihn zu einem "gehorsamen Minister" zu machen, benutzte der König diesmal nicht meine Ministercandidatur als Schreckbild, sondern beauftragte mich, den Grafen Albrecht von Alvensleben, den "alten Lerchenfresser", wie er ihn nannte, in Erxleben aufzusuchen und zu fragen, ob er den Vorsitz in einem neuen Ministerium übernehmen wolle, in dem ich das auswärtige Ressort erhalten solle. Der Graf hatte kurz vorher mir unter sehr abfälligen Aeußerungen über den König erklärt, daß er während der Regirung Sr. Majestät unter keinen Umständen in irgend ein Cabinet treten werde 1). Ich sagte dies dem Könige, und meine Reise unterblieb. Später aber, als dieselbe Combination wieder auftauchte, hat er sich doch bereit erklärt, sie zu acceptiren; der König vertrug sich dann aber mit Manteuffel, der inzwischen "Gehorsam" gelobt hatte. Statt der Sendung nach Erxleben reiste ich aus eignem Antriebe zu Manteuffel auf's Land und redete ihm zu, sich von Quehl zu trennen und stillschweigend ohne Explication mit Sr. Majestät seine amtliche Function wieder aufzunehmen. Er erwiderte in dem Sinne seines Briefes vom 11. Juli 1851, daß er den fähigen, ihm mit Hingebung dienenden Mann nicht fallen lassen könne. Da ich heraus zu hören glaubte, daß Manteuffel wohl noch andre Gründe habe, Quehl zu schonen, so sagte ich: "Vertrauen Sie mir die Vollmacht an, Sie von Quehl zu erlösen, ohne daß es zu einem Bruche zwischen Ihnen beiden kommt; wenn mir das gelingt, so bringen Sie dem Könige die Nachricht von Quehl's Abgange und führen die Geschäfte fort, als wenn kein Dissensus zwischen Sr. Majestät und Ihnen vorgekommen wäre." Er ging auf diesen Gedanken ein, und wir verabredeten, daß er Quehl, der sich grade auf einer Reise in Frankreich befand, veranlassen werde, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 490 Ich schrieb dem General Gerlach 1), ich sei eins der jüngsten Mitglieder unter diesen Leuten. Wenn ich die Wünsche Sr. Majestät früher gekannt hätte, hätte ich vielleicht einen Einfluß gewinnen können; aber der Befehl des Königs, von mir in Berlin ausgeführt und in der conservativen Partei beider Häuser vertreten, würde meine parlamentarische Stellung, die für den König und seine Regirung in andern Fragen von Nutzen sein könnte, zerstören, wenn ich rein als königlicher Beauftragter, ohne eigne Gedanken zu vertreten, meinen Einfluß in der kurzen Frist von zwei Tagen verwerthen sollte. Ich fragte daher an, ob ich nicht den vom Könige erhaltenen Auftrag, mit dem Prinzen von Augustenburg zu verhandeln, als Grund für mein Wegbleiben von dem Landtage geltend machen dürfte. Ich erhielt durch den Telegraphen die Antwort, mich auf das Augustenburger Geschäft nicht zu berufen, sondern sofort nach Berlin zu kommen, reiste also am 26. April ab. Inzwischen war in Berlin auf Betrieb der conservativen Partei ein Beschluß gefaßt worden, der (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 498 Wenn ich heut auf diese Vorgänge zurückblicke, so scheint es mir, daß die drei oder sechs Führer, gegen welche ich die conservative Fraction aufwiegelte, im Grunde dem Könige gegenüber Recht hatten. Die Erste Kammer war zur Lösung der Aufgaben, welche einer solchen im constitutionellen Leben zufallen, befähigter als das heutige Herrenhaus. Sie genoß in der Bevölkerung eines Ansehns, welches das Herrenhaus sich bisher nicht erworben hat. Das letztre hat zu einer hervorragenden politischen Leistung nur in der Conflictszeit Gelegenheit gehabt und sich damals durch die furchtlose Treue, mit der es zur Monarchie stand, auf dem defensiven Gebiete der Aufgabe eines Oberhauses völlig gewachsen gezeigt. Es ist wahrscheinlich, daß es in kritischen Lagen der Monarchie dieselbe tapfere Festigkeit beweisen wird. Ob es aber für Verhütung solcher Krisen in den scheinbar friedlichen Zeiten, in denen sie sich vorbereiten können, denselben Einfluß ausüben wird, wie jene Erste Kammer gethan hat, ist mir zweifelhaft. Es verräth einen Fehler in der Constitution, wenn ein Oberhaus in der Einschätzung der öffentlichen Meinung ein Organ der Regirungspolitik oder selbst der königlichen Politik wird. Nach der preußischen Verfassung hat der König mit seiner Regirung an und für sich einen gleichwerthigen Antheil an der Gesetzgebung, wie jedes der beiden Häuser; er hat nicht nur sein volles Veto, sondern die ganze vollziehende Gewalt, vermöge deren die Initiative in der Gesetzgebung factisch und die Ausführung der Gesetze auch rechtlich der Krone zufällt. Das Königthum ist, wenn es sich seiner Stärke bewußt ist und den Muth hat, sie anzuwenden, mächtig genug für eine verfassungsmäßige Monarchie, ohne eines ihm gehorsamen Herrenhauses als einer Krücke zu bedürfen. Auch wenn das Herrenhaus in der Conflictszeit sich für die ihm zugehenden Etatsgesetze (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 499 [1-144] die Beschlüsse des Abgeordnetenhauses angeeignet hätte, so wäre immer, um ein Statsgesetz nach Art. 99 zu Stande zu bringen, die Zustimmung des dritten Factors, des Königs, unentbehrlich gewesen, um dem Etat Gesetzeskraft zu geben. Nach meiner Ueberzeugung würde König Wilhelm seine Zustimmung auch dann versagt haben, wenn das Herrenhaus in seinen Beschlüssen mit dem Abgeordnetenhause übereingestimmt hätte. Daß die "Erste Kammer" das gethan haben würde, glaube ich nicht, vermuthe im Gegentheil, daß ihre durch Sachlichkeit und Leidenschaftslosigkeit überlegnen Debatten schon viel früher auf das Abgeordnetenhaus mäßigend eingewirkt und dessen Ausschreitungen zum Theil verhindert haben würden. Das Herrenhaus hatte nicht dasselbe Schwergewicht in der öffentlichen Meinung, man war geneigt, in ihm eine Doublüre der Regirungsgewalt und eine parallele Ausdrucksform des königlichen Willens zu sehn. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 506 [1-147] die Collationirung im Schlosse ergab, daß, wie ich befürchtet hatte, das Concept geändert und der östreichischen Politik näher gerückt war. Während des Krimkrieges und der vorangegangnen Verhandlungen drehten sich die Kämpfe in den Regirungskreisen häufig um eine westmächtlich-östreichische oder eine russische Phrase, die, kaum geschrieben, keine praktische Bedeutung mehr hatte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 507 Um eine ernstere, in den Verlauf der Dinge eingreifende Frage der Redaction handelte es sich im August 1854. Der König befand sich in Rügen; ich war auf dem Wege von Frankfurt nach Reinfeld, wo meine Frau krank lag, als am 29. August in Stettin ein höherer Postbeamter, der angewiesen war, auf mich zu fahnden, mir eine Einladung des Königs nach Putbus ausrichtete. Ich hätte mich gern gedrückt, der Postbeamte aber begriff nicht, wie ein Mann von altem preußischen Schlage sich einer solchen Aufforderung entziehn wolle. Ich ging nach Rügen, nicht ohne Sorge vor neuen Zumuthungen, Minister zu werden und dadurch in unhaltbare Beziehungen zum Könige zu gerathen. Der König empfing mich am 30. August gnädig und setzte mich von einer vorliegenden Meinungsverschiedenheit über die durch den Rückzug der Russen aus den Donaufürstenthümern entstandene Situation in Kenntniß. Es handelte sich um die Depesche des Grafen Buol vom 10. August und einen von Manteuffel vorgelegten Entwurf einer Antwort, den der König zu östreichisch fand. Auf Befehl machte ich einen andern Entwurf, der von Sr. Majestät genehmigt und nach Berlin geschickt wurde, um im Widerspruch mit dem leitenden Minister zunächst an den Grafen Arnim in Wien gesandt und dann den deutschen Regirungen mitgetheilt zu werden 1). Die durch Annahme meines Entwurfs bekundete Stimmung des Königs zeigte sich auch in dem Empfang des Grafen Benckendorf, der mit Briefen und mündlichen Aufträgen in Putbus eintraf, und den ich mit der Nachricht hatte empfangen können, daß die Engländer und Franzosen in der Krim (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 525 Am auffallendsten war mir der Unterschied in den Anordnungen für die Circulation. Das Versailler Schloß bietet dafür eine viel größere Leichtigkeit, als das Berliner vermöge der größern Zahl und, abgesehn von dem Weißen Saale, der größern Ausdehnung der Räume. Hier war den Soupirenden Nro. 1 für ihren Rückzug derselbe Weg angewiesen, wie den Hungrigen Nro. 2, deren stürmischer Anmarsch schon eine weniger höfische gesellschaftliche Gewöhnung verrieth. Es kamen körperliche Zusammenstöße der gestickten und bebänderten Herrn und reich eleganten Damen vor, die in Handgreiflichkeiten und Verbalinjurien übergingen, wie sie bei uns im Schlosse unmöglich wären. Ich zog mich mit dem befriedigenden Eindruck zurück, daß trotz alles Glanzes des kaiserlichen Hofes der Hofdienst, die Erziehung und die Manieren der Hofgesellschaft bei uns, wie in Petersburg und Wien höher standen als in Paris, und daß die Zeiten hinter uns lagen, da man in Frankreich und am Pariser Hofe eine Schule der Höflichkeit und des guten Benehmens durchmachen konnte. Selbst die, namentlich im Vergleich mit Petersburg, veraltete Etikette kleiner deutscher Höfe war würdevoller als die imperialistische Praxis. Freilich habe ich diesen Eindruck schon unter Louis Philipp gehabt, während dessen Regirung es in Frankreich gradezu Mode wurde, sich in der Richtung übertriebener Ungenirtheit und des Verzichtes auf Höflichkeit besonders gegen Damen hervorzuthun. War es nun auch in dieser Beziehung während des zweiten Kaiserreichs besser geworden, so blieben doch der Ton in der amtlichen und höfischen Gesellschaft und die Haltung des Hofes selbst gegen die drei östlichen großen Höfe zurück. Nur in den der amtlichen Welt fremden legitimistischen Kreisen war es zur Zeit Louis Philipp's sowohl, wie Louis Napoleon's anders, der Ton tadellos, höflich und gastlich, mit gelegentlichen Ausnahmen der jüngern, mehr verpariserten Herrn, die ihre Gewohnheiten nicht der Familie, sondern dem Club entnahmen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 540 Oder finden Sie das Prinzip, welches ich geopfert habe, in der Formel, daß ein Preuße stets ein Gegner Frankreichs sein müsse? Aus dem Obigen geht schon hervor, daß ich den Maßstab für mein Verhalten gegen fremde Regirungen nicht aus (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 541 [1-158]stagnirenden Antipathien, sondern nur aus der Schädlichkeit oder Nützlichkeit für Preußen, welche ich ihnen beilege, entnehme. In der Gefühlspolitik ist garkeine Reciprocität, sie ist eine ausschließlich Preußische Eigenthümlichkeit; jede andre Regirung nimmt lediglich ihre Interessen zum Maßstabe ihrer Handlungen, wie sie dieselben auch mit rechtlichen oder gefühlvollen Deductionen drapiren mag. Man acceptirt unsre Gefühle, beutet sie aus, rechnet darauf, daß sie uns nicht gestatten, uns dieser Ausbeutung zu entziehn und behandelt uns danach, d. h. man dankt uns nicht einmal dafür und respectirt uns nur als brauchbare dupe. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 543 [1-159] unter den Großmächten ist. Bündnisse sind der Ausdruck gemeinsamer Interessen und Absichten. Ob wir Absichten und bewußte Ziele unsrer Politik überhaupt jetzt haben, weiß ich nicht; aber daß wir Interessen haben, daran werden uns Andre schon erinnern. Wir aber haben die Wahrscheinlichkeit eines Bündnisses bisher nur mit denen, deren Interessen sich mit den unsrigen am mannigfachsten kreuzen und ihnen widersprechen, nämlich mit den deutschen Staaten und Oestreich. Wollen wir damit unsre auswärtige Politik abgeschlossen betrachten, so müssen wir uns auch mit dem Gedanken vertraut machen, in Friedenszeiten unsern europäischen Einfluß auf ein Siebzehntel der Stimmen des engern Rathes im Bunde reducirt zu sehn und im Kriegsfalle mit der Bundesverfassung in der Hand allein im Taxis'schen Palais übrig zu bleiben. Ich frage Sie, ob es in Europa ein Cabinet gibt, welches mehr als das Wiener ein gebornes und natürliches Interesse daran hat, Preußen nicht stärker werden zu lassen, sondern seinen Einfluß in Deutschland zu mindern; ob es ein Cabinet gibt, welches diesen Zweck eifriger und geschickter verfolgt, welches überhaupt kühler und cynischer nur seine eignen Interessen zur Richtschnur seiner Politik nimmt, und welches uns, den Russen und den Westmächten mehr und schlagendere Beweise von Perfidie und Unzuverlässigkeit für Bundesgenossen gegeben hat? Genirt sich denn Oestreich etwa mit dem Auslande jede seinem Vortheil entsprechende Verbindung einzugehn und sogar die Theilnehmer des Deutschen Bundes vermöge solcher Verbindungen offen zu bedrohen? Halten Sie den Kaiser Franz Joseph für eine aufopfernde, hingebende Natur überhaupt und insbesondre für außeröstreichische Interessen? Finden Sie zwischen seiner Buol-Bach'schen Regirungsweise und der Napoleonischen vom Standpunkte des ,Prinzips' einen Unterschied? Der Träger der letztern sagte mir in Paris, es sei für ihn ,qui fais tous les efforts pour sortir de ce système de centralisation trop tendue qui en dernier lieu a pour pivot un gend'arme-sécrétaire et que je considère comme une des causes principales des malheurs de la France' sehr (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 544 [1-160] merkwürdig zu sehn, wie Oestreich die stärksten Anstrengungen mache, um hinein zu gerathen. Ich frage noch weiter und bitte Sie, mich in Antwort nicht mit einer ausweichenden Wendung abzufinden: gibt es nächst Oestreich Regirungen, die weniger den Beruf fühlen, etwas für Preußen zu thun, als die deutschen Mittelstaaten? Im Frieden haben sie das Bedürfniß, am Bunde und im Zollverein Rollen zu spielen, ihre Souveränetät an unsern Gränzen geltend zu machen, sich mit von der Heydt zu zanken, und im Kriege wird ihr Verhalten durch Furcht oder Mißtrauen für oder gegen uns bedingt, und das Mißtrauen wird ihnen kein Engel ausreden können, so lange es noch Landkarten gibt, auf die sie einen Blick werfen können. Und nun noch eine Frage: Glauben Sie denn und glaubt Se. Majestät der König wirklich noch an den Deutschen Bund und seine Armee für den Kriegsfall? ich meine nicht für den Fall eines französischen Revolutionskrieges gegen Deutschland im Bunde mit Rußland, sondern in einem Interessenkriege, bei dem Deutschland mit Preußen und Oestreich auf ihren alleinigen Füßen zu stehn angewiesen wären. Glauben Sie daran, so kann ich allerdings nicht weiter discutiren, denn unsre Prämissen wären zu verschieden. Was könnte Sie aber berechtigen, daran zu glauben, daß die Großherzöge von Baden und Darmstadt, der König von Würtemberg oder Baiern den Leonidas für Preußen und Oestreich machen sollten, wenn die Uebermacht nicht auf deren Seite ist und niemand an Einheit und Vertrauen zwischen beiden, Preußen und Oestreich nämlich, auch nur den mäßigsten Grund hat zu glauben? Schwerlich wird der König Max in Fontainebleau dem Napoleon sagen, daß er nur über seine Leiche die Gränze Deutschlands oder Oestreichs passiren werde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 549 Unsre innern Verhältnisse leiden unter ihren eignen Fehlern kaum mehr, als unter dem peinlichen und allgemeinen Gefühl unsres Verlustes an Ansehn im Auslande und der gänzlich passiven Rolle unsrer Politik. Wir sind eine eitle Nation, es ist uns schon empfindlich, wenn wir nicht renommiren können, und einer Regirung, die uns nach außen hin Bedeutung gibt, halten wir (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 552 Sie werden wahrscheinlich sagen, daß ich aus dépit, weil Sie nicht meiner Meinung sind, schwarz sehe und raisonnire wie ein Rohrspatz; aber ich würde wahrlich ebensogern meine Bemühungen an die Durchführung fremder Ideen wie eigner setzen, wenn ich nur überhaupt welche fände. So weiter zu vegetiren, dazu bedürfen wir eigentlich des ganzen Apparates unsrer Diplomatie nicht. Die Tauben, die uns gebraten anfliegen, entgehn uns ohnehin nicht; oder doch, denn wir werden den Mund schwerlich dazu aufmachen, falls wir nicht grade gähnen. Mein Streben geht ja nur dahin, daß wir solche Dinge zulassen und nicht von uns weisen, welche geeignet sind, bei den Cabinetten in Friedenszeit den Eindruck zu machen, daß wir uns mit Frankreich nicht schlecht stehn, daß man auf unsre Beistandsbedürftigkeit gegen Frankreich nicht zählen und uns deßhalb drücken darf, und daß uns, wenn man unwürdig mit uns umgehn will, alle Bündnisse offen stehn. Wenn ich nun melde, daß diese Vortheile gegen Höflichkeit und gegen den Schein der Reciprocität zu haben sind, so erwarte ich, daß man mir entweder nachweist, es seien keine Vortheile, es entspreche vielmehr unsern Interessen besser, wenn fremde und deutsche Höfe berechtigt sind, von der Annahme auszugehn, daß wir gegen Westen unter allen Umständen feindlich gerüstet sein müssen und Bündnisse, eventuell Hülfe, dagegen bedürfen, und wenn sie diese Annahme als Basis ihrer gegen uns gerichteten politischen Operationen ausbeuten. Oder ich erwarte, daß man andre Pläne und Absichten hat, in deren Combination der Anschein eines guten Vernehmens mit Frankreich nicht paßt. Ich weiß nicht, ob die Regirung einen Plan hat (den ich nicht kenne), ich glaube es nicht; wenn man aber diplomatische Annäherungen einer großen Macht nur deßhalb von sich abhält und die politischen Beziehungen zweier großen Mächte nur danach regelt, ob man Antipathien oder Sympathien für Zustände und Personen hat, die man doch nicht ändern (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 574 [1-172] erwartet, lediglich aus Gutmüthigkeit und love of approbation zu machen. Können wir jetzt kein Aequivalent für eine Gefälligkeit der Art erwarten, so sollten wir auch unsre Concession zurückhalten; die Gelegenheit, sie als Ausgleichungsobject zu verwerthen, kommt vielleicht später einmal. Die Nützlichkeit für den Bund kann doch nicht die ausschließliche Richtschnur Preußischer Politik sein, denn das Allernützlichste für den Bund wäre ohne Zweifel, wenn wir uns und alle deutschen Regirungen Oestreich militärisch, politisch und commerciell im Zollverein unterordneten; unter einheitlicher Leitung würde der Bund in Krieg und Frieden ganz andre Dinge leisten, auch wirklich haltbar werden für Kriegsfälle..." 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 596 [1-177] prätendirten, unsern Vorfahren für durchaus koscher, und den Vereinigten Staaten von Nordamerika haben wir schon in dem Haager Vertrage von 1785 ihren revolutionären Ursprung verziehn. Der jetzige König von Portugal hat uns in Berlin besucht, und mit dem Hause Bernadotte hätten wir uns verschwägert, wenn nicht zufällige Hindernisse eintraten. Wann und nach welchen Kennzeichen haben alle diese Mächte aufgehört, revolutionär zu sein? Es scheint, daß man ihnen die illegitime Geburt verzeiht, sobald wir keine Gefahr von ihnen besorgen, und daß man sich alsdann auch nicht prinzipiell daran stößt, wenn sie fortfahren, ohne Buße, ja mit Rühmen sich zu ihrer Wurzel im Unrecht zu bekennen. Ich sehe nicht, daß vor der französischen Revolution ein Staatsmann, sei er auch der christlichste und gewissenhafteste, auf den Gedanken gekommen wäre, sein gesammtes politisches Streben, sein Verhalten zur äußern wie zur innern Politik dem Prinzipe des ,Kampfes gegen die Revolution' unterzuordnen und die Beziehungen seines Landes zu andern lediglich an diesem Probirstein zu prüfen; und doch waren die Grundsätze der amerikanischen Revolution und der englischen Revolution, abgesehn von dem Maße des Blutvergießens und dem nach dem Nationalcharakter sich verschieden gestaltenden Unfug mit der Religion, ziemlich dieselben, wie diejenigen, welche in Frankreich die Unterbrechung der Continuität des Rechtes herbeiführten. Ich kann nicht annehmen, daß es vor 1789 nicht einige ebenso christliche und conservative Politiker, ebenso richtige Erkenner des Bösen gegeben hätte, wie wir sind, und daß die Wahrheit eines von uns als Grundlage aller Politik hinzustellenden Prinzips ihnen entgangen sein sollte. Ich finde auch nicht, daß wir auf alle revolutionäre Erscheinungen nach 1789 das Prinzip ebenso rigoros anwenden wie auf Frankreich. Die analogen Rechtszustände in Oestreich, das Prosperiren der Revolution in Portugal, Spanien, Belgien und in dem durch und durch revolutionären heutigen Dänemark, das offne Bekennen und Propagiren der revolutionären Grundideen von Seiten der englischen Regirung und das (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 599 [1-179] sondern ihn nur frei von den Zuthaten zur Anschauung bringen, welche seinem Wesen nicht nothwendig eigen sind. Zu solchen rechne ich ferner die ungerechten Kriege und Eroberungen. Diese sind kein eigenthümliches Attribut der Familie Bonaparte oder des nach ihr benannten Regirungssystems. Legitime Erben alter Throne können das auch. Ludwig XIV. hat nach seinen Kräften nicht weniger heidnisch in Deutschland gewirthschaftet als Napoleon, und wenn letztrer mit seinen Anlagen und Neigungen als Sohn Ludwigs XVI. geboren wäre, so hätte er uns vermuthlich auch das Leben sauer genug gemacht. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 600 Der Trieb zum Erobern ist England, Nordamerika, Rußland und andern nicht minder eigen als dem Napoleonischen Frankreich, und sobald Macht und Gelegenheit dazu sich finden, ist es auch bei der legitimsten Monarchie schwerlich die Bescheidenheit oder die Gerechtigkeitsliebe, welche ihm Schranken setzt. Bei Napoleon III. scheint er als Instinct nicht zu dominiren; derselbe ist kein Feldherr, und im großen Kriege, mit großen Erfolgen oder Gefahren könnte es kaum fehlen, daß die Blicke der französischen Armee, der Trägerin seiner Herrschaft, sich mehr auf einen glücklichen General als auf den Kaiser richteten. Er wird daher den Krieg nur dann suchen, wenn er sich durch innre Gefahren dazu genöthigt glaubt. Eine solche Nöthigung würde aber für den legitimen König von Frankreich, wenn er jetzt zur Regirung käme, von Hause aus vorhanden sein. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 602 [1-180] würde es hinreichen, meine Ansicht zu erschüttern. Aber der Bonapartismus unterscheidet sich dadurch von der Republik, daß er nicht das Bedürfniß hat, seine Regirungsgrundsätze gewaltsam zu propagiren. Selbst der erste Napoleon hat den Ländern, welche nicht direct oder indirect zu Frankreich geschlagen wurden, seine Regirungsform nicht aufzudrängen versucht; man ahmte sie im Wetteifer freiwillig nach. Fremde Staaten mit Hülfe der Revolution zu bedrohn, ist heut zu Tage seit einer ziemlichen Reihe von Jahren das Gewerbe Englands, und wenn Louis Napoleon so gewollt hätte wie Palmerston, so würden wir in Neapel schon vor Jahr und Tag einen Ausbruch erlebt haben. Der französische Kaiser würde durch Ausbreitung revolutionärer Institutionen bei seinen Nachbarn Gefahren für sich selbst schaffen; er wird vielmehr, im Interesse der Erhaltung seiner Herrschaft und Dynastie, und bei seiner Ueberzeugung von der Fehlerhaftigkeit der heutigen Institutionen Frankreichs für sich selbst festere Grundlagen als die der Revolution zu gewinnen suchen. Ob er das kann, ist freilich eine andre Frage, aber er ist keineswegs blind für die Mangelhaftigkeit und die Gefahren des bonapartischen Regirungssystems, denn er spricht sich selbst darüber aus und beklagt sie. Die jetzige Regirungsform ist für Frankreich nichts Willkürliches, was Louis Napoleon einrichten oder ändern könnte; sie war für ihn ein Gegebenes und ist wahrscheinlich die einzige Methode, nach der Frankreich auf lange Zeit hin regirt werden kann; für alles andre fehlt die Grundlage entweder von Hause aus im National-Charakter, oder sie ist zerschlagen und verloren gegangen; und wenn Heinrich V. jetzt auf den Thron gelangte, er würde, wenn überhaupt, auch nicht anders regiren können. Louis Napoleon hat die revolutionären Zustände des Landes nicht geschaffen, die Herrschaft auch nicht in Auflehnung gegen eine rechtmäßig bestehende Autorität gewonnen, sondern sie als herrenloses Gut aus dem Strudel der Anarchie herausgefischt. Wenn er sie jetzt niederlegen wollte, so würde er Europa in Verlegenheit setzen, und man würde ihn ziemlich (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 605 [1-182] Ich finde das ‚Besondre', welches uns heut zu Tage bestimmt, grade die französische Revolution vorzugsweise als Revolution zu bezeichnen, nicht in der Familie Bonaparte, sondern in der örtlichen und zeitlichen Nähe der Ereignisse und in der Größe und Macht des Landes, auf dessen Boden sie sich zutragen. Deßhalb sind sie gefährlicher, aber ich finde es deßhalb noch nicht schlechter, mit Bonaparte in Beziehung zu stehn, als mit andern von der Revolution erzeugten Existenzen, oder mit Regirungen, welche sich freiwillig mit ihr identificiren, wie Oestreich, und für die Ausbreitung revolutionärer Grundsätze thätig sind, wie England. Ich will mit diesem allen keine Apologie der Personen und Zustände in Frankreich geben; ich habe für die erstern keine Vorliebe und halte die letztern für ein Unglück jenes Landes; ich will nur erklären, wie ich dazu komme, daß es mir weder sündlich noch ehrenrührig erscheint, mit dem von uns anerkannten Souverän eines wichtigen Landes in nähere Verbindung zu treten, wenn es der Gang der Politik mit sich bringt. Daß diese Verbindung an sich etwas Wünschenswerthes sei, sage ich nicht, sondern nur, daß alle andern Chancen schlechter sind, und daß wir, um sie zu bessern, durch die Wirklichkeit oder den Schein intimerer Beziehungen zu Frankreich hindurch müssen. Nur durch dieses Mittel können wir Oestreich so weit zur Vernunft und zur Verzichtleistung auf seinen überspannten Schwarzenbergischen Ehrgeiz bringen, daß es die Verständigung mit uns statt unsrer Uebervortheilung sucht, und nur durch dieses Mittel können wir die weitre Entwicklung der directen Beziehungen der deutschen Mittelstaaten zu Frankreich hemmen. Auch England wird anfangen zu erkennen, wie wichtig ihm die Allianz Preußens ist, wenn es erst fürchtet, sie an Frankreich zu verlieren. Also auch wenn ich mich auf Ihren Standpunkt der Neigung für Oestreich und England stellte, müssen wir bei Frankreich anfangen, um jene zur Erkenntniß zu bringen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 633 Im März 1857 waren in Paris die Conferenzen zur Schlichtung des zwischen Preußen und der Schweiz ausgebrochenen Streites eröffnet worden. Der Kaiser, über die Vorgänge in Berliner Hofund Regirungskreisen stets wohl unterrichtet, wußte offenbar, daß der König mit mir auf vertrauterem Fuße stand, als mit andern Gesandten und mich wiederholt als Ministercandidaten in's Auge gefaßt hatte. Nachdem er in den Händeln mit der Schweiz eine für Preußen äußerlich, und namentlich im Vergleich mit der Oestreichs, wohlwollende Haltung beobachtet hatte, schien er vorauszusetzen, daß er dafür auf ein Entgegenkommen Preußens in andern Dingen zu rechnen habe; er setzte mir auseinander, daß es ungerecht sei, ihn zu beschuldigen, daß er nach der Rheingrenze strebe. Das linksrheinische deutsche Ufer mit etwa 3 Millionen Einwohnern würde für Frankreich Europa gegenüber eine unhaltbare Grenze sein; die Natur der Dinge würde Frankreich dann dahin treiben, auch Luxemburg, Belgien und Holland zu erwerben oder doch in eine sichre Abhängigkeit zu bringen. Das Unternehmen hinsichtlich der Rheingrenze würde daher Frankreich früher oder später zu einer Vermehrung von 10 bis 11 Millionen thätiger, wohlhabender Einwohner führen. Eine solche Verstärkung der französischen Macht würde von Europa unerträglich befunden werden, - "devrait engendrer la coalition", würde schwerer zu behalten, als zu nehmen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 638 Ich antwortete, ich sei doppelt erfreut, daß der Kaiser diese Andeutungen grade mir gemacht habe, erstens, weil ich darin einen Beweis seines Vertrauens sehn dürfe, und zweitens, weil ich vielleicht der einzige preußische Diplomat sei, der es über sich nehmen würde, diese ganze Eröffnung zu Hause und auch seinem Souverän gegenüber zu verschweigen 1). Ich bäte ihn dringend, sich dieser Gedanken zu entschlagen; es läge außer aller Möglichkeit für den König Friedrich Wilhelm IV., auf dergleichen einzugehn; eine ablehnende Antwort sei unzweifelhaft, wenn ihm die Eröffnung gemacht würde. Dabei bleibe im letztern Falle die große Gefahr einer Indiscretion im mündlichen Verkehr der Fürsten, einer Andeutung darüber, welchen Versuchungen der König widerstanden habe. Wenn eine andre deutsche Regirung in die Lage versetzt würde, über dergleichen Indiscretionen nach Paris zu berichten, so werde das für Preußen so werthvolle gute Benehmen mit Frankreich (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 652 Während dieser Tage, also mit der Möglichkeit eines sofortigen Regirungsantritts vor Augen - am 19. October -, machte der Prinz von Preußen mit mir einen langen Spaziergang durch die neuen Anlagen und sprach mit mir darüber, ob er, wenn er zur Regirung komme, die Verfassung unverändert annehmen oder zuvor eine Revision derselben fordern solle. Ich sagte, die Ablehnung der Verfassung würde sich rechtfertigen lassen, wenn das Lehnrecht anwendbar wäre, nach welchem ein Erbe zwar an Verfügungen des Vaters, aber nicht des Bruders gebunden sei. Aus Gründen der Politik aber riethe ich, nicht an der Sache zu rühren, nicht die mit einer, wenn auch bedingten Ablehnung verbundene Unsicherheit unsrer staatlichen Zustände herbeizuführen. Man dürfe nicht die Befürchtung der Möglichkeit des Systemwechsels bei jedem Thronwechsel hervorrufen. Preußens Ansehn in Deutschland und seine europäische Actionsfähigkeit würden durch einen Zwist zwischen der Krone und dem Landtage gemindert werden, die Parteinahme gegen den beabsichtigten Schritt in dem liberalen Deutschland eine allgemeine sein. Bei meiner Schilderung der zu befürchtenden Folgen ging ich von demselben Gedanken aus, den ich ihm 1866, als es sich um die Indemnität handelte, zu entwickeln hatte: daß Verfassungsfragen den Bedürfnissen des Landes und seiner politischen Lage in Deutschland untergeordnet wären, ein zwingendes Bedürfniß an der unsrigen zu rühren, jetzt nicht vorliege; daß für jetzt die Machtfrage und innere Geschlossenheit die Hauptsache sei. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 655 Durch Allerhöchsten Erlaß vom 23. October wurde der Prinz von Preußen zunächst auf drei Monate mit der Stellvertretung des Königs beauftragt, die dann noch dreimal auf je drei Monate verlängert wurde und ohne nochmalige Verlängerung im October 1858 abgelaufen wäre. Im Sommer 1858 war ein ernster Versuch im Werke, die Königin zu veranlassen, die Unterschrift des Königs zu einem Briefe an seinen Bruder zu beschaffen, in dem zu sagen sei, daß er sich wieder wohl genug fühle, um die Regirung zu übernehmen, und dem Prinzen für die geführte Stellvertretung danke. Die letztre war durch einen Brief des Königs eingeleitet worden, konnte also, so argumentirte man, durch einen solchen wieder aufgehoben werden. Die Regirung würde dann, unter Controlle der königlichen Unterschrift durch Ihre Majestät die Königin, von den dazu berufenen oder sich darbietenden Herren vom Hofe geführt werden. Zu diesem Plan wurde mündlich auch meine Mitwirkung in Anspruch genommen, die ich in der Form ablehnte, das würde eine Haremsregirung werden. Ich wurde von Frankfurt nach Baden-Baden gerufen und setzte dort 2)den Prinzen von dem Plane in Kenntniß, ohne die Urheber zu nennen. "Dann nehme ich meinen Abschied!" rief der Prinz. Ich stellle ihm vor, daß das Ausscheiden aus seinen militärischen Aemtern nichts helfen, sondern die Sache schlimmer machen würde. Der Plan sei nur ausführbar, wenn das Staatsministerium dazu stille hielte. Ich rieth daher, den Minister Manteuffel, der auf seinem Gute den Erfolg des ihm bekannten Plans abwartete, telegraphisch zu citiren und durch geeignete Weisungen den Faden der Intrigue1) Vgl. Bismarck's Brief an Gerlach vom 19. Dec. 1857, Ausg. von H. Kohl S. 337 ff. und Gerlachs Antwort, Bismarck-Jahrbuch II 250 ff. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 727 [1-214] Grafen Buol legitimirt hatte, machte er mir den Vorschlag zur Betheiligung an einem Finanzgeschäft, welches mir "jährlich 20000 Thaler mit Sicherheit" abwerfen würde. Auf meine Erwiderung, daß ich keine Capitalien anzulegen hätte, erfolgte die Antwort, daß Geldeinschüsse zu dem Geschäft nicht erforderlich seien, sondern daß meine Einlage darin bestehn würde, daß ich mit der preußischen auch die östreichische Politik am russischen Hofe befürwortete, weil die fraglichen Geschäfte nur gelingen könnten, wenn die Beziehungen zwischen Rußland und Oestreich günstig wären. Mir war daran gelegen, irgendwelches schriftliche Zeugniß über dieses Anerbieten in die Hand zu bekommen, um dadurch dem Regenten den Beweis zu liefern, wie gerechtfertigt mein Mißtrauen gegen die Politik des Grafen Buol war. Ich hielt deshalb dem Levinstein vor, daß ich bei einem so bedenklichen Geschäft doch eine stärkere Sicherheit haben müßte, als seine mündliche Aeußerung, auf Grund der wenigen Zeilen von der Hand des Grafen Buol, die er an sich behalten habe. Er wollte sich nicht dazu verstehn, mir eine schriftliche Zusage zu beschaffen, erhöhte aber sein Anerbieten auf 30000 Thaler jährlich. Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß ich schriftliches Beweis-Material nicht erlangen würde, ersuchte ich Levinstein, mich zu verlassen, und schickte mich zum Ausgehn an. Er folgte mir auf die Treppe unter beweglichen Redensarten über das Thema: "Sehn Sie sich vor, es ist nicht angenehm, die ‚Kaiserliche Regirung' zum Feinde zu haben." Erst als ich ihn auf die Steilheit der Treppe und auf meine körperliche Ueberlegenheit aufmerksam machte, stieg er vor mir schnell die Treppe hinab und verließ mich. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 738 [1-219] und ausgenutzt hätte, was ja möglich war ohne weitre Repressionen derart, wie Oestreich sie in Prag und Wien durch Windischgrätz und in Ungarn durch russische Hülfe zu bewirken genöthigt war. In der Petersburger Gesellschaft ließen sich zu meiner Zeit drei Generationen unterscheiden. Die vornehmste, die europäisch und classisch gebildeten Grands Seigneurs aus der Regirungszeit Alexanders I., war im Aussterben. Zu ihr konnte man noch rechnen Mentschikow, Woronzow, Bludow, Nesselrode und, was Geist und Bildung betrifft, Gortschakow, dessen Niveau durch seine übertriebene Eitelkeit etwas herabgedrückt war im Vergleich mit den übrigen Genannten, Leuten, die classisch gebildet waren, gut und geläufig nicht nur französisch, sondern auch deutsch sprachen und der crême europäischer Gesittung angehörten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 742 [1-221] sie geneigt, ihre Kenntniß dieser Sprache zu verleugnen, unfreundlich oder garnicht zu antworten und Civilisten gegenüber unter das Maß von Höflichkeit herabzugehn, welches sie in den Uniform oder Orden tragenden Kreisen untereinander beobachteten. Es war eine zweckmäßige Einrichtung der Polizei, daß die Dienerschaft der Vertreter auswärtiger Regirungen durch Tressen und das der Diplomatie vorbehaltene Costüm eines Livree-Jägers gekennzeichnet war. Die Angehörigen des diplomatischen Corps würden sonst, da sie nicht die Gewohnheit hatten, auf der Straße Uniform oder Orden zu tragen, sowohl von der Polizei als von Mitgliedern der höhern Gesellschaft denselben zu Conflicten führenden Unannehmlichkeiten ausgesetzt gewesen sein, welche ein ordensloser Civilist, der nicht als vornehmer Mann bekannt war, im Straßenverkehr und auf Dampfschiffen leicht erleben konnte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 766 "Ich habe schon telegraphisch die dringende Bitte ausgesprochen, meinen vertraulichen Bericht, betreffend die Beschwerde Lord Bloomfield's in der Bentinck'schen Sache, nicht durch die Post an den Grafen Flemming in Karlsruhe zu schicken und so zu Oestreichs Kenntniß zu bringen. Sollte meine Bitte zu spät eingetroffen sein, so werde ich nach mehren Richtungen hin in unangenehme Verlegenheiten gerathen, welche kaum anders als in einem persönlichen Conflict zwischen dem Grafen Rechberg und mir ihre Lösung finden könnten. - Wie ich ihn beurtheile und wie es die östreichische Auffassung des Briefgeheimnisses überhaupt mit sich bringt, wird er sich durch den Umstand, daß diese Beweise einem geöffneten Briefe entnommen sind, von der Production derselben nicht abhalten lassen. Ich traue ihm vielmehr zu, daß er sich ausdrücklich darauf beruft, die Depesche könne nur in der Absicht auf die Post gegeben sein, damit sie zur Kenntniß der kaiserlichen Regirung gelange." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 819 [1-244] glauben, daß eine lange und schwere Mißregirung das Volk gegen seine Obrigkeit so erbittert hätte, daß bei jedem Luftzug die Flamme ausschlägt. Politische Unreife hat viel Antheil an diesem Stolpern über Zwirnsfäden; aber seit vierzehn Jahren haben wir der Nation Geschmack an Politik beigebracht, ihr aber den Appetit nicht befriedigt, und sie sucht die Nahrung in den Gossen. Wir sind fast so eitel wie die Franzosen; können wir uns einreden, daß wir auswärts Ansehn haben, so lassen wir uns im Hause viel gefallen; haben wir das Gefühl, daß jeder kleine Würzburger uns hänselt und geringschätzt und daß wir es dulden aus Angst, weil wir hoffen, daß die Reichsarmee uns vor Frankreich schützen wird, so sehn wir innre Schäden an allen Ecken, und jeder Preßbengel, der den Mund gegen die Regirung aufreißt, hat Recht. Von den Fürstenhäusern von Neapel bis Hanover wird uns keins unsre Liebe danken, und wir üben an ihnen recht evangelische Feindesliebe, auf Kosten der Sicherheit des eignen Thrones. Ich bin meinem Fürsten treu bis in die Vendée, aber gegen alle andern fühle ich in keinem Blutstropfen eine Spur von Verbindlichkeit, den Finger für sie aufzuheben. In dieser Denkungsweise fürchte ich von der unsres allergnädigsten Herrn so weit entfernt zu sein, daß er mich schwerlich zum Rathe seiner Krone geeignet finden wird. Deshalb wird er mich, wenn überhaupt, lieber im Innern verwenden. Das bleibt sich aber m. E. ganz gleich, denn ich verspreche mir von der Gesammtregirung keine gedeihlichen Resultate, wenn unsre auswärtige Haltung nicht kräftiger und unabhängiger von dynastischen Sympathien wird, an denen wir aus Mangel an Selbstvertrauen eine Anlehnung suchen, die sie nicht gewähren können und die wir nicht brauchen. Wegen der Wahlen ist es Schade, daß der Bruch sich grade so gestaltet; die gut königliche Masse der Wähler wird den Streit über die Huldigung nicht verstehn, und die Demokratie ihn entstellen. Es wäre besser gewesen, in der Militärfrage stramm zu halten gegen Kühne, mit der Kammer zu brechen, sie aufzulösen und damit der Nation zu zeigen, wie der König zu den Leuten (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 823 Ich hatte fünf Tage lang keine Zeitungen gesehn, als ich am 9. Juli in Lübeck um fünf Uhr Morgens eintraf und aus der im Bahnhofe allein vorhandnen schwedischen Ystädter Zeitung ersah, daß der König und die Minister Berlin verlassen hatten, die Krisis also beigelegt sein mußte. Am 3. Juli hatte der König das Manifest erlassen, daß er das Herkommen der Erbhuldigung festhalte, aber in Betracht der Veränderungen, welche in der Verfassung der Monarchie unter der Regirung seines Bruders eingetreten, beschlossen habe, anstatt der Erbhuldigung die feierliche Krönung zu erneuern, durch welche die erbliche Königswürde begründet sei. Ueber den Verlauf der Krisis schrieb mir Roon am 24. Juli von Brunnen (Kanton Schwyz) 2): (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 860 [1-255] mindestens bis zum Winter oder länger hier zu bleiben. Meine Sachen und Wagen sind noch in Petersburg, ich muß sie irgendwo unterbringen; außerdem habe ich die Gewohnheiten eines achtbaren Familienvaters, zu denen gehört, daß man irgendwo einen festen Wohnsitz hat, und der fehlt mir eigentlich seit Juli v. J., wo mir Schleinitz zuerst sagte, daß ich versetzt würde. Sie thun mir Unrecht, wenn Sie glauben, daß ich mich sträube; ich habe im Gegentheil lebhafte Anwandlungen von dem Unternehmungsgeist jenes Thieres, welches auf dem Eise tanzen geht, wenn ihm zu wohl wird. - Ich bin den Adreßdebatten einigermaßen gefolgt und habe den Eindruck, daß sich die Regirung in der Commission, vielleicht auch im Plenum, mehr hergegeben hat, als nützlich war. Was liegt eigentlich an einer schlechten Adresse? Die Leute glauben mit der angenommnen einen Sieg erfochten zu haben. In einer Adresse führt eine Kammer Manöver mit markirtem Feinde und Platzpatronen auf. Nehmen die Leute das Scheingefecht für ernsten Sieg und zerstreuen sich plündernd und marodirend auf Königlichem Rechtsboden, so kommt wohl die Zeit, daß der markirte Feind seine Batterien demaskirt und scharf schießt. Ich vermisse etwas Gemüthlichtkeit in unsrer Auffassung; Ihr Brief athmet ehrlichen Kriegerzorn, geschärft von des Kampfes Staub und Hitze. Sie haben, ohne Schmeichelei, vorzüglich geantwortet, aber es ist eigentlich schade drum, die Leute verstehn kein Deutsch. Unsern freundlichen Nachbar hier habe ich ruhig und behäbig gefunden, sehr wohlwollend für uns, sehr geneigt, die Schwierigleiten der ‚deutschen Frage' zu besprechen; er kann seine Sympathien keiner der bestehenden Dynastien versagen, aber er hofft, daß Preußen die große ihm gestellte Aufgabe mit Erfolg lösen werde, die deutsche nämlich, dann werde die Regirung auch im Innern Vertrauen gewinnen. Lauter schöne Worte. Um zu erklären, daß ich mich bisher nicht recht wohnlich einrichte, sage ich den Fragern, daß ich in Kurzem für einige Monat Urlaub zu nehmen denke, um dann mit meiner Frau wiederzukommen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 880 [1-260] Militäretat ruhig und deutlich opponirt, aber keine Krisis über dieselben herbeiführt, sondern die Kammer das Budget vollständig durchberathen läßt. Das wird, wie ich annehme, im September geschehn sein. Dann geht das Budget, von dem ich voraussetze, daß es für die Regirung nicht annehmbar ist, an das Herrenhaus, falls man sicher ist, daß die verstümmelte Budget-Vorlage dort abgelehnt wird. Dann, oder andernfalls schon vor der Berathung im Herrenhause, könnte man es, mit einer Königlichen Botschaft, welche mit sachlicher Motivirung die Zustimmung der Krone zu einem derartigen Budgetgesetz verweigert, an die Abgeordneten zurückgeben, mit der Aufforderung zu neuer Berathung. Eine 30tägige Vertagung des Landtages würde vielleicht an diesem Punkte, oder schon früher, einzuschalten sein. Je länger sich die Sache hinzieht, desto mehr sinkt die Kammer in der öffentlichen Achtung, da sie den Fehler begangen hat und noch weiter begehn wird, sich in alberne Kleinigkeiten zu verbeißen, und da sie keinen Redner hat, der nicht die Langeweile des Publikums vermehrte. Kann man sie dahin bringen, daß sie sich in solche Lappalie wie die Continuität des Herrenhauses verbeißt und darüber Krieg anfängt und die Erledigung der eigentlichen Geschäfte verschleppt, so ist es ein großes Glück. Sie wird müde werden, hoffen, daß der Regirung der Athem ausgeht, und die Kreisrichter müssen mit den Kosten ihrer Stellvertretung geängstigt werden. Wenn sie mürbe wird, fühlt, daß sie das Land langweilt, dringend auf Concessionen Seitens der Regirung hofft, um aus der schiefen Stellung erlöst zu werden, dann ist m. E. der Moment gekommen, ihr durch meine Ernennung zu zeigen, daß man weit entfernt ist, den Kampf aufzugeben, sondern ihn mit frischen Kräften aufnimmt. Das Zeigen eines neuen Bataillons in der ministeriellen Schlachtordnung macht dann vielleicht einen Eindruck, der jetzt nicht erreicht würde; besonders wenn vorher etwas mit Redensarten von Octroyiren und Staatsstreicheln gerasselt ist, so hilft mir meine alte Reputation von leichtfertiger Gewaltthätigkeit, und man denkt ‚nanu geht's (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 910 In der That war mir jeder Gedanke an Abdication des Königs fremd, als ich am 22. September in Babelsberg empfangen wurde, und die Situation wurde mir erst klar, als Se. Majestät sie ungefähr mit den Worten präcisirte: "Ich will nicht regiren, wenn ich es nicht so vermag, wie ich es vor Gott, meinem Gewissen und meinen Unterthanen verantworten kann. Das kann ich aber nicht, wenn ich nach dem Willen der heutigen Majorität des Landtags regiren soll, und ich finde keine Minister mehr, die bereit wären, meine Regirung zu führen, ohne sich und mich der parlamentarischen Mehrheit zu unterwerfen. Ich habe mich deshalb entschlossen, die Regirung niederzulegen, und meine Abdicationsurkunde, durch die angeführten Gründe motivirt, bereits entworfen." Der König zeigte mir das auf dem Tische liegende Actenstück in seiner Handschrift, ob bereits vollzogen oder nicht, weiß ich nicht. Se. Majestät schloß, indem er wiederholte, ohne geeignete Minister könne er nicht regiren. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 913 Der König forderte mich auf, ihn in den Park zu begleiten. Auf diesem Spaziergange gab er mir ein Programm zu lesen, das in seiner engen Schrift acht Folioseiten füllte, alle Eventualitäten der damaligen Regirungspolitik umfaßte und auf Details wie die Reform der Kreistage einging. Ich lasse es dahin gestellt sein, ob dieses Elaborat schon Erörterungen mit meinen Vorgängern zur Unterlage gedient hatte, oder ob es zur Sicherstellung gegen eine mir zugetraute conservative Durchgängerei dienen sollte. Ohne Zweifel war, als er damit umging mich zu berufen, eine Befürchtung der Art in ihm von seiner Gemalin geweckt worden, von deren politischer Begabung er ursprünglich eine hohe Meinung hatte, die aus der Zeit datirte, wo Sr. Majestät nur eine kronprinzliche Kritik der Regirung des Bruders, ohne Pflicht zu eigner besserer Leistung, zugestanden hatte. In der Kritik war die Prinzessin ihrem Gemal überlegen. Die ersten Zweifel an dieser geistigen Ueberlegenheit waren ihm gekommen, als er genöthigt war, nicht mehr nur zu kritisiren, sondern selbst zu handeln und die amtliche Verantwortung für das Bessermachen zu tragen. Sobald die Aufgaben beider Herrschaften praktisch wurden, hatte der gesunde Verstand des Königs begonnen, sich allmälig von der schlagfertigen weiblichen Beredsamkeit mehr zu emancipiren. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 931 Flagrante Undankbarkeit, wie der Fürst Schwarzenberg sie proclamirte, ist in der Politik wie im Privatleben nicht nur unschön, sondern auch unklug. Wir haben aber unsre Schuld ausgeglichen, nicht nur zur Zeit der Nothlage der Russen bei Adrianopel 1829 und durch unser Verhalten in Polen 1831, sondern in der ganzen Zeit unter Nicolaus I., der der deutschen Romantik und Gemüthlichkeit ferner stand als Alexander I., wenn er auch mit seinen preußischen Verwandten und mit preußischen Offizieren freundlich verkehrte. Unter seiner Regirung haben wir als russische Vasallen gelebt, 1831, wo Rußland ohne uns kaum mit den Polen fertig geworden wäre, namentlich aber in allen europäischen Constellationen von 1831 bis 1850, wo wir immer russische Wechsel acceptirt und honorirt haben, bis nach 1848 der junge östreichische Kaiser dem russischen besser gefiel als der König von Preußen, wo der russische Schiedsrichter kalt und hart gegen Preußen und deutsche Bestrebungen entschied und sich für die Freundschaftsdienste von (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 933 Das Deficit auf unsrer Seite war einmal durch Verwandschafts-Gefühl, durch die Gewohnheit der Abhängigkeit, in welcher die geringere Energie von der größern stand, sodann durch den Irrthum bedingt, als ob Nicolaus dieselben Gesinnungen wie Alexander I. für uns hege, und dieselben Ansprüche auf Dankbarkeit aus der Zeit der Freiheitskriege habe. In der That aber trat während der Regirung des Kaisers Nicolaus kein im deutschen Gemüth wurzelndes Motiv hervor, unsre Freundschaft mit Rußland auf dem Fuße der Gleichheit zu pflegen und mindestens einen analogen Nutzen daraus zu ziehn, wie Rußland aus unsrer Dienstleistung. Etwas mehr Selbstgefühl und Kraftbewußtsein würde unsern Anspruch auf Gegenseitigkeit in Petersburg zur Anerkennung gebracht haben, um so mehr, als 1830 nach der Juli-Revolution Preußen, trotz der Schwerfälligkeit seines Landwehr-Systems, diesem überraschenden Ereigniß gegenüber reichlich ein Jahr lang ohne Zweifel der stärkste, vielleicht der einzige zum Schlagen befähigte Militärstaat in Europa war. Wie sehr nicht nur in Oestreich, sondern auch in Rußland die militärischen Einrichtungen in 15 Friedensjahren vernachlässigt worden waren, vielleicht mit alleiniger Ausnahme der Garde des Kaisers und der polnischen Armee des Großfürsten Constantin, bewies die Schwäche und Langsamkeit der Rüstung des gewaltigen russischen Reichs gegen den Aufstand des kleinen Warschauer Königreichs. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 943 Es ist schwer zu sagen, wie die Verantwortlichkeit für unsre Politik während der Regirung Friedrich Wilhelms IV. mit (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 985 Bei der Vertheilung der Ministerien, wofür die Auswahl an Candidaten klein war, verursachte das Finanzministerium den geringsten Aufenthalt; es wurde Herrn Karl von Bodelschwingh - Bruder des im März 1848 abgetretenen Ministers des Innern, Ernst von Bodelschwingh - zugetheilt, der es bereits unter Manteuffel von 1851 bis 1858 gehabt hatte. Es zeigte sich freilich bald, daß er und der Graf Itzenplitz, dem das Handelsministerium zufiel, nicht im Stande waren, ihre Ministerien zu leiten. Beide beschränkten sich darauf, die Beschlüsse der sachkundigen Räthe mit ihrer Unterschrift zu versehn und nach Möglichkeit die Divergenzen zu vermitteln, in welche die Beschlüsse der theils liberalen, theils in engen Ressort-Gesichtspunkten befangenen Räthe mit der Politik des Königs und des Staatsministeriums gerathen konnten. Die sehr sachkundigen Mitglieder des Finanzministeriums gehörten innerlich der Mehrzahl nach der Opposition gegen das Conflictsministerium an und betrachteten es als eine kurze Episode in der liberalen Fortbildung der bürokratischen Regirungsmaschine; und wenn die tüchtigsten unter ihnen zu gewissenhaft waren, um die Thätigkeit der Regirung zu hemmen, so leisteten sie doch einen passiven Widerstand, wo ihr amtliches Pflichtgefühl ihnen einen solchen erlaubte, der immerhin nicht unerheblich war. Aus dieser Sachlage (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 989 [1-299] er ausgeschieden und in die Stelle des Oberpräsidenten in Potsdam eingerückt war. In wichtigen Angelegenheiten der Stadt Berlin schwebten Verhandlungen, in denen er das ressortmäßige Mittelglied zwischen der Regirung und den Gemeindebehörden war. Die Dringlichkeit der Sache brachte es mit sich, daß das Staatsministerium den Oberbürgermeister ersuchte, sich nach Potsdam zu begeben und über einen entscheidenden Punkt die Anträge des Oberpräsidenten mündlich einzuholen und darüber in einer zu dem Zweck angesagten Abendsitzung des Ministeriums zu berichten. Der Oberbürgermeister hatte eine zweistündige Audienz; aber zur Berichterstattung darüber in der Sitzung erscheinend, erklärte er, eine solche nicht machen zu können, weil er während der zwei Stunden, die zwischen den beiden Zügen lagen, dem Herrn Oberpräsidenten gegenüber nicht zu Worte gekommen sei. Er habe es wiederholt und bis zur Unhöflichkeit versucht, seine Frage zu stellen, sei aber von dem Vorgesetzten stets und mit steigender Energie mit den Worten zur Ruhe verwiesen worden: "Erlauben Sie, ich bin noch nicht fertig, bitte mich ausreden zu lassen." Dieser Bericht des Oberbürgermeisters erzeugte einen geschäftlichen Verdruß, rief aber doch in der Erinnerung an eigne frühere Erlebnisse einige Heiterkeit hervor. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1014 Gegenüber der Bewegung in Polen, die gleichzeitig mit der Umwälzung in Italien, und nicht ohne Zusammenhang mit ihr, durch die Landestrauer, die kirchliche Feier vaterländischer Erinnerungstage und die Agitation der landwirthschaftlichen Vereine begann, war man in Petersburg ziemlich lange schwankend zwischen Polonismus und Absolutismus. Die den Polen freundliche Strömung hing zusammen mit dem in der höhern russischen Gesellschaft laut gewordenen Verlangen nach einer Verfassung. Man empfand es als eine Demüthigung, daß die Russen, die doch auch gebildete Leute wären, Einrichtungen entbehren müßten, die bei allen europäischen Völkern existirten, und daß sie über ihre eignen Angelegenheiten nicht mitzureden hätten. Der Zwiespalt in der Beurtheilung der polnischen Frage erstreckte sich bis in die höchsten militärischen Kreise und führte zwischen dem Statthalter in Warschau, General Graf Lambert, und dem Generalgouverneur General Gerstenzweig, zu einer leidenschaftlichen Erörterung, die mit dem nicht aufgeklärten gewaltsamen Tode des Letztern endete (Jan. 1862). Ich wohnte seiner Beisetzung in einer der evangelischen Kirchen Petersburgs bei. Diejenigen Russen, welche für sich eine Verfassung verlangten, machten zuweilen entschuldigend geltend, daß die Polen durch Russen nicht regirbar wären und als die Civilisirteren erhöhten Anspruch auf Betheiligung an ihrer Regirung hätten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1024 [1-311] mit den Westmächten zu Gunsten der polnischen Bewegung bewies, daß Oestreich die russische Rivalität in einem wieder auferstandenen Polen nicht fürchtete. Hatte es doch dreimal, im April, im Juni und unter dem 12. August mit Frankreich und England gemeinsame Schritte zu Gunsten der Polen in Petersburg gethan. "Wir haben", heißt es in der östreichischen Note vom 18. Juni 1), "nach den Bedingungen geforscht, durch die dem Königreiche Polen Ruhe und Frieden wiedergegeben werden könnten, und sind dahin gelangt, diese Bedingungen in den folgenden sechs Punkten zusammen zu fassen, die wir der Erwägung des Cabinets von Sankt Petersburg empfehlen: 1. Vollständige und allgemeine Amnestie, 2. Nationale Vertretung, welche an der Gesetzgebung des Landes theilnimmt und Mittel einer wirksamen Controlle besitzt, 3. Ernennung von Polen zu den öffentlichen Aemtern in solcher Weise, daß eine besondre nationale und dem Lande Vertrauen einflößende Administration gebildet werde, 4. Volle und gänzliche Gewissensfreiheit und Aufhebung der die Ausübung des katholischen Cultus treffenden Beschränkungen, 5. Ausschließlicher Gebrauch der polnischen Sprache als amtlicher Sprache in der Verwaltung, der Justiz und dem Unterrichtswesen, 6. Einführung eines regelmäßigen und gesetzlichen Rekrutirungssystems." Den Vorschlag Gortschakows, daß Rußland, Oestreich und Preußen sich in's Einvernehmen setzen möchten, um das Loos ihrer betreffenden polnischen Unterthanen festzustellen, wies die östreichische Regirung mit der Erklärung zurück, "daß das zwischen den drei Cabineten von Wien, London und Paris hergestellte Einverständniß ein Band zwischen ihnen bildet, von dem Oestreich sich jetzt nicht loslösen kann, um abgesondert mit Rußland zu unterhandeln". Es war das die Situation, in welcher Kaiser Alexander Sr. Majestät in eigenhändigem Schreiben nach Gastein den Entschluß, den Degen zu ziehn, kundgab und Preußens Bündniß verlangte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1042 "Auch ich beklage, daß ich in einer Zeit hergekommen bin, in welcher zwischen Regirung und Volk ein Zerwürfniß eingetreten ist, welches zu erfahren mich in hohem Grade überrascht hat. Ich habe von den Anordnungen, die dazu geführt haben, nichts gewußt. Ich war abwesend. Ich habe keinen Theil an den Rathschlägen gehabt, die dazu geführt haben. Aber wir Alle und ich am meisten, der ich die edlen und landesväterlichen Intentionen und hochherzigen Gesinnungen Seiner Majestät des Königs am besten kenne, wir alle haben die Zuversicht, daß Preußen unter dem Szepter Seiner Majestät des Königs der Größe sicher entgegengeht, die ihm die Vorsehung bestimmt hat." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1062 Der König hatte sich dafür entschieden, daß der Kronprinz, wie seit 1861 geschehn, auch ferner den Sitzungen des Staatsministeriums beiwohnen solle, und mich beauftragt, ihn darüber zu verständigen. Ich nehme an, daß es zu der zu diesem Zweck erbetenen Audienz nicht gekommen ist; denn ich erinnere mich, daß ich das mißverständliche Erscheinen des Kronprinzen zu einer Ministersitzung, die an dem betreffenden Tage nicht stattfand, dazu benutzte, die Erörterung einzuleiten. Ich fragte ihn, weshalb er sich so fern von der Regirung halte; in einigen Jahren werde sie doch die seinige sein; wenn er etwa andre Prinzipien habe, so sollte er lieber den Uebergang zu vermitteln suchen als opponiren. Er lehnte das scharf ab, wie es schien in der Vermuthung, daß ich meinen Uebergang in seine Dienste anbahnen wolle. Ich habe den feindlichen Ausdruck olympischer Hoheit, mit dem das geschah, Jahre hindurch nicht vergessen können und sehe noch heut den zurückgeworfenen Kopf, das geröthete Gesicht und den Blick über die linke Schulter vor mir. Ich unterdrückte meine eigne Aufwallung, dachte an Carlos und Alba (Act 2, Auftritt 5) und antwortete, ich (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1079 Seite 5. Zur Unternehmung eines "Kampfes" gegen den Willen des Königs fehlt dem Kronprinzen jeder Beruf und jede Berechtigung, grade weil S. K. H. keinen amtlichen "status" besitzt. Jeder Prinz des Königlichen Hauses könnte mit demselben Rechte wie der Kronprinz für sich die "Pflicht" in Anspruch nehmen, bei abweichender Ansicht öffentlich Opposition gegen den König zu machen, um dadurch "seine und seiner Kinder" eventuelle Erbrechte gegen die Wirkung angeblicher Fehler der Regirung des Königs zu wahren, das heißt, um sich die Succession im Sinne Louis Philipps zu sichern, wenn der König durch eine Revolution gestürzt würde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1084 Seite 7. Der Versuch, die Maßregeln der Regirung zu "neutralisiren", wäre Kampf und Auflehnung gegen die Krone. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1085 Seite 7. Gefährlicher als alle Angriffe der Demokratie und alles "Nagen" an den Wurzeln der Monarchie ist die Lockerung der Bande, welche das Volk noch mit der Dynastie verbinden, durch das Beispiel offen verkündeter Opposition des Thronerben, durch die absichtliche Kundmachung der Uneinigkeit im Schoße der Dynastie. Wenn der Sohn und der Thronerbe die Autorität des Vaters und des Königs anficht, wem soll sie dann noch heilig sein? Wenn dem Ehrgeize für die Zukunft eine Prämie dafür in Aussicht gestellt ist, daß er in der Gegenwart vom Könige abfällt, so werden jene Bande zum eignen Nachtheil des künftigen Königs gelockert, und die Lähmung der Autorität der jetzigen Regirung wird eine böse Saat für die zukünftige sein. Jede Regirung ist besser, als eine in sich zwiespältige und gelähmte, und die Erschütterungen, welche der jetzige Kronprinz hervorrufen kann, treffen die Fundamente des Gebäudes, in welchem er selbst künftig als König zu wohnen hat. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1086 Seite 7. Nach dem bisherigen verfassungsmäßigen Rechte in Preußen regirt der König, und nicht die Minister. Nur die Gesetzgebung, nicht die Regirung, ist mit den Kammern getheilt, vor denen die Minister den König vertreten. Es ist also ganz gesetzlich, wie vor der Verfassung, daß die Minister Diener des Königs, und zwar die berufenen Rathgeber Sr. Majestät, aber nicht die Regirer des Preußischen Staates sind. Das Preußische Königthum steht auch nach der Verfassung noch nicht auf dem Niveau des belgischen oder englischen, sondern bei uns regirt noch der König persönlich, und befiehlt nach seinem Ermessen, so weit nicht die Verfassung ein Andres bestimmt, und dies ist nur in Betreff der Gesetzgebung der Fall. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1088 Seite 8. Warum wird so großer Werth auf das Bekanntwerden "draußen im Lande" gelegt? Wenn S. K. H. nach pflichtmäßiger Ueberzeugung im conseil Seine Meinung sagt, so ist dem Gewissen Genüge geschehn. Der Kronprinz hat keine offizielle Stellung zu den Staatsgeschäften, und keinen Beruf, Sich öffentlich zu äußern; das Einverständniß S. K. H. mit den Beschlüssen der Regirung wird Niemand, der unsre Staatseinrichtungen auch nur oberflächlich kennt, daraus folgern, daß S. K. H. ohne Stimmrecht, also ohne die Möglichkeit wirksamen Widerspruchs, die Verhandlungen des conseils anhört. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1096 [1-330] vortragenden Räthe, mit denen allein S. K. H. die schwebenden Staatssachen zu bearbeiten berechtigt sein kann, nicht Gegner, sondern Freunde der Regirung seien, oder doch unparteiische Beurtheiler ohne intime Beziehungen zur Opposition im Landtage und in der Presse. Der schwierigste Punkt ist die Discretion, besonders gegen das Ausland, so lange nicht bei Sr. K. H. und bei Ihrer K. H. der Frau Kronprinzessin das Bewußtsein durchgedrungen ist, daß in regirenden Häusern die nächsten Verwandten nicht immer Landsleute sind, sondern nothwendig und pflichtmäßig andre als die Preußischen Interessen vertreten. Es ist hart, wenn zwischen Mutter und Tochter, zwischen Bruder und Schwester eine Landesgrenze als Scheidelinie der Interessen liegt; aber das Vergessen derselben ist immer gefährlich für den Staat. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1104 Es ist auch von Interesse, zu erwähnen, wie es kam, daß ich späterhin das Vertrauen dieses zornigen, aber ehrliebenden Herrn und vielleicht, als wir Beide Minister geworden waren, seine Freundschaft erworben habe. Bei einem geschäftlichen Besuche, den ich ihm machte, verließ er das Zimmer, um seinen Anzug zu wechseln, und überreichte mir eine Depesche, die er eben von seiner Regirung erhalten hatte, mit der Bitte, sie zu lesen. Ich überzeugte mich aus dem Inhalt, daß Rechberg sich vergriffen und mir ein Schriftstück gegeben hatte, das zwar die fragliche Sache betraf, aber nur für ihn bestimmt und offenbar von einem zweiten ostensiblen begleitet gewesen war. Als er wieder eingetreten war, gab ich ihm die Depesche zurück mit der Aeußerung, er habe sich versehn, ich würde vergessen, was ich gelesen hätte; ich habe in der That vollkommnes Schweigen über sein Versehn beobachtet und in Berichten oder Gesprächen von den, Inhalt des geheimen Schriftstücks und seinem Versehn keinen auch nur indirecten Gebrauch gemacht. Seitdem behielt er Vertrauen zu mir. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1246 Schwieriger sind die augenblicklichen Aufgaben der innern Politik. Meine Verhandlungen mit dem Nuntius ruhn seit dem Tode des Cardinals Franchi vollständig, in Erwartung von Instructionen aus Rom. Diejenigen, welche der Erzbischof von Neocäsarea mitbrachte, verlangten Herstellung des status quo ante 1870 in Preußen, factisch, wenn nicht vertragsmäßig. Derartige prinzipielle Concessionen sind beiderseits unmöglich. Der Papst besitzt die Mittel nicht, durch welche er uns die nöthigen Gegenleistungen machen könnte; die Centrumspartei, die staatsfeindliche Presse, die polnische Agitation, gehorchen dem Papste nicht, auch wenn Seine Heiligkeit diesen Elementen befehlen wollte, die Regirung zu unterstützen. Die im Centrum vereinten Kräfte fechten zwar jetzt unter päpstlicher Flagge, sind aber an sich staatsfeindlich, auch wenn die Flagge der Katholicität aufhörte sie zu decken; ihr Zusammenhang mit der Fortschrittspartei und den Socialisten auf der Basis der Feindschaft gegen den Staat ist von dem Kirchenstreit unabhängig. In Preußen wenigstens waren die Wahlkreise, in denen das Centrum sich ergänzt, auch vor dem Kirchenstreite oppositionell, aus demokratischer Gesinnung, bis auf den Adel in Westfalen und Oberschlesien, der unter der Leitung der Jesuiten steht und von diesen absichtlich schlecht erzogen wird. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1247 [1-365] Unter diesen Umständen fehlt dem römischen Stuhl die Möglichkeit, uns für die Concessionen, die er von uns verlangt, ein Aequivalent zu bieten, namentlich da er über den Einfluß der Jesuiten auf deutsche Verhältnisse gegenwärtig nicht verfügt. Die Machtlosigkeit des Papstes ohne diesen Beistand hat sich besonders bei den Nachwahlen erkennen lassen, wo die katholischen Stimmen, gegen den Willen des Papstes, für socialistische Candidaten abgegeben wurden, und der Dr. Moufang in Mainz öffentlich Verpflichtungen in dieser Beziehung einging. Die hiesigen Verhandlungen mit dem Nuntius können das Stadium der gegenseitigen Recognoscirung nicht überschreiten; sie haben mir die Ueberzeugung gewährt, daß ein Abschluß noch nicht möglich ist; ich glaube aber vermeiden zu sollen, daß sie gänzlich abreißen, und dasselbe scheint der Nuntius zu wünschen. In Rom hält man uns offenbar für hülfsbedürftiger, als wir sind, und überschätzt den Beistand, den man uns, bei dem besten Willen, im Parlamente zu leisten vermag. Die Wahlen zum Reichstage haben den Schwerpunkt des letztern weiter nach rechts geschoben, als man annahm. Das Uebergewicht der Liberalen ist vermindert, und zwar in höherm Maße, als die Ziffern es erscheinen lassen. Ich war bei Beantragung der Auflösung nicht im Zweifel, daß die Wähler regirungsfreundlicher sind als die Abgeordneten, und die Folge davon ist gewesen, daß viele Abgeordnete, welche ungeachtet ihrer oppositionellen Haltung wiedergewählt wurden, dies nur durch Zusagen zu Gunsten der Regirung erreichen konnten. Wenn sie diese Zusagen nicht halten, und eine neue Auflösung folgen sollte, so werden sie nicht mehr Glauben bei den Wählern finden und nicht wieder gewählt werden. Die Folge der gelockerten Beziehungen zu den liberalen und centralistischen Abgeordneten wird, meines ehrfurchtsvollen Dafürhaltens, ein festeres Zusammenhalten der verbündeten Regirungen unter einander sein. Das Anwachsen der socialdemokratischen Gefahr, die jährliche Vermehrung der bedrohlichen Räuberbande, mit der wir gemeinsam unsre größern Städte bewohnen, die Versagung (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1248 [1-366] der Unterstützung gegen diese Gefahr von Seiten der Mehrheit des Reichstags, drängt schließlich den deutschen Fürsten, ihren Regirungen und allen Anhängern der staatlichen Ordnung eine Solidarität der Nothwehr auf, welcher die Demagogie der Redner und der Presse nicht gewachsen sein wird, so lange die Regirungen einig und entschlossen bleiben, wie sie es gegenwärtig sind. Der Zweck des Deutschen Reiches ist der Rechtsschutz; die parlamentarische Thätigkeit ist bei Stiftung des bestehenden Bundes der Fürsten und Städte als ein Mittel zur Erreichung des Bundeszweckes, aber nicht als Selbstzweck aufgefaßt worden. Ich hoffe, daß das Verhalten des Reichstags die verbündeten Regirungen der Nothwendigkeit überheben wird, die Consequenzen dieser Rechtslage jemals praktisch zu ziehn. Aber ich bin nicht gewiß, daß die Mehrheit des jetzt gewählten Reichstags schon der richtige Ausdruck der zweifellos loyal und monarchisch gesinnten Mehrheit der deutschen Wähler sein werde. Sollte es nicht der Fall sein, so tritt die Frage einer neuen Auflösung in die Tagesordnung. Ich glaube aber nicht, daß ein richtiger Moment der Entscheidung darüber schon in diesem Herbst eintreten könne. Bei einem neuen Appell an die Wähler wird die wirthschaftliche und finanzielle Reformfrage ein Bundesgenosse für die verbündeten Regirungen sein, sobald sie im Volke richtig verstanden sein wird; dazu aber ist ihre Discussion im Reichstage nöthig, die nicht vor der Wintersession stattfinden kann. Das Bedürfniß höherer Einnahmen durch indirecte Steuern ist in allen Bundesstaaten fühlbar, und von deren Ministern in Heidelberg einstimmig anerkannt worden. Der Widerspruch der parlamentarischen Theoretiker dagegen hat in der productiven Mehrheit der Bevölkerung auf die Dauer keinen Anklang. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1266 Eure Majestät haben mich sehr glücklich gemacht durch die huldreiche Anerkennung, welche das allerhöchste Schreiben vom 29. v. M. für mich enthält. Besonders dankbar bin ich für die Nachsicht, mit welcher Eure Majestät die Schwierigkeiten würdigen, welche die Partei-Leidenschaften im Bunde mit den Privat-Interessen den von den verbündeten Regirungen geplanten Reformen in den Weg legen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1268 [1-369] Auf finanziellem Gebiet glaube ich aber wird schon in einer der nächsten Reichstagssitzungen der Versuch zur Eröffnung weitrer Einnahmequellen für die verbündeten Regirungen zu erneuern sein, da die bisherigen vielleicht die Lücken unsres Etats decken, aber nicht ausreichend sein werden, um Reformen der directen Steuern und Unterstützungen der nothleidenden Gemeindeverwaltungen zu ermöglichen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1269 In politischer Beziehung hat das Ergebniß des Vorgehns der verbündeten Regirungen meinen Erwartungen insofern entsprochen, als die fehlerhafte Gruppirung und Zusammensetzung unsrer politischen Parteien und Fractionen durch die betreffenden Verhandlungen einen nachhaltigen Stoß erlitten zu haben scheint. Das Centrum hat zum ersten Male begonnen, sich in positivem Sinne an der Gesetzgebung des Reiches zu betheiligen. Ob dieser Gewinn ein dauernder sein wird, kann nur die Erfahrung lehren. Die Möglichkeit bleibt nicht ausgeschlossen, daß diese Partei, wenn eine Verständigung mit dem römischen Stuhle nicht gelingt, zu ihrer frühern, rein negativen und oppositionellen Haltung zurückkehrt. Die Aussichten auf eine Verständigung mit Rom sind dem äußern Anschein nach seit dem vorigen Jahre nicht wesentlich gebessert. Vielleicht darf ich aber Hoffnungen an die Thatsache knüpfen, daß der päpstliche Nuntius Jacobini dem Botschafter Prinzen Reuß amtlich den Wunsch ausgesprochen hat, in Verhandlungen einzutreten, zu welchen er von Rom Vollmacht habe. Die Tragweite der letztern kenne ich noch nicht, habe mich aber auf den Wunsch des Nuntius bereit erklärt, mich im Laufe dieses Monats in Gastein mit ihm zu begegnen und zu besprechen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1271 [1-370] Adresse der besitzlosen Classen von Lasker und Richter haben die revolutionäre Tendenz dieser Abgeordneten so klar und nackt hingestellt, daß für Anhänger der monarchischen Regirungsform keine politische Gemeinschaft mehr mit ihnen möglich ist. Der Plan des Städtebundes mit seinem ständigen Ausschuß am Sitze des Reichstages war der Berufung der "Föderirten" aus den französischen Provinzialstädten im Jahre 1792 nachgebildet. Der Versuch fand im deutschen Volke keinen Anklang, zeigt aber, wie auch in unsern fortschrittlichen Abgeordneten das Material für Conventsdeputirte zu finden wäre. Die Vorarbeiter der Revolution recrutiren sich bei uns ziemlich ausschließlich aus dem gelehrten Proletariat, an welchem Norddeutschland reicher ist als der Süden. Es sind die studirten und hochgebildeten Herrn, ohne Besitz, ohne Industrie, ohne Erwerb, welche entweder vom Gehalt im Staatsund Gemeindedienst oder von der Presse, häufig von beiden leben, und welche im Reichstage erheblich mehr als die Hälfte der Abgeordneten stellen, während im wählenden Volke ihre Anzahl einen geringen Procentsatz nicht überschreitet. Diese Herrn sind es, welche das revolutionäre Ferment liefern und die fortschrittliche und nationalliberale Fraction und die Presse leiten. Die Sprengung ihrer Fraction ist nach meinem unterthänigsten Dafürhalten eine wesentliche Aufgabe der erhaltenden Politik, und die Reform der wirthschaftlichen Interessen bildet den Boden, auf welchem die Regirungen diesem Ziele mehr und mehr näher treten können. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 9 Sie nennen es eine ‚wundervolle‘ Politik, daß wir das Gagernsche Programm ohne Reichsverfassung hätten verwirklichen können. Ich sehe nicht ein, wie wir hätten dazu gelangen sollen, wenn wir im Bunde mit den Würzburgern, auf deren Unterstützung angewiesen, Europa hätten besiegen müssen. Entweder standen die Regirungen uns ehrlich bei, und der Kampfpreis war ein Großherzog mehr in Deutschland, der aus Sorge für seine neue Souveränetät am Bunde gegen Preußen stimmt, ein Würzburger mehr; oder wir mußten, und das war das Wahrscheinlichere, unsern Verbündeten durch eine Reichsverfassung den Boden unter den Füßen wegziehn und dennoch dabei auf ihre Treue rechnen. Mißlang das, wie zu glauben, so waren wir blamirt; gelang es, so hatten wir die Union mit der Reichsverfassung. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 11 [2-6] zu bringen. Ich bin dabei in keiner Weise kriegsscheu, im Gegentheil; bin auch gleichgültig gegen Revolutionär oder Conservativ, wie gegen alle Phrasen; Sie werden sich vielleicht sehr bald überzeugen, daß der Krieg auch in meinem Programme liegt; ich halte nur Ihren Weg, dazu zu gelangen, für einen staatsmännisch unrichtigen. Daß Sie dabei im Einverständniß mit Pfordten, Beust, Dalwigk und wie unsre Gegner alle heißen, sich befinden, macht für mich die Seite, die Sie vertreten, weder zur revolutionären noch zur conservativen, aber nicht zur richtigen für Preußen. Wenn der Bierhaus-Enthusiasmus in London und Paris imponirt, so freut mich das, es paßt ganz in unsern Kram; deshalb imponirt er mir aber noch nicht und liefert uns im Kampfe keinen Schuß und wenig Groschen. Mögen Sie den Londoner Vertrag revolutionär nennen: die Wiener Tractate waren es zehnmal mehr und zehnmal ungerechter gegen viele Fürsten, Stände und Länder, das europäische Recht wird eben durch europäische Tractate geschaffen. Wenn man aber an letztre den Maßstab der Moral und Gerechtigkeit legen wollte, so müßten sie ziemlich alle abgeschafft werden. Wenn Sie statt meiner hier im Amte wären, so glaube ich, daß Sie sich von der Unmöglichkeit der Politik, die Sie mir heut empfehlen und als so ausschließlich ,patriotisch‘ ansehn, daß Sie die Freundschaft darüber kündigen, sehr bald überzeugen würden. So kann ich nur sagen: la critique est aisée; die Regirung, namentlich eine solche, die ohnehin in manches Wespennest hat greifen müssen, unter dem Beifall der Massen zu tadeln, hat nichts Schwieriges; beweist der Erfolg, daß die Regirung richtig verfuhr, so ist von Tadeln nicht weiter die Rede; macht die Regirung Fiasco in Dingen, die menschliche Einsicht und Wille überhaupt nicht beherrschen, so hat man den Ruhm, rechtzeitig vorhergesagt zu haben, daß die Regirung auf dem Holzwege sei. Ich habe eine hohe Meinung von Ihrer politischen Einsicht; aber ich halte mich selbst auch nicht für dumm; ich bin darauf gefaßt, daß Sie (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 18 Wäre auch das nach der europäischen Situation und nach dem Willen des Königs nicht zu erreichen gewesen ohne Isolirung Preußens von allen Großmächten einschließlich Oestreichs, so stand zur Frage, auf welchem Wege für die Herzogthümer, sei es in Form der Personalunion oder in einer andern, ein vorläufiger Abschluß erreichbar bliebe, der immerhin eine Verbesserung der Lage der Herzogthümer hätte sein müssen. Ich habe von Anfang an die Annexion unverrückt im Auge behalten, ohne die andern Abstufungen aus dem Gesichtsfelde zu verlieren. Als die Situation, welche ich absolut glaubte vermeiden zu müssen, betrachtete ich diejenige, welche in der öffentlichen Meinung von unsern Gegnern als Programm aufgestellt war, d. h. den Kampf und Krieg Preußens für die Errichtung eines neuen Großherzogthums, durchzufechten an der Spitze der Zeitungen, der Vereine, der Freischaaren und der Bundesstaaten außer Oestreich, und ohne die Sicherheit, daß die Bundesregirungen die Sache auf jede Gefahr hin durchführen würden. Dabei hatte die (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 20 Wenn auch durch Landtagsbeschlüsse, Zeitungen und Schützenfeste die deutsche Einheit nicht hergestellt werden konnte, so übte doch der Liberalismus einen Druck auf die Fürsten, der sie zu Concessionen für das Reich geneigter machte. Die Stimmung der Höfe schwankte zwischen dem Wunsche, dem Andringen der Liberalen gegenüber die fürstliche Stellung in particularistischer und autokratischer Sonderpolitik zu befestigen, und der Sorge vor Friedensstörungen durch äußere oder innere Gewalt. An ihrer deutschen Gesinnung ließ keine deutsche Regirung einen Zweifel, doch über die Art, wie die deutsche Zukunft gestaltet werden sollte, stimmten weder die Regirungen noch die Parteien überein. Es ist nicht wahrscheinlich, daß Kaiser Wilhelm als Regent und später als König auf dem Wege, den er zuerst unter dem Einflusse seiner Gemalin mit der neuen Aera betreten hatte, je dahin gebracht worden wäre, das zur Erreichung der Einheit Nothwendige zu thun, indem er dem Bunde absagte und die preußische Armee für die deutsche Sache einsetzte. Auf der andern Seite aber ist es auch (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 24 Die öffentliche Meinung war in den gebildeten Mittelständen Deutschlands ohne Zweifel augustenburgisch, in derselben Urtheilslosigkeit, welche sich früher den Polonismus und später die künstliche Begeisterung für die battenbergische Bulgarei als deutsches Nationalinteresse unterschieben ließ. Die Mache der Presse war in diesen beiden etwas analogen Lagen betrübend erfolgreich und die öffentliche Dummheit für ihre Wirkung so empfänglich wie immer. Die Neigung zur Kritik der Regirung war 1864 auf der Höhe des Satzes: Nein, er gefällt mir nicht, der neue Bürgermeister. Ich weiß nicht, ob es heut noch Jemanden gibt, der es für vernünftig hielte, wenn nach Befreiung der Herzogthümer aus ihnen ein neues Großherzogthum hergestellt worden wäre, mit Stimmberechtigung am Bundestage und dem sich von selbst ergebenden Berufe, sich vor Preußen zu fürchten und es mit seinen Gegnern zu halten; damals aber wurde die Erwerbung der Herzogthümer für Preußen als eine Ruchlosigkeit von allen denen betrachtet, welche seit 1848 sich als die Vertreter der nationalen Gedanken aufgespielt hatten. Mein Respect vor der sogenannten öffentlichen Meinung, das heißt, vor dem Lärm der Redner und der Zeitungen, war niemals groß gewesen, wurde aber in Betreff der auswärtigen Politik in den beiden oben verglichenen Fällen noch erheblich herabgedrückt. Wie stark die Anschauungsweise des Königs bis dahin von dem landläufigen Liberalismus durch den Einfluß der Gemalin und der Bethmann-Hollwegschen Streberfraction imprägnirt war, beweist die Zähigkeit, mit der er an dem Widerspruch festhielt, in welchem das Oestreichisch-Frankfurter-Augustenburger Programm mit dem preußischen Streben nach nationaler Einheit stand. Logisch begründet konnte diese Politik dem König gegenüber unmöglich werden; er hatte sie, ohne eine chemische Analyse ihres Inhalts vorzunehmen, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 46 [2-18] einen Canal durch Holstein zu bauen, in Friede und Freundschaft mit Oestreich gewonnen worden war. Ich denke mir, daß das Verfügungsrecht über den Kieler Hafen bei Sr. Majestät schwerer in das Gewicht gefallen ist, als der Eindruck der neuerworbenen freundlichen Landschaft von Ratzeburg mit seinem See. Die deutsche Flotte, und der Kieler Hafen als Unterlage ihrer Errichtung, war seit 1848 einer der zündenden Gedanken gewesen, an deren Feuer die deutschen Einheitsbestrebungen sich zu erwärmen und zu versammeln pflegten. Einstweilen aber war der Haß meiner parlamentarischen Gegner stärker als das Interesse für die deutsche Flotte, und es schien mir, daß die Fortschrittspartei damals die neuerworbenen Rechte Preußens auf Kiel und die damit begründete Aussicht auf unsre maritime Zukunft lieber in den Händen des Auctionators Hannibal Fischer, als in denen des Ministeriums Bismarck gesehn hätte 1). Das Recht zu Klagen und Vorwürfen über die Vernichtung deutscher Hoffnungen durch diese Regirung hätte den Abgeordneten größere Befriedigung gewährt als der gewonnene Fortschritt auf dem Wege zu ihrer Erfüllung. Ich schalte einige Stellen aus der Rede ein, welche ich am 1. Juni 1865 für den außerordentlichen Geldbedarf der Marine gehalten habe 2). „Es hat wohl keine Frage die öffentliche Meinung in Deutschland in den letzten 20 Jahren so einstimmig interessirt, wie grade die Flottenfrage. Wir haben gesehn, daß die Vereine, die Presse, die Landtage ihren Sympathien Ausdruck gaben, diese Sympathien haben sich in Sammlung von verhältnißmäßig recht bedeutenden Beträgen bethätigt. Den Regirungen, der conservativen Partei wurden Vorwürfe gemacht über die Langsamkeit und über die Kargheit, mit der in dieser Richtung vorgegangen würde; es waren besonders die liberalen Parteien, die dabei thätig 1) Vgl. die Rede vom 1. Juni 1865, Politische Reden II 356. 2) Politische Reden a. a. O. S. 355 ff. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 65 [2-24] Aber schon im März oder April fing man in Hanover unter fadenscheinigen Vorwänden an, Reserven einzuberufen. Es hatten Einflüsse auf den König Georg stattgefunden, namentlich durch seinen Halbbruder, den östreichischen General Prinzen Solms, der nach Hanover gekommen war und den König umgestimmt hatte durch übertriebene Schilderung der östreichischen Heereskräfte, von denen 800 000 Mann bereit seien, und wie ich aus intimen hanöverschen Quellen vernommen habe, auch durch ein Erbieten von territorialer Vergrößerung, mindestens durch den Regirungs- Bezirk Minden. Meine amtlichen Anfragen bezüglich der Rüstungen Hanovers wurden mit der fast höhnisch klingenden Auskunft beantwortet, daß die Herbstübungen aus wirthschaftlichen Gründen schon im Frühjahr abgehalten werden sollten 1). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 176 In einer Commissionssitzung des Landtags wurde ich von der Fortschrittspartei, wohl nicht ohne Kenntniß von den Bestrebungen der äußersten Rechten, darüber interpellirt, ob die Regirung bereit sei, die preußische Verfassung in den neuen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 177 [2-57] Provinzen einzuführen. Eine ausweichende Antwort würde das Mißtrauen der Verfassungsparteien hervorgerufen oder belebt haben. Nach meiner Ueberzeugung war es überhaupt nothwendig, die Entwicklung der deutschen Frage durch keinen Zweifel an der Verfassungstreue der Regirung zu hemmen; durch jeden neuen Zwiespalt zwischen Regirung und Opposition wäre der vom Auslande zu erwartende äußere Widerstand gegen nationale Neubildungen gestärkt worden. Aber meine Bemühungen, die Opposition und ihre Redner zu überzeugen, daß sie wohlthäten, innere Verfassungsfragen gegenwärtig zurücktreten zu lassen, daß die deutsche Nation, wenn erst geeinigt, in der Lage sein werde, ihre innern Verhältnisse nach ihrem Ermessen zu ordnen; daß unsre gegenwärtige Aufgabe sei, die Nation in diese Lage zu versetzen, alle diese Erwägungen waren der bornirten und kleinstädtischen Parteipolitik der Oppositionsredner gegenüber erfolglos, und die durch sie hervorgerufenen Erörterungen stellten das nationale Ziel zu sehr in den Vordergrund nicht nur dem Auslande, sondern auch dem Könige gegenüber, der damals noch mehr die Macht und Größe Preußens als die verfassungsmäßige Einheit Deutschlands im Auge hatte. Ihm lag ehrgeizige Berechnung nach deutscher Richtung hin fern; den Kaisertitel bezeichnete er noch 1870 geringschätzig als den „Charaktermajor“, worauf ich erwiderte, daß Se. Majestät die Competenzen der Stellung allerdings schon verfassungsmäßig besäßen und der „Kaiser“ nur die äußerliche Sanction enthalte, gewissermaßen als ob ein mit Führung eines Regiments beauftragter Offizier definitiv zum Commandeur ernannt werde. Für das dynastische Gefühl war es schmeichelhafter, grade als geborner König von Preußen und nicht als erwählter und durch ein Verfassungsgesetz hergestellter Kaiser die betreffende Macht auszuüben, analog wie ein prinzlicher Regiments- Commandeur es vorzieht, nicht Herr Oberst, sondern Königliche Hoheit genannt zu werden und der gräfliche Lieutenant nicht Herr Lieutenant, sondern Herr Graf. Ich hatte mit diesen Eigenthümlichkeiten meines Herrn zu rechnen, wenn ich mir sein Vertrauen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 184 1) Die geheime Abstimmung wurde bekanntlich erst durch den Antrag Fries in das Gesetz hineingebracht, während die Regirungsvorlage öffentliche Abstimmung forderte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 188 Die Kritik kann nur geübt werden durch eine freie Presse und durch Parlamente im modernen Sinne. Beide Corrective können ihre Wirkung durch Mißbrauch abstumpfen und schließlich verlieren. Dies zu verhüten, ist eine der Aufgaben erhaltender Politik, die sich ohne Bekämpfung von Parlament und Presse nicht lösen läßt. Das Abmessen der Schranken, die in diesem Kampfe innegehalten werden müssen, um die dem Lande unentbehrliche Controlle der Regirung weder zu hindern, noch zur Herrschaft werden zu lassen, ist eine Sache des politischen Tactes und Augenmaßes. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 189 Wenn ein Monarch dafür das hinreichende Augenmaß besitzt, so ist das ein Glück für sein Land, freilich ein vergängliches, wie alles menschliche Glück. Die Möglichkeit, Minister an's Ruder zu bringen, welche die entsprechenden Eigenschaften besitzen, muß in dem Verfassungsleben gegeben werden, aber auch die Möglichkeit, Minister, die diesem Bedürfniß genügen, sowohl gegen gelegentliche Majoritäts-Abstimmungen als auch gegen Hof- und Camarilla- Einflüsse zu halten. Dieses Ziel war bis zu dem nach menschlicher Unvollkommenheit überhaupt erreichbaren Grade annähernd erreicht unter der Regirung Wilhelms I. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 192 [2-62] hundert gehoben hatte. Das Ergebniß würde der Regirung noch günstiger gewesen sein, wenn die Wahl einige Tage nach der entscheidenden Schlacht stattgefunden hätte; aber auch so war es in Verbindung mit der schwunghaften Stimmung im Lande immerhin geeignet, nicht blos conservativen, sondern auch reactionären Bestrebungen Hoffnung auf Gelingen zu geben. Für diejenigen, welche nach der Rückbildung zum Absolutismus oder doch nach einer Restauration im ständischen Sinne strebten, war durch die Vergrößerung der Monarchie, durch die parlamentarische Situation beim Ausbruch des Krieges und den ungeschickten und ehrgeizigen Eigensinn der Führer der Opposition ein Anknüpfungspunkt gegeben, um die preußische Verfassung zu suspendiren und zu revidiren. Sie war auf das vergrößerte Preußen nicht zugeschnitten, noch weniger aber auf die Einschichtung in die zukünftige Verfassung Deutschlands. Die Verfassungsurkunde selbst enthielt einen Artikel (118), welcher, entstanden unter dem Eindruck der nationalen Stimmung zur Zeit der Verfassungsbildung und aus dem Entwurf von 1848 entnommen, zur Unterordnung der preußischen Verfassung unter eine neu zu schaffende deutsche berechtigte. Es war also eine Gelegenheit gegeben, mit dem formalen Anstrich der Legalität die Verfassung und die Bestrebungen der Conflictsmajorität nach parlamentarischer Herrschaft aus den Angeln zu heben, und dies lag im Hintergrunde des Bemühns der äußersten Rechten und ihrer nach Prag abgeordneten Mitglieder. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 206 [2-68] in Preußen gegen Parlament und Presse ein Regirungssystem durchzuführen, das von dem ganzen übrigen Deutschland bekämpft wurde. Maßregeln, die bei uns gegen die Presse zu ergreifen gewesen sein würden, würden in Dessau keine Gültigkeit gehabt haben, und Oestreich und Süddeutschland würden ihre Revanche einstweilen dadurch genommen haben, daß sie die von Preußen verlassene Führung auf liberalem und nationalem Gebiete übernahmen. Die nationale Partei in Preußen selbst würde mit den Gegnern der Regirung sympathisirt haben; wir konnten dann innerhalb der verbesserten preußischen Grenzen staatsrechtlich eine Stärkung des Königthums gewinnen, aber doch in Gegenwart stark dissentirender einheimischer Elemente, denen sich die Opposition in den neuen Provinzen angeschlossen haben würde. Wir hätten dann einen preußischen Eroberungskrieg geführt, aber der nationalen Politik Preußens würden die Sehnen durchschnitten worden sein. In dem Bestreben, der deutschen Nation die Möglichkeit einer ihrer geschichtlichen Bedeutung entsprechenden Existenz durch Einheit zu verschaffen, lag das gewichtigste Argument zur Rechtfertigung des geführten deutschen „Bruderkrieges“; die Erneuerung eines solchen wurde unabwendbar, wenn der Kampf zwischen den deutschen Stämmen lediglich im Interesse der Stärkung des preußischen Sonderstaates fortgesetzt wurde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 207 Ich halte den Absolutismus für keine Form einer in Deutschland auf die Dauer haltbaren oder erfolgreichen Regirung. Die preußische Verfassung ist, wenn man von einigen, aus der belgischen übersetzten Phrasenartikeln absieht, in ihrem Hauptprinzip vernünftig; sie hat drei Factoren, den König und zwei Kammern, deren jeder durch sein Votum willkürliche Aenderungen des gesetzlichen status quo hindern kann. Darin liegt eine gerechte Vertheilung der gesetzgebenden Gewalt. Wenn man letztre von der öffentlichen Kritik der Presse und der parlamentarischen Behandlung emancipirt, so wird die Gefahr erhöht, daß sie auf Abwege geriethe. Absolutismus der Krone ist ebenso wenig haltbar wie Absolutismus (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 208 [2-69] Indemnität. der parlamentarischen Majoritäten, das Erforderniß der Verständigung beider für jede Aenderung des gesetzlichen status quo ist ein gerechtes, und wir hatten nicht nöthig, an der preußischen Verfassung Erhebliches zu bessern. Es läßt sich mit derselben regiren, und die Bahn deutscher Politik wäre verschüttet worden, wenn wir 1866 daran änderten. Vor dem Siege würde ich nie von „Indemnität“ gesprochen haben; jetzt, nach dem Siege, war der König in der Lage, sie großmüthig zu gewähren und Frieden zu schließen, nicht mit seinem Volke — der war nie unterbrochen worden, wie der Verlauf des Krieges gezeigt hat, — sondern mit dem Theile der Opposition, welcher irre geworden war an der Regirung, mehr aus nationalen, als aus parteipolitischen Gründen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 209 Dies waren ungefähr die Gedanken und Argumente, mit denen ich während der viele Stunden langen Fahrt von Prag nach Berlin (4. August) die Schwierigkeiten zu bekämpfen suchte, die die eignen Ansichten, noch mehr aber andre Einflüsse, namentlich auch der Einfluß der conservativen Deputation, in dem Könige hinterlassen hatten. Es kam dazu eine staatsrechtliche Auffassung Sr. Majestät, die ihm ein Verlangen nach Indemnität als ein Eingeständniß begangenen Unrechts erscheinen ließ *). Ich suchte vergeblich diesen sprachlichen und rechtlichen Irrthum zu entkräften, indem ich geltend machte, daß in Gewährung der Indemnität nichts weiter liege als die Anerkennung der Thatsache, daß die Regirung und ihr königlicher Chef rebus sic stantibus richtig gehandelt hätten; die Forderung der Indemnität sei ein Verlangen nach dieser Anerkennung. In jedem constitutionellen Leben, in dem Spielraum, den es den Regirungen gestatte, liege es, daß der Regirung nicht für jede Situation eine Zwangsroute in der Verfassung angewiesen sein könne. Der König blieb bei seiner Abneigung gegen Indemnität, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 235 [2-80] Beziehungen beruhigende und consolidirende Ergebnisse, die den Spaniern zu mißgönnen ich keinen Anlaß hatte. Spanien gehört zu den wenigen Ländern, die nach ihrer geographischen Lage und ihrem politischen Bedürfniß keinen Grund haben, antideutsche Politik zu treiben; es ist außerdem in wirthschaftlicher Beziehung nach Production und Bedarf für einen entwickelten Verkehr mit Deutschland wohl geeignet. Ein uns befreundetes Element in der spanischen Regirung wäre ein Vortheil gewesen, den a limine abzuweisen in den Aufgaben der deutschen Politik kein Grund vorhanden war, es sei denn, daß man die Besorgniß, Frankreich könne unzufrieden werden, als einen solchen gelten lassen wollte. Wenn Spanien sich wieder kräftiger entwickelte, als seither geschehn ist, konnte die Thatsache, daß die spanische Diplomatie uns befreundet wäre, im Frieden für uns von Nutzen sein; daß der König von Spanien bei Eintritt des früher oder später vorauszusehenden deutsch-französischen Krieges, auch wenn er den besten Willen gehabt hätte, seine deutschen Sympathien durch einen Angriff oder eine Aufstellung gegen Frankreich zu bethätigen, im Stande sein werde, war mir nicht wahrscheinlich, und das Verhalten Spaniens nach Ausbruch des Krieges, den wir uns durch die Gefälligkeit deutscher Fürsten zugezogen hatten, bewies die Richtigkeit meiner Zweifel. Der ritterliche Eid hätte Frankreich wegen der Einmischung in die Freiheit der spanischen Königswahl zur Rechenschaft gezogen und die Wahrung der spanischen Unabhängigkeit nicht Fremden überlassen. Die früher zu Wasser und Lande mächtige Nation kann heut nicht die stammverwandte Bevölkerung von Cuba im Zaume halten; wie sollte man von ihr erwarten, daß sie eine Macht wie Frankreich aus Liebe zu uns angriffe? Keine spanische Regirung und am wenigsten ein ausländischer König würde im Lande die Macht besitzen, auch nur ein Regiment aus Liebe zu Deutschland an die Pyrenäen zu schicken. Politisch stand ich der ganzen Frage ziemlich gleichgültig gegenüber. Mehr als ich war Fürst Anton geneigt, sie friedlich zu dem (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 260 „Nachdem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen von Hohenzollern der kaiserlich französischen Regirung von der königlich spanischen amtlich mitgetheilt worden sind, hat der französische Botschafter in Ems an Seine Majestät den König noch die Forderung gestellt, ihn zu autorisiren, daß er nach Paris telegraphire, daß Seine Majestät der König sich für alle Zukunft verpflichte, niemals wieder seine Zustimmung zu geben, wenn die (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 275 [2-96] als Stabsoffizier eines Cavallerie-Regiments; und es blieb 1870 mir gegenüber bei dem militärischen Boycott, wie man heut sagen würde. Wenn man die Theorie, welche der Generalstab mir gegenüber zur Anwendung brachte und die auch kriegswissenschaftlich gelehrt werden soll, so ausdrücken kann: der Minister der Auswärtigen Angelegenheiten kommt erst wieder zum Wort, wenn die Heeresleitung die Zeit gekommen findet, den Janustempel zu schließen, so liegt schon in dem doppelten Gesicht des Janus die Mahnung, daß die Regirung eines kriegführenden Staates auch nach andern Richtungen zu sehn hat, als nach dem Kriegsschauplatze. Aufgabe der Heeresleitung ist die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte; Zweck des Krieges die Erkämpfung des Friedens unter Bedingungen, die der von dem Staate verfolgten Politik entsprechen. Die Feststellung und Begrenzung der Ziele, die durch den Krieg erreicht werden sollen, die Berathung des Monarchen in Betreff derselben ist und bleibt während des Krieges wie vor demselben eine politische Aufgabe, und die Art ihrer Lösung kann nicht ohne Einfluß auf die Art der Kriegführung sein. Die Wege und Mittel der letztern werden immer davon abhängig sein, ob man das schließlich gewonnene Resultat oder mehr oder weniger hat erreichen wollen, ob man Landabtretungen fordern oder auf solche verzichten, ob man Pfandbesitz und auf wie lange gewinnen will. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 288 [2-101] In derselben knüpft er an ein Memorandum an, durch das ich zu Anfang October 1) auf die Folgen aufmerksam gemacht hatte, die sich an einen bis zu eintretendem Mangel an Lebensmitteln fortgesetzten Widerstand des von zwei Millionen Menschen bewohnten Paris knüpfen müßten, und bezeichnet es, ganz richtig, als meinen Zweck, die Verantwortlichkeit dafür von der preußischen Regirung abzulehnen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 363 [2-131] Falk unterlag derselben Tactik, die am Hofe gegen mich nicht mit demselben Erfolge, aber mit gleichen Mitteln in Anwendung gebracht worden war; er unterlag ihr, theils weil er für Hofeindrücke empfindlicher war als ich, theils weil ihm die Sympathie des Kaisers nicht in gleichem Maße zur Seite stand wie mir. Die antiministerielle Thätigkeit der Kaiserin fand ihre ursprüngliche Quelle in der Unabhängigkeit des Charakters, welche es ihr erschwerte, mit einer Regirung zu gehn, die nicht in ihren eignen Händen lag, und welche ihr ein Menschenalter hindurch den Weg der Opposition gegen die jedesmalige Regirung anziehend machte. Sie war nicht leicht der Meinung eines Andern. Zur Zeit des Culturkampfes wurde diese Neigung gefördert durch die katholische Umgebung Ihrer Majestät, welche aus dem ultramontanen Lager Information und Anweisung erhielt. Diese Einflüsse nutzten mit Geschick und Menschenkenntniß die alte Neigung der Kaiserin aus, auf die jedesmalige Staatsregirung verbessernd einzuwirken. Ich habe Falk wiederholt seine beabsichtigten Abschiedsgesuche ausgeredet, die sich an Kaiserliche Handschreiben ungnädigen Inhalts, welche wohl nicht der eignen Initiative des hohen Herrn entsprungen waren, und an verletzendes Benehmen gegen seine Frau am Hofe knüpften. Ich empfahl ihm, sich den ungnädigen, aber auch uncontrasignirten Allerhöchsten Erlassen gegenüber, die weniger an den Culturkampf als an die Beziehungen des Cultusministers zum Oberkirchenrath und zur evangelischen Kirche anknüpften, passiv zu verhalten, allenfalls seine Beschwerden an das Staatsministerium zu bringen, dessen Anträge, wenn sie einhellig waren, der König zu berücksichtigen pflegte. Endlich aber wurde er dadurch, daß er Kränkungen ausgesetzt war, die seinem Ehrgefühl empfindlich waren, doch bestimmt, seinen Abschied zu nehmen. Alle Erzählungen, nach denen ich ihn aus dem Ministerium verdrängt haben soll, beruhn auf Erfindung, und ich habe mich gewundert, daß er selbst ihnen niemals in der Oeffentlichkeit widersprochen hat, obschon er mit mir stets in befreundeten Beziehungen geblieben ist. Aus den Vorgängen, die für seinen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 366 Nach seinem Abgange war ich vor die Frage gestellt, ob und wie weit ich bei der Wahl eines neuen Cultuscollegen die mehr juristische als politische Linie Falks im Auge behalten, oder meinen mehr gegen Polonismus als gegen Katholicismus gerichteten Auffassungen ausschließlich folgen sollte. In dem Culturkampfe war die parlamentarische Regirungspolitik durch den Abfall der Fortschrittspartei und ihren Uebergang zum Centrum gelähmt, indem sie im Reichstage einer durch gemeinsame Feindschaft zusammengehaltnen Majorität von Demokraten aller Schattirungen, im Bunde mit Polen, Welfen, Franzosenfreunden und Ultramontanen, ohne Unterstützung durch die Conservativen gegenüberstand. Die Consolidirung unsrer neuen Reichseinheit wurde durch diese Zustände gehemmt und, wenn sie dauerten oder sich verschärften, gefährdet. Der nationale Schaden konnte auf diesem Wege größer werden, als auf dem eines Verzichtes auf den meiner Ansicht nach entbehrlichen Theil der Falkschen Gesetzgebung. Für nicht entbehrlich hielt ich die Beseitigung der Verfassungsartikel, die Kampfmittel gegen den Polonismus und vor allen die Herrschaft des Staates über die Schule. Wahrten wir die, so behielten wir aus dem Culturkampfe beim Frieden immer einen werthvollen Siegespreis im Vergleich mit den Zuständen vor Ausbruch des Kampfes. Ueber die Grenze, bis zu der wir der Curie (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 370 Es bedurfte noch jahrelanger Arbeit, um ohne neue Cabinetskrisen an die Revision der Maigesetze gehn zu können, für deren Vertretung in parlamentarischen Kämpfen nach der Desertion der freisinnigen Partei in das ultramontane Oppositionslager die Majorität fehlte. Ich war zufrieden, wenn es gelang, dem Polonismus gegenüber die im Culturkampf gewonnenen Beziehungen der Schule zum Staate und die eingetretene Aenderung der einschlagenden Verfassungsartikel als definitive Errungenschaften festzuhalten. Beide sind in meinen Augen werthvoller als die maigesetzlichen Verbote geistlicher Thätigkeit und der juristische Fangapparat für widerstrebende Priester, und als einen wichtigen Gewinn durfte ich schon die Beseitigung der katholischen Abtheilung und ihrer staatsgefährlichen Thätigkeit in Schlesien, Posen und Preußen betrachten. Nachdem die Freisinnigen den von ihnen mehr wie von mir betriebenen „Culturkampf“, dessen Vorkämpfer Virchow und Genossen gewesen waren, nicht nur aufgegeben hatten, sondern im Parlament wie in den Wahlen das Centrum unterstützten, war letzterm gegenüber die Regirung in der Minorität. Der aus Centrum, Fortschritt, Socialdemokraten, Polen, Elsässern, Welfen bestehenden compacten Mehrheit gegenüber war die Politik Falks im Reichstage ohne Aussicht. Ich hielt um so mehr für angezeigt, den Frieden anzubahnen, wenn die Schule gedeckt, die Verfassung von den aufgehobenen Artikeln und der Staat von der katholischen Abtheilung befreit blieb. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 371 Nachdem ich den Kaiser schließlich gewonnen hatte, war bei Abschätzung des Festzuhaltenden und des Aufzugebenden die neue Stellung der Fortschrittspartei und der Secessionisten ein entscheidendes Moment; anstatt die Regirung zu unterstützen, schlossen sie bei Wahlen und Abstimmungen Bündnisse mit dem Centrum und hatten Hoffnungen gefaßt, die in dem sog. Ministerium Gladstone (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 374 Inwieweit derselbe von Dauer sein wird und die confessionellen Kämpfe nun ruhn werden, kann nur die Zeit lehren. Es hängt das von kirchlichen Stimmungen ab und von dem Grade der Streitbarkeit nicht blos des jedesmaligen Papstes und seiner leitenden Rathgeber, sondern auch der deutschen Bischöfe und der mehr oder weniger hochkirchlichen Richtung, welche im Wechsel der Zeit in der katholischen Bevölkerung herrscht. Eine feste Grenze der römischen Ansprüche an die paritätischen Staaten mit evangelischer Dynastie läßt sich nicht herstellen. Nicht einmal in rein katholischen Staaten. Der uralte Kampf zwischen Priestern und Königen wird nicht heut zum Abschluß gelangen, namentlich nicht in Deutschland. Wir haben vor 1870 Zustände gehabt, auf Grund deren die Lage der katholischen Kirche grade in Preußen als mustergültig und günstiger als in den meisten rein katholischen Ländern auch von der Curie anerkannt wurde. In unsrer innern Politik, namentlich der parlamentarischen, haben wir aber keine Wirkung dieser confessionellen Befriedigung gespürt. Die Fraction der beiden Reichensperger gehörte schon lange vor 1871, ohne daß deshalb die Führer persönlich in den Ruf des Händelmachens verfielen, dauernd der Opposition gegen die Regirung des evangelischen Königshauses an. Bei jedem modus vivendi wird Rom eine evangelische Dynastie und Kirche als eine Unregelmäßigkeit und Krankheit betrachten, deren Heilung die Aufgabe seiner Kirche sei. Die Ueberzeugung, daß dem so ist, nöthigt den Staat noch nicht, seinerseits den Kampf zu suchen und die Defensive der römischen Kirche gegenüber aufzugeben, denn alle Friedensschlüsse in dieser Welt sind Provisorien, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 397 Der Bruch der Conservativen mit mir, der 1872 mit Geräusch vollzogen wurde, hatte zuerst 1868 vorgespukt in den Debatten über den hanöverschen Provinzialfonds. Nachdem der Gesetzentwurf, den die Regirung in Erfüllung einer den Hanoveranern im Jahr zuvor gemachten Zusage dem Landtage vorgelegt hatte, schon in der Commission von den conservativen Mitgliedern lebhaft bekämpft worden war, brachten die Abgeordneten von Brauchitsch und von Diest im Plenum einen Antrag ein, der die Vorlage wesentlich einschränkte. Der erstre entwickelte als Wortführer die Gründe, aus denen die conservative Partei nicht für das Gesetz stimmen könne. Meine eingehende Widerlegung habe ich damals mit den Worten geschlossen: „Es ist eine constitutionelle Regirung nicht möglich, wenn die Regirung nicht auf eine der größern Parteien mit voller Sicherheit zählen kann, auch in solchen Einzelheiten, die der Partei vielleicht nicht durchweg gefallen, — wenn nicht diese Partei das Facit ihrer Rechnung dahin zieht: wir gehn im Großen und Ganzen mit der Regirung; wir finden zwar, daß sie ab und zu eine Thorheit begeht, aber doch bisher noch weniger Thorheiten brachte, als annehmbare Maßregeln; um deswillen wollen wir ihr die Einzelheiten zu Gute halten. Hat eine Regirung nicht wenigstens Eine Partei im Lande, die auf ihre Auffassungen und Richtungen in dieser Art eingeht, dann ist ihr das (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 399 Ungeachtet dieser Warnung gelangte das Gesetz mit einer von der Regirung zugestandenen Abschwächung am 7. Februar nur mit einer Mehrheit von 32 Stimmen zur Annahme, weil die meisten Conservativen dagegen stimmten. Auch in der Commission des Herrenhauses wiederholte sich der Angriff von conservativer Seite. Mit welchen Mitteln damals operirt wurde, zeigt folgender Vorgang. Karl von Bodelschwingh, während des Conflicts Finanzminister, der 1866 die Beschaffung der für den Krieg erforderlichen Geldmittel abgelehnt hatte und deshalb durch den Freiherrn von der Heydt ersetzt worden war, hatte in der conservativen Fraction verbreitet, daß mir die Ablehnung der Vorlage eigentlich recht sein würde, und erbot sich, dafür einen Beweis zu erbringen. Er trat in dem Sitzungssaale beim Beginn der Verhandlungen an mich heran, leitete ein gleichgültiges Gespräch mit der Frage nach dem Befinden meiner Frau ein und kehrte in die Mitte seiner Fractionsgenossen zurück mit der Erklärung, er sei nach Rücksprache mit mir seiner Sache sicher. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 419 „Der Vorredner (Lasker) hat gesagt, es sei ihm und den Seinigen undenkbar gewesen, daß in einer prinzipiellen und von uns für die Sicherheit des Staates für wichtig erklärten Frage, in einer Frage von der Bedeutung die bisherige conservative Partei der Regirung offen den Krieg erklärte. Ich will mir diesen letztern Ausdruck nicht aneignen, aber ich darf das wohl bestätigen, daß es auch mir undenkbar gewesen ist, daß diese Partei die Regirung in einer Frage im Stiche lassen werde, in welcher die Regirung ihrerseits entschlossen ist, jedes constitutionelle Mittel zur Anwendung zu bringen, um sie durchzuführen“ 1). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 420 Nachdem das Gesetz in der von der Regirung genehmigten Fassung mit 207 Stimmen gegen 155 Stimmen von Clericalen, Conservativen und Polen angenommen war, gelangte es am 6. März in dem Herrenhause zur Berathung. Aus meiner Rede will ich eine Stelle anführen: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 423 [2-150] die wir fordern, den evangelischen Staat auf den Kopf stellen. Wären diese Uebertreibungen nicht geschehn, so wären die bedauerlichen Streitigkeiten und Reibungen bei diesem Gesetz vollständig überflüssig gewesen; das Gesetz hat seine übertriebene Wichtigkeit erst durch den uns ganz unerwarteten Widerstand der conservativen Partei evangelischer Confession erhalten, einen Widerstand, in dessen Genesis ich hier nicht näher eingehn will — ich könnte es nicht, ohne persönlich zu werden — der aber für die Staatsregirung eine tief schmerzliche und für die Zukunft entmuthigende Erfahrung bildet. Nachdem ich Ihnen mit einer Offenheit, zu der conservative Leute die Staatsregirung niemals zwingen sollten, die Genesis und Tendenz dieses Gesetzes dargelegt habe, sollten Sie die Nothwendigkeit, daß unsre bisher nicht deutsch sprechenden Landsleute Deutsch lernen, anerkennen. Das ist für mich der Hauptpunkt dieses Gesetzes“ 1). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 424 In einem Hause von 202 stimmten 76 gegen das Gesetz. Ich hatte noch am Abend vorher mit großer Anstrengung versucht, Herrn von Kleist die muthmaßlichen Folgen der Politik darzustellen, zu der er seine Freunde verleitete, fand mich aber einem parti pris gegenüber, bezüglich dessen Unterlage ich keine Conjectur machen will. Der Bruch mit mir wurde von jener Seite mit einer Schärfe äußerlich vollzogen, aus der ebenso viel persönliche als politische Leidenschaft hervorleuchtete. Die Ueberzeugung, daß dieser mir persönlich nahestehende Parteimann das Land und die conservative Sache schwer geschädigt hat, währt bis auf den heutigen Tag. Wenn die conservative Partei, anstatt mit mir zu brechen und mich mit einer Bitterkeit und einem Fanatismus zu bekämpfen, worin sie keiner staatsfeindlichen Partei etwas nachgab, der Regirung des Kaisers geholfen hätte, in ehrlicher gemeinsamer Arbeit die Reichsgesetzgebung auszubauen, so würde der Ausbau nicht ohne tiefe Spuren solcher conservativen Mitarbeit geblieben sein. Ausgebaut mußte werden, wenn die politischen und militärischen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 462 Am 23. August 1871 wurde er auf meinen Antrag zum Gesandten, demnächst zum Botschafter in Paris ernannt, wo ich seine hohe Begabung trotz seiner Fehler im Interesse des Dienstes nützlich zu verwerthen hoffte; er sah in seiner Stellung dort aber nur eine Stufe, von der aus er mit mehr Erfolg daran arbeiten konnte, mich zu beseitigen und mein Nachfolger zu werden. Er machte in Privatbriefen an den Kaiser geltend, daß das preußische Königshaus gegenwärtig das älteste in Europa sei, das sich in ununterbrochner Regirung erhalten habe, und daß dem Kaiser, als dem doyen der Monarchen, durch diese Gnade Gottes eine Verpflichtung erwachse, die Legitimität und Continuität andrer alter Dynastien zu überwachen und zu schützen. Die Berührung dieser Saite im Gemüthe des Kaisers war psychologisch richtig berechnet, und wenn Arnim allein ihn zu berathen gehabt hätte, so wäre es ihm vielleicht gelungen, das klare und nüchterne Urtheil dieses Herrn durch ein künstlich gesteigertes Gefühl von angestammter Fürstenpflicht zu trüben. Aber er wußte nicht, daß Se. Majestät mir in seiner graden und ehrlichen Weise die Briefe mittheilte und dadurch Gelegenheit gab, der politischen Einsicht, man könnte sagen, dem gesunden Verstande des Herrn die Schäden und Gefahren der Rathschläge darzulegen, denen wir auf dem von Arnim empfohlenen Wege der Herstellung der Legitimität in Frankreich entgegengehn würden. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 468 [2-165]  mit steigender Siegeszuversicht angriff, war damals die „Spener'sche Zeitung“, die, im Absterben begriffen, ihm käuflich war. In derselben ließ er Andeutungen machen, als ob er allein ein Mittel wisse, den Kampf mit Rom siegreich zu Ende zu führen, und daß nur mein unberechtigter Ehrgeiz einen überlegnen Staatsmann wie er sei, nicht an's Ruder kommen lasse. Gegen mich hat er sich über dieses Arcanum nicht ausgesprochen. Dasselbe bestand in dem von einzelnen Canonisten vertretenen Gedanken, daß die römisch- katholische Kirche durch die Beschlüsse des Vaticanums ihre Natur verändert habe, ein andres Rechtssubject geworden sei und die in ihrem frühern Dasein erworbenen Eigenthums- und Vertragsrechte verloren habe. Ich habe dieses Mittel früher als er erwogen, glaube aber nicht, daß es eine stärkere Wirkung auf den Austrag des Streites geübt haben würde, als die Gründung der altkatholischen Kirche es vermochte, deren Berechtigung logisch und juristisch noch einleuchtender und gerechtfertigter war, als es die angerathne Lossagung der Preußischen Regirung von ihren Beziehungen zur römischen Kirche gewesen sein würde. Die Zahl der Altkatholiken giebt das Maß für die Wirkung, welche dieser Schachzug auf den Bestand der Anhänger des Papstes und des Neokatholicismus geübt haben würde. Noch weniger versprach ich mir von dem Vorschlage, den Graf Arnim in einem der veröffentlichten Berichte gemacht hat, die preußische Regirung möge „Oratores“ zur Erörterung der dogmatischen Fragen in das Concil schicken. Ich vermuthe, daß er darauf durch den Titelkopf der von Paolo Sarpi verfaßten Geschichte des Tridentiner Concils gekommen ist, auf dem die Versammlung abgebildet ist und zwei, an einem besondern Tische sitzende Personen als Oratores Caesareae Majestatis bezeichnet sind. Ist meine Vermuthung richtig, so hat Graf Arnim wissen müssen, daß „orator“ in der clericalen Latinität jener Zeit der Ausdruck für Gesandter ist. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 481 [2-170] gegenüber Bundesgenossen finden würden, ließ sich nicht sicher voraussehn; jedenfalls hätte es in der Willkür Rußlands gestanden, die östreichisch-französische Freundschaft durch seinen Zutritt zu einer übermächtigen Coalition auszubilden, wie im siebenjährigen Kriege, oder uns doch unter dem diplomatischen Drucke dieser Möglichkeit in Abhängigkeit zu erhalten. Mit der Herstellung einer katholisirenden Monarchie in Frankreich wäre die Versuchung, gemeinschaftlich mit Oestreich Revanche zu nehmen, erheblich näher getreten. Ich hielt es deshalb dem Interesse Deutschlands und des Friedens widersprechend, die Restauration des Königthums in Frankreich zu fördern, und gerieth in Gegnerschaft zu den Vertretern dieser Idee. Dieser Gegensatz spitzte sich persönlich zu gegenüber dem damaligen französischen Botschafter Gontaut-Biron und unserm damaligen Botschafter in Paris, Grafen Harry Arnim. Der Erstre war im Sinne der Partei thätig, der er von Natur angehörte, der legitimistisch-katholischen; der Letztre aber speculirte auf die legitimistischen Sympathien des Kaisers, um meine Politik zu discreditiren und mein Nachfolger zu werden. Gontaut, ein geschickter und liebenswürdiger Diplomat aus alter Familie, fand bei der Kaiserin Augusta Anknüpfungspunkte einerseits in deren Vorliebe für katholische Elemente in und neben dem Centrum, mit denen die Regirung im Kampfe stand, andrerseits in seiner Eigenschaft als Franzose, die in den Jugenderinnerungen der Kaiserin aus der Zeit ohne Eisenbahnen an deutschen Höfen fast in gleichem Maße wie die Eigenschaft des Engländers zur Empfehlung diente 1). Ihre Majestät hatte französisch sprechende Diener, ihr französischer Vorleser Gérard *) fand Eingang in die Kaiserliche (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 502 „Eurer Majestät huldreiches Schreiben vom 8. d. M. aus Gastein habe ich mit ehrfurchtsvollem Danke erhalten und mich vor Allem gefreut, daß Eurer Majestät die Kur gut bekommen ist, trotz alles schlechten Wetters in den Alpen. Den Brief der Königin Victoria beehre ich mich wieder beizufügen; es wäre sehr interessant gewesen, wenn Ihre Majestät sich genauer über den Ursprung der damaligen Kriegsgerüchte ausgelassen hätte. Die Quellen müssen der hohen Frau doch für sehr sicher gegolten haben, sonst würde Ihre Majestät sich nicht von Neuem darauf berufen, und würde die englische Regirung auch nicht so gewichtige und für uns so unfreundliche Schritte daran geknüpft haben. Ich weiß nicht, ob Eure Majestät es für thunlich halten, die Königin Victoria beim Worte zu nehmen, wenn Ihre Majestät versichert, es sei Ihr ‚ein Leichtes nachzuweisen, daß Ihre Befürchtungen nicht übertrieben waren‘. Es wäre sonst wohl von Wichtigkeit zu ermitteln, von welcher Seite her so ‚kräftige Irrthümer‘ nach Windsor haben befördert werden können. Die Andeutung über Personen, welche als ‚Vertreter‘ der Regirung Eurer Majestät gelten müssen, scheint auf den Grafen Münster zu zielen. Derselbe kann ja sehr wohl gleich dem Grafen Moltke akademisch von der Nützlichkeit eines rechtzeitigen Angriffs auf Frankreich gesprochen haben, obschon ich es nicht weiß und er niemals dazu beauftragt worden (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 504 [2-178] ist. Man kann ja sagen, daß es für den Frieden nicht förderlich ist, wenn Frankreich die Sicherheit hat, daß es unter keinen Umständen angegriffen wird, es möge thun, was es wolle. Ich würde noch heut wie 1867 in der Luxemburger Frage Eurer Majestät niemals zureden, einen Krieg um deswillen sofort zu führen, weil wahrscheinlich ist, daß der Gegner ihn später besser gerüstet beginnen werde; man kann die Wege der göttlichen Vorsehung dazu niemals sicher genug im Voraus erkennen. Aber es ist auch nicht nützlich, dem Gegner die Sicherheit zu geben, daß man seinen Angriff jedenfalls abwarten werde. Deshalb würde ich Münster noch nicht tadeln, wenn er in solchem Sinne gelegentlich geredet hätte, und die englische Regirung hätte deshalb noch kein Recht gehabt, auf außeramtliche Reden eines Botschafters amtliche Schritte zu gründen, und sans nous dire gare die andern Mächte zu einer Pression auf uns aufzufordern. Ein so ernstes und unfreundliches Verfahren läßt doch vermuthen, daß die Königin Victoria noch andre Gründe gehabt habe, an kriegerische Absichten zu glauben als gelegentliche Gesprächswendungen des Grafen Münster, an die ich nicht einmal glaube. Lord Russell hat versichert, daß er jederzeit seinen festen Glauben an unsre friedlichen Absichten berichtet habe. Dagegen haben alle Ultramontane und ihre Freunde uns heimlich und öffentlich in der Presse angeklagt, den Krieg in kurzer Frist zu wollen, und der französische Botschafter, der in diesen Kreisen lebt, hat die Lügen derselben als sichre Nachrichten nach Paris gegeben. Aber auch das würde im Grunde noch nicht hinreichen, der Königin Victoria die Zuversicht und das Vertrauen zu den von Eurer Majestät selbst dementirten Unwahrheiten zu geben, das Höchstdieselbe noch in dem Briefe vom 20. Juni ausspricht. Ich bin mit den Eigenthümlichkeiten der Königin zu wenig bekannt, um eine Meinung darüber zu haben, ob es möglich ist, daß die Wendung, es sei ,ein Leichtes nachzuweisen‘, etwa nur den Zweck haben könnte, eine Uebereilung, die einmal geschehn ist, zu maskiren, anstatt sie offen einzugestehn. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 508 [2-180] seiner Amtsdauer; er hatte keine andern Interessen als die des Kreises zu vertreten und für keine andern Wünsche als die seiner Eingesessenen zu streben. Es liegt auf der Hand, wie nützlich eine solche Institution nach oben und nach unten wirkte, und mit wie geringen Mitteln an Menschen und Geld die Kreisgeschäfte betrieben werden konnten. Seitdem ist der Landrath ein reiner Regirungsbeamter geworden, seine Stellung ein Durchgangsposten für weitre Beförderung im Staatsdienste, eine Erleichterung der Wahl zum Abgeordneten; und in der Eigenschaft des letztern wird er, wenn er strebsam ist, seine Beziehungen nach oben als Beamter wichtiger finden als die zu den Einsassen seines Kreises. Zugleich sind die neugeschaffnen örtlichen Amtsvorstände nicht Organe der Selbstverwaltung, nach Analogie der städtischen Behörden, sondern eine unterste schreiberartig wirkende Klasse der Bürokratie geworden, durch welche jede unpraktische oder müßige Anregung der unzulänglich beschäftigten und den Realitäten des Lebens fremden Centralbürokratie über das platte Land verbreitet wird und die die unglücklichen Selbst-Verwalter nöthigt, Berichte und Listen zusammenzustellen, um die Wißbegierde von Beamten zu befriedigen, die mehr Zeit als Staatsgeschäfte haben. Es ist für Landwirthe oder Industrielle nicht möglich, solchen Anforderungen im „Nebenamte“ zu genügen. An ihre Stelle treten nothwendig mehr und mehr remunerirte Schreiber, deren Kosten durch die Eingesessenen aufzubringen sind und die von der höhern Bürokratie ad nutum abhängig sind. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 511 Ich sagte ihm, es sei nichts vacant als die Stelle Eulenburgs; ich sei bereit, ihn für diese dem Könige vorzuschlagen, und würde mich freuen, wenn ich den Vorschlag durchsetzte. Wenn ich aber Sr. Majestät rathen wollte, noch zwei Ministerposten proprio motu frei zu machen, um sie mit Nationalliberalen zu besetzen, so werde der hohe Herr das Gefühl haben, daß es sich nicht um eine zweckmäßige Stellenbesetzung, sondern um einen Systemwechsel handle, und einen solchen werde er prinzipiell ablehnen. Bennigsen dürfe überhaupt nicht darauf rechnen, daß es dem Könige und unsrer ganzen politischen Lage gegenüber möglich sein werde, seine Fraction gewissermaßen mit in das Ministerium zu nehmen und als ihr Führer den ihrer Bedeutung entsprechenden Einfluß im Schoße der Regirung auszuüben, gewissermaßen ein constitutionelles Majoritätsministerium zu schaffen. Bei uns sei der König thatsächlich und ohne Widerspruch mit dem Verfassungstexte Ministerpräsident, und Bennigsen würde, wenn er als Minister (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 515 [2-184] Correspondenz fand in den letzten Tagen des Jahres 1877 statt, und meine neue Erkrankung fiel grade in die Neujahrsnacht. Der Kaiser antwortete mir auf das Schreiben Roons, er sei über das Sachverhältniß getäuscht worden und wünsche, daß ich seinen vorhergehenden Brief als nicht geschrieben betrachte. Jede weitre Verhandlung mit Bennigsen verbot sich durch diesen Vorgang von selbst, ich hielt es aber in unserm politischen Interesse nicht für zweckmäßig, Letztern von der Beurtheilung in Kenntniß zu setzen, die seine Person und Candidatur bei dem Kaiser gefunden hatte. Ich ließ die für mich definitiv abgeschlossene Unterhandlung äußerlich in suspenso; als ich dann wieder in Berlin war, ergriff Bennigsen die Initiative, um die seiner Meinung nach noch schwebende Angelegenheit in freundschaftlicher Form zum negativen Abschluß zu bringen. Er fragte mich im Reichstagsgebäude, ob es wahr sei, daß ich das Tabakmonopol einzuführen strebe, und erklärte auf meine bejahende Antwort, daß er dann die Mitwirkung als Minister ablehnen müsse. Ich verschwieg ihm auch dann noch, daß mir jede Möglichkeit, mit ihm zu verhandeln, durch den Kaiser schon seit Neujahr abgeschnitten war. Vielleicht hatte er sich auf anderm Wege überzeugt, daß sein Plan einer grundsätzlichen Modification der Regirungspolitik im Sinne der nationalliberalen Anschauungen bei dem Kaiser auf unüberwindliche Hindernisse stoßen würde, namentlich seit einer von Stauffenberg gehaltenen Rede über die Nothwendigkeit der Abschaffung des Art. 109 der preußischen Verfassung (Forterhebung der Steuern). Wenn die nationalliberalen Führer ihre Politik geschickt betrieben hätten, so hätten sie längst wissen müssen, daß bei dem Kaiser, dessen Unterschrift sie zu ihrer Ernennung bedurften und begehrten, es keinen empfindlicheren politischen Punkt gab als diesen Artikel, und daß sie sich den hohen Herrn nicht sichrer entfremden konnten als durch den Versuch, ihm dieses Palladium zu entreißen. Als ich Sr. Majestät vertraulich den Verlauf meiner Verhandlungen mit Bennigsen erzählte und dessen Wunsch in Betreff Stauffenbergs (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 518 [2-186] durch die Feindschaften am Hofe, die katholischen und weiblichen Einflüsse daselbst waren meine Stützpunkte außerhalb der nationalliberalen Fraction schwächer geworden und bestanden allein in dem persönlichen Verhältniß des Kaisers zu mir. Die Nationalliberalen nahmen davon nicht etwa einen Anlaß, unsre gegenseitigen Beziehungen dadurch zu stärken, daß sie mich unterstützten, sondern machten im Gegentheil den Versuch, mich gegen meinen Willen in das Schlepptau zu nehmen. Zu diesem Zwecke wurden Beziehungen zu mehren meiner Collegen angeknüpft; durch die Minister Friedenthal und Botho Eulenburg, welcher Letztre das Ohr meines Vertreters im Präsidium, des Grafen Stolberg hatte, wurden ohne mein Wissen amtliche Verständigungen mit den Präsidien beider Parlamente nicht nur bezüglich der Sitzungs- und Vertagungsfragen, sondern auch in Betreff materieller Vorlagen gegen meinen, den Collegen bekannten Willen eingeleitet. Der Gesammtandrang auf meine Stellung, das Streben nach Mitregentschaft oder Alleinherrschaft an meiner Stelle, das sich in dem Plane selbständiger Reichsminister und in den erwähnten Heimlichkeiten verrathen hatte, trat handgreiflich zu Tage in der Conseilsitzung, die der Kronprinz als Vertreter seines verwundeten Vaters am 5. Juni 1878 abhielt, um über die Auflösung des Reichstags nach dem Nobilingschen Attentate zu beschließen. Die Hälfte meiner Collegen oder mehr, jedenfalls die Majorität des Ministeriums und des Conseils, stimmte abweichend von meinem Votum gegen die Auflösung und machte dafür geltend, daß der vorhandene Reichstag, nachdem das Nobilingsche Attentat auf das Hödelsche gefolgt sei, bereit sein werde, seine jüngste Abstimmung zu ändern und der Regirung entgegen zu kommen. Die Zuversicht, die meine Collegen bei dieser Gelegenheit kundgaben, beruhte offenbar auf vertraulicher Verständigung zwischen ihnen und einflußreichen Parlamentariern, während mir gegenüber kein Einziger von den letztern auch nur eine Aussprache versucht hatte. Es schien, daß man sich über die Theilung meiner Erbschaft bereits verständigt hatte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 529 [2-190] lahm gelegt werden. Die Functionen des Reichsamts können nach meiner Auffassung nur durch den Bundesrath entweder direct oder durch Delegation an einen jährlich zu wählenden Ausschuß geübt werden. Der Bundesrath repräsentirt die Regirungsgewalt der Gesammt-Souveränetät von Deutschland, dabei etwa dem Staatsrathe unter andern Verhältnissen entsprechend. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 579 [2-201] der Oeffentlichkeit nicht zu schützen und bleibt immer ein partieller Sieg der Reichsglocken-Intrige über die gegenwärtige Regirung. Bekanntmachungen des Hausministeriums gehören an und für sich nicht in den ‚Reichs- und Staats-Anzeiger‘; soll letztrer außerdem ein ‚Königlicher Haus-Anzeiger‘ sein, so können doch meiner Ansicht nach in seinem amtlichen Theile immer keine Anordnungen des Hausministers Platz greifen, der keine Verantwortlichkeit für den Inhalt des amtlichen Blattes trägt; dieselben müßten immer in der einen oder andern Gestalt das von dem Hausminister nachzusuchende Placet des verantwortlichen Staatsministeriums erhalten, bevor sie abgedruckt werden. Dieses Placet ist im vorliegenden Falle nicht nachgesucht; der Hausminister hat ein Verfügungsrecht über den Staats-Anzeiger in Anspruch genommen, und wäre deshalb sein Verlangen angebrachtermaßen schon unter Anführung dieses formellen Grundes abzulehnen. Geht ein Befehl zur Aufnahme einer Angelegenheit des Königlichen Hauses von Sr. Majestät dem Könige selbst aus, so wird seine Ausführung in den Fällen, welche die Regel bilden, ja kein Bedenken haben; nur wird es sich auch selbst in unverfänglichen Fällen empfehlen, die amtlichen Bekanntmachungen des Königlichen Hauses durch ihren Platz von denen des Staates gesondert erscheinen zu lassen. Diese Sonderung wäre meines Erachtens in der Art vorzunehmen, daß die das Königliche Haus angehenden Allerhöchsten Anordnungen nicht promiscue mit denen des Staatsministeriums erscheinen, sondern es würde neben den beiden großen amtlichen Rubriken des Staatsanzeigers ‚Deutsches Reich‘ und ‚Königreich Preußen‘, am höflichsten zwischen beiden, eventuell auch nach ‚Königreich Preußen‘ eine dritte mit der Bezeichnung ‚Königliches Haus‘ einzuschalten sein, von den andern beiden Rubriken ebenso mittelst durchgehender Striche geschieden, wie jetzt ‚Preußen‘ und das ‚Reich‘. Damit ließe sich die formale Frage für die Zukunft erledigen, und in einer, wie mir scheint, nach keiner Seite hin verletzenden Form. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 582 Eine Begnadigung des Herrn von Nathusius, eine Auszeichnung des Grafen Nesselrode und des Herrn von Gruner grade in der Zeit, wo die Verleumdungen des Organs dieser Herrn gegen mich die öffentliche Meinung und die Gerichte beschäftigten, wo der Zusammenhang jener Herrn mit diesen Blättern offenkundig wurde, enthalten einen Act Königlichen Wohlwollens für Leute, die durch weiter nichts bekannt sind, als durch ihre Feindschaft gegen die Regirung und durch öffentliche Verletzung meiner Ehre. Letztre aber sollte, so lange ich des Königs Diener bin, unter Sr. Majestät Schutze stehn. Wird mir das Gegentheil dieses Schutzes zu Theil, so liegt ein persönliches Motiv vor, welches mich viel gebieterischer aus dem Dienste vertreibt, als die Rücksicht auf meine Gesundheit es jemals könnte. Diese Entschließungsgründe liegen nur persönlich für mich vor, werden aber je nach der Entwicklung der Sache für die Möglichkeit meines Wiedereintritts in die Geschäfte entscheidend sein. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 596 Ungeachtet meiner Zurückhaltung ist nach meinem Ausscheiden bei der Mehrheit meiner Geschäftsfreunde ein Gefühl wie der Erleichterung von einem Drucke wahrgenommen worden, das in vielen Fällen eben aus dem Widerstande zu erklären ist, den ich dem überwuchernden Triebe zu unnöthigen Eingriffen in den Bestand unsrer Gesetzgebung geleistet hatte. Auf dem Gebiete der Schule hatte ich dauernd, aber ohne Erfolg die Theorie bekämpft, daß der Unterrichtsminister ohne Gesetz und ohne sich an das vorhandene Schulvermögen zu binden, auf dem Verwaltungswege und ohne die Leistungsfähigkeit zu beachten, bestimmen könne, was jede Gemeinde zur Schule beizutragen habe. Diese in keinem andern Verwaltungszweige vorhandene Machtvollkommenheit, deren Anwendung in manchen Fällen so weit getrieben wurde, daß die Gemeinden existenzunfähig wurden, beruhte nicht auf Gesetz, sondern auf einem Rescript des frühern Cultusministers von Raumer, das das Schulbudget von einer Verfügung der betreffenden Abtheilung der Regirungen, in letzter Instanz des Ministers, abhängig machte. Das Bestreben, diesen Ministerabsolutismus durch Gesetz zu consolidiren, war für mich ein Hinderniß, den gelegentlich mir vorgelegten Schulgesetzentwürfen meine Zustimmung zu geben. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 609 [2-212] die Sondirung durch eine Anfrage bei dem Vertreter der zu sondirenden Macht seine Bedenken hat, hatte die russische Diplomatie durch die Vorgänge zwischen dem Kaiser Nicolaus und Seymour erfahren. Die Neigung Gortschakows, telegraphische Anfragen bei uns nicht durch den russischen Vertreter in Berlin, sondern durch den deutschen in Petersburg zu bewirken 1), hat mich genöthigt, unsre Missionen in Petersburg häufiger als an andern Höfen darauf aufmerksam zu machen, daß ihre Aufgabe nicht in der Vertretung der Anliegen des russischen Cabinets bei uns, sondern unsrer Wünsche an Rußland liege. Die Versuchung für einen Diplomaten, seine dienstliche und gesellschaftliche Stellung durch Gefälligkeiten für die Regirung, bei der er beglaubigt ist, zu pflegen, ist groß und wird noch gefährlicher, wenn der fremde Minister unsern Agenten für seine Wünsche bearbeiten und gewinnen kann, ehe dieser alle die Gründe kennt, aus denen für seine Regirung die Erfüllung und selbst die Zumuthung inopportun ist. Außerhalb aller aber, selbst der russischen, Gewohnheiten lag es, wenn der deutsche Militärbevollmächtigte am russischen Hofe uns, und während ich nicht in Berlin war, auf Befehl des russischen Kaisers eine politische Frage von großer Tragweite in dem kategorischen Stile eines Telegramms vorlegte. Ich hatte, so unbequem sie mir auch war, nie eine Aenderung in der alten Gewohnheit erlangen können, daß unsre Militärbevollmächtigten in Petersburg nicht, wie andre, durch das Auswärtige Amt, sondern direct in eigenhändigen Briefen an Se. Majestät berichteten, — einer Gewohnheit, die sich davon herschrieb, daß Friedrich Wilhelm III. dem ersten Militärattaché in Petersburg, dem frühern Commandanten von Kolberg, Lucadou, eine besonders intime Stellung zu dem Kaiser gegeben hatte. Freilich meldete der Militärattaché in solchen Briefen Alles, was der russische Kaiser über Politik in dem gewohnheitsmäßigen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 618 [2-216] Achtundzwanzigstes Kapitel: Berliner Congreß. der russischen Regirung, vermittelst eines Congresses zu dem Frieden mit der Türkei zu gelangen, bewies, daß sie sich militärisch nicht stark genug fühlte, es auf Krieg mit England und Oestreich ankommen zu lassen, nachdem die rechtzeitige Besetzung von Constantinopel einmal versäumt war. Für die Mißgriffe der russischen Politik theilt Fürst Gortschakow ohne Zweifel mit jüngern und energischeren Gesinnungsgenossen die Verantwortlichkeit, aber frei davon ist er nicht. Wie stark seine Stellung, nach den russischen Traditionen gemessen, dem Kaiser gegenüber war, zeigt die Thatsache, daß er gegen den ihm bekannten Wunsch seines Herrn an dem Berliner Congresse als Vertreter Rußlands theilnahm. Indem er, gestützt auf seine Eigenschaft als Reichskanzler und auswärtiger Minister, seinen Sitz einnahm, entstand die eigenthümliche Situation, daß der vorgesetzte Reichskanzler und der seinem Ressort unterstellte Botschafter Schuwalow neben einander figurirten, der Träger der russischen Vollmacht aber nicht der Reichskanzler sondern der Botschafter war 1). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 619 Diese vielleicht actenmäßig nur aus den russischen Archiven und vielleicht auch aus diesen nicht nachweisbare, aber nach meiner Wahrnehmung unzweifelhafte Situation zeigt, daß auch in einer Regirung mit so einheitlicher und absoluter Spitze, wie der russischen, die Einheit der politischen Action nicht gesichert ist. Sie ist es vielleicht in höherm Grade in England, wo der leitende Minister und die Berichte, die er empfängt, der öffentlichen Kritik unterliegen, während in Rußland nur der jedesmalige Kaiser in der Lage ist, je nach seiner Menschenkenntniß und Befähigung zu beurtheilen, welcher von seinen berichtenden und vortragenden Dienern irrt oder ihn belügt, und von welchem er die Wahrheit erfährt. Ich will damit nicht sagen, daß der laufende Dienst des auswärtigen Amtes in London klüger betrieben wird als in Petersburg, aber die englische Regirung geräth seltener als die russische in die Nothwendigkeit, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 669 Der Dreibund, den ich ursprünglich nach dem Frankfurter Frieden zu erreichen suchte und über den ich schon im September 1870 von Meaux aus in Wien und Petersburg sondirt hatte, war ein Bund der drei Kaiser mit dem Hintergedanken des Beitritts des monarchischen Italiens und gerichtet auf den, wie ich befürchtete, in irgend einer Form bevorstehenden Kampf zwischen den beiden europäischen Richtungen, die Napoleon die republikanische und die kosakische genannt hat und die ich nach heutigen Begriffen bezeichnen möchte einerseits als das System der Ordnung auf monarchischer Grundlage, andrerseits als die sociale Republik, auf deren Niveau die antimonarchische Entwicklung langsam oder sprungweise hinabzusinken pflegt, bis die Unerträglichkeit der dadurch geschaffenen Zustände die enttäuschte Bevölkerung für gewaltsame Rückkehr zu monarchischen Institutionen in cäsarischer Form empfänglich macht. Diesem circulus vitiosus zu entgehn, oder das Eintreten in ihn der gegenwärtigen Generation oder ihren Kindern womöglich zu ersparen, halte ich für eine Aufgabe, die den noch lebenskräftigen Monarchien näher liegen sollte als die Rivalilät um den Einfluß auf die nationalen Fragmente, welche die Balkanhalbinsel bevölkern. Wenn die monarchischen Regirungen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 687 In dieser Erwägung nöthigte mich der drohende Brief des Kaisers Alexander (1879) zu festem Entschlusse behufs Abwehr und Wahrung unsrer Unabhängigkeit von Rußland. Ein östreichisches Bündniß war ziemlich bei allen Parteien populär, bei den Conservativen aus einer geschichtlichen Tradition, bezüglich deren man zweifelhaft sein kann, ob sie grade von dem Standpunkt einer conservativen Fraction heut zu Tage als folgerichtig gelten könne. Thatsache ist aber, daß die Mehrheit der Conservativen in Preußen die Anlehnung an Oestreich als ihren Tendenzen entsprechend ansieht, auch wenn vorübergehend eine Art von Wettlauf im Liberalismus zwischen den beiden Regirungen stattfand. Der conservative Nimbus des östreichischen Namens überwog bei den meisten Mitgliedern dieser Fraction den Eindruck der theils überwundenen, theils neuen Vorstöße auf dem Gebiete des Liberalismus und der gelegentlichen Neigung zu Annäherungen an die Westmächte und speciell an Frankreich. Noch näher lagen die Erwägungen, welche den Katholiken den Bund mit der vorwiegend katholischen Großmacht als nützlich erscheinen ließen. Der nationalliberalen Partei war ein vertragsmäßig verbrieftes Bündniß des neuen Deutschen Reiches mit Oestreich ein Weg, auf dem man der Lösung der 1848er Cirkelquadratur näher kam, ohne an den Schwierigkeiten zu scheitern, die einer unitarischen Verbindung nicht nur zwischen Oestreich und Preußen- Deutschland, sondern schon innerhalb des östreichisch-ungarischen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 688 [2-237] Gesammtreiches entgegen standen. Es gab also auf unserm parlamentarischen Gebiete außer der socialdemokratischen Partei, deren Zustimmung überhaupt zu keiner Art von Regirungspolitik zu haben war, keinen Widerspruch gegen und sehr viel Vorliebe für das Bündniß mit Oestreich. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 734 Schon im vorigen Jahrhundert war es gefährlich, auf die zwingende Gewalt eines Bündnißtextes zu rechnen, wenn die Verhältnisse, unter denen er geschrieben war, sich geändert hatten; heut zu Tage aber ist es für eine große Regirung kaum möglich, die Kraft ihres Landes für ein andres befreundetes voll einzusetzen, wenn die Ueberzeugung des Volkes es mißbilligt. Es gewährt deshalb der Wortlaut eines Vertrages dann, wenn er zur Kriegführung zwingt, nicht mehr die gleichen Bürgschaften wie zur Zeit der Cabinetskriege, die mit Heeren von 30–60 000 Mann geführt wurden; ein Familienkrieg, wie ihn Friedrich Wilhelm II. für seinen Schwager in Holland führte, ist heut schwer in Scene zu setzen, und für einen Krieg, wie Nicolaus ihn 1849 in Ungarn führte, finden sich die Vorbedingungen nicht leicht wieder. Indessen ist auf die Diplomatie in den Momenten, wo es sich darum handelt, einen Krieg herbeizuführen oder zu vermeiden, der Wortlaut eines klaren und tiefgreifenden Vertrages nicht ohne Einfluß. Die Bereitwilligkeit zum zweifellosen Wortbruch pflegt auch bei sophistischen und gewaltthätigen Regirungen nicht vorhanden zu sein, so lange nicht die force majeure unabweislicher Interessen eintritt. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 806 [2-277]. Nachfolger und ich selbst nach seinem Tode thun würden. Dann, an die Krankheit seines Sohnes denkend, verlangte er von mir das Versprechen, meine Erfahrung seinem Enkel zu Gute kommen zu lassen und ihm zur Seite zu bleiben, wenn er, wie es schiene, bald zur Regirung gelangen sollte. Ich gab meiner Bereitwilligkeit Ausdruck, seinen Nachfolgern mit demselben Eifer zu dienen wie ihm selbst. Seine einzige Antwort darauf war ein etwas fühlbarerer Druck seiner Hand; dann aber traten Fieberphantasien ein, in denen die Beschäftigung mit dem Enkel so im Vordergrunde stand, daß er glaubte, der Prinz, der im September 1886 dem Zaren in Brest-Litowsk einen Besuch gemacht hatte, säße an meiner Stelle neben dem Bette, und mich plötzlich mit Du anredend sagte: „Mit dem russischen Kaiser mußt du immer Fühlung halten, da ist kein Streit nothwendig.“ Nach einer langen Pause des Schweigens war die Sinnestäuschung verschwunden; er entließ mich mit den Worten: „Ich sehe Sie noch.“ Gesehn hat er mich noch, als ich mich am Nachmittage und dann wieder in der Nacht des 9. um 4 Uhr einfand, aber schwerlich unter den vielen Anwesenden erkannt; noch in später Abendstunde des 8. fand eine Rückkehr der vollen Klarheit des Bewußtseins und der Fähigkeit statt, sich den sein Sterbebett in dem engen Schlafzimmer Umstehenden gegenüber klar und zusammenhängend auszusprechen. Es war das letzte Aufleuchten dieses starken und tapfern Geistes. Um 8 Uhr 30 Minuten that er den letzten Athemzug. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 834 Die Prinzessin Augusta vertrat unter Friedrich Wilhelm IV. in der Regel den Gegensatz zur Regirungspolitik; die Neue Aera der Regentschaft sah sie als ihr Ministerium an, wenigstens bis zum Rücktritt des Herrn von Schleinitz. Es lebte in ihr vorher und später ein Bedürfniß des Widerspruchs gegen die jedesmalige Haltung der Regirung ihres Schwagers und später ihres Gemals. Ihr Einfluß wechselte und zwar so, daß derselbe bis auf die letzten Lebensjahre stets gegen die Minister in's Gewicht fiel. War die Regirungspolitik conservativ, so wurden die liberalen Personen und Bestrebungen in den häuslichen Kreisen der hohen Frau ausgezeichnet und gefördert; befand sich die Regirung des Kaisers in ihrer Arbeit zur Befestigung des neuen Reiches auf liberalen Wegen, so neigte die Gunst mehr nach der Seite der conservativen und namentlich der katholischen Elemente, deren Unterstützung, da sie unter einer evangelischen Dynastie sich häufig und bis zu gewissen Grenzen regelmäßig in der Opposition befanden, überhaupt der Kaiserin nahe lag. In den Perioden, wo unsre auswärtige Politik mit Oestreich Hand in Hand gehn konnte, war die Stimmung gegen Oestreich unfreundlich und fremd; bedingte unsre Politik den Widerstreit gegen Oestreich, so fanden dessen Interessen Vertretung durch die Königin und zwar bis in die Anfänge des Krieges 1866 hinein. Während an der böhmischen Grenze schon gefochten wurde, fanden in Berlin unter dem Patronate Ihrer Majestät durch das Organ von Schleinitz noch Beziehungen und Unterhandlungen bedenklicher Natur statt. Herr von Schleinitz hatte, seit ich Minister des Aeußern und er selbst Minister des königlichen Hauses geworden, das Amt einer Art Gegenministers der Königin, um Ihrer Majestät Material zur Kritik und zur Beeinflussung des Königs zu liefern. Er hatte zu diesem Behufe die Verbindungen benutzt, die er in der Zeit, wo er mein Vorgänger war, im Wege (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 845 Das Schwergewicht, das nach dem Antritt der Regentschaft der Wille und die Ueberzeugung des Prinzen von Preußen und spätern Kaisers auf dem außermilitärischen, dem politischen Gebiete darstellte, war das eigenste Product der mächtigen und vornehmen Natur, die diesem Fürsten, unabhängig von der ihm zu Theil gewordenen Erziehung, angeboren war. Der Ausdruck „königlich vornehm“ ist prägnant für seine Erscheinung. Die Eitelkeit kann bei Monarchen ein Sporn zu Thaten und zur Arbeit für das Glück ihrer Unterthanen sein. Friedrich der Große war nicht frei davon; sein erster Thatendrang entsprang dem Verlangen nach historischem Ruhm; ob diese Triebfeder gegen das Ende seiner Regirung, wie man sagt, degenerirte, ob er dem Wunsche innerlich Gehör gab, daß die Nachwelt den Unterschied zwischen seiner und der folgenden Regirung merken möge, lasse ich unerörtert. Eine (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 950 Es war ein weitverbreiteter Irrthum, daß der Regirungswechsel von Kaiser Wilhelm zu Kaiser Friedrich mit einem Ministerwechsel, der mir meinen Nachfolger gegeben haben würde, verbunden sein müßte. Im Sommer 1848 hatte ich zuerst Gelegenheit, dem damals 17jährigen Herrn bekannt zu werden und Beweise persönlichen Vertrauens von ihm zu erhalten. Letztres mag bis 1866 gelegentlich geschwankt haben, erwies sich aber als fest und offen bei Erledigung der Danziger Episode in Gastein 1863 1). Im Kriege von 1866, insbesondre in den Kämpfen mit dem Könige und den höhern Militärs über die Opportunität des Friedensschlusses in Nikolsburg, hatte ich mich eines von politischen Prinzipien und Meinungsverschiedenheiten unabhängigen Vertrauens des Kronprinzen zu erfreuen 2). Versuche, es zu erschüttern, sind von verschiedenen Seiten, die äußerste Rechte nicht ausgeschlossen, und unter Anwendung verschiedener Vorwände und Erfindungen gemacht worden, haben aber keinen dauernden Erfolg erreicht; zu ihrer Vereitlung genügte seit 1866 eine persönliche Aussprache zwischen dem hohen Herrn und mir. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 954 [2-305] Potsdam und fragte, ob ich im Falle eines Thronwechsels im Dienst bleiben würde. Ich erklärte mich dazu unter zwei Bedingungen bereit: keine Parlamentsregirung und keine auswärtigen Einflüsse in der Politik. Der Kronprinz erwiderte mit einer entsprechenden Handbewegung: „Kein Gedanke daran!“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 956 Es ist nicht meine Absicht, würde auch unausführbar sein, jeder Legende und böswilligen Erfindung ausdrücklich zu widersprechen. Da indessen die Erzählung, der Kronprinz habe 1887 nach der Rückkehr aus Ems eine Urkunde unterzeichnet, in der er für den Fall, daß er seinen Vater überlebe, zu Gunsten des Prinzen Wilhelm auf die Regirung verzichtet, in ein englisches Werk über den Kaiser Wilhelm II. übergegangen ist, so will ich constatiren, daß an der Geschichte nicht ein Schatten von Wahrheit ist. Auch daß ein Thronerbe, der an einer unheilbaren Körperkrankheit leide, nach unsern Hausgesetzen nicht successionsfähig sei, wie 1887 in manchen Kreisen behauptet, in andern geglaubt wurde, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 958 Von den wenigen Erörterungen, die ich mit dem Kaiser Friedrich während seiner kurzen Regirungszeit zu führen hatte, sei eine erwähnt, an die sich Betrachtungen über die Reichsverfassung knüpfen lassen, die mich in frühern Conjuncturen und wieder im März 1890 beschäftigt haben. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 962 Man hat sich in der Praxis daran gewöhnt, den Kanzler als verantwortlich für das gesammte Verhalten der Reichsregirung anzusehn. Diese Verantwortlichkeit läßt sich nur dann behaupten, wenn man seine Berechtigung zugiebt, das kaiserliche Uebersendungsschreiben, vermittelst dessen Vorlagen der verbündeten Regirungen (Art. 16) an den Reichstag gelangen, durch Verweigerung der Gegenzeichnung zu inhibiren. Der Kanzler an sich hätte, wenn er nicht zugleich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrathe ist, nach dem Wortlaute der Verfassung nicht einmal die Berechtigung, an den Debatten des Reichstags persönlich theilzunehmen. Wenn er, wie bisher, zugleich Träger eines preußischen Mandates zum Bundesrathe ist, so hat er nach Art. 9 das Recht, im Reichstage zu erscheinen und jederzeit gehört zu werden; dem Reichskanzler als solchem ist diese Berechtigung durch keine Bestimmung der Verfassung beigelegt. Wenn also weder der König von Preußen, noch ein andres Mitglied des Bundes den Kanzler mit einer Vollmacht für den Bundesrath versieht, so fehlt demselben die verfassungsmäßige Legitimation zum Erscheinen im Reichstage; er führt zwar nach Art. 15 im Bundesrathe den Vorsitz, aber ohne Votum, und es würden ihm die preußischen Bevollmächtigten in derselben Unabhängigkeit gegenüberstehn wie die der übrigen Bundesstaaten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 963 [2-308] Es leuchtet ein, daß eine Aenderung der bisherigen Verhältnisse, infolge deren die bisher dem Kanzler zugeschriebene Verantwortlichkeit auf die Anordnungen der kaiserlichen Executiv-Gewalt beschränkt und ihm die Befugniß, geschweige denn die Verpflichtung, im Reichstage zu erscheinen und zu discutiren, entzogen würde, nicht eine nur formelle sein, sondern auch die Schwerkraft der Factoren unsres öffentlichen Lebens wesentlich verändern würde. Ich habe mir die Frage, ob es sich empföhle, derartigen Eventualitäten näher zu treten, vorgelegt zu der Zeit, als ich mich im December 1884 einer Reichstagsmehrheit gegenüber fand, die sich aus einer Coalition der verschiedenartigsten Elemente zusammensetzte, aus der Socialdemokratie, den Polen, Welfen, Franzosenfreunden aus dem Elsaß, den freisinnigen Krypto-Republikanern und gelegentlich aus mißgünstigen Conservativen am Hofe, im Parlamente und in der Presse — der Coalition, die zum Beispiel die Geldbewilligung für einen zweiten Director im Auswärtigen Amt ablehnte. Die Unterstützung, die ich dieser Opposition gegenüber am Hofe, im Parlamente und außerhalb desselben fand, war keine unbedingte, und nicht frei von der Mitwirkung mißgünstiger und rivalisirender Streber. Ich habe damals die Frage Jahre hindurch mit wechselnder Ansicht über ihre Dringlichkeit bei mir und mit Andern erwogen, ob das Maß nationaler Einheit, welches wir gewonnen hatten, zu seiner Sicherstellung nicht einer andern Form bedürfe, als der zur Zeit gültigen, die aus der Vergangenheit überliefert und durch die Ereignisse und durch Compromisse mit Regirungen und Parlamenten entwickelt war. Ich habe in jener Zeit, wie ich glaube, auch in öffentlichen Reden angedeutet, daß der König von Preußen, wenn ihm der Reichstag die kaiserliche Wirksamkeit über die Grenzen der Möglichkeit monarchischer Einrichtungen erschwere, sich zu einer stärkern Anlehnung an die Unterlagen veranlaßt sehn könne, welche die preußische Krone und Verfassung ihm gewähre 1). Ich hatte bei (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 966 Auf der andern Seite hatte ich darauf gerechnet, in den gemeinsamen öffentlichen Einrichtungen, namentlich in dem Reichstage, in Finanzen, basirt auf indirecten Steuern und in Monopolen, deren Erträge nur bei dauernd gesichertem Zusammenhange flüssig bleiben, Bindemittel herzustellen, die haltbar genug wären, um centrifugaler Anwandlung einzelner Bundesregirungen Widerstand zu leisten. Die Ueberzeugung, daß ich mich in dieser Rechnung geirrt, daß ich die nationale Gesinnung der Dynastien unterschätzt, die der deutschen Wähler oder doch des Reichstags überschätzt hatte, war Ende der siebziger Jahre in mir noch nicht zum Durchbruch gekommen, mit so viel Uebelwollen ich auch im Reichstage, am Hofe, in der conservativen Partei und deren „Declaranten“ zu kämpfen gehabt hatte. Jetzt habe ich den Dynastien Abbitte zu leisten; ob die Fractionsführer mir ein pater peccavi schuldig sind, darüber wird die Geschichte einmal entscheiden. Ich kann nur das Zeugniß ablegen, daß ich den Fractionen, den arbeitsscheuen Mitgliedern sowohl wie den Strebern, in deren Hand die Führung und das Votum ihrer Gefolgschaften lag, eine schwerere Schuld an der Schädigung unsrer Zukunft beimesse, als sie selbst fühlen. „Get you home, you fragments,“ sagt Coriolan. Nur die Führung des Centrums kann ich nicht eine unfähige nennen, aber sie (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 968 Wenn man sich die Zeit vergegenwärtigt, wo das Centrum, gestützt weniger auf den Papst als auf den Jesuitenorden, die Welfen, nicht blos die hanöverschen, die Polen, die französirenden Elsässer, die Volksparteiler, die Socialdemokraten, die Freisinnigen und die Particularisten, einig unter einander nur in der Feindschaft gegen das Reich und seine Dynastie, unter Führung desselben Windthorst, der vor und nach seinem Tode zu einem Nationalheiligen gemacht wurde, eine sichre und herrische Mehrheit gegen den Kaiser und die verbündeten Regirungen besaß, so wird Jeder, der die damalige Situation und die von Westen und Osten drohenden Gefahren sachkundig zu beurtheilen im Stande ist, es natürlich finden, daß ein für die Schlußergebnisse verantwortlicher Reichskanzler daran dachte, den möglichen auswärtigen Verwicklungen und ihrer Verbindung mit innern Gefahren mit derselben Unabhängigkeit entgegen zu treten, mit der der böhmische Krieg ohne Einverständniß, vielfach sogar im Widerspruche mit politischen Stimmungen unternommen wurde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)