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Die Neigung zu befremdendem Eingreifen in die verschiedensten Lebensverhältnisse war unter dem damaligen väterlichen Regimente vielleicht größer als heut, aber die Organe zum Eingreifen waren weniger zahlreich und standen an Bildung und Erziehung höher als ein Theil der heutigen. Die Beamten der Königlichen hochlöblichen Regirung waren ehrliche, studirte und gut erzogne Beamte, aber ihre wohlwollende Thätigkeit fand nicht immer Anerkennung, weil sie sich ohne locale Sachkunde auf Details zersplitterte, in Betreff deren die Ansichten des gelehrten Stadtbewohners am grünen Tische nicht immer der Kritik des bäuerlichen gesunden Menschenverstandes überlegen waren. Die Mitglieder der Regirungs-Collegien (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Auch die unumschränkte Autorität der alten preußischen Königsmacht war und ist nicht das letzte Wort meiner Ueberzeugung. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-15] Für letztre war allerdings auf dem Ersten Vereinigten Landtage diese Autorität des Monarchen staatsrechtlich vorhanden, aber mit dem Wunsche und dem Zukunftsgedanken, daß die unumschränkte Macht des Königs selber ohne Ueberstürzung das Maß ihrer Beschränkung zu bestimmen habe. Der Absolutismus bedarf in erster Linie Unparteilichkeit, Ehrlichkeit, Pflichttreue, Arbeitskraft und innere Demuth des Regirenden; sind sie vorhanden, so werden doch männliche oder weibliche Günstlinge, im besten Falle die legitime Frau, die eigne Eitelkeit und Empfänglichkeit für Schmeicheleien dem Staate die Früchte des Königlichen Wohlwollens verkürzen, da der Monarch nicht allwissend ist und nicht für alle Zweige seiner Aufgabe gleiches Verständniß haben kann. Ich bin schon 1847 dafür gewesen, daß die Möglichkeit öffentlicher Kritik der Regirung im Parlamente und in der Presse erstrebt werde, um den Monarchen vor der Gefahr zu behüten, daß Weiber, Höflinge, Streber und Phantasten ihm Scheuklappen anlegten, die ihn hinderten, seine monarchischen Aufgaben zu übersehn und Mißgriffe zu vermeiden oder zu corrigiren. Diese meine Auffassung hat sich um so schärfer ausgeprägt, je nachdem ich mit den Hofkreisen mehr vertraut wurde und gegen ihre Strömungen und gegen die Opposition des Ressortpatriotismus das Staatsinteresse zu vertreten hatte. Letztres allein hat mich geleitet, und es ist eine Verleumdung, wenn selbst wohlwollende Publizisten mich beschuldigen, daß ich je für ein Adelsregiment eingetreten sei. Die Geburt hat mir niemals als Ersatz für Mangel an Tüchtigkeit gegolten; wenn ich für den Grundbesitz eingetreten bin, so habe ich das nicht im Interesse besitzender Standesgenossen gethan, sondern weil ich im Verfall der Landwirthschaft eine der größten Gefahren für unsern staatlichen Bestand sehe. Mir hat immer als Ideal eine monarchische Gewalt vorgeschwebt, welche durch eine unabhängige, nach meiner Meinung ständische oder berufsgenossenschaftliche Landesvertretung soweit controllirt wäre, daß Monarch oder Parlament den bestehenden gesetzlichen Rechtszustand nicht (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die Ueberzeugung, daß der uncontrollirte Absolutismus, wie er durch Louis XIV. zuerst in Scene gesetzt wurde, die richtigste Regirungsform für deutsche Unterthanen sei, verliert auch der, welcher sie hat, durch Specialstudien in den Hofgeschichten und durch kritische Beobachtungen, wie ich sie am Hofe des von mir persönlich geliebten und verehrten Königs Friedrich Wilhelms IV. zur Zeit Manteuffel's anstellen konnte. Der König war gläubiger, gottberufener Absolutist, und die Minister nach Brandenburg in der Regel zufrieden, wenn sie durch Königliche Unterschrift gedeckt waren, auch wenn sie persönlich den Inhalt des Unterschriebenen nicht hätten verantworten mögen. Ich erlebte damals, daß ein hoher und absolutistisch gesinnter Hofbeamter in meiner und mehrer seiner Collegen Gegenwart auf die Nachricht von dem Neufchâteler Aufstand der Royalisten in einer gewissen Verblüffung sagte: "Das ist ein Royalismus, den man heut zu Tage doch nur noch sehr fern vom Hofe erlebt." Sarkasmen lagen sonst nicht in der Gewohnheit dieses alten Herrn. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Aus meiner ständisch-liberalen Stimmung, für die ich in Pommern kaum Verständniß und Theilnahme, in Schönhausen aber die Zustimmung von Kreisgenossen wie Graf Wartensleben-Karow, Schierstädt-Dahlen und Andern fand, denselben Elementen, die zum Theil zu den später unter der neuen Aera gerichtlich verurtheilten Kirchen-Patronen gehörten, aus dieser Stimmung wurde ich wieder entgleist durch die mir unsympathische Art der Opposition des Ersten Vereinigten Landtags, zu dem ich erst für die letzten sechs Wochen der Session wegen Erkrankung des Abgeordneten von Brauchitsch als dessen Stellvertreter einberufen wurde. Die Reden der Ostpreußen Saucken-Tarputschen, Alfred Auerswald, die Sentimentalität von Beckerath, der rheinisch-französische Liberalismus von Heydt und Mevissen und die polternde Heftigkeit der Vinckeschen Reden waren mir widerlich, und auch wenn ich die Verhandlungen heut lese, so machen sie mir den Eindruck von importirter Phrasen-Schablone. Ich hatte das Gefühl, daß der König auf dem richtigen Wege sei und den Anspruch darauf habe, daß man ihm Zeit lasse und ihn in seiner eignen Entwicklung schone. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-18] indem ich die Legende bekämpfte, daß die Preußen 1813 in den Krieg gegangen wären, um eine Verfassung zu erlangen, und meiner naturwüchsigen Entrüstung darüber Ausdruck gab, daß die Fremdherrschaft an sich kein genügender Grund zum Kampfe gewesen sein solle 1). Mir schien es unwürdig, daß die Nation dafür, daß sie sich selbst befreit habe, dem Könige eine in Verfassungsparagraphen zahlbare Rechnung überreichen wolle. Meine Ausführung rief einen Sturm hervor. Ich blieb auf der Tribüne, blätterte in einer dort liegenden Zeitung und brachte, nachdem der Lärm sich ausgetobt hatte, meine Rede zu Ende. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Bei den Hoffestlichkeiten, die während des Vereinigten Landtags stattfanden, wurde ich von dem Könige und der Prinzessin von Preußen in augenfälliger Weise gemieden, jedoch aus verschiedenen Gründen, von der letztern, weil ich weder liberal noch populär war, von dem erstern aus einem Grunde, der mir erst später klar wurde. Wem er bei Empfang der Mitglieder vermied, mit mir zu sprechen, wenn er im Cercle, nachdem er der Reihe nach jeden angeredet hatte, abbrach, sobald er an mich kam, umkehrte oder quer durch den Saal abschwenkte: so glaubte ich annehmen zu müssen, daß meine Haltung als royalistischer Heißsporn die Grenzen überschritt, die er sich gesteckt hatte. Daß diese Auslegung unrichtig, erkannte ich erst einige Monate später, als ich auf meiner Hochzeitsreise Venedig berührte. Der König, der mich im Theater erkannt hatte, befahl mich folgenden Tags zur Audienz und zur Tafel, mir so unerwartet, daß mein leichtes Reisegepäck und die Unfähigkeit der Schneider des Ortes mir nicht die Möglichkeit gewährten, in correctem Anzuge zu erscheinen. Mein Empfang war ein so wohlwollender und die Unterhaltung auch auf politischem Gebiete derart, daß ich eine aufmunternde Billigung meiner Haltung im Landtage daraus entnehmen konnte. Der König befahl mir, mich im Laufe des Winters bei ihm zu melden, was geschah. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-19]Bei dieser Gelegenheit und bei kleinern Diners im Schlosse überzeugte ich mich, daß ich bei beiden allerhöchsten Herrschaften in voller Gnade stand, und daß der König, wenn er zur Zeit der Landtagssitzungen vermieden hatte, öffentlich mit mir zu reden, damit nicht eine Kritik meines politischen Verhaltens geben, sondern nur seine Billigung den Andern zur Zeit nicht zeigen wollte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die erste Kunde von den Ereignissen des 18. und 19. März 1848 erhielt ich im Hause meines Gutsnachbarn, des Grafen von Wartensleben auf Karow, zu dem sich Berliner Damen geflüchtet hatten. Für die politische Tragweite der Vorgänge war ich im ersten Augenblick nicht so empfänglich wie für die Erbitterung über die Ermordung unsrer Soldaten in den Straßen. Politisch, dachte ich, würde der König bald Herr der Sache werden, wenn er nur frei wäre; ich sah die nächste Aufgabe in der Befreiung des Königs, der in der Gewalt der Aufständischen sein sollte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Dann fuhr ich mit meiner Frau auf umliegende Dörfer und fand die Bauern eifrig bereit, dem Könige nach Berlin zu Hülfe zu ziehn, besonders begeistert einen alten Deichschulzen Krause in Neuermark, der in meines Vaters Regiment "Carabiniers" Wachtmeister gewesen war. Nur mein nächster Nachbar sympathisirte mit der Berliner Bewegung, warf mir vor, eine Brandfackel in das Land zu schleudern, und erklärte, wenn die Bauern sich wirklich zum Abmarsch anschicken sollten, so werde er auftreten und abwiegeln. Ich erwiderte: "Sie kennen mich als einen ruhigen Mann, aber wenn Sie das thun, so schieße ich Sie nieder." - "Das werden Sie nicht," meinte er. - "Ich gebe mein Ehrenwort darauf," versetzte ich, "und Sie wissen, daß ich das halte, also lassen Sie das." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-22] und besuchte im "Deutschen Hause" den General von Möllendorf, noch steif von den Mißhandlungen, die er erlitten, als er mit den Aufständischen unterhandelte, und General von Prittwitz, der in Berlin commandirt hatte. Ich schilderte ihnen die Stimmung des Landvolks; sie gaben mir dagegen Einzelheiten über die Vorgänge bis zum 19. Morgens. Was sie zu berichten hatten und was an spätern Nachrichten aus Berlin hergelangt war, konnte mich nur in dem Glauben bestärken, daß der König nicht frei sei. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Prittwitz, der älter als ich war und ruhiger urtheilte, sagte: "Schicken Sie uns keine Bauern, wir brauchen sie nicht, haben Soldaten genug; schicken Sie uns lieber Kartoffeln und Korn, vielleicht auch Geld, denn ich weiß nicht, ob für die Verpflegung und Löhnung der Truppen ausreichend gesorgt werden wird. Wenn Zuzug käme, würde ich aus Berlin den Befehl erhalten und ausführen müssen, denselben zurückzuschlagen." - "So holen Sie den König heraus!" sagte ich. Er erwiderte: "Das würde keine große Schwierigkeit haben; ich bin stark genug, Berlin zu nehmen, aber dann haben wir wieder Gefecht; was können wir thun, nachdem der König uns befohlen hat, die Rolle des Besiegten anzunehmen? Ohne Befehl kann ich nicht angreifen." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Bei diesem Zustand der Dinge kam ich auf den Gedanken, einen Befehl zum Handeln, der von dem unfreien Könige nicht zu erwarten war, von einer andern Seite zu beschaffen, und suchte zu dem Prinzen von Preußen zu gelangen. An die Prinzessin verwiesen, deren Einwilligung dazu nöthig sei, ließ ich mich bei ihr melden, um den Aufenthalt ihres Gemals zu erfahren (der, wie ich später erfuhr, auf der Pfaueninsel war). Sie empfing mich in einem Dienerzimmer im Entresol, auf einem fichtenen Stuhle sitzend, verweigerte die erbetene Auskunft und erklärte in lebhafter Erregung, daß es ihre Pflicht sei, die Rechte ihres Sohnes zu wahren. Was sie sagte, beruhte auf der Voraussetzung, daß der König und ihr Gemal sich nicht halten könnten, und ließ auf (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-23] den Gedanken schließen, während der Minderjährigkeit ihres Sohnes die Regentschaft zu führen. Um für diesen Zweck die Mitwirkung der Rechten in den Kammern zu gewinnen, sind mir formelle Eröffnungen durch Georg von Vincke gemacht worden. Da ich zum Prinzen von Preußen nicht gelangen konnte, machte ich einen Versuch mit dem Prinzen Friedrich Karl, stellte ihm vor, wie nöthig es sei, daß das Königshaus Fühlung mit der Armee behalte, und wenn Se. Majestät unfrei sei, auch ohne Befehl des Königs für die Sache desselben handle. Er erwiderte in lebhafter Gemüthsbewegung, so sehr ihm mein Gedanke zusage, so fühle er sich doch zu jung, ihn auszuführen, und könne dem Beispiel der Studenten, die sich in die Politik mischten, nicht folgen, er sei auch nicht älter als die. Ich entschloß mich dann zu dem Versuche, zu dem Könige zu gelangen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die Bürgerwache im Schlosse fragte mich, was ich dort wolle. Auf meine Antwort, ich hätte einen Brief des Prinzen Karl an den König abzugeben, sagte der Posten, mich mit mißtrauischen Blicken betrachtend, das könne nicht sein; der Prinz befinde sich eben beim Könige. Erstrer mußte also noch vor mir von Potsdam abgereist sein. Die Wache verlangte den Brief zu sehn, den ich hätte; ich zeigte ihn, da er offen und der Inhalt unverfänglich war, und man ließ mich gehn, aber nicht in's Schloß. Im Gasthof Meinhard, parterre, lag ein mir bekannter Arzt im Fenster, zu dem ich eintrat. Dort schrieb ich dem Könige, was ich ihm zu sagen beabsichtigt hatte. Ich ging mit dem Briefe zum Fürsten Boguslaw Radziwill, der freien Verkehr hatte und ihn dem Könige übergeben konnte. Es stand darin u. A., die Revolution beschränke sich auf die großen Städte, und der König sei Herr im Lande, sobald er Berlin verlasse. Der König antwortete nicht, hat mir aber später gesagt, er habe den auf schlechtem Papier schlecht geschriebenen Brief als das erste Zeichen von Sympathie, das er damals erhalten, sorgfältig aufbewahrt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Nicht wegen der Warnung, sondern weil ich in Berlin keinen Boden für eine Thätigkeit fand, kehrte ich an demselben Tage nach Potsdam zurück und besprach mit den beiden Generalen Möllendorf und Prittwitz noch einmal die Möglichkeit eines selbständigen Handelns. "Wie sollen wir das anfangen?" sagte Prittwitz. Ich klimperte auf dem geöffneten Klavier, neben dem ich saß, den Infanteriemarsch zum Angriff. Möllendorf fiel mir in Thränen und vor Wundschmerzen steif um den Hals und rief: "Wenn Sie uns das besorgen könnten!" "Kann ich nicht," erwiderte ich; "aber wenn Sie es ohne Befehl thun, was kann Ihnen denn geschehn? Das Land wird Ihnen danken und der König schließlich auch." Prittwitz: "Können Sie mir Gewißheit schaffen, ob Wrangel und Hedemann mitgehn werden? wir können zur Insubordination nicht noch Zwist in die Armee bringen." Ich versprach das zu ermitteln, selbst nach Magdeburg zu gehn und einen Vertrauten nach Stettin zu schicken, um die beiden commandirenden Generale zu sondiren. Von Stettin kam der Bescheid des Generals von Wrangel: "Was Prittwitz thut, thue ich auch." Ich selbst war in Magdeburg weniger glücklich. Ich gelangte zunächst nur an den Adjutanten des Generals von Hedemann, einen jungen Major, dem ich mich eröffnete und der mir seine Sympathie ausdrückte. Nach kurzer Zeit aber kam er zu mir in den Gasthof und bat mich, sofort abzureisen, um mir eine Unannehmlichkeit und dem alten General eine Lächerlichkeit zu ersparen; derselbe beabsichtige, mich als Hochverräther festnehmen zu lassen. Der damalige Oberpräsident von Bonin, die höchste (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-26] politische Autorität der Provinz, hatte eine Proclamation erlassen des Inhalts: "In Berlin ist eine Revolution ausgebrochen; ich werde eine Stellung über den Parteien nehmen." Diese "Stütze des Thrones" war später Minister und Inhaber hoher und einflußreicher Aemter. General Hedemann gehörte dem Humboldtschen Kreise an. Nach Schönhausen zurückgekehrt, suchte ich den Bauern begreiflich zu machen, daß der bewaffnete Zug nach Berlin nicht thunlich sei, gerieth aber dadurch in den Verdacht, in Berlin von dem revolutionären Schwindel angesteckt zu sein. Ich machte ihnen daher den Vorschlag, der angenommen wurde, daß Deputirte aus Schönhausen und andern Dörfern mit mir nach Potsdam reisen sollten, um selbst zu sehn, und den General von Prittwitz, vielleicht den Prinzen von Preußen zu sprechen. Als wir am 25. den Bahnhof von Potsdam erreichten, war der König eben dort eingetroffen und von einer großen Menschenmenge in wohlwollender Stimmung empfangen worden. Ich sagte meinen bäuerlichen Begleitern: "Da ist der König, ich werde Euch ihm vorstellen, sprecht mit ihm." Das lehnten sie aber ängstlich ab und verzogen sich schnell in die hintersten Reihen. Ich begrüßte den König ehrfurchtsvoll, er dankte, ohne mich zu erkennen, und fuhr nach dem Schlosse. Ich folgte ihm und hörte dort die Anrede, welche er im Marmorsaale an die Offiziere des Gardecorps richtete *). Bei den Worten: "Ich bin niemals freier und sichrer gewesen als unter dem Schutze meiner Bürger" erhob sich ein Murren und Aufstoßen von Säbelscheiden, wie es ein König von Preußen in Mitten seiner Offiziere nie gehört haben wird und hoffentlich nie wieder hören wird 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

"Jeder, dem ein preußisches Herz in der Brust schlägt, hat gewiß gleich uns Unterzeichneten mit Entrüstung die Angriffe der Presse gelesen, welchen in den ersten Wochen nach dem 19. März die Königlichen Truppen zum Lohn dafür ausgesetzt waren, daß sie ihre Pflicht im Kampfe treu erfüllt und auf ihrem befohlenen Rückzuge ein unübertroffenes Beispiel militärischer Disciplin und Selbstverleugnung gegeben hatten. Wenn die Presse seit einiger Zeit eine schicklichere Haltung beobachtet, so liegt der Grund davon bei der dieselbe beherrschenden Partei weniger in einer ihr seither gewordenen richtigen Erkenntniß des Sachverhältnisses, als darin, daß die schnelle Bewegung der neuern Ereignisse den Eindruck der ältern in den Hintergrund drängt, und man sich das Ansehn giebt, den Truppen wegen ihrer neuesten Thaten *)die frühern verzeihn zu wollen. Sogar bei dem Landvolk, welches die ersten Nachrichten von den Berliner Ereignissen mit kaum zu zügelnder Erbitterung aufnahm, fangen die Entstellungen an Consistenz zu gewinnen, welche von allen Seiten und ohne irgend erheblichen Widerspruch, theils durch die Presse, theils durch die bei Gelegenheit der Wahlen das Volk bearbeitenden Emissäre verbreitet worden sind, so daß die wohlgesinnten Leute unter dem Landvolk bereits glauben, es könne doch nicht ohne allen Grund sein, daß der Berliner Straßenkampf von den Truppen, mit oder ohne Wissen und Willen des vielverleumdeten Thronerben, vorbedachter Weise herbeigeführt sei, um dem Volke die Concessionen, welche der König gemacht hatte, zu entreißen. An eine Vorbereitung auf der andern Seite, an eine systematische Bearbeitung des Volkes, will kaum (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-30] "Der Schloßplatz muß geräumt werden." "Das ist unmöglich," habe er geantwortet, "damit gebe ich den König preis." Darauf Bodelschwingh: "Der König hat in seiner Proclamation befohlen, daß alle ,öffentlichen Plätze' *)geräumt werden sollen; ist der Schloßplatz ein öffentlicher Platz oder nicht? Noch bin ich Minister, und ich habe es wohl auswendig gelernt, was ich als solcher zu thun habe. Ich fordere Sie auf, den Schloßplatz zu räumen." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Von Offizieren aus der nächsten Umgebung Sr. Majestät habe ich Folgendes gehört. Sie suchten den König auf, der momentan nicht zu finden war, weil er aus natürlichen Gründen sich zurückgezogen hatte. Als er wieder zum Vorschein kam und gefragt wurde: "Haben Ew. Majestät befohlen, daß die Truppen abmarschiren?" (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-31] erwiderte der König: "Nein," - "Sie sind aber schon auf dem Abmarsch," sagte der Adjutant und führte den König an ein Fenster. Der Schloßplatz war schwarz von Civilisten, hinter denen noch die letzten Bajonette der abziehenden Soldaten zu sehn waren. "Das habe ich nicht befohlen, das kann nicht sein," rief der König aus und hatte den Ausdruck der Bestürzung und Entrüstung. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-33] habe ebenfalls in der vorigen Woche den mir benachbarten Gemeinden erklärt, daß ich den König in Berlin nicht für frei hielte, und dieselben zur Absendung einer Deputation an die geeignete Stelle aufgefordert, ohne daß ich mir deshalb die selbstsüchtigen Motive, welche Ihr Correspondent anführt, unterschieben lassen möchte. Es ist 1) sehr erklärlich, daß jemand, dem alle mit der Person des Königs nach dem Abzug der Truppen vorgegangenen Ereignisse bekannt waren, die Meinung fassen konnte, der König sei nicht Herr, zu thun und zu lassen, was er wollte; 2) halte ich jeden Bürger eines freien Staates für berechtigt, seine Meinung gegen seine Mitbürger selbst dann zu äußern, wenn sie der augenblicklichen öffentlichen Meinung widerspricht: ja nach den neusten Vorgängen möchte es schwer sein, jemand das Recht zu bestreiten, seine politischen Ansichten durch Volksaufregung zu unterstützen; 3) wenn alle Handlungen Sr. Majestät in den letzten 14 Tagen durchaus freiwillig gewesen sind, was weder Ihr Correspondent noch ich mit Sicherheit wissen können, was hätten dann die Berliner erkämpft? Dann wäre der Kampf am 18. und 19. mindestens ein überflüssiger und zweckloser gewesen und alles Blutvergießen ohne Veranlassung und ohne Erfolg; 4) glaube ich die Gesinnung der großen Mehrzahl der Ritterschaft dahin aussprechen zu können, daß in einer Zeit, wo es sich um das sociale und politische Fortbestehn Preußens handelt, wo Deutschland von Spaltungen in mehr als einer Richtung bedroht ist, wir weder Zeit noch Neigung haben, unsre Kräfte an reactionäre Versuche, oder an Vertheidigung der unbedeutenden uns bisher verbliebenen gutsherrlichen Rechte zu vergeuden, sondern gern bereit sind, diese auf Würdigere zu übertragen, indem wir dieses als untergeordnete Frage, die Herstellung rechtlicher Ordnung in Deutschland, die Erhaltung der Ehre und Unverletzlichkeit unsres Vaterlandes aber als die für jetzt alleinige Aufgabe eines jeden betrachten, dessen Blick auf unsre politische Lage nicht durch Parteiansichten getrübt ist. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Während der Zweite Vereinigte Landtag zusammentrat, nahm Georg von Vincke im Namen seiner Parteigenossen und angeblich in höherem Auftrage meine Mitwirkung für den Plan in Anspruch, den König durch den Landtag zur Abdankung zu bewegen und mit Uebergehung, aber im angeblichen Einverständniß des (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-37] Prinzen von Preußen, eine Regentschaft der Prinzessin für ihren minderjährigen Sohn herzustellen. Ich lehnte sofort ab und erklärte, daß ich einen Antrag des Inhalts mit dem Antrage auf gerichtliches Verfahren wegen Hochverraths beantworten würde. Vincke vertheidigte seine Anregung als eine politisch gebotene, durchdachte und vorbereitete Maßregel. Er hielt den Prinzen wegen der von ihm leider nicht verdienten Bezeichnung "Kartätschenprinz" für unmöglich und behauptete, daß dessen Einverständniß schriftlich vorliege. Damit hatte er eine Erklärung im Sinne, welche der ritterliche Herr ausgestellt haben soll, daß er, wenn sein König dadurch vor Gefahr geschützt werden könne, bereit sei auf sein Erbrecht zu verzichten. Ich habe die Erklärung nie gesehn, und der hohe Herr hat mir nie davon gesprochen. Herr von Vincke gab seinen Versuch, mich für die Regentschaft der Prinzessin zu gewinnen, schließlich kühl und leicht mit der Erklärung auf, ohne Mitwirkung der äußersten Rechten, die er als durch mich vertreten ansah, werde der König nicht zum Rücktritt zu bestimmen sein. Die Verhandlung fand bei mir im Hôtel des Princes, parterre rechts, statt und enthielt beiderseits mehr, als sich niederschreiben läßt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Von diesem Vorgange und von der Aussprache, welche ich von seiner Gemalin während der Märztage in dem Potsdamer Stadtschlosse zu hören bekommen hatte, habe ich dem Kaiser Wilhelm niemals gesprochen und weiß nicht, ob Andre es gethan haben. Ich habe ihm diese Erlebnisse verschwiegen auch in Zeiten wie die des vierjährigen Conflicts, des östreichischen Krieges und des Culturkampfs, wo ich in der Königin Augusta den Gegner erkennen mußte, welcher meine Fähigkeit, zu vertreten was ich für meine Pflicht hielt, und meine Nerven auf die schwerste Probe im Leben gestellt hat. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Dagegen muß sie ihrem Gemal nach England geschrieben haben, daß ich versucht hatte, zu ihm zu gelangen, um seine Unterstützung für eine contrarevolutionäre Bewegung zur Befreiung des Königs zu gewinnen; denn als er auf der Rückkehr am 7. Juni einige Minuten auf dem Genthiner Bahnhof verweilte und ich (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Als für den König seine Treuen starben, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Für ihren König, jubelnd Mann für Mann. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Uns, seine Preußen, hört ihr König nicht. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Für ihren Herrn, für ihren König ein, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Um jenen König stehen Hand in Hand. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

hier fiel ein König, aber nicht im Streit. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Wenn der König im März die Empörung in Berlin definitiv niederwarf und auch nachher nicht wieder aufkommen ließ, so würden wir von dem Kaiser Nicolaus nach dem Zusammenbruch Oestreichs keine Schwierigkeiten in der Neubildung einer haltbaren Organisation Deutschlands erfahren haben. Seine Sympathien waren ursprünglich mehr nach Berlin als nach Wien gerichtet, wenn auch Friedrich Wilhelm IV. persönlich diese nicht besaß und bei der Verschiedenheit der Charaktere nicht besitzen konnte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-42] am 21. März war am wenigsten geeignet, das wieder einzubringen, was im Innern und nach Außen verloren war. Die Situation wurde dadurch dergestalt umgedreht, daß der König nun an der Spitze nicht mehr seiner Truppen, sondern der Barrikadenkämpfer, derselben unlenkbaren Massen, stand, vor deren Bedrohung die Fürsten einige Tage zuvor bei ihm Schutz gesucht hatten. Der Gedanke, eine Verlegung des geplanten Fürstencongresses von Dresden nach Potsdam als einziges Ergebniß der Märztage zu behandeln, verlor durch den würdelosen Umzug jede Haltbarkeit. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die Weichlichkeit, mit der Friedrich Wilhelm IV. unter dem Drucke unberufener, vielleicht verrätherischer Rathgeber, gedrängt durch weibliche Thränen, das blutige Ergebniß in Berlin, nachdem es siegreich durchgeführt war, dadurch abschließen wollte, daß er seinen Truppen befahl, auf den gewonnenen Sieg zu verzichten, hat für die weitere Entwicklung unsrer Politik zunächst den Schaden einer versäumten Gelegenheit gebracht. Ob der Fortschritt ein dauernder gewesen sein würde, wenn der König den Sieg seiner Truppen festgehalten und ausgenutzt hätte, ist eine andre Frage. Der König würde dann allerdings nicht in der gebrochenen Stimmung gewesen sein, in der ich ihn während des Zweiten Vereinigten Landtags gefunden habe, sondern in dem durch den Sieg gestärkten Schwunge der Beredsamkeit, die er bei Gelegenheit der Huldigung 1840, in Köln 1842 und sonst entwickelt hatte. Ich wage keine Vermuthung darüber, welche Einwirkung auf die Haltung des Königs, die Romantik mittelalterlicher Reichserinnerungen Oestreich und den Fürsten gegenüber und das vorher und später so starke fürstliche Selbstgefühl im Inlande das Bewußtsein geübt haben würde, den Aufruhr definitiv niedergeschlagen zu haben, der ihm gegenüber allein siegreich blieb im außerrussischen Continent. Eine auf dem Straßenpflaster erkämpfte Errungenschaft wäre von andrer Art und von minderer Tragweite gewesen als die später auf dem Schlachtfeld gewonnene. Es ist vielleicht für unsre Zukunft besser gewesen, daß wir die Irrwege in der Wüste innerer Kämpfe von (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Mein erster Besuch in Sanssouci kam unter ungünstigen Aspecten zu Stande. In den ersten Tagen des Juni, wenige Tage vor dem Abgange des Ministerpräsidenten Ludolf Camphausen, befand ich mich in Potsdam, als ein Leibjäger mich in dem Gasthofe aufsuchte, um mir zu melden, daß der König mich zu sprechen wünsche. Ich sagte unter dem Eindruck meiner frondirenden Gemüthsstimmung, daß ich bedauerte, dem Befehle Sr. Majestät nicht Folge leisten zu können, da ich im Begriffe sei, nach Hause zu reisen und meine Frau, deren Gesundheit besondrer Schonung bedürfe, sich ängstigen würde, wenn ich länger als verabredet ausbliebe. Nach einiger Zeit erschien der Flügeladjutant Edwin von Manteuffel, wiederholte die Aufforderung in Form einer Einladung zur Tafel und sagte, der König stelle mir einen Feldjäger zur Verfügung, um meine Frau zu benachrichtigen. Es blieb mir nichts übrig, als mich nach Sanssouci zu begeben. Die Tischgesellschaft war sehr klein, enthielt, wenn ich mich recht erinnere, außer den Damen und Herrn vom Dienste nur Camphausen und mich. Nach der Tafel führte der König mich auf die Terrasse und fragte freundlich: "Wie geht es bei Ihnen?" In der Gereiztheit, die ich seit den Märztagen in mir trug, antwortete ich: "Schlecht." Darauf der König: "Ich denke, die Stimmung ist gut bei Ihnen." Darauf ich, unter dem Eindrucke von Anordnungen, deren Inhalt mir nicht (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-44] erinnerlich ist: "Die Stimmung war sehr gut, aber seit die Revolution uns von den königlichen Behörden unter königlichem Stempel eingeimpft worden, ist sie schlecht geworden. Das Vertrauen zu dem Beistande des Königs fehlt." In dem Augenblicke trat die Königin hinter einem Gebüsche hervor und sagte: "Wie können Sie so zu dem Könige sprechen?" - "Laß mich nur, Elise," versetzte der König, "ich werde schon mit ihm fertig werden;" und dann zu mir gewandt: "Was werfen Sie mir denn eigentlich vor?" - "Die Räumung Berlins." - "Die habe ich nicht gewollt," erwiderte der König. Und die Königin, die noch in Gehörsweite geblieben war, setzte hinzu: "Daran ist der König ganz unschuldig, er hatte seit drei Tagen nicht geschlafen." - "Ein König muß schlafen können," versetzte ich. Unbeirrt durch diese schroffe Aeußerung sagte der König: "Man ist immer klüger, wenn man von dem Rathhause kommt; was wäre denn damit gewonnen, daß ich zugäbe, ,wie ein Esel' gehandelt zu haben? Vorwürfe sind nicht das Mittel, einen umgestürzten Thron wieder aufzurichten, dazu bedarf ich des Beistandes und thätiger Hingebung, nicht der Kritik." Die Güte, mit der er dies und Aehnliches sagte, überwältigte mich. Ich war gekommen in der Stimmung eines Frondeurs, dem es ganz recht sein würde, ungnädig weggeschickt zu werden, und ging, vollständig entwaffnet und gewonnen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-45] Aussichten Preußens zu schädigen, in dem Moment, wo er meine Dienste gewinnen wollte, nicht aussprach. Ich erwiderte, daß das formale Recht und seine Grenzen in der vorliegenden Situation verwischt erschienen und von den Gegnern, sobald sie die Macht hätten, ebenso wenig respectirt werden würden, wie am 18. März, ich sähe die Situation mehr in dem Lichte von Krieg und Nothwehr, als von rechtlichen Argumentationen. Der König beharrte jedoch dabei, daß seine Stellung zu schwach werde, wenn er von dem Rechtsboden abweiche, und der Eindruck ist mir geblieben, daß er dem von Radowitz bei ihm gepflegten Gedankengange, dem schwarz-roth-goldnen, wie man damals sagte, die Möglichkeit der Herstellung der Ordnung in Preußen zunächst unterordnete. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Aus den zahlreichen Gesprächen, die auf jenes erste folgten, ist mir das Wort des Königs erinnerlich: "Ich will den Kampf gegen die Tendenzen der Nationalversammlung durchführen, aber wie die Sache heut liegt, so mag ich zwar von meinem Rechte vollständig überzeugt sein, es ist aber nicht gewiß, daß Andre, und daß schließlich die großen Massen es auch sein werden: damit ich dessen gewiß werde, muß die Versammlung sich noch mehr und in solchen Fragen in's Unrecht setzen, in denen mein Recht, mich mit Gewalt zu wehren, nicht nur für mich, sondern allgemein einleuchtend ist." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Meine Ueberzeugung, daß die Zweifel des Königs an seiner Macht unbegründet seien, und daß es deshalb nur darauf ankomme, ob er an sein Recht glaube, wenn er sich gegen die Uebergriffe der Versammlung wehren wolle, konnte ich bei ihm nicht zur Anerkennung bringen. Daß sie richtig war, ist demnächst dadurch bestätigt worden, daß den großen und kleinen Aufständen gegenüber jede militärische Anordnung unbedenklich und mit Eifer durchgeführt wurde, und zwar unter Umständen, wo die Bethätigung des militärischen Gehorsams schon von Hause aus mit dem Niederwerfen bereits vorhandenen bewaffneten Widerstandes verbunden war, während eine Auflösung der Versammlung, sobald man ihre Wirksamkeit als staatsgefährlich erkannte, in den Reihen der Truppen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-46] die Frage des Gehorsams gegen militärische Befehle nicht berührt haben würde. Auch das Einrücken größerer Truppenmassen in Berlin nach dem Zeughaussturme und ähnlichen Vorgängen würde nicht blos von den Soldaten, sondern auch von der Mehrheit der Bevölkerung als dankenswerthe Ausübung eines zweifellosen königlichen Rechts aufgefaßt worden sein, wenn auch nicht von der Minderheit, welche die Leitung übte; und auch wenn die Bürgerwehr sich hätte widersetzen wollen, so würde sie bei den Truppen nur den berechtigten Kampfeszorn gesteigert haben. Ich kann mir kaum denken, daß der König im Sommer an seiner materiellen Macht, der Revolution in Berlin ein Ende zu machen, Zweifel gehabt haben sollte, vermuthe vielmehr, daß Hintergedanken rege waren, ob nicht die Berliner Versammlung und der Friede mit ihr und ihrem Rechtsboden unter irgend welchen Constellationen direct oder indirect nützlich werden könne, sei es in Combinationen mit dem Frankfurter Parlamente oder gegen dasselbe, sei es, um nach andern Seiten hin in der deutschen Frage einen Druck auszuüben, und ob der formale Bruch mit der preußischen Volksvertretung die deutschen Aussichten compromittiren könne. Den Umzug in den deutschen Farben setze ich allerdings nicht auf Rechnung solcher Neigungen des Königs; er war damals körperlich und geistig so angegriffen, daß er Zumuthungen, die ihm mit Entschiedenheit gemacht wurden, wenig Widerstand entgegensetzte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Bei meinem Verkehr in Sanssouci lernte ich die Personen kennen, die das Vertrauen des Königs auch in politischen Dingen besaßen, und traf zuweilen in dem Cabinet mit ihnen zusammen. Es waren das besonders die Generale Leopold von Gerlach und von Rauch, später Riebuhr, der Cabinetsrath. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-47] Kind, in der Politik tapfer und hochfliegend, aber durch körperliches Phlegma gehemmt. Ich erinnere mich, daß ich in Gegenwart beider Brüder, des Präsidenten und des Generals, veranlaßt wurde, mich über den ihnen gemachten Vorwurf des Unpraktischen zu erklären und das in folgender Weise that: "Wenn wir drei hier aus dem Fenster einen Unfall auf der Straße geschehn sehn, so wird der Herr Präsident daran eine geistreiche Betrachtung über unsern Mangel an Glauben und die Unvollkommenheit unsrer Einrichtungen knüpfen; der General wird genau das Richtige angeben, was unten geschehn müsse, um zu helfen, aber sitzen bleiben; ich würde der Einzige sein, der hinunter ginge oder Leute riefe, um zu helfen." So war der General der einflußreichste Politiker in der Camarilla Friedrich Wilhelms IV., ein vornehmer und selbstloser Charakter, ein treuer Diener des Königs, aber geistig vielleicht ebenso wie körperlich durch das Schwergewicht seiner Person an der prompten Ausführung seiner richtigen Gedanken behindert. An Tagen, wo der König ungerecht oder ungnädig für ihn gewesen war, wurde in der Abendandacht im Hause des Generals wohl das alte Kirchenlied gesungen: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Aber seine Hingebung für den König erlitt unter diesem christlichen Erguß seiner Verstimmung nicht die mindeste Abschwächung. Auch für den seiner Meinung nach irrenden König setzte er sich voll mit Leib und Leben ein, wie er schließlich seinen Tod dadurch fast eigenwillig herbeiführte, daß er hinter der Leiche seines Königs bei Wind und sehr hoher Kälte stundenlang in bloßem Kopfe, den Helm in der Hand, folgte. Dieser letzten formalen Hingebung des alten Dieners für die Leiche seines Herrn unterlag seine schon länger angegriffene Gesundheit; er kam mit der Kopfrose nach Hause und starb nach wenigen Tagen. Durch sein Ende erinnert (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Neben Gerlach und vielleicht in höherem Grade war Rauch seit 1848 von Einfluß auf den König. Sehr begabt, der fleischgewordene gesunde Menschenverstand, tapfer und ehrlich, ohne Schulbildung, mit den Tendenzen eines preußischen Generals von der besten Sorte, war er wiederholt als Militärbevollmächtigter in Petersburg in der Diplomatie thätig gewesen. Einmal war Rauch von Berlin in Sanssouci erschienen mit dem mündlichen Auftrage des Ministerpräsidenten Grafen Brandenburg, von dem Könige die Entscheidung über eine Frage von Wichtigkeit zu erbitten. Als der König, dem die Entscheidung schwer wurde, nicht zum Entschluß kommen konnte, zog endlich Rauch die Uhr aus der Tasche und sagte mit einem Blick auf das Zifferblatt: "Jetzt sind noch zwanzig Minuten, bis mein Zug abgeht; da werden Ew. Majestät doch nun befehlen müssen, ob ich dem Grafen Brandenburg Ja sagen soll oder Nee, oder ob ich ihm melden soll, daß Ew. Majestät nich Ja und nich Nee sagen wollen." Diese Aeußerung kam heraus in dem Tone der Gereiztheit, gedämpft durch die militärische Disciplin, als Ausdruck der Verstimmung, die bei dem klaren, entschiedenen und durch die lange fruchtlose Discussion ermüdeten General erklärlich war. Der König sagte: "Na, denn meinetwegen Ja", worauf Rauch sich sofort entfernte, um in beschleunigter Gangart durch die Stadt zum Bahnhof zu fahren. Nachdem der König eine Weile schweigend dagestanden hatte, wie wenn er die Folgen der widerwillig getroffenen Entscheidung noch erwöge, wandte er sich gegen Gerlach und mich und sagte: "Dieser Rauch! Er kann nicht richtig Deutsch sprechen, aber er hat mehr gesunden Menschenverstand als wir Alle," und darauf gegen Gerlach gewandt und das Zimmer verlassend: "Klüger wie Sie ist er immer schon gewesen." Ob der König darin Recht hatte, lasse ich dahingestellt; geistreicher war Gerlach, praktischer Rauch. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die Entwicklung der Dinge bot keine Gelegenheit, die Berliner Versammlung für die deutsche Sache nutzbar zu machen, während ihre Uebergriffe wuchsen; es reifte daher der Gedanke, sie nach einem andern Orte zu verlegen, um ihre Mitglieder dem Drucke der Einschüchterung zu entziehn, eventuell sie aufzulösen. Damit steigerte sich die Schwierigkeit, ein Ministerium zu Stande zu bringen, welches diese Maßregel durchzuführen übernehmen würde. Schon seit der Eröffnung der Versammlung war es dem Könige nicht leicht geworden, überhaupt Minister zu finden, besonders aber solche, welche auf seine sich nicht immer gleichbleibenden Ansichten gefügig eingingen, und deren furchtlose Festigkeit zugleich die Bürgschaft gewährte, daß sie bei einer entscheidenden Wendung nicht versagen würden. Es sind mir aus dem Frühjahre mehre verfehlte Versuche erinnerlich: Georg von Vincke antwortete auf meine Sondirung, er sei ein Mann der rothen Erde, zu Kritik und Opposition und nicht zu einer Ministerrolle veranlagt. Beckerath wollte die Bildung eines Ministeriums nur übernehmen, wenn die äußerste Rechte sich ihm unbedingt hingebe und ihm den König sicher mache. Männer, welche in der Nationalversammlung Einfluß hatten, wollten sich die Aussicht nicht verderben, künftig, nach Herstellung geordneter Zustände, constitutionelle Majoritätsminister zu werden und zu bleiben. Ich begegnete unter anderm bei Harkort, der als Handelsminister in das Auge gefaßt war, der Meinung, daß die Herstellung der Ordnung durch ein Fachministerium von Beamten und Militärs bewirkt werden müsse, ehe verfassungstreue Minister die Geschäfte übernehmen könnten; später sei man bereit. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Als der Graf Brandenburg, gleichgültig gegen solche Besorgnisse, sich bereit erklärt hatte, das Präsidium zu übernehmen, kam es darauf an, ihm geeignete und genehme Collegen zu gewinnen. In einer Liste, welche dem Könige vorgelegt wurde, fand sich auch mein Name; wie mir der General Gerlach erzählte, hatte der König dazu an den Rand geschrieben: "Nur zu gebrauchen, wenn das Bayonett schrankenlos waltet" *). Der Graf Brandenburg selbst sagte mir in Potsdam: "Ich habe die Sache übernommen, habe aber kaum die Zeitungen gelesen, bin mit staatsrechtlichen Fragen unbekannt und kann nichts weiter thun, als meinen Kopf zu Markte tragen. Ich brauche einen ‚Kornak', einen Mann, dem ich traue und der mir sagt, was ich thun kann. Ich gehe in die Sache wie ein Kind in's Dunkel, und weiß Niemanden, als Otto Manteuffel (Director im Ministerium des Innern), der die Vorbildung und zugleich mein persönliches Vertrauen besitzt, der aber noch Bedenken hat. Wenn er will, so gehe ich morgen in die Versammlung; wenn er nicht will, so müssen wir warten und einen Andern finden. Fahren Sie nach Berlin hinüber und bewegen Sie Manteuffel." Dies gelang, nachdem ich von 9 Uhr bis Mitternacht in ihn eingeredet und es übernommen hatte, seine Frau in Potsdam zu benachrichtigen, und die für die persönliche Sicherheit der Minister im Schauspielhause und in dessen Umgebung getroffenen Maßregeln dargelegt hatte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Herr von Manteuffel machte noch darauf aufmerksam, daß der Eingang zum Schauspielhause in der dort engen Charlottenstraße nicht gedeckt sei; ich erbot mich, zu bewirken, daß die ihm gegenüber liegende Wohnung des beurlaubten hanöverschen Gesandten, Grafen Kniephausen, von Militär besetzt würde. Ich begab mich noch in der Nacht zu dem Obersten von Griesheim im Kriegsministerium, der mit den militärischen Anordnungen betraut war, stieß aber bei ihm auf Bedenken, ob man eine Gesandschaft zu solchem Zwecke benutzen dürfe. Ich suchte nun den hanöverschen Geschäftsträger, Grafen Platen, auf, der das dem Könige von Hanover gehörige Haus unter den Linden bewohnte. Derselbe war der Ansicht, daß das amtliche Domizil der Gesandschaft zur (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Als Wrangel an der Spitze der Truppen eingezogen war (10. November), verhandelte er mit der Bürgerwehr und bewog sie zum freiwilligen Abzuge. Ich hielt das für einen politischen Fehler; wenn es zum kleinsten Gefecht gekommen wäre, so wäre Berlin nicht durch Capitulation, sondern gewaltsam eingenommen, und dann wäre die politische Stellung der Regirung eine andre gewesen. Daß der König die Nationalversammlung nicht gleich auflöste, sondern auf einige Zeit vertagte und nach Brandenburg verlegte und den Versuch machte, ob sich dort eine Majorität finden würde, mit der ein befriedigender Abschluß zu erreichen war, beweist, daß in der politischen Entwicklung, die dem Könige vorschweben mochte, die Rolle der Versammlung auch damals noch nicht ausgespielt war. Daß diese Rolle auf dem Gebiete der deutschen Frage gedacht war, dafür sind mir einige Symptome erinnerlich. In Privatgesprächen der maßgebenden Politiker während der Vertagung der Versammlung (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-53] trat die deutsche Frage mehr in den Vordergrund als vorher, und innerhalb des Ministeriums wurden in dieser Beziehung große Hoffnungen auf den Sachsen von Carlowitz gesetzt, dessen anerkannte Beredsamkeit in deutsch-nationalem Sinne wirken würde. Wie der Graf Brandenburg über die deutsche Sache dachte, darüber habe ich damals von ihm unmittelbare Mittheilungen nicht erhalten. Er gab nur seine Bereitwilligkeit zu erkennen, mit soldatischem Gehorsam zu thun, was der König befehlen würde. Später in Erfurt sprach er sich offner zu mir darüber aus. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Der latente deutsche Gedanke Friedrich Wilhelms IV. trägt mehr als seine Schwäche die Schuld an den Mißerfolgen unsrer Politik nach 1848. Der König hoffte, das Wünschenswerthe würde kommen, ohne daß er seine legitimistischen Traditionen zu verletzen brauchte. Wenn Preußen und der König garkeinen Wunsch nach irgend etwas gehabt hätten, was sie vor 1848 nicht besaßen, sei es auch nur nach einer historischen mention honorable, wie es die Reden von 1840 und 1842 vermuthen ließen; wenn der König keine Ziele und Neigungen gehabt hätte, für deren Verfolgung eine gewisse Popularität nützlich war: was hätte ihn dann abgehalten, nachdem das Ministerium Brandenburg festen Fuß gefaßt, den revolutionären Errungenschaften im Innern Preußens in ähnlicher Weise entgegenzutreten, wie dem badischen Aufstande und dem Widerstande einzelner preußischer Provinzialstädte? Der Verlauf dieser Erhebungen hatte auch denen, die es nicht wußten, gezeigt, daß die militärischen Kräfte zuverlässig waren; in Baden hatte sogar die Landwehr aus Districten, die für unsicher galten, ihre Schuldigkeit nach Kräften gethan. Die Möglichkeit einer militärischen Reaction, die Möglichkeit, wenn man einmal eine Verfassung octroyirte, das zu Grunde gelegte belgische Formular schärfer, als geschehn ist, im monarchischen Sinne zu amendiren, lag ohne Zweifel (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-55] vor. Die Neigung, diese Möglichkeit auszunutzen, muß im Gemüthe des Königs zurückgetreten sein vor der Besorgniß, dasjenige Maß von Wohlwollen in nationaler und liberaler Richtung zu verlieren, auf dem die Hoffnung beruhte, daß Preußen ohne Krieg und in einer mit legitimistischen Vorstellungen verträglichen Weise das Vorgewicht in Deutschland zufallen würde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Diese Hoffnung oder Erwartung, die bis in die "Neue Aera" hinein in Phrasen von dem deutschen Berufe Preußens und von moralischen Eroberungen einen schüchternen Ausdruck fand, beruhte auf dem doppelten Irrthum, der vom März 1848 bis zum Frühjahr des folgenden Jahres in Sanssouci wie in der Paulskirche bestimmend war: einer Unterschätzung der Lebenskraft der deutschen Dynastien und ihrer Staaten, und einer Ueberschätzung der Kräfte, die man unter dem Wort Barrikade zusammenfassen kann, so daß darunter alle die Barrikade vorbereitenden Momente, Agitation und Drohung mit dem Straßenkampfe, begriffen sind. Nicht in diesem selbst lag die Gefahr des Umsturzes, sondern in der Furcht davor. Die mehr oder weniger phäakischen Regirungen waren im März, ehe sie den Degen gezogen hatten, geschlagen, theils durch die Furcht vor dem Feinde, theils durch die innere Sympathie ihrer Beamten mit demselben. Immerhin wäre es für den König von Preußen an der Spitze der Fürsten leichter gewesen, durch Ausnutzung des Sieges der Truppen in Berlin ein deutsches Einheitsgebilde herzustellen, als es nachher der Paulskirche geworden ist; ob die Eigenthümlichkeit des Königs nicht eine solche Herstellung auch bei Festhalten dieses Sieges gehindert oder das hergestellte, wie Bodelschwingh im März fürchtete, wieder unsicher gemacht haben würde, ist allerdings schwer zu beurtheilen. In den Stimmungen seiner letzten Lebensjahre, wie sie auch aus den Aufzeichnungen Leopolds v. Gerlach und aus andern Quellen ersichtlich sind, steht die ursprüngliche Abneigung gegen constitutionelle Einrichtungen, die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit eines größern Maßes freier Bewegung der Königlichen Gewalt, als das in der preußischen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-56] Verfassung gegebene, wieder im Vordergrunde. Der Gedanke, die Verfassung durch einen "Königlichen Freibrief" zu ersetzen, war in der letzten Krankheit noch lebendig. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die Frankfurter Versammlung, in demselben doppelten Irrthum befangen, behandelte die dynastischen Fragen als überwundenen Standpunkt, und mit der theoretischen Energie, welche dem Deutschen eigen ist, auch in Betreff Preußens und Oestreichs. Diejenigen Abgeordneten, welche in Frankfurt über die Stimmung der preußischen Provinzen und der deutsch-östreichischen Länder kundige Auskunft geben konnten, waren zum Theil interessirt bei der Verschweigung der Wahrheit; die Versammlung täuschte sich, ehrlich oder unehrlich, über die Thatsache, daß im Falle eines Widerspruchs zwischen einem Frankfurter Reichstagsbeschluß und einem preußischen Königsbefehl der erstere bei sieben Achtel der preußischen Bevölkerung leichter oder garnicht in's Gewicht fiel. Wer damals in unsern Ostprovinzen gelebt hat, wird heut noch die Erinnerung haben, daß die Frankfurter Verhandlungen bei allen den Elementen, in deren Hand die materielle Macht lag, bei allen denen, welche in Conflictsfällen Waffen zu führen oder zu befehlen hatten, nicht so ernsthaft aufgefaßt wurden, wie es nach der Würde der wissenschaftlichen und parlamentarischen Größen, die dort versammelt waren, hätte erwartet werden können. Und nicht nur in Preußen, sondern auch in den großen Mittelstaaten hätte damals ein monarchischer Befehl, der die Masse der Fäuste dem Fürsten zu Hülfe aufrief, falls er erfolgte, eine ausreichende Wirkung gehabt; nicht überall in dem Maße, wie es in Preußen der Fall war, aber doch in einem Maße, welches überall dem Bedürfniß materieller Polizeigewalt genügt haben würde, wenn die Fürsten den Muth gehabt hätten, Minister anzustellen, die ihre Sache fest und offen vertraten. Es war dies im Sommer 1848 in Preußen nicht der Fall gewesen; sobald aber im November der König sich entschloß, Minister zu ernennen, welche bereit waren, die Kronrechte ohne Rücksicht auf Parlamentsbeschlüsse zu vertreten, war der ganze Spuk (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-57] verschwunden und nur noch die Gefahr vorhanden, daß der Rückschlag über das vernünftige Maß hinausgehn werde. In den übrigen norddeutschen Staaten kam es nicht einmal zu solchen Conflicten, wie sie das Ministerium Brandenburg in einzelnen Provinzialstädten zu bekämpfen hatte. Auch in Baiern und Würtemberg erwies sich das Königthum trotz antiköniglicher Minister schließlich stärker als die Revolution. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Als der König am 3. April 1849 die Kaiserkrone ablehnte, aber aus dem Beschlusse der Frankfurter Versammlung "ein Anrecht" entnahm, dessen Werth er zu schätzen wisse, war er dazu hauptsächlich bewogen durch den revolutionären oder doch parlamentarischen Ursprung des Anerbietens und durch den Mangel eines staatsrechtlichen Mandats des Frankfurter Parlaments bei mangelnder Zustimmung der Dynastien. Aber auch wenn alle diese Mängel nicht, oder doch in den Augen des Königs nicht, vorhanden gewesen wären, so würde unter ihm eine Fortbildung und Kräftigung der Reichs-Institutionen, wie sie unter Kaiser Wilhelm stattgefunden hat, kaum zu erwarten gewesen sein. Die Kriege, welche der Letztere geführt hat, würden nicht ausgeblieben sein, nur würden sie nach der Constituirung des Kaiserthums, als Folge derselben, und nicht vorher, das Kaiserthum vorbereitend und herstellend, zu führen gewesen sein. Ob Friedrich Wilhelm IV. zur rechtzeitigen Führung derselben hätte bewogen werden können, weiß ich nicht; es war das schon schwierig bei seinem Herrn Bruder, in dem die militärische Ader und das preußische Offiziersgefühl vorwiegend waren. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Wenn ich die damaligen preußischen Zustände, persönliche und sachliche, als nicht reif zur Uebernahme der Führung in Deutschland in Krieg und Frieden bezeichne, so will ich damit nicht gesagt haben, daß ich damals die Voraussicht davon mit derselben Klarheit gehabt habe, wie heut im Rückblick auf eine 40jährige seitdem verflossene Entwicklung. Meine damalige Befriedigung über die Ablehnung der Kaiserkrone durch den König lag nicht in der (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-59] waren damals aufrichtiger und ungeschulter, wenn auch die Leidenschaften, der Haß und die gegenseitige Mißgunst der Fractionen und ihrer Führer, die Neigung, die Landesinteressen den Fractionsinteressen zu opfern, heut vielleicht stärker entwickelt sind. En tout cas le diable n'y perd rien. Byzantinismus und verlogene Speculation auf Liebhabereien des Königs wurden wohl in kleinen höhern Kreisen betrieben, aber bei den parlamentarischen Fractionen war der Wettlauf um die Gunst des Hofes noch nicht im Gange; der Glaube an die Macht des Königthums war irrthümlicher Weise meist geringer als der an die eigne Bedeutung; man fürchtete nichts mehr, als für servil oder für ministeriell zu gelten. Die Einen strebten nach eigner Ueberzeugung das Königthum zu stärken und zu stützen, die Andern glaubten, ihr und des Landes Wohl in Bekämpfung und Schwächung des Königs zu finden; es liegt darin ein Beweis, daß, wenn nicht die Macht, doch der Glaube an die Macht des preußischen Königthums damals schwächer war als heut zu Tage. Die Unterschätzung der Macht der Krone erlitt auch durch die Thatsache keine Aenderung, daß der persönliche Wille eines nicht sehr willensstarken Monarchen wie Friedrich Wilhelms IV. hinreichte, der ganzen deutschen Bewegung durch Ablehnung der Kaiserkrone die Spitze abzubrechen, und daß die sporadischen Aufstände, die demnächst für die Durchführung nationaler Wünsche ausbrachen, von der Königlichen Gewalt mit Leichtigkeit unterdrückt wurden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die günstige Situation, welche für Preußen in der kurzen Zeit von der Niederlage des Fürsten Metternich in Wien bis zum Rückzuge der Truppen aus Berlin bestanden hatte, erneuerte sich, wenn auch in schwächern Umrissen, dank der Wahrnehmung, daß der König und sein Heer nach allen Mißgriffen noch stark genug waren, den Aufstand in Dresden niederzuwerfen und das Drei-Königsbündniß zu Stande zu bringen. Eine schnelle Ausnutzung der Lage im nationalen Sinne war vielleicht möglich, setzte aber klare und praktische Ziele und entschlossenes Handeln voraus. Beides fehlte. Die günstige Zeit ging verloren mit Erwägungen von (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-62] Könige selbst habe constatiren können, haben die Sympathien der höhern Beamtenschichten theils für die liberale, theils für die nationale Seite der Bewegung viel beigetragen - ein Element, das ohne einen Impuls von oben wohl hemmend, aber nicht thatsächlich entscheidend in's Gewicht fallen konnte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Gegenüber der Versuchung, die in der Situation lag, hatte der König ein Gefühl, welches ich dem Unbehagen vergleichen möchte, von dem ich, obwohl ein großer Liebhaber des Schwimmens, ergriffen wurde, wenn ich an einem kalten stürmischen Tage den ersten Schritt in das Wasser thun wollte. Seine Bedenken, ob die Dinge reif seien, wurden unter anderm genährt durch die geschichtlichen Erörterungen, die er mit Radowitz pflog, nicht nur über das sächsische und hanöversche Gesandschaftsrecht, sondern auch über die Vertheilung der Sitze im "Reichstage" zwischen Regirenden und Mediatisirten, zwischen Landesherrn und Personalisten, recipirten und nicht recipirten Grafen unter den verschiedenen Kategorien der Reichstagsmasse, wobei die Specialität des Freien Standesherrn von Grote-Schauen zu untersuchen war. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-63] unvollzählig befanden. Wenn wir im Frühjahr 1849 die Möglichkeit einer kriegerischen Lösung im Auge behalten und unsre Mobilmachungsfähigkeit durch Verwendung keiner andern als kriegsbereiter Truppen intact erhalten hätten, so wäre die militärische Kraft, über welche Friedrich Wilhelm IV. verfügte, ausreichend gewesen, nicht nur jede aufständische Bewegung in und außer Preußen niederzuschlagen, sondern die aufgestellten Streitkräfte hätten zugleich das Mittel gewährt, uns 1850 auf die Lösung der damaligen Hauptfragen in unverdächtiger Weise vorzubereiten, falls sie sich zu einer militärischen Machtfrage zuspitzten. Es fehlte dem geistreichen Könige nicht an politischer Voraussicht, aber an Entschluß, und sein im Prinzip starker Glaube an die eigne Machtvollkommenheit hielt in concreten Fällen wohl gegen politische Rathgeber Stand, aber nicht gegen finanzministerielle Bedenken. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Ich lasse unentschieden, ob an der Halbheit und Schüchternheit der damals den ernsten Gefahren gegenüber ergriffenen Maßregeln nur finanzielle Minister-Aengstlichkeiten oder dynastische Gewissensbedenken und Unentschlossenheit an höchster Stelle Schuld waren, oder ob in amtlichen Kreisen eine ähnliche Sorge mitwirkte wie die, welche in den Märztagen bei Bodelschwingh und Andern die richtige Lösung verhinderte, nämlich die Befürchtung, daß der König in dem Maße, in dem er sich wieder mächtig und sorgenfrei fühlen würde, auch eine absolutistische Richtung einschlagen könnte. Ich erinnere mich, diese Besorgniß bei höhern Beamten und in liberalen Hofkreisen wahrgenommen zu haben. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Unbeantwortet ist die Frage geblieben, ob der Einfluß des Generals von Radowitz aus katholisirenden Gründen in einer auf den König wirksamen Gestalt verwendet worden ist, um das evangelische Preußen an der Wahrnehmung der günstigen Gelegenheit zu hindern und den König über dieselbe hinweg zu täuschen. Ich weiß heut noch nicht, ob er ein katholisirender Gegner Preußens war oder nur bestrebt, seine Stellung bei dem Könige zu halten *) . Gewiß ist, daß er den geschickten Garderobier der (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

*) Der General von Gerlach hat im August 1850 niedergeschrieben (Denkwürdigkeiten I 514): "Die Verehrung des Königs für Radowitz beruht auf zwei Dingen: 1) seinem scheinbar scharf logisch-mathematischen Raisonnement, bei dem seine gedankenlose Indifferenz es ihm möglich macht, jeden Widerspruch mit dem Könige zu vermeiden. Nun sieht der König in dieser seinem Ideengange ganz entgegensetzten Denkart die Probe für das Exempel, was er sich zusammengerechnet, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-65] mittelalterlichen Phantasie des Königs machte und dazu beitrug, daß der König über historische Formfragen und reichsgeschichtliche Erinnerungen die Gelegenheiten zu praktischem Eingreifen in die Entwicklung der Gegenwart versäumte. Das tempus utile für Einrichtung des Dreikönigsbundes wurde dilatorisch mit nebensächlichen Formfragen ausgefüllt, bis Oestreich wieder stark genug war, um Sachsen und Hanover zum Rücktritt zu vermögen, so daß beide Mitbegründer dieses Dreibundes in Erfurt ausfielen. Während des Erfurter Parlaments, in einer von dem General von Pfuel geladenen Gesellschaft, kamen vertrauliche Nachrichten einiger Abgeordneten zur Sprache über die Stärke der östreichischen Armee, die sich in Böhmen sammelte und dem Parlament als Gegengewicht und Correctiv dienen sollte. Es wurden verschiedene Zahlen, 80000 und 130000 Mann angegeben. Radowitz hörte eine Zeit lang ruhig zu und sagte dann mit dem ihm eignen Ausdruck unwiderleglicher Gewißheit auf seinen regelmäßigen Zügen in entscheidendem Tone: "Oestreich hat in Böhmen 28254 Mann und 7132 Pferde." Die Tausende, die er angab, sind mir obiter in Erinnerung, die übrigen Ziffern setze ich nach Gutdünken hinzu, nur um die erdrückende Genauigkeit der Angaben des Generals anschaulich zu machen. Natürlich brachten diese Zahlen aus dem Munde des amtlichen und competenten Vertreters der preußischen Regirung einstweilen jede abweichende Meinung zum Schweigen. Wie stark die östreichische Armee im Frühjahr 1850 in Böhmen gewesen ist, wird heut wohl feststehn; daß sie zur Olmützer Zeit erheblich mehr als 100000 Mann betrug, habe ich annehmen müssen *) *und hält sich so seiner Sache gewiß. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

2) Der König hält seine Minister und auch mich für Rindvieh, schon darum, weil jene mit ihm currente und praktische Geschäfte abmachen müssen, welche nie seinen Ideen entsprechen. Er traut sich nicht die Fähigkeit zu, diese Minister sich folgsam zu machen, auch nicht die, andre zu finden, er giebt also diesen Weg auf und glaubt, in Radowitz einen gefunden zu haben, von Deutschland aus Preußen zu restauriren, wie das Radowitz in ,Deutschland und Friedrich Wilhelm IV.' geradezu eingesteht." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die nähere Berührung, in welche ich in Erfurt mit dem Grafen Brandenburg trat, ließ mich erkennen, daß sein preußischer Patriotismus vorwiegend von den Erinnerungen an 1812 und 1813 zehrte und schon deshalb von deutschem Nationalgefühl durchsetzt war. Entscheidend blieb indeß das dynastische und borussische Gefühl und der Gedanke einer Machtvergrößerung Preußens. Er hatte von dem Könige, der schon damals auf seine Weise an meiner politischen Erziehung arbeitete, den Auftrag erhalten, meinen etwaigen Einfluß in der Fraction der äußersten Rechten für die Erfurter Politik zu gewinnen, und versuchte das, indem er mir auf einem einsamen Spaziergange zwischen der Stadt und dem Steigerwalde sagte: "Was kann bei der ganzen Sache Preußen für Gefahr laufen? Wir nehmen ruhig an, was uns an Verstärkung geboten wird, ‚Viel oder Wenig?, unter einstweiligem Verzichte auf das, was uns nicht geboten wird. Ob wir uns die Verfassungsbestimmungen, die der König mit in den Kauf zu nehmen hat, auf die Dauer gefallen lassen können, das kann nur die Erfahrung lehren. Geht es nicht, ‚so ziehn wir den Degen und jagen die Kerls zum Teufel'." Ich kann nicht leugnen, daß dieser militärische Schluß seiner Auseinandersetzung mir einen sehr gewinnenden Eindruck machte, hatte aber meine Zweifel, ob die Allerhöchste Entschließung im entscheidenden Augenblicke nicht mehr von andern Einflüssen abhängen würde als von diesem ritterlichen Generale. Sein tragisches Ende hat meine Zweifel bestätigt 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Auch Herr von Manteuffel war von dem Könige zu dem Versuche veranlaßt worden, die preußische äußerste Rechte für Unterstützung der Regirungspolitik zu gewinnen und in diesem Sinne (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die badischen Truppen hatte man damals auf wenig gangbaren Wegen mit Benutzung des braunschweigischen Weserdistricts nach Preußen kommen lassen - ein Beweis von der Aengstlichkeit, mit welcher man damals die Gebietsgrenzen der Bundesfürsten respectirte, während sonstige Attribute ihrer Landeshoheit in den Verfassungsentwürfen für das Reich und den Dreikönigsbund mit Leichtigkeit ignorirt oder abgeschafft wurden. Man ging in den Entwürfen bis nahe an die Mediatisirung, aber man wagte nicht, ein Marschquartier außerhalb der vertragsmäßig vorhandenen Etappenstraßen zu beanspruchen. Erst bei Ausbruch des dänischen Krieges 1864 wurde in Schwartau mit dieser schüchternen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die Erwägungen eines sachkundigen und ehrliebenden Generals, wie Stockhausen, konnte ich einer Kritik nicht unterziehn und vermag das auch heut noch nicht. Die Schuld an unsrer militärischen Gebundenheit, die er mir schilderte, lag nicht an ihm, sondern an der Planlosigkeit, mit der unsre Politik auf militärischem Gebiete sowohl wie auf diplomatischem in und seit den Märztagen mit einer Mischung von Leichtfertigkeit und Knauserei geleitet worden war. Auf militärischem namentlich war sie von der Art, daß man nach den getroffenen Maßregeln voraussetzen muß, daß eine kriegerische oder auch nur militärische Lösung der schwebenden Fragen in letzter Instanz in Berlin überhaupt nicht in Erwägung gezogen wurde. Man war zu sehr mit öffentlicher Meinung, Reden, Zeitungen und Verfassungsmacherei präoccupirt, um auf dem Gebiete der auswärtigen, selbst nur der außerpreußischen deutschen Politik zu festen Absichten und praktischen Zielen gelangen zu können. Stockhausen war nicht im Stande, die Unterlassungssünden und die Planlosigkeit unsrer Politik durch plötzliche militärische Leistungen wieder gut zu machen, und gerieth so in eine Situation, die selbst der politische Leiter des Ministeriums, Graf Brandenburg, nicht für möglich gehalten hatte. Denn derselbe erlag der Enttäuschung, welche sein hohes patriotisches Ehrgefühl in den letzten Tagen seines Lebens erlitten hatte 1). Es ist Unrecht, Stockhausen der Kleinmüthigkeit anzuklagen, und ich habe Grund zu glauben, daß auch König Wilhelm I. zu der Zeit, da ich sein Minister wurde, meine Auffassung bezüglich der militärischen Situation im November 1850 theilte. Wie dem auch sei, nur fehlte damals jede Unterlage zu einer Kritik, die ich als conservativer Abgeordneter einem Minister auf militärischem Gebiete, als Landwehr-Lieutenant dem General gegenüber hätte ausüben können. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

"Das preußische Volk hat sich, wie uns Allen bekannt ist, auf den Ruf seines Königs einmüthig erhoben, es hat sich in vertrauensvollem Gehorsam erhoben, es hat sich erhoben, um gleich seinen Vätern die Schlachten der Könige von Preußen zu schlagen, ehe es wußte, und, meine Herrn, merken Sie das wohl, ehe es wußte, was in diesen Schlachten erkämpft werden sollte; das wußte vielleicht Niemand, der zur Landwehr abging. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-72] Regirung auslaufen. Ein kurzer Aufenthalt in Berlin, ein flüchtiger Blick in das hiesige Treiben hat mir gezeigt, daß ich mich geirrt habe. Der Adreßentwurf nennt diese Zeit eine große; ich habe hier nichts Großes gefunden als persönliche Ehrsucht, nichts Großes als Mißtrauen, nichts Großes als Parteihaß. Das sind drei Größen, die in meinem Urtheile diese Zeit zu einer kleinlichen stempeln und dem Vaterlandsfreunde einen trüben Blick in unsre Zukunft gewähren. Der Mangel an Einigkeit in den Kreisen, die ich andeutete, wird in dem Adreßentwurfe locker verdeckt durch große Worte, bei denen sich Jeder das Seine denkt. Von dem Vertrauen, das das Land beseelt, von dem hingebenden Vertrauen, gegründet auf die Anhänglichkeit an Seine Majestät den König, gegründet auf die Erfahrung, daß das Land mit dem Ministerium, welches ihm zwei Jahre lang vorsteht, gut gefahren ist, habe ich in der Adresse und in ihren Amendements nichts gespürt. Ich hätte dies um so nöthiger gefunden, als es mir Bedürfniß schien, daß der Eindruck, den die einmüthige Erhebung des Landes in Europa gemacht hat, gehoben und gekräftigt werde durch die Einheit derer, die nicht der Wehrkraft angehören, in dem Augenblicke, wo uns unsre Nachbarn in Waffen gegenüberstehn, wo wir in Waffen nach unsern Grenzen eilen, in einem Augenblicke, wo ein Geist des Vertrauens selbst in solchen herrscht, denen er sonst nicht angebracht schien; in einem Augenblicke, wo jede Frage der Adresse, welche die auswärtige Politik berührt, Krieg oder Frieden in ihrem Schoße birgt; und, meine Herrn, welchen Krieg? Keinen Feldzug einzelner Regimenter nach Schleswig oder Baden, keine militärische Promenade durch unruhige Provinzen, sondern einen Krieg in großem Maßstabe gegen zwei unter den drei großen Continentalmächten, während die dritte beutelustig an unsern Grenzen rüstet und sehr wohl weiß, daß im Dome zu Köln das Kleinod zu finden ist, welches geeignet wäre, die französische Revolution zu schließen und die dortigen Machthaber zu befestigen, nämlich die französische Kaiserkrone. ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Mit den Mitteln und Gewohnheiten des auswärtigen Dienstes noch nicht so vertraut wie später, war ich doch als Laie nicht zweifelhaft, daß der Krieg, wenn er für uns überhaupt geboten oder annehmbar erschien, auch nach Olmütz in den Dresdner Verhandlungen jederzeit gefunden und durch Abbruch derselben herbeigeführt werden konnte. Stockhausen hatte mir gelegentlich sechs Wochen als die Frist bezeichnet, deren er bedürfte, um fechten zu können, und es wäre nach meiner Ansicht nicht schwer gewesen, das Doppelte derselben durch geschickte Leitung der Verhandlungen in Dresden zu gewinnen, wenn bei uns die momentane Unfertigkeit der militärischen Rüstungen der einzige Grund gewesen wäre, uns eine kriegerische Lösung zu versagen. Wenn die Dresdner Verhandlungen nicht dazu benutzt worden sind, im preußischen Sinne entweder ein höheres Resultat oder einen berechtigt erscheinenden Anlaß zum Kriege zu gewinnen, so ist mir niemals klar geworden, ob die auffällige Beschränkung unsrer Ziele in Dresden von dem Könige oder von Herrn von Manteuffel, dem neuen auswärtigen Minister, ausgegangen ist. Ich habe damals nur den Eindruck gehabt, daß letztrer nach seinem Vorleben als Landrath, RegirungsPräsident und Director im Ministerium des Innern sich in der Sicherheit seines Auftretens durch die renommirenden vornehmen Verkehrsformen des Fürsten Schwarzenberg genirt fühlte. Schon die häusliche Erscheinung Beider in Dresden - Fürst Schwarzenberg mit Livreen, Silbergeschirr und Champagner im ersten Stock, der preußische Minister mit Kanzleidienern und Wassergläsern eine Treppe höher - war geeignet, auf das Selbstgefühl der betheiligten Vertreter beider Großmächte und auf ihre Einschätzung durch die übrigen deutschen Vertreter nachtheilig für uns zu wirken. Die alte preußische Einfachheit, die Friedrich der Große seinem Vertreter in London mit der Redensart empfahl: "Sage Er, wenn Er zu Fuß geht, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-77] daß 100000 Mann hinter ihm gehn," bezeugt eine Renommage, die man dem geistreichen Könige nur in einer der Anwandlungen von übertriebener Sparsamkeit zutrauen kann. Heut hat jeder 100000 Mann, nur wir hatten sie, wie es scheint, zur Dresdner Zeit nicht verfügbar. Der Grundirrthum der damaligen preußischen Politik war der, daß man glaubte, Erfolge, die nur durch Kampf oder durch Bereitschaft dazu gewonnen werden konnten, würden sich durch publicistische, parlamentarische und diplomatische Heucheleien in der Gestalt erreichen lassen, daß sie als unsrer tugendhaften Bescheidenheit zum Lohn oratorischer Bethätigung unsrer "deutschen Gesinnung" aufgezwungen erschienen. Man nannte das später "moralische" Eroberungen; es war die Hoffnung, daß Andre für uns thun würden, was wir selbst nicht wagten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Das meiner Ernennung vorhergehende Gespräch mit dem Könige, kurz gegeben in einem Briefe meines verstorbenen Freundes J. L. Motley an seine Frau 1), verlief folgendermaßen. Nachdem ich auf die plötzliche Frage des Ministers Manteuffel, ob ich die Stelle eines Bundesgesandten annehmen wolle, einfach mit Ja geantwortet hatte, ließ der König mich zu sich bescheiden und sagte: "Sie haben viel Muth, daß Sie so ohne Weitres ein Ihnen fremdes Amt übernehmen." Ich erwiderte: "Der Muth ist ganz auf Seiten Eurer Majestät, wenn Sie mir eine solche Stellung anvertrauen, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-79] indessen sind Eure Majestät ja nicht gebunden, die Ernennung aufrecht zu erhalten, sobald sie sich nicht bewährt. Ich selbst kann keine Gewißheit darüber haben, ob die Aufgabe meine Fähigkeit übersteigt, ehe ich ihr näher getreten bin. Wenn ich mich derselben nicht gewachsen finde, so werde ich der erste sein, meine Abberufung zu erbitten. Ich habe den Muth zu gehorchen, wenn Eure Majestät den haben zu befehlen." Worauf der König: "Dann wollen wir die Sache versuchen." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Am 11. Mai 1851 traf ich in Frankfurt ein. Herr von Rochow mit weniger Ehrgeiz als Liebe zum Behagen, des Klimas und des anstrengenden Hoflebens in Petersburg müde, hätte lieber den Frankfurter Posten, in dem er alle seine Wünsche befriedigt fand, dauernd behalten, arbeitete in Berlin dafür, daß ich zum Gesandten in Darmstadt mit gleichzeitiger Accreditirung bei dem Herzog von Nassau und der Stadt Frankfurt ernannt werde, und wäre vielleicht auch nicht abgeneigt gewesen, mir den Petersburger Posten im Tausch zu überlassen. Er liebte das Leben am Rhein und den Verkehr mit den deutschen Höfen. Seine Bemühungen hatten indessen keinen Erfolg. Unter dem 11. Juli schrieb mir Herr von Manteuffel, daß der König meine Ernennung zum Bundestagsgesandten genehmigt habe. "Es versteht sich dabei von selbst," schrieb der Minister, "daß man Herrn von Rochow nicht brusquement wegschicken kann; ich beabsichtige daher, ihm heut noch einige Worte darüber zu schreiben, und glaube Ihres Einverständnisses gewiß zu sein, wenn ich in dieser Sache mit aller Rücksicht auf Herrn von Rochow's Wünsche verfahre, dem ich es in der That nur Dank wissen kann, daß er die schwierige und undankbare Mission angenommen hat im Gegensatz zu manchen andern Leuten, die immer mit der Kritik bei der Hand sind, wenn es aber auf das Handeln ankommt, sich zurückziehn. Daß ich Sie damit nicht meine, brauche ich nicht zu versichern, denn Sie sind ja auch mit uns in die Bresche getreten und werden sie, so denke ich, auch allein vertheidigen." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Ich gestehe, daß ich mich, als ich (1842) meine erste Auszeichnung, die Rettungsmedaille, erhielt, erfreut und gehoben fühlte, weil ich damals ein in dieser Beziehung nicht blasirter Landjunker war. Im Staatsdienste habe ich diese Ursprünglichkeit der Empfindung schnell verloren; ich erinnere mich nicht, bei spätern Decorirungen ein objectives Vergnügen empfunden zu haben, sondern nur die subjective Freude über die äußerliche Bethätigung des Wohlwollens, mit welchem mein König meine Anhänglichkeit erwiderte, oder andre Monarchen mir den Erfolg meiner politischen Werbung um ihr Vertrauen und ihr Wohlwollen bestätigten. Unser Gesandter von Jordan in Dresden antwortete auf den scherzhaften Vorschlag, eine seiner vielen Decorationen abzutreten: "Je vous les cède toutes, pourvu que vous m'en laisserez une pour couvrir mes nudités diplomatiques." In der That gehört ein grand cordon zur Toilette eines Gesandten, und wenn es nicht der des eignen Hofes ist, so bleibt die Möglichkeit, wechseln zu können, für elegante Diplomaten ebenso erwünscht, wie für Damen bezüglich der Kleider. In Paris habe ich erlebt, daß unverständige Gewaltthaten gegen Menschenmassen plötzlich stockten, weil sie auf "un monsieur décoré" (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-83] Marquis de Tallenay, und ich fand mich leicht in diese Gewohnheit, obschon es mir am Bunde nicht an Zeit zum Gehn und Reiten fehlte. Auch in Berlin, als ich Minister geworden war, versagte ich mich nicht, wenn ich von befreundeten Damen aufgefordert oder von Prinzessinnen zu einem Tanze befohlen wurde, bekam aber stets sarkastische Bemerkungen des Königs darüber zu hören, der mir zum Beispiel sagte: "Man macht es mir zum Vorwurf, einen leichtsinnigen Minister gewählt zu haben. Sie sollten den Eindruck nicht dadurch verstärken, daß Sie tanzen." Den Prinzessinnen wurde dann untersagt, mich zum Tänzer zu wählen. Auch die andauernde Tanzfähigkeit des Herrn von Keudell hat mir, wenn es sich um seine Beförderung handelte, bei Seiner Majestät Schwierigkeit gemacht. Es entsprach das der bescheidenen Natur des Kaisers, der seine Würde auch durch Vermeiden unnöthiger Aeußerlichkeiten, welche die Kritik herausfordern könnten, zu wahren gewöhnt war. Ein tanzender Staatsmann fand in seinen Vorstellungen nur in fürstlichen Ehrenquadrillen Platz; im raschen Walzer verlor er bei ihm an Vertrauen auf die Weisheit seiner Rathschläge. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Nachdem ich mich auf dem Frankfurter Terrain zu Hause gemacht hatte, nicht ohne harte Zusammenstöße mit dem östreichischen Vertreter, zunächst in der Flottenangelegenheit, in welcher er Preußen autoritativ und finanziell zu verkürzen und für die Zukunft lahm zu legen suchte, beschied der König mich nach Potsdam und eröffnete mir am 28. Mai 1852, daß er sich entschlossen habe, mich nunmehr auf die hohe Schule der Diplomatie nach Wien zu schicken, zunächst als Vertreter, demnächst als Nachfolger des schwer erkrankten Grafen Arnim 1). Zu dem Zwecke übergab er mir das nachstehende Einführungsschreiben an Se. Majestät den Kaiser Franz Joseph vom 5. Juni: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

In vertraulichem Gespräch fragte er mich gelegentlich, ob auch ich glaubte, daß ich zu Manteuffel's Nachfolger bestimmt sei. Ich erwiderte, das läge einstweilen nicht in meinen Wünschen. Ich glaubte allerdings, daß der König mich in spätrer Zeit einmal zu seinem Minister zu machen gedenke und mich dazu erziehn wolle, in dieser Absicht auch mir die mission extraordinaire nach Oestreich übertragen habe. Mein Wunsch aber wäre, noch etwa zehn Jahre lang in Frankfurt oder an verschiednen Höfen als Gesandter die Welt zu sehn und dann gern etwa zehn Jahre lang, womöglich mit Ruhm, Minister zu sein, dann auf dem Lande über das Erlebte nachzudenken und wie mein alter Onkel (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-87] in Templin bei Potsdam Obstbäume zu pfropfen 1). Dieses scherzende Gespräch war von Platen nach Hanover berichtet worden und dort zur Kenntniß des General-Steuerdirectors Klentze gekommen, der mit Manteuffel über Zollsachen verhandelte und in mir den Junker im Sinne der liberalen Bürokraten haßte. Er hatte nichts Eiligeres zu thun, als entstellte Angaben aus Platen's Bericht an Manteuffel mitzutheilen in dem Sinne, als ob ich an dessen Sturze arbeitete. Bei meiner Rückkehr von Wien nach Berlin (8. Juli) hatte ich an Aeußerlichem die Wirkung dieser Einbläserei wahrzunehmen. Sie bestand in einer Abkühlung meiner Beziehungen zu meinem Chef, und ich wurde nicht mehr wie bis dahin gebeten, bei ihm zu wohnen, wenn ich nach Berlin kam. Verdacht wurden mir dabei auch meine freundschaftlichen Beziehungen zu dem General von Gerlach. Die Genesung des Grafen Arnim gestattete mir, meinem Wiener Aufenthalte ein Ende zu machen, und vereitelte einstweilen die Absicht des Königs, mich zum Nachfolger Arnim's zu ernennen. Aber auch wenn diese Genesung nicht eingetreten wäre, würde ich den dortigen Posten nicht gern übernommen haben, weil ich schon damals das Gefühl hatte, durch mein Auftreten in Frankfurt persona ingrata in Wien geworden zu sein. Ich hatte die Befürchtung, daß man dort fortfahren würde, mich als gegnerisches Element zu behandeln, mir den Dienst zu erschweren und mich am Berliner Hofe zu discreditiren, was durch Hofcorrespondenz, wenn ich in Wien fungirte, noch leichter gewesen wäre als über Frankfurt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Aus spätrer Zeit sind mir Unterredungen erinnerlich, welche ich auf langen Eisenbahnfahrten unter vier Augen mit dem Könige über Wien hatte. Ich nahm dann die Stellung, zu sagen "Wenn Eure Majestät befehlen, so gehe ich dahin, aber freiwillig nicht, ich habe mir die Abneigung des östreichischen Hofes in Frankfurt im Dienste (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-88] Eurer Majestät zugezogen, und ich werde das Gefühl haben, meinen Gegnern ausgeliefert zu sein, wenn ich Gesandter in Wien werden sollte. Jede Regirung kann jeden Gesandten, der bei ihr beglaubigt ist, mit Leichtigkeit schädigen und durch Mittel, wie sie die östreichische Politik in Deutschland anwendet, seine Stellung verderben." Die Erwiderung des Königs pflegte zu sein: "Befehlen will ich nicht. Sie sollen freiwillig hingehn und mich darum bitten; es ist das eine hohe Schule für Ihre diplomatische Ausbildung, und Sie sollten mir dankbar sein, wenn ich diese Ausbildung, weil es bei Ihnen der Mühe lohnt, übernehme." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Auch die Ministerstellung lag damals außerhalb meiner Wünsche. Ich war überzeugt, daß ich dem Könige gegenüber als Minister eine für mich haltbare Stellung nicht erlangen würde. Er sah in mir ein Ei, was er selbst gelegt hatte und ausbrütete, und würde bei Meinungsverschiedenheiten immer die Vorstellung gehabt haben, daß das Ei klüger sein wolle als die Henne. Daß die Ziele der preußischen auswärtigen Politik, welche mir vorschwebten, sich mit denen des Königs nicht vollständig deckten, war mir klar, ebenso die Schwierigkeit, welche ein verantwortlicher Minister dieses Herrn zu überwinden hatte bei dessen selbstherrlichen Anwandlungen mit oft jähem Wechsel der Ansichten, bei der Unregelmäßigkeit in Geschäften und bei der Zugänglichkeit für unberufene Hintertreppen-Einflüsse von politischen Intriganten, wie sie von den Adepten unsrer Kurfürsten bis auf neuere Zeiten in dem regirenden Hause, sogar bei dem strengen und hausbacknen Friedrich Wilhelm I. Zutritt gefunden haben - pharmacopolae, balatrones, hoc genus omne 1). Die Schwierigkeit, gleichzeitig gehorsamer und verantwortlicher Minister zu sein, war damals größer als unter Wilhelm I. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-89] bei Georg V. ausgetretenen Minister Bacmeister sondirt, ob ich Minister des Königs Georg werden wolle. Ich sprach mich dahin aus, daß ich in der auswärtigen Politik Hanover nur dienen könne, wenn der König vollständig Hand in Hand mit Preußen gehn wolle; ich könnte mein Preußenthum nicht ausziehn wie einen Rock. Auf dem Wege zu den Meinigen nach Villeneuve am Genfer See, den ich von Norderney über Hanover nahm, hatte ich mehre Conferenzen mit dem Könige. Eine derselben fand statt in einem, zwischen seinem Schlafzimmer und dem der Königin gelegnen Cabinet im Erdgeschoß des Schlosses. Der König wollte, daß die Thatsache unsrer Besprechung nicht bekannt werde, hatte mich aber um fünf Uhr zur Tafel befohlen. Er kam auf die Frage, ob ich sein Minister werden wolle, nicht zurück, sondern verlangte nur von mir als Sachkundigem in bundestäglichen Geschäften einen Vortrag über die Art und Weise, wie die Verfassung von 1848 mit Hülfe von Bundesbeschlüssen revidirt werden könne. Nachdem ich meine Ansicht entwickelt hatte, verlangte er eine schriftliche Redaction derselben und zwar auf der Stelle. Ich schrieb also in der ungeduldigen Nachbarschaft des an demselben Tische sitzenden Königs die Hauptzüge des Operationsplans nieder unter den erschwerenden Umständen, die ein selten gebrauchtes Schreibzeug bereitete: Tinte dick, Feder schlecht, Papier rauh, Löschblatt nicht vorhanden; die von mir gelieferte vier Seiten lange Staatsschrift mit ihren Tintenflecken war nicht als ein kanzleimäßiges Mundum anzusehn. Der König schrieb überhaupt nur seine Unterschrift, und auch diese schwerlich in dem Gemach, in welchem er des Geheimnisses wegen mich empfangen hatte. Das Geheimniß wurde freilich dadurch durchbrochen, daß es darüber sechs Uhr geworden war und der auf fünf befohlenen Tischgesellschaft die Ursache der Verspätung nicht entgehn konnte. Als die hinter dem Könige stehende Uhr schlug, sprang er auf und ging wortlos und mit einer bei seiner Blindheit überraschenden Schnelligkeit und Sicherheit durch das mit Möbeln besetzte Gemach in das benachbarte Schlaf- oder Ankleidezimmer. Ich blieb allein, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-90] ohne Direction, ohne Kenntniß der Localität des Schlosses, nur durch eine Aeußerung des Königs unterrichtet, daß die eine der drei Thüren in das Schlafzimmer der an den Masern krank liegenden Königin führte. Nachdem ich mir hatte sagen müssen, daß Niemand kommen werde, mich zu geleiten, trat ich durch die dritte Thür hinaus und fand mich einem Lakaien gegenüber, der mich nicht kannte und über mein Erscheinen in diesem Theile den Schlosses erschrocken und aufgeregt war, sich jedoch beruhigte, als ich dem Accente seiner mißtrauischen Frage entsprechend englisch antwortete und zu der königlichen Tafel geführt zu werden verlangte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Am Abende, ich weiß nicht, ob desselben oder des folgenden Tages, hatte ich wieder eine lange Audienz ohne Zeugen. Während derselben nahm ich mit Erstaunen wahr, wie nachlässig der blinde Herr bedient war. Die ganze Beleuchtung den großen Zimmers bestand in einem Doppelleuchter mit zwei Wachskerzen, an denen schwere, metallene Lichtschirme angeklemmt waren. Der eine fiel in Folge Niederbrennens der Kerze mit einem Geräusch, wie der Schlag auf ein Gong, zu Boden; es erschien aber Niemand, befand sich auch Niemand im Nebenzimmer, und ich mußte mir von dem hohen Herrn die Stelle der Klingel bezeichnen lassen, die ich zu ziehn hatte. Diese Verlassenheit den Königs war mir um so auffälliger, als der Tisch, an dem wir saßen, mit allen möglichen amtlichen oder privaten Papieren so bedeckt war, daß einzelne bei Bewegungen des Königs herunterfielen und von mir aufgehoben werden mußten. Nicht weniger auffällig war es, daß der blinde Herr mit einem fremden Diplomaten, wie ich, ohne jede ministerielle Kenntnißnahme Stunden lang verhandelte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-91] befreundeten Minister von Schele erwähnte, gab dieser lachend sein Erstaunen zu erkennen: "Er hätte den Mann nach seiner Thätigkeit für einen östreichischen Agenten gehalten." Ich telegraphirte chiffrirt an den Minister von Manteuffel und rieth, das Gepäck des Spiegelthal, der in den nächsten Tagen nach Berlin zurückreisen wollte, bei der Zollrevision an der Grenze untersuchen und seine Papiere in Beschlag nehmen zu lassen. Meine Erwartung, in den folgenden Tagen davon zu lesen oder zu hören, erfüllte sich nicht. Während ich die letzten Octobertage in Berlin und Potsdam zubrachte, erzählte der General von Gerlach mir u. A.: "Manteuffel habe zuweilen ganz sonderbare Einfälle; so habe er vor Kurzem verlangt, daß der Consul Spiegelthal zur königlichen Tafel gezogen werde, und unter Stellung der Cabinetsfrage sein Verlangen durchgesetzt." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Für die deutsche Sache behielt man in den dem Königthum widerstrebenden Kreisen eine kleine Hoffnung auf Hebelkräfte im Sinne des Herzogs von Coburg, auf englischen und selbst französischen Beistand, in erster Linie aber auf liberale Sympathien des deutschen Volks. Die praktisch wirksame Bethätigung dieser Hoffnungen beschränkte sich auf den kleinen Kreis der Hof-Opposition, die unter dem Namen der Fraction Bethmann-Hollweg den Prinzen von Preußen für sich und ihre Bestrebungen zu gewinnen suchte. Es war dies eine Fraction, die an dem Volke garkeinen und an der damals als "Gothaer" bezeichneten nationalliberalen Richtung geringen Anhalt hatte. Ich habe diese Herrn nicht grade für nationaldeutsche Schwärmer gehalten, im Gegentheil. Der einflußreiche, noch heut (1891) lebende langjährige Adjutant des Kaisers Wilhelm, Graf Karl von der Goltz, der einen stets offnen Zugang für seinen Bruder und dessen Freunde abgab, war ursprünglich ein eleganter und gescheidter Garde-Offizier, Stockpreuße und Hofmann, der an dem außerpreußischen Deutschland nur so viel Interesse nahm, als seine Hofstellung es mit sich brachte. Er war ein Lebemann, Jagdreiter, sah gut aus, hatte Glück bei Damen und wußte sich auf dem Hofparket geschickt zu benehmen; aber die Politik stand bei ihm nicht in erster Linie, sondern galt ihm erst, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die später nach Bethmann-Hollweg benannte Partei, richtiger Coterie, stützte sich ursprünglich auf den Grafen Robert von der Goltz, einen Mann von ungewöhnlicher Befähigung und Thätigkeit. Herr von Manteuffel hatte das Ungeschick gehabt, diese strebsame Capacität schlecht zu behandeln; der dadurch stellungslos gewordene Graf wurde der Impresario für die Truppe, welche zuerst als höfische Fraction und später als Ministerium des Regenten auf der Bühne erschien. Sie begann in der Presse, besonders durch das von ihr gegründete "Preußische Wochenblatt", und durch persönliche Werbungen in politischen und Hofkreisen sich Geltung zu schaffen. Die "Finanzirung", wie die Börse sich ausdrückt, wurde durch die großen Vermögen Bethmann-Hollweg's und der Grafen Fürstenberg-Stammheim und Albert Pourtalès, und die politische Aufgabe, als deren Ziel zunächst der Sturz Manteuffel's gestellt war, von den geschickten Händen der Grafen Goltz und Pourtalès besorgt. Beide schrieben ein elegantes Französisch in geschickter Diction, während Herr von Manteuffel in der Herstellung diplomatischer Aktenstücke hauptsächlich auf die hausbackne Tradition seiner Beamten von der französischen Kolonie in Berlin angewiesen war. Auch Graf Pourtalès war von dem Ministerpräsidenten im Dienste verstimmt und von dem Könige als Rival Manteuffel's ermuthigt worden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Graf Robert Goltz, mit dem ich aus der Jugend her befreundet war, versuchte in Frankfurt auch mich für die Fraction zu gewinnen. Ich lehnte den Beitritt, soweit Mitwirkung zum Sturze Manteuffel's von mir gefordert würde, mit der Motivirung ab, daß ich, wie damals der Fall war, mit vollem Vertrauen Manteuffel's den Posten in Frankfurt angetreten hätte und es nicht für ehrlich halten würde, meine Stellung zum Könige zum Sturze Manteuffel's zu benutzen, solange Letztrer mich nicht in die Nothwendigkeit versetzte, mit ihm (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die scharfe Kritik der Politik Olmütz, die in der That nicht so sehr die Schuld des preußischen Unterhändlers als der, um das Wenigste zu sagen, ungeschickten Leitung der preußischen Politik bis zu seiner Zusammenkunft mit dem Fürsten Schwarzenberg war, und die Schilderung ihrer Folgen, das war die erste Waffe, mit welcher Manteuffel von Goltz angegriffen und die Sympathie des Prinzen von Preußen gewonnen wurde. In dem soldatischen Gefühle des Letztern war Olmütz ein wunder Punkt, in Bezug auf welchen nur die militärische und royalistische Disciplin dem Könige gegenüber die Empfindung der Kränkung und des Schmerzes beherrschte. Trotz seiner großen Liebe zu seinen russischen Verwandten, die zuletzt in der innigen Freundschaft mit Alexander II. zum Ausdrucke kam, behielt er das Gefühl einer Demüthigung, die Preußen durch den Kaiser Nicolaus erlitten hatte, und diese Empfindung wurde um so stärker, je mehr seine Mißbilligung der Manteuffel'schen Politik und der östreichischen Einflüsse ihn der ihm früher ferner liegenden deutschen Aufgabe Preußens näher rückte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

"Von Manteuffel hörte ich, daß Goltz ihm erklärt hat, nur dann in das Ministerium eintreten zu können, wenn die Umgebung des Königs geändert, d. h. ich fortgeschickt würde. Ich glaube übrigens, ja ich könnte sagen, ich weiß es, daß Manteuffel Goltz als Rath in das Auswärtige Ministerium hat haben wollen, um gegen andre Personen dort, wie Le Coq (wohl eher gegen Gerlach (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-96] und dessen Freunde am Hofe) u. s. w. ein Gegengewicht zu haben, was nun, Gott sei Dank, durch Goltzens Trotz vereitelt ist. - Ich denke mir, daß ein Plan im Werke ist - ob in allen zum Mithandeln bestimmten Personen bewußt oder unbewußt, halb oder ganz, lasse ich dahingestellt sein - ein Ministerium unter den Auspicien des Prinzen von Preußen zu formiren, in dem - nach Entfernung von Raumer, Westphalen, Bodelschwingh - Manteuffel als Präses, Ladenberg als Cultus, Goltz als Auswärtiger functioniren soll und welches sich die Kammermajorität verschafft, was ich nicht für sehr schwierig halte. Damit sitzt der arme König zwischen der Kammermajorität und seinem Nachfolger und kann sich nicht rühren. Alles was Westphalen und Raumer zu Stande gebracht, und sie sind die einzigen Menschen, die etwas gethan, würde wieder verloren gehn, von den übrigen Folgen zu schweigen. Manteuffel als doppelter Novembermann wäre wie schon jetzt inévitable." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Der Gegensatz der verschiedenen Elemente, welche die Entschließungen des Königs zu bestimmen suchten, steigerte sich, der Angriff der Bethmann-Hollweg'schen Fraction auf Manteuffel belebte sich während des Krimkrieges. Der Ministerpräsident hat seine Abneigung gegen den Bruch mit Oestreich und gegen eine Politik, wie sie nach den böhmischen Schlachtfeldern führte, am nachdrücklichsten in allen für unsre Freundschaft mit Oestreich kritischen Momenten bethätigt. In der Zeit des Fürsten Schwarzenberg, demnächst des Krimkrieges und der Ausbeutung Preußens für die östreichische Orientpolitik erinnerte unser Verhältniß zu Oestreich an das zwischen Leporello und Don Juan. In Frankfurt, wo zur Zeit des Krimkriegs die übrigen Bundesstaaten außer Oestreich versuchsweise verlangten, daß Preußen sie der östreichisch-westmächtlichen Vergewaltigung gegenüber vertrete, konnte ich als Träger der preußischen Politik mich einer Beschämung und Erbitterung nicht erwehren, wenn ich sah, wie wir gegenüber den nicht einmal in höflichen Formen vorgebrachten Zumuthungen Oestreichs jede eigne Politik und jede selbständige Ansicht opferten, von (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-97] Posten zu Posten zurückwichen, und unter dem Druck der Inferiorität, in Furcht vor Frankreich und in Demuth vor England, im Schlepptau Oestreichs Deckung suchten. Der König war nicht unempfänglich für diesen meinen Eindruck, aber nicht geneigt, ihn durch eine Politik im großen Stile abzuschütteln. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

"General von Gerlach theilt mir soeben mit, daß des Königs Majestät Euer Hochwohlgeboren behufs Besprechung über die Behandlung des östreichisch-preußischen Bündnisses am Bunde hier anwesend zu sehen befohlen und daß der Herr General in diesem Sinne Euer Hochwohlgeboren bereits geschrieben habe 1). In Gemäßheit dieses Allerhöchsten Befehls, von dem mir übrigens vorher nichts bekannt gewesen, darf ich keinen Anstand nehmen. Euer Hochwohlgeboren ganz ergebenst zu veranlassen, sich unverzüglich hierher zu verfügen. Mit Rücksicht auf die beim Bundestage bevorstehenden Verhandlungen dürfte Ihr Aufenthalt hierselbst nicht von langer Dauer sein können." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Bei Besprechung des Vertrages vom 20. April schlug ich dem Könige vor, diese Gelegenheit zu benutzen, um uns und die preußische Politik aus der secundären und, wie mir schien, unwürdigen Lage herauszuheben und eine Stellung einzunehmen, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-99] östreichisch-französischen Allianz und Vergewaltigung der zwischenliegenden Mittelstaaten. Während des Krimkrieges sagte mir der alte König Wilhelm von Würtemberg in vertraulicher Audienz am Kamin in Stuttgart: "Wir deutschen Südstaaten können nicht gleichzeitig die Feindschaft Oestreichs und Frankreichs auf uns nehmen, wir sind zu nahe unter der Ausfallpforte Straßburg und vom Westen her occupirt, bevor uns von Berlin Hülfe kommen kann. Würtemberg wird überfallen, und wenn ich ehrlich mich in das preußische Lager zurückziehe, so werden die Klagen meiner vom Feinde bedrückten Unterthanen mich zurückrufen; das würtembergische Hemd ist mir näher als der Rock des Bundes" 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die nicht unbegründete Hoffnungslosigkeit, welche in dieser Aeußerung den gescheidten alten Herrn lag, und die mehr oder weniger zornige Empfindung in andern Bundesstaaten - nur nicht in Darmstadt, wo Herr von Dalwigk-Coehorn sicher auf Frankreich baute - diese Stimmungen würden sich wohl geändert haben, wenn ein nachdrückliches Auftreten Preußens in Oberschlesien den Beweis lieferte, daß weder Oestreich noch Frankreich uns damals überlegnen Widerstand zu leisten vermochten, wenn wir ihre entblößte und gefährdete Situation entschlossen benutzten. Der König war nicht unempfänglich für die überzeugte Stimmung, in welcher ich ihm die Sachlage und die Eventualitäten darstellte; er lächelte wohlgefällig und sagte im Berliner Dialekt: "Liebeken, das is sehr schöne, aber es is mich zu theuer. Solche Gewaltstreiche kann ein Mann von der Sorte Napoleon wohl machen, ich aber nicht." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-100] Bemühungen des Grafen Buol, einen Kriegsfall zu schaffen, die durch die Räumung der Wallachei und Moldau seitens der Russen vereitelt wurden, die von ihm beantragte und im Geheimniß vor Preußen abgeschlossene Allianz mit den Westmächten vom 2. December, die vier Punkte der Wiener Conferenz und der weitre Verlauf bis zu dem Pariser Frieden vom 30. März 1856 sind von Sybel aus den Archiven dargestellt, und meine amtliche Stellungnahme zu allen diesen Fragen ergiebt sich aus dem Werke "Preußen im Bundestage", Ueber das, was in dem Cabinet vorging, über die Erwägungen und Einflüsse, die den König in den wechselnden Phasen bestimmten, erhielt ich von dem General von Gerlach Mittheilungen, von denen ich die interessanteren einflechte. Wir hatten für diese Correspondenz seit Herbst 1855 eine Art von Chiffre verabredet, in welchem die Staaten durch die Namen uns bekannter Dörfer, die Personen nicht ohne Humor durch Figuren aus Shakespeare bezeichnet waren 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-103] wegfällt, Oesterreich in seinem Kriegsgelüste gegen Rußland nachzugehen, und dann, daß Sie den deutschen Mächten den Weg weisen, den sie zu gehen haben. ... Es ist ein eigen Unglück, daß der Aufenthalt (des Königs Friedrich Wilhelm) in München wieder an gewisser Stelle germanomanischen Enthusiasmus erregt hat. Eine deutsche Reservearmee, er an der Spitze, ist der confuse Gedanke, der eine nicht gute Einwirkung auf die Politik macht. Ludwig XIV. sagte l'état c'est moi. Mit viel mehr Recht kann Se. Majestät sagen l'Allemagne c'est moi. L. v. G." 1) (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

... Seitdem ich alles gelesen und nach Kräften gegen einander abgewogen habe, halte ich es für sehr wahrscheinlich, daß die zwei Drittel Stimmen Oesterreich nicht entgehen werden. Hannover spielt ein falsches Spiel, Braunschweig ist westmächtlich, die Thüringer ebenso, Bayern ist in allen Zuständen und des Königs Majestät ist ein schwankendes Rohr. Selbst über Beust gehen zweifelhafte Nachrichten ein. Hierzu kommt, daß man in Wien zum Kriege entschlossen scheint. Man sieht ein, daß die expectative bewaffnete Stellung nicht länger durchzuführen ist, schon finanziell nicht, und hält das Umkehren für gefährlicher als das Vorwärtsgehen. Leicht ist das Umkehren auch wirklich nicht, und ich sehe auch nicht ein, woher dem Kaiser dazu die Entschlossenheit kommen soll. Oesterreich kann sich für das Erste und oberflächlich leichter mit den revolutionären Plänen der Westmächte verständigen als Preußen, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-105] z. B. mit einer Restauration von Polen, einem rücksichtslosen Verfahren gegen Rußland u. s. w., sowie es keinem Zweifel unterliegt, daß Frankreich und England ihm auf der andern Seite noch leichter als uns Verlegenheiten bereiten können, sowohl in Ungarn als in Italien. Der Kaiser ist in den Händen seiner Polizei und was das heißt, habe ich in den letzten Jahren gelernt *), hat sich vorlügen lassen, Rußland habe Kossuth aufgehetzt u. s. w. Er hat damit sein Gewissen beschwichtigt, und was die Polizei nicht vermag, das leistet der Ultramontanismus, die Wuth gegen die orthodoxe Kirche und gegen das protéstantische Preußen. Daher ist auch schon jetzt von einem Königreich Polen unter einem österreichischen Erzherzoge die Rede. ... Aus allem diesem folgt, daß man sehr auf seiner Hut sein und auf alles, selbst auf einen Krieg gegen die mit Oesterreich verbündeten Westmächte gefaßt sein muß, daß den deutschen Fürsten nicht zu trauen ist u. s. w. Der Herr möge uns geben, daß wir nicht schwach befunden werden, aber ich müßte eine Unwahrheit sagen, wenn ich den Leitern unsrer Geschicke fest vertraute. Halten wir daher eng zusammen. Anno 1850 hatte Radowitz uns etwa auf denselben Punkt gebracht wie Buol jetzt passiv von drüben her 1). ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

*) Gerlach hat dabei wohl an Ohm und Hantge gedacht, auch an die Berichte, welche der phantasiereiche und gut bezahlte Oestreicher Tausenau aus London über gefährliche Anschläge der deutschen Flüchtlinge erstattete. Der König muß über die Zuverlässigkeit dieser Meldungen zweifelhaft geworden sein; er beauftragte direct aus seinem Cabinet den Gesandten Bunsen, von der englischen Polizei Erkundigung einzuziehn, die dahin ausfiel, daß die deutschen Flüchtlinge in London zu viel mit dem Erwerb ihres Lebensunterhaltes zu thun hätten, um an Attentate zu denken. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Ich glaube, wenn man betrachtet, daß es immer ein gefährliches Ding ist, allein zu stehen, daß die Dinge hier im Lande so sind, daß es auch gefährlich ist, sie auf die Spitze zu treiben; da weder Manteuffel noch - zuverlässig sind, so scheint es mir der Klugheit angemessen, Oesterreich so weit als irgend möglich nachzugehen. Ueber diese Möglichkeit hinaus liegt aber jede Allianz mit Frankreich, die wir weder moralisch, noch finanziell, noch militärisch vertragen können. Sie wäre unser Tod, wir verlören unsern Ruhm von 1813-1815, von dem wir leben, wir würden den mit Recht mistrauischen Alliirten Festungen einräumen, wir würden sie ernähren müssen. Bonaparte l'élu de sept millions würde bald einen König von Polen finden, der auf demselben Rechtstitel stände und dem man mit Leichtigkeit die Wähler in beliebiger Anzahl finden würde 1). ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Nehmen die Verhandlungen in Wien einen Charakter an, so daß man auf einen Erfolg rechnen könnte, so wird man uns schon zuziehen und uns mit unsern 300000 Mann nicht ignoriren. Schon jetzt wäre das nicht möglich, wenn man sich nicht durch Hinken, nicht wie das oft geschehen nach zwei, sondern, was selten geschehen, nach drei Seiten, um alles Vertrauen und alle Einflößung von Furcht gebracht hätte. Ich wünsche sehr, daß Sie, wenn auch nur auf einige Tage, herkämen, um sich zu orientiren. Ich weiß aus eigner Erfahrung, wie schnell man bei einer irgend längeren Abwesenheit desorientirt ist. Denn eben wegen ihrer personalissimen Eigenschaft ist es so schwer, unsre Zustände durch Schreiben verständlich zu machen, besonders wenn unzuverlässige principienlose Charaktere im Spiele sind. Mir ist immer sehr unheimlich, wenn Se. Majestät mit Manteuffel Geheimnisse haben, denn wenn der König seiner (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

... Was mich ganz niederschlägt, ist der allgemein verbreitete Bonapartismus und die Indifferenz und der Leichtsinn, womit man diese größte aller Gefahren auf sich zukommen sieht. Ist es denn so schwer zu erkennen, wohin dieser Mensch will? ... Und wie stehen hier die Sachen? The king can do no wrong. Von dem schweige ich; Manteuffel ist völlig Bonapartist. Bunsen mitsammt Usedom sind keine Preußen. Hatzfeld in Paris hat eine bonapartistische Frau und ist so eingeseift, daß sein hiesiger Schwager den alten Bonaparte im Vergleich mit dem jetzigen für einen Esel hält. Was soll daraus werden, und wie darf man dem Könige Vorwürfe machen, wenn er so bedient ist. Von den irregulären Rathgebern zu schweigen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Bei Manteuffel hatte eine active und unternehmende antiöstreichische Politik noch weniger Aussicht auf Anklang als bei dem Könige. Mein damaliger Chef machte mir in der Discussion der Frage unter vier Augen wohl den Eindruck, als theile er meine borussische Entrüstung über die geringschätzige und verletzende Art der Behandlung, die wir von der Politik Buol-Prokesch erfuhren. War aber die Situation bis zum Handeln gediehn, kam es darauf an, einen wirksamen diplomatischen Schritt in antiöstreichischer Richtung zu thun oder auch nur die Fühlung mit (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-109] Rußland so weit festzuhalten, daß wir diesem bis dahin befreundeten Nachbar gegenüber nicht direct feindlich auftraten, dann spitzte sich die Sache in der Regel dahin zu, daß eine Cabinetskrisis zwischen dem Könige und dem Ministerpräsidenten entstand und der erstre dem letztern gelegentlich mit mir oder auch mit dem Grafen Alvensleben drohte, in einem Falle auch, im Winter 1854, mit dem Grafen Albert Pourtalès aus der Bethmann-Hollwegschen Coterie, obschon dessen Auffassung der auswärtigen Politik die entgegengesetzte von der meinigen und auch mit der des Grafen Alvensleben schwerlich verträglich war. Das Ende der Krisis führte den König und den Minister stets wieder zusammen. Von den drei Gegencandidaten hatte Graf Alvensleben ziemlich öffentlich erklärt, er würde unter diesem Monarchen nie wieder ein Amt annehmen. Der König wollte mich zu ihm nach Erxleben schicken; ich rieth davon ab, weil Alvensleben mir vor kurzem obige Erklärung mit Bitterkeit in Frankfurt wiederholt hatte. Als wir uns später wiedersahen, war seine Verstimmung gehoben, er war geneigt, einer Aufforderung Sr. Majestät entgegen zu kommen, und wünschte, daß ich in dem Falle mit ihm eintreten möge. Der König ist aber mir gegenüber nicht auf Alvensleben zurückgekommen, vielleicht weil in der Zeit nach meinem Besuche in Paris (August 1855) eine Erkältung am Hofe, und namentlich bei Ihrer Majestät der Königin mir gegenüber eingetreten war. Graf Pourtalès war dem Könige wegen seines Reichthums "zu unabhängig" 1). Der König war der Meinung, daß arme und auf Gehalt angewiesene Minister gehorsamer wären. Ich selbst entzog mich der verantwortlichen Stellung unter diesem Herrn, wie ich konnte, und söhnte ihn immer wieder mit Manteuffel aus, den ich zu diesem Zwecke auf dem Lande (Drahnsdorf) besuchte 2). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Aus dieser Theorie wurde die Nothwendigkeit der Pflege des natürlichen Bündnisses mit England entwickelt, mit dunkeln Andeutungen, daß England, wenn Preußen ihm mit seiner Armee gegen Rußland diene, seinerseits die preußische Politik in dem Sinne, den man damals den "Gothaer" nannte, fördern würde. Von der angeblichen öffentlichen Meinung des englischen Volkes im Bunde bald mit dem Prinzen Albert, welcher dem Könige und dem Prinzen von Preußen unerbetene Lectionen ertheilte, bald mit Lord Palmerston, der im November 1851 gegen eine Deputation radicaler Vorstädter England als den einsichtigen Sekundanten (judicious bottleholder) jedes für seine Freiheit kämpfenden Volkes (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-111] bezeichnete und später in Flugschriften den Prinzen Albert als den gefährlichsten Gegner seiner befreienden Anstrengungen denunciren ließ, von diesen Hülfen wurde die Gestaltung der deutschen Zustände mit Sicherheit vorhergesagt, welche später von der Armee des Königs Wilhelm auf den Schlachtfeldern erkämpft worden ist. Die Frage, ob Palmerston oder ein andrer englischer Minister geneigt sein würde, Arm in Arm mit dem gothaisirenden Liberalismus und mit der Fronde am preußischen Hofe Europa zu einem ungleichen Kampfe herauszufordern und englische Interessen auf dem Altar der deutschen Einheitsbestrebungen zu opfern, - die weitere Frage, ob England dazu ohne andern continentalen Beistand als den einer in coburgische Wege geleiteten preußischen Politik im Stande sein würde - diese Fragen bis an's Ende durchzudenken, fühlte niemand den Beruf, am allerwenigsten die Fürsprecher derartiger Experimente. Die Phrase und die Bereitwilligkeit, im Partei-Interesse jede Dummheit hinzunehmen, deckten alle Lücken in dem windigen Bau der damaligen westmächtlichen Hofnebenpolitik. Mit diesen kindischen Utopien spielten sich die zweifellos klugen Köpfe der Bethmann-Hollwegschen Partei als Staatsmänner aus, hielten es für möglich, den Körper von sechzig Millionen Groß-Russen in der europäischen Zukunft als ein caput mortuum zu behandeln, das man nach Belieben mißhandeln könne, ohne daraus einen sichern Bundesgenossen jedes zukünftigen Feindes von Preußen zu machen und ohne Preußen in jedem französischen Kriege zur Rückendeckung gegen Polen zu nöthigen, da eine Polen befriedigende Auseinandersetzung in den Provinzen Preußen und Posen und selbst noch in Schlesien unmöglich ist, ohne den Bestand Preußens aufzulösen. Diese Politiker hielten sich damals nicht nur für weise, sondern wurden in der liberalen Presse als solche verehrt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Während Goltz und seine Berliner Genossen ihre Sache mit einem gewissen Geschick betrieben, von welchem der erwähnte Artikel eine Probe ist, war Bunsen, Gesandter in London, so unvorsichtig, im April 1854 dem Minister Manteuffel eine lange Denkschrift einzusenden, welche die Herstellung Polens, die Ausdehnung Oestreichs bis in die Krim, die Versetzung der Ernestinischen Linie auf den sächsischen Königsthron und dergleichen mehr forderte und die Mitwirkung Preußens für dieses Programm empfahl. Gleichzeitig hatte er nach Berlin gemeldet, die englische Regirung würde mit der Erwerbung der Elbherzogthümer durch Preußen einverstanden sein, wenn letztres sich den Westmächten anschließen wolle, und in London hatte er zu verstehn gegeben, daß die preußische Regirung dazu unter der bezeichneten Gegenleistung bereit sei 1). Zu beiden Erklärungen war er nicht ermächtigt. Das war denn doch dem Könige, als er dahinter kam, zu viel, so sehr er Bunsen liebte. Er ließ ihn durch Manteuffel anweisen, einen langen Urlaub zu nehmen, der dann in den Ruhestand überging. In der von der Familie herausgegebenen Biographie Bunsen's ist jene Denkschrift, mit Weglassung der ärgsten Stellen, aber ohne Andeutung von Lücken, abgedruckt und die amtliche Correspondenz, die mit der Beurlaubung endigte, in einseitiger Färbung wiedergegeben. Ein im Jahre 1882 in die Presse gelangter Brief des Prinzen Albert an den Freiherrn von Stockmar (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-113], in welchem "der Sturz Bunsens" aus einer russischen Intrigue erklärt und das Verhalten des Königs sehr abfällig beurtheilt wird, gab Veranlassung, den vollständigen Text der Denkschrift und, immer noch mit Schonung, den wahren Hergang der Sache nach den Akten zu veröffentlichen ("Deutsche Revue" 1882, S. 152 ff.). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

In die Pläne der Ausschlachtung Rußlands hatte man den Prinzen von Preußen nicht eingeweiht. Wie es gelungen, ihn für eine Wendung gegen Rußland zu gewinnen, ihn, der vor 1848 seine Bedenken gegen die liberale und nationale Politik des Königs nur in den Schranken brüderlicher Rücksicht und Unterordnung geltend gemacht hatte, zu einer ziemlich activen Opposition gegen die Regirungspolitik zu bewegen, trat in einer Unterredung hervor, die ich mit ihm in einer der Krisen hatte, in welchen mich der König zum Beistande gegen Manteuffel nach Berlin berufen hatte. Ich wurde gleich nach meiner Ankunft zu dem Prinzen befohlen, der mir in einer durch seine Umgebung erzeugten Gemüthserregung den Wunsch aussprach, ich solle dem Könige im westmächtlichen und antirussischen Sinne zureden. Er sagte: "Sie sehn sich hier zwei streitenden Systemen gegenüber, von denen das eine durch Manteuffel, das andre, russenfreundliche, durch Gerlach und den Grafen Münster in Petersburg vertreten ist. Sie kommen frisch hierher, sind von dem Könige gewissermaßen als Schiedsmann berufen. Ihre Meinung wird daher den Ausschlag geben, und ich beschwöre Sie, sprechen Sie sich so aus, wie es nicht nur die europäische Situation, sondern auch ein richtiges Freundesinteresse für Rußland erfordert. Rußland ruft ganz Europa gegen sich auf und wird schließlich unterliegen. Alle diese prächtigen Truppen," - es war dies nach den für die Russen nachtheiligen Schlachten vor Sebastopol - "alle unsre Freunde, die dort geblieben sind," - er nannte mehre - "würden noch leben, wenn wir richtig eingegriffen und Rußland zum Frieden gezwungen hätten." Es würde damit enden, daß Rußland, unser alter Freund und Bundesgenosse, vernichtet oder in gefährlicher Weise geschädigt würde. Unsre, von Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 8 (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Während des Krimkrieges und, wenn ich mich recht erinnere, aus Anlaß desselben wurde ein lange betriebener Depeschendiebstahl ruchbar. Ein verarmter Polizeiagent 1), der vor Jahren seine Geschicklichkeit dadurch bewiesen hatte, daß er, während der Graf Bresson französischer Gesandter in Berlin war, Nachts durch die Spree geschwommen, in die Villa des Grafen in Moabit eingebrochen war und seine Papiere abgeschrieben hatte, wurde von dem Minister Manteuffel dazu angestellt, sich durch bestochne Diener Zugang zu den Mappen zu verschaffen, in denen die eingegangnen Depeschen und die durch deren Lesung veranlaßte Correspondenz zwischen dem Könige, Gerlach und Niebuhr hin und her ging, und von dem Inhalte derselben Abschrift zu nehmen. Von Manteuffel mit preußischer Sparsamkeit bezahlt, suchte er nach weitrer Verwerthung seiner Bemühungen und fand eine solche durch Vermittlung des Agenten Hassenkrug zunächst bei dem französischen Gesandten Moustier, dann auch bei andern Leuten 2). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Zu den Kunden des Agenten gehörte auch der Polizeipräsident von Hinckeldey. Dieser kam eines Tages zu dem General von Gerlach mit der Abschrift eines Briefes, in welchem dieser an Jemanden, wahrscheinlich an Niebuhr, geschrieben hatte: "Nun der König mit hohem Besuch in Stolzenfels sei, hätten sich die und die, darunter Hinckeldey, dorthin begeben; die Bibel sage, wo das Aas ist, da sammeln sich die Adler; jetzt könne man sagen, wo der Adler ist, da sammelt sich das Aas." Hinckeldey stellte den General (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Daß die Denkschriften, welche die Goltzsche Fraction als Kampfmittel gegen Manteuffel bei dem Könige und dem Prinzen von Preußen verwerthen und dann in der Presse und durch fremde Diplomaten ausnutzen ließ, nicht ohne Eindruck auf den Prinzen geblieben waren, erkannte ich unter Anderm daran, daß ich bei ihm auf die Haxthausensche Theorie von den drei Zonen 1)stieß. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-123] einer erwachsenen und zur Uebernahme der Führung in ihrem Kreise geneigten Tochter; vielleicht auch die Vermuthung einer Idiosynkrasie gegen die präpotente Persönlichkeit des Kaisers Nicolaus. Gewiß ist, daß der antirussische Einfluß dieser hohen Frau auch in den Zeiten, wo sie Königin und Kaiserin war, mir die Durchführung der von mir für nothwendig erkannten Politik bei Sr. Majestät häufig erschwert hat. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Beim Frühstück - und diese Gewohnheit des Prinzen wurde auch vom Kaiser Wilhelm beibehalten - hielt die Prinzessin ihrem Gemal Vortrag unter Vorlegung von Briefen und Zeitungsartikeln, die zuweilen ad hoc redigirt worden waren. Andeutungen, die ich mir gelegentlich gestattete, daß gewisse Briefe auf Veranstaltung der Königin durch Herrn von Schleinitz hergestellt und beschafft sein könnten, trugen mir eine sehr scharfe Zurückweisung zu. Der König trat mit seinem ritterlichen Sinne unbedingt für seine Gemalin ein, auch wenn der Anschein einleuchtend gegen sie war. Er wollte gewissermaßen verbieten, dergleichen zu glauben, auch wenn es wahr wäre. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-124] befreundeten Höfen gehalten, jedes verstimmende Detail nach Hause zu melden; namentlich als ich in Petersburg mit einem Vertrauen beehrt wurde, welches ich fremden Diplomaten in Berlin zu gewähren für bedenklich gehalten haben würde. Jede zur Erregung von Verstimmung zwischen uns und Rußland geeignete Meldung würde bei der damals und in der Regel antirussischen Politik der Königin zur Lockerung unsrer russischen Beziehungen ausgenutzt worden sein, sei es aus Abneigung gegen Rußland und aus vorübergehenden Popularitätsrücksichten, sei es aus Wohlwollen für England und in der Voraussetzung, daß Wohlwollen für England und selbst für Frankreich einen höhern Grad von Civilisation und Bildung anzeige als Wohlwollen für Rußland. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Nachdem der Prinz von Preußen im Jahre 1849 als Gouverneur der Rheinprovinz seine Residenz dauernd nach Coblenz verlegt hatte, consolidirte sich allmählich die gegenseitige Stellung der beiden Höfe von Sanssouci und Coblenz zu einer occulten Gegnerschaft, in welcher auch auf der königlichen Seite das weibliche Element mitspielte, jedoch in geringerem Maße als auf der prinzlichen. Der Einfluß der Königin Elisabeth zu Gunsten Oestreichs, Baierns, Sachsens war ein unbefangner und unverhehlter, ein Ergebniß der Solidarität, welche die Uebereinstimmung der Anschauungen und die verwandschaftlichen Familiensympathien naturgemäß hervorbrachten. Zwischen der Königin und dem Minister von Manteuffel bestand keine persönliche Sympathie, wie schon die Verschiedenheit der Temperamente es mit sich brachte; gleichwohl ging die Einwirkung Beider auf den König nicht selten und namentlich in kritischen Momenten gleichmäßig in der Richtung des östreichischen Interesses, doch von Seiten der Königin in entscheidenden Augenblicken nur bis zu gewissen Grenzen, welche die eheliche und fürstliche Empfindung im Interesse der Krone des Gemals ihr zogen. Die Sorge für des Königs Ansehn trat namentlich in kritischen Momenten hervor, wenn auch weniger in der Gestalt einer Ermuthigung zum Handeln, als in der einer weiblichen Scheu vor den (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Der für den norddeutschen und namentlich für den Gedankenkreis einer kleinen Stadt in Mitten rein protestantischer Bevölkerung fremdartige Katholicismus hatte etwas Anziehendes für eine Fürstin, die überhaupt das Fremde mehr interessirte, als das Näherliegende, Alltägliche, Hausbackne. Ein katholischer Bischof erschien vornehmer als ein General-Superintendent. Ein gewisses Wohlwollen für die katholische Sache, welches ihr schon früher eigen und z. B. in der Wahl ihrer männlichen Umgebung und Dienerschaft erkennbar war, wurde durch ihren Aufenthalt in Coblenz vollends entwickelt. Sie gewöhnte sich daran, die localen Interessen des alten KrummstabLandes und seiner Geistlichkeit als ihrer Fürsorge besonders zugewiesen anzusehn und zu vertreten. Das moderne confessionelle Selbstgefühl auf dem Grunde geschichtlicher Tradition, das in dem Prinzen die protestantische Sympathie nicht selten mit Schärfe hervortreten ließ, war seiner Gemalin fremd. Welchen Erfolg ihr Bemühn um Popularität im Rheinlande gehabt hatte, zeigte sich u. A. darin, daß der Graf v. d. Recke-Volmerstein mir am 9. October 1863 schrieb, wohlgesinnte Leute am Rhein riethen, der König möge nicht zum Dombaufest kommen, sondern lieber I. Majestät schicken, "die mit Enthusiasmus würde empfangen werden". Ein Beispiel der wirksamen Energie, mit der sie die Wünsche der Geistlichkeit vertrat, lieferte die Modification, zu welcher der Bau der sogenannten Metzer Eisenbahn genöthigt wurde, weil die Geistlichkeit sich eines katholischen Kirchhofs, der berührt werden sollte, angenommen hatte und darin von der Kaiserin so erfolgreich unterstützt wurde, daß die Richtung geändert und schwierige Bauten ad hoc hergestellt wurden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-126] von Bülow, die Kaiserin habe von dem Minister Falk eine Reiseunterstützung für einen ultramontanen Maler verlangen lassen, der nicht nur selbst nicht darum bitten wolle, sondern mit Gemälden zur Verherrlichung von Marpingen beschäftigt sei. Unter dem 25. Januar 1878 berichtete er mir: "Vor seiner Abreise (nach Italien) hat der Kronprinz eine sehr heftige Scene mit der Kaiserin gehabt, welche verlangte, daß er, der künftige Herrscher über acht Millionen Katholiken, den alten ehrwürdigen Papst besuchen solle. Als der Kronprinz nach der Rückkehr sich beim Kaiser meldete, war auch die Kaiserin (aus ihren Zimmern) hinuntergekommen. Als das Gespräch eine Wendung nahm, die ihr nicht gefiel, betreffend die Stellung des Königs Humbert, und dann stockte, ist sie mit den Worten aufgestanden: ,Il paraît que je suis de trop ici', und der Kaiser hatte dann ganz wehmüthig zum Kronprinzen gesagt: ,Ueber diese Dinge ist Deine Mutter in dieser Zeit wieder unzurechnungsfähig.'" (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Zu den Nebenwirkungen, durch welche diese höfischen Kämpfe complicirt wurden, gehörte auch das Mißverhältniß, in das die Prinzessin mit dem Oberpräsidenten von Kleist-Retzow gerieth, der das Erdgeschoß des Schlosses unter der prinzlichen Wohnung inne hatte und an sich, als äußre Erscheinung, als Redner der äußersten Rechten und durch seine ländliche Gewohnheit, häusliche Andachten mit Gesang täglich mit seinen Hausgenossen abzuhalten, der Prinzessin lästig fiel. Mehr an amtliche als an höfische Beziehungen gewöhnt, betrachtete der Oberpräsident seine Existenz im Schlosse und im Schloßgarten als eine Vertretung der königlichen Prärogative im Gegenhalt zu angeblichen Uebergriffen des prinzlichen Haushalts und glaubte ehrlich, dem Könige, seinem Herrn, etwas zu vergeben, wenn er der Gemalin des Thronerben gegenüber in Betreff der wirthschaftlichen Nutzung häuslicher Locale die oberpräsidialen Ansprüche gegen die des prinzlichen Hofes nicht energisch vertrat. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

An dem prinzlichen Hofe hatte das staatliche Interesse in der Abwehr von Schädigungen durch weibliche Einflüsse einen festen und klugen Vertreter an Gustav von Alvensleben, der an dem Frieden zwischen beiden Höfen nach Kräften arbeitete, ohne mit den politischen Maßregeln der Regirung einverstanden zu sein. Er theilte meine Ansicht von der Nothwendigkeit, die Frage der preußisch-östreichischen Rivalität auf dem Schlachtfelde zu entscheiden, weil sie in andrer Weise unlösbar sei. Er, der das vierte Corps bei Beaumont und Sedan führte, und sein Bruder Constantin, dessen selbständig gefaßten Entschlüsse bei Vionville und Mars la Tour die französische Rheinarmee vor Metz zum Stehn brachten, waren Musterbilder von Generalen. Wenn ich ihn gelegentlich nach seiner Meinung über den Ausgang einer ersten Hauptschlacht zwischen uns und den Oestreichern fragte, so antwortete er: "Wir laufen sie über, daß sie die Beine gen Himmel kehren." Und seine Zuversicht hat dazu beigetragen, mir in den schwierigen Entschließungen von 1864 und 1866 den Muth zu stärken. Der Antagonismus, in dem sein lediglich durch staatliche und patriotische Erwägungen bestimmter Einfluß auf den Prinzen mit dem der Prinzessin stand, brachte ihn zuweilen in eine Erregung, der er in Worten Luft machte, die ich nicht wiederholen will, die aber die ganze Entrüstung des patriotischen Soldaten über politisirende Damen in einer die Strafgesetze streifenden Sprache zum Ausdruck brachten. Daß der Prinz diesen seinen Adjutanten seiner Gemalin gegenüber hielt, war ein Ergebniß der Eigenschaft, die er auch als König und Kaiser bewährte, daß er für treue Diener ein treuer Herr war. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die Entfremdung die zwischen dem Minister Manteuffel und mir nach meiner Wiener Mission und infolge der Zuträgerei von Klentze und Andern entstanden war, hatte die Folge, daß der König mich immer häufiger zur "Territion" kommen ließ, wenn der Minister ihm nicht zu Willen sein wollte. Ich habe auf den Reisen zwischen Frankfurt und Berlin über Guntershausen in einem Jahre 2000 Meilen gemacht, damals stets die neue Cigarre an der vorhergehenden entzündend oder gut schlafend. Der König erforderte nicht nur meine Ansicht über Fragen der deutschen und der auswärtigen Politik, sondern beauftragte mich auch gelegentlich, wenn ihm Entwürfe des Auswärtigen Amtes vorlagen, mit der Ausarbeitung von Gegenprojecten. Ich besprach diese Aufträge und meine entsprechenden Redactionen dann mit Manteuffel, der es in der Regel ablehnte, Aenderungen daran vorzunehmen, wenn auch unsre politischen Ansichten auseinander gingen. Er hatte mehr Entgegenkommen für die Westmächte und die östreichischen Wünsche, während ich, ohne russische Politik zu vertreten, keinen Grund sah, unsern langjährigen Frieden mit Rußland für andre als preußische Interessen in Frage zu stellen, und ein etwaiges Eintreten Preußens gegen Rußland für Interessen, die uns fern lagen, als das Ergebniß unsrer Furcht vor den Westmächten und unsres bescheidenen Respects vor (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-129] England betrachtete. Manteuffel vermied es, durch schärferes Vertreten seiner Auffassung den König noch mehr zu verstimmen oder durch Eintreten für meine angeblich russische Auffassung die Westmächte und Oestreich zu reizen, er effacirte sich lieber. Marquis Moustier kannte diese Stellung, und mein Chef überließ ihm gelegentlich die Aufgabe, mich zur westmächtlichen Politik und zur Vertretung derselben beim Könige zu bekehren. Bei einem Besuche, den ich Moustier machte, riß ihn die Lebhaftigkeit seines Temperaments zu der bedrohlichen Aeußerung hin: "La politique que vous faites, va vous conduire à Jéna." Worauf ich antwortete: "Pourquoi pas à Leipzig ou à Rossbach?" Moustier war eine so unabhängige Sprache in Berlin nicht gewohnt und wurde stumm und bleich vor Zorn. Nach einigem Schweigen setzte ich hinzu: "Enfin toute nation a perdu et gagné des batailles. Je ne suis pas venu pour faire avec vous un cours d'histoire." Die Unterhaltung kam nicht wieder in Fluß. Moustier beschwerte sich über mich bei Manteuffel, der die Beschwerde an den König brachte. Dieser aber lobte mich Manteuffel gegenüber, später auch direct, wegen der richtigen Antwort, die ich dem Franzosen gegeben hatte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die leistungsfähigen Kräfte der Bethmann-Hollwegschen Partei, Goltz, Pourtalès, zuweilen Usedom, wurden durch den Prinzen von Preußen auch bei dem Könige zu einer gewissen Geltung gebracht. Es kam vor, daß nothwendige Depeschen nicht von Manteuffel, sondern von dem Grafen Albert Pourtalès entworfen wurden, daß der König mir dessen Entwürfe zur Revision gab, daß ich über die Amendirung wieder mit Manteuffel Fühlung nahm, daß der den Unterstaatssekretär Le Coq zuzog, daß dieser die Fassung aber lediglich von dem Standpunkte französischer Stilistik prüfte und eine Tage lange Verzögerung mit der Anführung rechtfertigte, er habe den genau angemessenen französischen Ausdruck noch nicht gefunden, der zwischen dunkel, unklar, zweifelhaft und bedenklich die richtige Mitte hielte, - als ob es auf solche Lappalien damals angekommen wäre. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Ich suchte mich der Rolle, welche der König mich spielen ließ, in schicklicher Weise zu entziehn und die Verständigung zwischen ihm und Manteuffel nach Möglichkeit anzubahnen; so in den ernsten Zerwürfnissen, welche über Rhino Quehl entstanden. Nachdem durch Wiederherstellung des Bundestages nationale Sonderbestrebungen Preußens einstweilen behindert waren, ging man in Berlin an eine Restauration der innern Zustände, mit welcher der König gezögert hatte, so lange er darauf bedacht war, sich die Liberalen in den übrigen deutschen Staaten nicht zu entfremden. Ueber das Ziel und die Gangart der Restauration zeigte sich aber sofort zwischen dem Minister Manteuffel und der "kleinen aber mächtigen Partei" eine Meinungsverschiedenheit, die sich merkwürdigerweise in einen Streit über Halten oder Fallenlassen einer verhältnißmäßig untergeordneten Persönlichkeit zuspitzte und zu einem scharfen, öffentlichen Ausbruch führte. In demselben Briefe vom 11. Juli 1851, durch welchen er mich von meiner Ernennung zum Bundestagsgesandten benachrichtigte, schrieb Manteuffel: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Ich habe letzt S. M. darauf aufmerksam gemacht, wie es doch nicht gut wäre, daß Wagener, der Alles für die gute Sache gewagt habe, nächstens im Gefängniß sitzen, während sein Gegner Quehl durch die bloße vis inertiae Geheimer Rath würde. Niebuhren ist es denn auch gelungen, den König mit Wagener auszusöhnen, obschon letzterer dabei bleibt, die Redaction der Kreuzzeitung niederlegen zu wollen. ... Manteuffel hat eine Tendenz nach unten, via Quehl, Levinstein u. s. w., weil er an den Wahrheiten, die von oben kommen, zweifelt, statt daran zu glauben. Er sagt mit Pilatus: Was ist Wahrheit? und sucht sie bei Quehl und Consorten. Er läßt sich ja schon jetzt bei jeder Gelegenheit durch Quehl zu einer sehr üblen heimlichen und passiven Opposition (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

... Ich thue mein Mögliches, die Kreuzzeitung zu erhalten oder zunächst vielmehr Wagenern der Kreuzzeitung zu erhalten. Er sagt, er könne diese Sache den Intriguen von Quehl gegenüber nicht fortführen. Von den königlichen Geldern, über welche dieser Mensch durch das Vertrauen Manteuffel's disponirt, gibt er den Mitarbeitern Wagener's bedeutende Remunerationen und entzieht sie der Kreuzzeitung; ja er soll die Gesandten auffordern lassen, die auswärtigen Correspondenten der Kreuzzeitung zu ermitteln, um sie ihr abspenstig zu machen 2).... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die innern Verhältnisse mißfallen mir sehr. Ich fürchte, Quehl siegt über Westphalen und Raumer ganz einfach dadurch, daß Mauteuffel sich bei dem Könige als unentbehrlich geltend macht, eine Ansicht, die S. M. aus richtigen und unrichtigen Gründen anerkennt.... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-136] gebe, daß Quehl eine Art von Vertrag mit der Hollweg'schen Partei geschlossen, wonach Manteuffel geschont, die andern mißliebigen Minister Raumer, Westphalen, Bodelschwingh, rücksichtslos angegriffen würden, wenn ich ferner beachte, daß Manteuffel über sein Verhältniß zum Prinzen von Preußen ein böses Gewissen gegen mich hat, daß er jetzt Niebuhr dichter an sein Herz schließt als mich, während er sich sonst gegen mich oft über Niebuhr beklagte, wenn ich endlich beachte, daß Quehl geradezu den Prinzen von Preußen und seinen Herrn Sohn als mit sich und mit Manteuffel übereinstimmend [darstellt] und sich demgemäß äußert, was ich aus der zuverlässigsten Quelle weiß, wenn dies Alles auf Radowitz sieht (sic), so fühle ich den Boden mir unter den Füßen schwanken, obschon der König schwerlich für diese Wirthschaft zu gewinnen ist und mir persönlich dies Alles Gott sei Dank ziemlich gleichgültig ist. Sie aber, mein verehrter Freund, der Sie noch jung sind, müssen sich rüsten und stärken, dies Lügengewebe zur passenden Zeit zur Rettung des Landes zu zerreißen 1). ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-137] Bald nach dem Datum des letzten Briefes war die Verstimmung zwischen dem Könige und Manteuffel so acut geworden, daß der letztere sich schmollend auf sein Gut Drahnsdorf zurückzog. Um ihn zu einem "gehorsamen Minister" zu machen, benutzte der König diesmal nicht meine Ministercandidatur als Schreckbild, sondern beauftragte mich, den Grafen Albrecht von Alvensleben, den "alten Lerchenfresser", wie er ihn nannte, in Erxleben aufzusuchen und zu fragen, ob er den Vorsitz in einem neuen Ministerium übernehmen wolle, in dem ich das auswärtige Ressort erhalten solle. Der Graf hatte kurz vorher mir unter sehr abfälligen Aeußerungen über den König erklärt, daß er während der Regirung Sr. Majestät unter keinen Umständen in irgend ein Cabinet treten werde 1). Ich sagte dies dem Könige, und meine Reise unterblieb. Später aber, als dieselbe Combination wieder auftauchte, hat er sich doch bereit erklärt, sie zu acceptiren; der König vertrug sich dann aber mit Manteuffel, der inzwischen "Gehorsam" gelobt hatte. Statt der Sendung nach Erxleben reiste ich aus eignem Antriebe zu Manteuffel auf's Land und redete ihm zu, sich von Quehl zu trennen und stillschweigend ohne Explication mit Sr. Majestät seine amtliche Function wieder aufzunehmen. Er erwiderte in dem Sinne seines Briefes vom 11. Juli 1851, daß er den fähigen, ihm mit Hingebung dienenden Mann nicht fallen lassen könne. Da ich heraus zu hören glaubte, daß Manteuffel wohl noch andre Gründe habe, Quehl zu schonen, so sagte ich: "Vertrauen Sie mir die Vollmacht an, Sie von Quehl zu erlösen, ohne daß es zu einem Bruche zwischen Ihnen beiden kommt; wenn mir das gelingt, so bringen Sie dem Könige die Nachricht von Quehl's Abgange und führen die Geschäfte fort, als wenn kein Dissensus zwischen Sr. Majestät und Ihnen vorgekommen wäre." Er ging auf diesen Gedanken ein, und wir verabredeten, daß er Quehl, der sich grade auf einer Reise in Frankreich befand, veranlassen werde, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-138] auf der Rückkehr mich in Frankfurt aufzusuchen, was geschah. Ich benutzte die Pläne des Königs mit Alvensleben, um Quehl zu überzeugen, daß er, wenn er nicht abginge, Schuld an dem Sturze seines Gönners sein werde, und empfahl ihm, die Macht desselben, so lange es noch Zeit sei, zu benutzen. Ich sagte ihm: "Schneiden Sie Ihre Pfeifen, wo Sie noch im Rohr sitzen, es dauert nicht lange mehr", und ich brachte ihn dahin, seine Wünsche zu präcisiren: das Generalconsulat in Kopenhagen mit einer starken Gehaltserhöhung. Ich benachrichtigte Manteuffel, und die Sache schien erledigt, zog sich aber bis zur endlichen Lösung noch einige Zeit hin, weil man in Berlin so ungeschickt gewesen war, die Sicherung der Stellung Manteuffel's früher zu verlautbaren als das Ausscheiden Quehl's. Letztrer hatte in Berlin seine und Manteuffel's Stellung nicht so unsicher gefunden, wie ich sie geschildert hatte, und machte dann einige Schwierigkeiten, die verbessernd auf seine Stellung in Kopenhagen wirkten 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Der König haßte damals Manteuffel, er behandelte ihn nicht mit der ihm sonst eignen Höflichkeit und that beißende Aeußerungen über ihn. Wie er überhaupt die Stellung eines Ministers auffaßte, zeigt ein Wort über den Grafen Albert Pourtalès, den er auch gelegentlich als Schreckbild für Manteuffel benutzte 2): "Der wäre ein Minister für mich, wenn er nicht 30000 Reichsthaler Einkommen zu viel hätte; darin steckt die Quelle des Ungehorsams." Wenn ich sein Minister geworden wäre, so würde ich mehr als Andre 1) Vgl. Bismarck's Briefe an L. v. Gerlach vom 6. und 13. Aug. 1853 (Ausgabe von H. Kohl S. 96, 97). 2) S. o. S. 109. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

"Bunsen hetzt den König immer mehr in die Pairie hinein. Er behauptet, die größten Staatsmänner in England glaubten, daß in wenigen Jahren der Continent in zwei Theile zerfallen würde: a) protestantische Staaten mit constitutionellem System, getragen von den Säulen der Pairie, d) katholisch-jesuitisch-demokratisch-absolutistische Staaten. In die letzte Kategorie stellt er Oesterreich, Frankreich und Rußland. Ich halte das für ganz falsch. Solche Kategorien gibt es gar nicht. Jeder Staat hat seinen eignen Entwicklungsgang. Friedrich Wilhelm I. war weder katholisch noch demokratisch, nur absolut. Aber dergleichen Dinge machen großen Eindruck auf S. M. Das constitutionelle System, welches die Majoritätenherrschaft proclamirt, halte ich für nichts weniger als protestantisch." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Am folgenden Tage, 21. April, schrieb mir der König: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Ich schrieb dem General Gerlach 1), ich sei eins der jüngsten Mitglieder unter diesen Leuten. Wenn ich die Wünsche Sr. Majestät früher gekannt hätte, hätte ich vielleicht einen Einfluß gewinnen können; aber der Befehl des Königs, von mir in Berlin ausgeführt und in der conservativen Partei beider Häuser vertreten, würde meine parlamentarische Stellung, die für den König und seine Regirung in andern Fragen von Nutzen sein könnte, zerstören, wenn ich rein als königlicher Beauftragter, ohne eigne Gedanken zu vertreten, meinen Einfluß in der kurzen Frist von zwei Tagen verwerthen sollte. Ich fragte daher an, ob ich nicht den vom Könige erhaltenen Auftrag, mit dem Prinzen von Augustenburg zu verhandeln, als Grund für mein Wegbleiben von dem Landtage geltend machen dürfte. Ich erhielt durch den Telegraphen die Antwort, mich auf das Augustenburger Geschäft nicht zu berufen, sondern sofort nach Berlin zu kommen, reiste also am 26. April ab. Inzwischen war in Berlin auf Betrieb der conservativen Partei ein Beschluß gefaßt worden, der (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-141] den Absichten des Königs zuwiderlief, und der von Sr. Majestät unternommne Feldzug schien damit verloren zu sein. Als ich mich am 27. bei dem General von Gerlach in dem Flügel des Charlottenburger Schlosses neben der Wache meldete, vernahm ich, daß der König ungehalten über mich sei, weil ich nicht sofort abgereist sei; wenn ich gleich erschienen wäre, so würde ich den Beschluß haben verhindern können 1). Gerlach ging, um mich zu melden, zum Könige und kam nach ziemlich langer Zeit zurück mit der Antwort: Se. Majestät wolle mich nicht sehn, ich solle aber warten. Dieser in sich widersprechende Bescheid ist charakteristisch für den König; er zürnte mir und wollte das durch Versagung der Audienz zu erkennen geben, aber doch auch zugleich die Wiederannahme zu Gnaden in kurzer Frist sicher stellen. Es war das eine Art von Erziehungsmethode, wie man in der Schule gelegentlich aus der Klasse gewiesen, aber wieder hineingelassen wurde. Ich war gewissermaßen im Charlottenburger Schlosse internirt, ein Zustand, der mir durch ein gutes und elegant servirtes Frühstück erleichtert wurde. Die Einrichtung des Königlichen Haushalts außerhalb Berlins, vorzugsweise in Potsdam und Charlottenburg, war die eines Grand Seigneur auf dem Lande. Man wurde bei jeder Anwesenheit zu den üblichen Zeiten nach Bedarf verpflegt, und wenn man zwischen diesen Zeiten einen Wunsch hatte, auch dann. Die Wirthschaftsführung war allerdings nicht auf russischem Fuße, aber doch durchaus vornehm und reichlich nach unsern Begriffen, ohne in Verschwendung auszuarten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Nach etwa einer Stunde wurde ich durch den Adjutanten vom Dienst zum Könige berufen und etwas kühler als sonst, aber doch nicht so ungnädig empfangen, wie ich befürchtet hatte. Se. Majestät hatte erwartet, daß ich auf die erste Anregung erscheinen würde, und darauf gerechnet, daß ich im Stande sein würde, in den 24 Stunden bis zur Abstimmung die conservative Fraction wie auf militärisches Commando Kehrt machen und in des Königs Richtung einschwenken (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-142] zu lassen. Ich setzte auseinander, daß damit mein Einfluß auf die Fraction über- und die Unabhängigkeit derselben unterschätzt werde. Ich hätte in dieser Frage persönlich keine Ueberzeugung, die der des Königs entgegenstände, und sei bereit, die letztre bei meinen Fractionsgenossen zu vertreten, wenn er mir Zeit dazu lassen wolle und geneigt sei, seine Wünsche in neuer Gestalt nochmals geltend zu machen. Der König, sichtlich versöhnt, ging darauf ein und entließ mich mit dem Auftrage, Propaganda für seinen Plan zu machen. Letztres geschah mit mehr Erfolg, als ich selbst erwartet hatte; der Widerspruch gegen die Umgestaltung der Körperschaft hatte nur die Führer der Fraction zu Trägern, und seine Nachhaltigkeit beruhte nicht auf der Ueberzeugung der Gesammtheit, sondern auf der Autorität, welche in jeder Fraction die anerkannten Leiter zu haben pflegen - und nicht mit Unrecht, da sie in der Regel die besten Redner und gewöhnlich die einzigen arbeitsamen Geschäftsleute sind und den Uebrigen die Mühe abnehmen, die vorkommenden Fragen zu studiren. Ein Opponent in der Fraction, der nicht das gleiche Ansehn hat, wird von dem Fractionsführer, welcher gewöhnlich der schlagfertigere Redner ist, sehr leicht in einer Weise abgeführt, welche ihm für die Zukunft die Lust zur Auflehnung benimmt, wenn er nicht mit einem Mangel an Schüchternheit begabt ist, der bei uns grade in den Klassen, denen die Conservativen meistens angehören, nicht häufig ist. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-143] Auffassung des Königs, als für das Zusammenhalten mit ihm hatte. Die Fractionsleitung blieb bei der Abstimmung isolirt; fast die gesammte Fraction war bereit, dem Könige auf seinem Wege zu folgen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Wenn ich heut auf diese Vorgänge zurückblicke, so scheint es mir, daß die drei oder sechs Führer, gegen welche ich die conservative Fraction aufwiegelte, im Grunde dem Könige gegenüber Recht hatten. Die Erste Kammer war zur Lösung der Aufgaben, welche einer solchen im constitutionellen Leben zufallen, befähigter als das heutige Herrenhaus. Sie genoß in der Bevölkerung eines Ansehns, welches das Herrenhaus sich bisher nicht erworben hat. Das letztre hat zu einer hervorragenden politischen Leistung nur in der Conflictszeit Gelegenheit gehabt und sich damals durch die furchtlose Treue, mit der es zur Monarchie stand, auf dem defensiven Gebiete der Aufgabe eines Oberhauses völlig gewachsen gezeigt. Es ist wahrscheinlich, daß es in kritischen Lagen der Monarchie dieselbe tapfere Festigkeit beweisen wird. Ob es aber für Verhütung solcher Krisen in den scheinbar friedlichen Zeiten, in denen sie sich vorbereiten können, denselben Einfluß ausüben wird, wie jene Erste Kammer gethan hat, ist mir zweifelhaft. Es verräth einen Fehler in der Constitution, wenn ein Oberhaus in der Einschätzung der öffentlichen Meinung ein Organ der Regirungspolitik oder selbst der königlichen Politik wird. Nach der preußischen Verfassung hat der König mit seiner Regirung an und für sich einen gleichwerthigen Antheil an der Gesetzgebung, wie jedes der beiden Häuser; er hat nicht nur sein volles Veto, sondern die ganze vollziehende Gewalt, vermöge deren die Initiative in der Gesetzgebung factisch und die Ausführung der Gesetze auch rechtlich der Krone zufällt. Das Königthum ist, wenn es sich seiner Stärke bewußt ist und den Muth hat, sie anzuwenden, mächtig genug für eine verfassungsmäßige Monarchie, ohne eines ihm gehorsamen Herrenhauses als einer Krücke zu bedürfen. Auch wenn das Herrenhaus in der Conflictszeit sich für die ihm zugehenden Etatsgesetze (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-144] die Beschlüsse des Abgeordnetenhauses angeeignet hätte, so wäre immer, um ein Statsgesetz nach Art. 99 zu Stande zu bringen, die Zustimmung des dritten Factors, des Königs, unentbehrlich gewesen, um dem Etat Gesetzeskraft zu geben. Nach meiner Ueberzeugung würde König Wilhelm seine Zustimmung auch dann versagt haben, wenn das Herrenhaus in seinen Beschlüssen mit dem Abgeordnetenhause übereingestimmt hätte. Daß die "Erste Kammer" das gethan haben würde, glaube ich nicht, vermuthe im Gegentheil, daß ihre durch Sachlichkeit und Leidenschaftslosigkeit überlegnen Debatten schon viel früher auf das Abgeordnetenhaus mäßigend eingewirkt und dessen Ausschreitungen zum Theil verhindert haben würden. Das Herrenhaus hatte nicht dasselbe Schwergewicht in der öffentlichen Meinung, man war geneigt, in ihm eine Doublüre der Regirungsgewalt und eine parallele Ausdrucksform des königlichen Willens zu sehn. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Ich war schon damals solchen Erwägungen nicht unzugänglich, hatte im Gegentheil dem Könige gegenüber, als er seinen Plan wiederholt mit mir besprach, lebhaft befürwortet, neben einer gewissen Anzahl erblicher Mitglieder den Hauptbestand des Herrenhauses aus Wahlcorporationen hervorgehn zu lassen, deren Unterlage die 12000 oder 13000 Rittergüter, vervollständigt durch gleichwerthigen Grundbesitz, durch die Magistrate bedeutender Städte und die Höchstbesteuerten ohne Grundbesitz nach einem hohen Census abgeben sollten, und daß der nichterbliche Theil der Mitglieder ebenso wie die des Abgeordnetenhauses der Wahlperiode und der Auflösung unterliegen sollte. Der König wies diese Ansichten so weit und geringschätzig von sich, daß ich jede Hoffnung auf eingehende Erörterung derselben aufgeben mußte. Auf dem mir neuen Gebiete der Gesetzgebung hatte ich damals nicht die Sicherheit des Glaubens an die Richtigkeit eigner Auffassungen, welche erforderlich gewesen wäre, um mich in den mir gleichfalls neuen unmittelbaren Beziehungen zu dem Könige und in den Rücksichten auf meine amtliche Stellung zum Festhalten an abweichenden eignen Ansichten (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die Haltung, welche ich in der conservativen Fraction angenommen hatte, griff störend in die Pläne ein, die der König mit mir hatte oder zu haben behauptete. Als er zu Anfang des Jahres 1854 das Ziel, mich zum Minister zu machen, directer in's Auge zu fassen begann, wurde seine Absicht nicht nur von Manteuffel bekämpft, sondern auch von der Camarilla, deren Hauptpersonen der General Gerlach und Niebuhr waren. Diese, ebenso wie Manteuffel, waren nicht geneigt, den Einfluß auf den König mit mir zu theilen, und glaubten sich mit mir im täglichen Zusammenleben nicht so gut wie in der Entfernung zu vertragen. Gerlach wurde in dieser Voraussetzung bestärkt durch seinen Bruder, den Präsidenten, der die Gewohnheit hatte, mich als einen PilatusCharakter zu bezeichnen auf der Basis: Was ist Wahrheit? also als einen unsichern Fractionsgenossen. Dieses Urtheil über mich kam auch in den Kämpfen innerhalb der conservativen Fraction und ihres intimern Comités mit Schärfe zum Ausdruck, als ich, auf Grund meiner Stellung als Bundestagsgesandter und weil ich im Besitz des Vortrags bei dem Könige über die deutschen Angelegenheiten sei, einen größern Einfluß auf die Haltung der Fraction in der deutschen und der auswärtigen Politik verlangte, während der Präsident Gerlach und Stahl die absolute Gesammtleitung nach allen Seiten hin in Anspruch nahmen. Ich befand mich im Widerspruche mit Beiden, mehr aber mit Gerlach als mit Stahl, und (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Im Winter 1853 zu 1854 ließ mich der König wiederholt kommen und hielt mich oft lang fest; ich verfiel dadurch äußerlich in die Kategorie der Streber, die am Sturze Manteuffel's arbeiteten, den Prinzen von Preußen gegen seinen Bruder einzunehmen, für sich Stellen oder wenigstens Aufträge herauszuschlagen suchten und dann und wann von dem Könige als Rivalen Manteuffels cum spe succedendi behandelt wurden. Nachdem ich mehrmals von dem Könige gegen Manteuffel in der Weise ausgespielt worden war, daß ich Gegenentwürfe von Depeschen zu machen hatte, bat ich Gerlach, den ich in einem kleinen Vorzimmer neben dem Cabinet des Königs in dem längs der Spree hinlaufenden Flügel des Schlosses fand, mir die Erlaubniß zur Rückkehr nach Frankfurt zu erwirken. Gerlach trat in das Cabinet und sprach, der König rief: "Er soll in des Teufels Namen warten, bis ich ihm befehle abzureisen!" Als Gerlach herauskam, sagte ich lachend, ich hätte den Bescheid schon. Ich blieb also noch eine Zeit lang in Berlin. Als es endlich zur Abreise kam, hinterließ ich den Entwurf eines eigenhändigen, von dem Könige an den Kaiser Franz Joseph zu richtenden Schreibens, den ich auf Befehl Seiner Majestät ausgearbeitet und den Manteuffel dem Könige vorzulegen übernommen hatte, nachdem er sich mit mir über den Inhalt verständigt haben würde. Der Schwerpunkt lag in dem Schlußsatze, aber auch ohne diesen bildete der Entwurf ein abgerundetes Aktenstück, freilich von wesentlich modificirter Tragweite. Ich bat den Flügeladjutanten vom Dienst unter Mittheilung einer Abschrift des Concepts, den König darauf aufmerksam zu machen, daß der Schlußsatz das entscheidende Stück des Erlasses sei. Diese Vorsichtsmaßregel war im Auswärtigen Amte nicht bekannt; (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Um eine ernstere, in den Verlauf der Dinge eingreifende Frage der Redaction handelte es sich im August 1854. Der König befand sich in Rügen; ich war auf dem Wege von Frankfurt nach Reinfeld, wo meine Frau krank lag, als am 29. August in Stettin ein höherer Postbeamter, der angewiesen war, auf mich zu fahnden, mir eine Einladung des Königs nach Putbus ausrichtete. Ich hätte mich gern gedrückt, der Postbeamte aber begriff nicht, wie ein Mann von altem preußischen Schlage sich einer solchen Aufforderung entziehn wolle. Ich ging nach Rügen, nicht ohne Sorge vor neuen Zumuthungen, Minister zu werden und dadurch in unhaltbare Beziehungen zum Könige zu gerathen. Der König empfing mich am 30. August gnädig und setzte mich von einer vorliegenden Meinungsverschiedenheit über die durch den Rückzug der Russen aus den Donaufürstenthümern entstandene Situation in Kenntniß. Es handelte sich um die Depesche des Grafen Buol vom 10. August und einen von Manteuffel vorgelegten Entwurf einer Antwort, den der König zu östreichisch fand. Auf Befehl machte ich einen andern Entwurf, der von Sr. Majestät genehmigt und nach Berlin geschickt wurde, um im Widerspruch mit dem leitenden Minister zunächst an den Grafen Arnim in Wien gesandt und dann den deutschen Regirungen mitgetheilt zu werden 1). Die durch Annahme meines Entwurfs bekundete Stimmung des Königs zeigte sich auch in dem Empfang des Grafen Benckendorf, der mit Briefen und mündlichen Aufträgen in Putbus eintraf, und den ich mit der Nachricht hatte empfangen können, daß die Engländer und Franzosen in der Krim (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-148] gelandet seien. "Freut mich," erwiderte er, "da sind wir sehr stark." Es wurde russische Strömung. Ich glaubte, politisch meine Schuldigkeit gethan zu haben, hatte schlechte Nachrichten von meiner Frau und bat um die Erlaubniß abzureisen. Sie wurde mir indirect dadurch verweigert, daß ich auf das Gefolge übertragen wurde, ein hoher Gunstbeweis. Gerlach warnte mich, ihn nicht zu überschätzen. "Bilden Sie sich nur nicht ein," sagte er, "daß Sie politisch geschickter gewesen sind als wir. Sie sind augenblicklich in Gunst, und der König schenkt Ihnen diese Depesche, wie er einer Dame ein Bouquet schenken würde." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Wie wahr das war, erfuhr ich sofort, aber in vollem Umfange erst später nach und nach. Als ich darauf bestand, abzureisen, und in der That am 1. September abreiste, erfolgte eine ernste Ungnade des Königs; mir wäre meine Häuslichkeit doch mehr werth als das ganze Reich, hatte er zu Gerlach gesagt. Aber wie tief die Verstimmung gegangen war, wurde mir erst während und nach meiner Pariser Reise klar. Mein beifällig aufgenommener Depeschen-Entwurf wurde telegraphisch angehalten und dann geändert. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Im Sommer 1855 lud unser Gesandter in Paris, Graf Hatzfeldt, mich zum Besuche der Industrie-Ausstellung ein 1); er theilte noch den damals in diplomatischen Kreisen verbreiteten Glauben, daß ich ehestens der Nachfolger Manteuffel's im Auswärtigen Amt werden würde. Wenn der König sich mit einem solchen Gedanken abwechselnd getragen hatte, so wußte man in intimen Hofkreisen doch damals schon, daß eine Wandelung vorgegangen sei. Der Graf Wilhelm Redern, den ich in Paris traf, sagte mir, die Gesandten glaubten noch immer, daß ich zum Minister bestimmt sei, er selbst habe das auch geglaubt; aber die Stimmung des Königs sei umgeschlagen, Näheres wisse er nicht. Wohl seit Rügen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Der 15. August, Napoleonstag, wurde u. A. dadurch gefeiert, daß man russische Gefangene durch die Straßen führte. Am 19. traf die Königin von England ein, der zu Ehren am 25. August ein großes Ballfest in Versailles stattfand, auf dem ich ihr und dem Prinzen Albert vorgestellt wurde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-150] antiwestmächtliche Einwirkung auf den König nicht unbekannt war. Nach der ihm eignen Sinnesweise suchte er die Beweggründe meines Verhaltens nicht da, wo sie lagen, nämlich in dem Interesse an der Unabhängigkeit meines Vaterlandes von fremden Einflüssen, Einflüssen, die in unsrer kleinstädtischen Verehrung für England und Furcht vor Frankreich einen empfänglichen Boden fanden, sowie in dem Wunsche, uns von einem Kriege freizuhalten, den wir nicht in unserm Interesse, sondern in Abhängigkeit von östreichischer und englischer Politik geführt haben würden. In den Augen des Prinzen war ich, was ich natürlich nicht dem momentanen Eindruck bei meiner Vorstellung, sondern anderweitiger Sach- und Aktenkunde entnahm, ein reactionärer Parteimann, der sich auf die Seite Rußlands stellte, um eine absolutistische und Junker-Politik zu fördern. Es konnte nicht befremden, daß diese Ansicht des Prinzen und der damaligen Parteigenossen des Herzogs von Coburg sich auf die Tochter des Erstern, welche demnächst unsre Kronprinzessin wurde, übertragen hatte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Schon bald nach ihrer Ankunft in Deutschland, im Februar 1858, konnte ich durch Mitglieder des königlichen Hauses und aus eignen Wahrnehmungen die Ueberzeugung gewinnen, daß die Prinzessin gegen mich persönlich voreingenommen war. Ueberraschend war mir dabei nicht die Thatsache, wohl aber die Form, wie ihr damaliges Vorurtheil gegen mich im engen Familienkreise zum Ausdruck gekommen war: sie traue mir nicht. Auf Abneigung wegen meiner angeblich anti-englischen Gesinnung und wegen Ungehorsams gegen englische Einflüsse war ich gefaßt; daß die Frau Prinzessin sich aber in der Folgezeit bei der Beurtheilung meiner Persönlichkeit von weitergehenden Verleumdungen beeinflussen ließ, mußte ich vermuthen, als sie in einem Gespräche, das sie mit mir, ihrem Tischnachbar, nach dem 1866er Kriege führte, in halb scherzendem Tone sagte: ich hätte den Ehrgeiz, König zu werden oder wenigstens Präsident einer Republik. Ich antwortete in demselben halb scherzenden Tone, ich sei für meine Person zum Republikaner (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-151] verdorben, in den royalistischen Traditionen der Familie aufgewachsen und bedürfe zu meinem irdischen Behagen einer monarchischen Einrichtung, dankte aber Gott, daß ich nicht dazu berufen sei, wie ein König auf dem Präsentirteller zu leben, sondern bis an mein Ende ein getreuer Unterthan des Königs zu sein. Daß diese meine Ueberzeugung aber allgemein erblich sein würde, ließe sich nicht verbürgen, nicht weil die Royalisten ausgehn würden, sondern vielleicht die Könige. Pour faire un civet, il faut un lièvre, et pour une monarchie, il faut un roi. Ich könnte nicht dafür gut sagen, daß in Ermanglung eines solchen die nächste Generation nicht republikanisch werden könne. Indem ich mich so äußerte, war ich nicht frei von Sorge in dem Gedanken an einen Thronwechsel ohne Uebergang der monarchischen Traditionen auf den Nachfolger. Die Prinzessin vermied indessen jede ernsthafte Wendung und blieb in dem scherzenden Tone, liebenswürdig und unterhaltend wie immer; sie machte mir mehr den Eindruck, daß sie einen politischen Gegner necken wollte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die Königin Victoria sprach auf jenem Balle in Versailles mit mir deutsch. Ich hatte von ihr den Eindruck, daß sie in mir eine merkwürdige, aber unsympathische Persönlichkeit sah, doch war ihre Tonart ohne den Anflug von ironischer Ueberlegenheit, den ich bei dem Prinzen Albert durchzufühlen glaubte. Sie blieb freundlich und höflich wie Jemand, der einen wunderlichen Kauz nicht unfreundlich behandeln will. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Daß mein Besuch in Paris am heimathlichen Hofe mißfallen und die gegen mich bereits vorhandene Verstimmung besonders bei der Königin Elisabeth gesteigert hatte, konnte ich Ende September desselben Jahres wahrnehmen. Während der König die Rheinreise zum Dombaufest nach Köln machte, meldete ich mich in Coblenz und wurde mit meiner Frau von dem Könige zur Mitfahrt nach Köln auf dem Dampfschiff eingeladen, meine Frau aber von der Königin an Bord und in Remagen ignorirt 1). Der Prinz von Preußen, der das bemerkt hatte, gab meiner Frau den Arm und führte sie zu Tisch. Nach Aufhebung der Tafel bat ich um die Erlaubniß, nach Frankfurt zurückzukehren, die ich erhielt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Erst im folgenden Winter, während dessen der König sich mir (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Der König lachte dazu in einer Weise, die mich verdroß und zu der Frage veranlaßte, ob ich mir gestatten dürfe, die augenblicklichen Gedanken Sr. Majestät zu errathen. Der König bejahte und ich sagte: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Der König sagte lachend: "Sie mögen Recht haben; aber ich kenne den jetzigen Napoleon nicht hinreichend, um Ihren Eindruck bestreiten zu können, daß sein Herz besser sei, als sein Kopf." Daß die Königin mit meiner Ansicht unzufrieden war, konnte ich aus den kleinen Aeußerlichkeiten entnehmen, durch welche sich bei Hofe die Eindrücke kenntlich machen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-157] interessirt mich nur insoweit, als es auf die Lage meines Vaterlandes reagirt, und wir können Politik nur mit dem Frankreich treiben, welches vorhanden ist, dieses aber aus den Combinationen nicht ausschließen. Ein legitimer Monarch wie Ludwig XIV. ist ein ebenso feindseliges Element wie Napoleon I., und wenn dessen jetziger Nachfolger heut auf den Gedanken käme zu abdiciren, um sich in die Muße des Privatlebens zurückzuziehn, so würde er uns garkeinen Gefallen damit thun, und Heinrich V. würde nicht sein Nachfolger sein; auch wenn man ihn auf den vacanten und unverwehrten Thron hinaufsetzte, würde er sich nicht darauf behaupten. Ich kann als Romantiker eine Thräne für sein Geschick haben, als Diplomat würde ich sein Diener sein, wenn ich Franzose wäre, so aber zählt mir Frankreich, ohne Rücksicht auf die jeweilige Person an seiner Spitze, nur als ein Stein und zwar ein unvermeidlicher in dem Schachspiel der Politik, ein Spiel, in welchem ich nur meinem Könige und meinem Lande zu dienen Beruf habe. Sympathien und Antipathien in Betreff auswärtiger Mächte und Personen vermag ich vor meinem Pflichtgefühl im auswärtigen Dienste meines Landes nicht zu rechtfertigen, weder an mir noch an Andern; es ist darin der Embryo der Untreue gegen den Herrn oder das Land, dem man dient. Insbesondre aber, wenn man seine stehenden diplomatischen Beziehungen und die Unterhaltung des Einvernehmens im Frieden danach zuschneiden will, so hört man m. E. auf, Politik zu treiben und handelt nach persönlicher Willkür. Die Interessen des Vaterlandes dem eignen Gefühl von Liebe oder Haß gegen Fremde unterzuordnen, dazu hat meiner Ansicht nach selbst der König nicht das Recht, hat es aber vor Gott und nicht vor mir zu verantworten, wenn er es thut, und darum schweige ich über diesen Punkt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-160] merkwürdig zu sehn, wie Oestreich die stärksten Anstrengungen mache, um hinein zu gerathen. Ich frage noch weiter und bitte Sie, mich in Antwort nicht mit einer ausweichenden Wendung abzufinden: gibt es nächst Oestreich Regirungen, die weniger den Beruf fühlen, etwas für Preußen zu thun, als die deutschen Mittelstaaten? Im Frieden haben sie das Bedürfniß, am Bunde und im Zollverein Rollen zu spielen, ihre Souveränetät an unsern Gränzen geltend zu machen, sich mit von der Heydt zu zanken, und im Kriege wird ihr Verhalten durch Furcht oder Mißtrauen für oder gegen uns bedingt, und das Mißtrauen wird ihnen kein Engel ausreden können, so lange es noch Landkarten gibt, auf die sie einen Blick werfen können. Und nun noch eine Frage: Glauben Sie denn und glaubt Se. Majestät der König wirklich noch an den Deutschen Bund und seine Armee für den Kriegsfall? ich meine nicht für den Fall eines französischen Revolutionskrieges gegen Deutschland im Bunde mit Rußland, sondern in einem Interessenkriege, bei dem Deutschland mit Preußen und Oestreich auf ihren alleinigen Füßen zu stehn angewiesen wären. Glauben Sie daran, so kann ich allerdings nicht weiter discutiren, denn unsre Prämissen wären zu verschieden. Was könnte Sie aber berechtigen, daran zu glauben, daß die Großherzöge von Baden und Darmstadt, der König von Würtemberg oder Baiern den Leonidas für Preußen und Oestreich machen sollten, wenn die Uebermacht nicht auf deren Seite ist und niemand an Einheit und Vertrauen zwischen beiden, Preußen und Oestreich nämlich, auch nur den mäßigsten Grund hat zu glauben? Schwerlich wird der König Max in Fontainebleau dem Napoleon sagen, daß er nur über seine Leiche die Gränze Deutschlands oder Oestreichs passiren werde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-162] glauben, Frankreichs seien sie gegen uns immer sicher und wir jeder Zeit hülfsbedürftig gegen Frankreich, so ist das für Friedensdiplomatie ein großer Gewinn; wenn wir diese Hülfsmittel verschmähn, sogar das Gegentheil thun, so weiß ich nicht, warum wir nicht lieber die Kosten der Diplomatie sparen oder reduciren, denn diese Kaste vermag mit allen Arbeiten nicht zu Wege zu bringen, was der König mit geringer Mühe kann, nämlich Preußen eine angesehne Stellung im Frieden durch den Anschein von freundlichen Beziehungen und möglichen Verbindungen wiederzugeben. Nicht minder vermag Se. Majestät durch ein [Zur]schautragen kühler Verhältnisse leicht alle Arbeit der Diplomaten zu lähmen; denn was soll ich hier oder einer unsrer andern Gesandten durchsetzen, wenn wir den Eindruck machen, ohne Freunde zu sein oder auf Oestreichs Freundschaft zu rechnen. Man muß nach Berlin kommen, um nicht ausgelacht zu werden, wenn man von Oestreichs Unterstützung in irgend einer für uns erheblichen Frage sprechen will. Und selbst in Berlin kenne ich doch nachgrade nur einen sehr kleinen Kreis, bei dem das Gefühl der Bitterkeit nicht durchbräche, sobald von unsrer auswärtigen Politik die Rede ist. Unser Recept für alle Uebel ist, uns an die Brust des Grafen Buol zu werfen und ihm unser brüderliches Herz auszuschütten. Ich erlebte in Paris, daß ein Graf So und So gegen seine Frau auf Scheidung klagte, nachdem er sie, eine ehemalige Kunstreiterin, zum 24. Male im flagranten Ehebruch betroffen hatte; er wurde als ein Muster von galantem und nachsichtigem Ehemann von seinem Advocaten vor Gericht gerühmt, aber gegen unsern Edelmuth mit Oestreich kann er sich doch nicht messen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-163] vieles zu Gute und lassen uns viel gefallen dafür, selbst im Beutel. Aber wenn wir uns für's Innre sagen müssen, daß wir mehr durch unsre guten Säfte die Krankheiten ausstoßen, welche unsre ministeriellen Aerzte uns einimpfen, als daß wir von ihnen geheilt und zu gesunder Diät angeleitet würden, so sucht man im Auswärtigen vergebens nach einem Trost dafür. Sie sind doch, verehrtester Freund, au fait von unsrer Politik; können Sie mir nun ein Ziel nennen, welches dieselbe sich etwa vorgesteckt hat, auch nur einen Plan auf einige Monate hinaus; grade rebus sic stantibus weiß man da, was man eigentlich will? weiß das irgend Jemand in Berlin und glauben Sie, daß bei den Leitern eines andern Staates dieselbe Leere an positiven Zwecken und Ideen vorhanden ist? Können Sie mir ferner einen Verbündeten nennen, auf welchen Preußen zählen könnte, wenn es heut grade zum Kriege käme, oder der für uns spräche bei einem Anliegen, wie etwa das Neuenburger, oder der für uns irgend etwas thäte, weil er auf unsern Beistand rechnet oder unsre Feindschaft fürchtet? Wir sind die gutmüthigsten, ungefährlichsten Politiker, und doch traut uns eigentlich niemand; wir gelten wie unsichre Genossen und ungefährliche Feinde, ganz als hätten wir uns im Aeußern so betragen und wären im Innern so krank wie Oestreich. Ich spreche nicht von der Gegenwart; aber können Sie mir einen positiven Plan (abwehrende genug) oder eine Absicht nennen, die wir seit dem Radowitzischen Dreikönigsbündniß in auswärtiger Politik gehabt haben? Doch, den Jahdebusen; der bleibt aber bisher ein todtes Wasserloch, und den Zollverein werden wir uns von Oestreich ganz freundlich ausziehn lassen, weil wir nicht den Entschluß haben, einfach Nein zu sagen. Ich wundre mich, wenn es bei uns noch Diplomaten gibt, denen der Muth, einen Gedanken zu haben, denen die sachliche Ambition, etwas leisten zu wollen, nicht schon erstorben ist, und ich werde mich ebenso gut wie meine Collegen darin finden, einfältig meine Instruction zu vollziehn, den Sitzungen beizuwohnen und mich der Theilnahme für den allgemeinen Gang unsrer Politik (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-166] würde ich mich auf eine gründliche Widerlegung nicht einlassen, indem eine solche doch zu nichts führen könnte. Haben Sie das Bedürfniß, mit mir principiell nicht auseinander zu gehen, so liegt es uns doch zunächst ob, dieses Princip aufzusuchen und sich nicht an Negationen zu halten, wie z. B. ‚Ignoriren von Realitäten', ‚Ausschließen von Frankreich aus den politischen Combinationen'. Ebensowenig dürften wir das gemeinschaftliche Princip in dem ,preußischen Patriotismus', ‚in der Schädlichkeit und Nützlichkeit für Preußen', ‚in dem ausschließlichen Dienst des Königs und des Landes' finden, denn das sind Dinge, die sich von selbst verstehen und bei denen Sie doch auf die Antwort gefaßt sein müssen, daß ich diese Dinge in meiner Politik noch besser und mehr als in der Ihrigen und in jeder andern zu finden glaube. Mir ist aber das Aufsuchen des Princips gerade deshalb von der größten Wichtigkeit, weil ich, ohne ein solches gefunden zu haben, alle politischen Combinationen für fehlerhaft, unsicher und in hohem Grade gefährlich halte, wovon ich mich in den letzten zehn Jahren und gerade durch den Erfolg überzeugt habe. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

3. Worin unterscheidet sich die von Ihnen empfohlene Politik von der von Haugwitz von 1794-1805? Da war auch nur von einem ,Defensiv-System' die Rede. Thugut, Cobenzl, Lehrbach waren um nichts besser als Buol und Bach, Perfidien fielen Seitens Oestreichs auch vor, Rußland war noch unzuverlässiger als jetzt, dafür aber freilich England zuverlässiger. Der König war auch in seinem Herzen dieser Politik abgeneigt. ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-177] prätendirten, unsern Vorfahren für durchaus koscher, und den Vereinigten Staaten von Nordamerika haben wir schon in dem Haager Vertrage von 1785 ihren revolutionären Ursprung verziehn. Der jetzige König von Portugal hat uns in Berlin besucht, und mit dem Hause Bernadotte hätten wir uns verschwägert, wenn nicht zufällige Hindernisse eintraten. Wann und nach welchen Kennzeichen haben alle diese Mächte aufgehört, revolutionär zu sein? Es scheint, daß man ihnen die illegitime Geburt verzeiht, sobald wir keine Gefahr von ihnen besorgen, und daß man sich alsdann auch nicht prinzipiell daran stößt, wenn sie fortfahren, ohne Buße, ja mit Rühmen sich zu ihrer Wurzel im Unrecht zu bekennen. Ich sehe nicht, daß vor der französischen Revolution ein Staatsmann, sei er auch der christlichste und gewissenhafteste, auf den Gedanken gekommen wäre, sein gesammtes politisches Streben, sein Verhalten zur äußern wie zur innern Politik dem Prinzipe des ,Kampfes gegen die Revolution' unterzuordnen und die Beziehungen seines Landes zu andern lediglich an diesem Probirstein zu prüfen; und doch waren die Grundsätze der amerikanischen Revolution und der englischen Revolution, abgesehn von dem Maße des Blutvergießens und dem nach dem Nationalcharakter sich verschieden gestaltenden Unfug mit der Religion, ziemlich dieselben, wie diejenigen, welche in Frankreich die Unterbrechung der Continuität des Rechtes herbeiführten. Ich kann nicht annehmen, daß es vor 1789 nicht einige ebenso christliche und conservative Politiker, ebenso richtige Erkenner des Bösen gegeben hätte, wie wir sind, und daß die Wahrheit eines von uns als Grundlage aller Politik hinzustellenden Prinzips ihnen entgangen sein sollte. Ich finde auch nicht, daß wir auf alle revolutionäre Erscheinungen nach 1789 das Prinzip ebenso rigoros anwenden wie auf Frankreich. Die analogen Rechtszustände in Oestreich, das Prosperiren der Revolution in Portugal, Spanien, Belgien und in dem durch und durch revolutionären heutigen Dänemark, das offne Bekennen und Propagiren der revolutionären Grundideen von Seiten der englischen Regirung und das (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-178] Bethätigen derselben noch in dem Neuenburger Conflict, das alles hält uns nicht ab, die Beziehungen unsres Königs zu den Monarchen dieser Länder milder zu beurtheilen als diejenigen zu Napoleon III. Was steckt denn Besondres in dem Letzten und in der französischen Revolution überhaupt? Die unfürstliche Herkunft der Bonaparte thut viel, aber sie findet in Schweden auch statt, ohne dieselbe Consequenz. Liegt dieses ‚Besondre' grade in der Familie Bonaparte? Dieselbe hat weder die Revolution in die Welt gebracht, noch würde die Revolution beseitigt oder auch nur unschädlich gemacht, wenn man diese Familie ausrottete. Die Revolution ist viel älter als die Bonapartes und viel breiter in der Grundlage als Frankreich. Wenn man ihr einen irdischen Ursprung anweisen will, so wäre auch der nicht in Frankreich, sondern eher in England zu suchen, wenn nicht noch früher in Deutschland oder in Rom, je nachdem man die Auswüchse der Reformation oder die der römischen Kirche und die Einführung des römischen Rechtes in die germanische Welt als schuldig ansehn will. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Der Trieb zum Erobern ist England, Nordamerika, Rußland und andern nicht minder eigen als dem Napoleonischen Frankreich, und sobald Macht und Gelegenheit dazu sich finden, ist es auch bei der legitimsten Monarchie schwerlich die Bescheidenheit oder die Gerechtigkeitsliebe, welche ihm Schranken setzt. Bei Napoleon III. scheint er als Instinct nicht zu dominiren; derselbe ist kein Feldherr, und im großen Kriege, mit großen Erfolgen oder Gefahren könnte es kaum fehlen, daß die Blicke der französischen Armee, der Trägerin seiner Herrschaft, sich mehr auf einen glücklichen General als auf den Kaiser richteten. Er wird daher den Krieg nur dann suchen, wenn er sich durch innre Gefahren dazu genöthigt glaubt. Eine solche Nöthigung würde aber für den legitimen König von Frankreich, wenn er jetzt zur Regirung käme, von Hause aus vorhanden sein. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-185] Interessen und Sondergelüste der Gesammtrichtung der preußischen Politik im Wege stehn, daß darin eine Gefahr für sie liegt, gegen welche nur die Uneigennützigkeit unsres allergnädigsten Herrn eine Sicherheit für die Gegenwart bietet. Der Besuch des Franzosen bei uns würde kein Mißtrauen weiter hervorrufen, dasselbe ist im Großen und Ganzen gegen Preußen schon vorhanden, und die Gesinnungen des Königs, welche es entkräften könnten, werden Sr. Majestät nicht gedankt, sondern nur benutzt und ausgebeutet. Das etwa vorhandene ,Vertrauen' wird im Fall der Noth nicht Einen Mann für uns in's Feld bringen, die Furcht, wenn wir sie einzuflößen wissen, stellt den ganzen Bund zu unsrer Disposition. Diese Furcht würde durch ostensible Zeichen unsrer guten Beziehungen zu Frankreich eingeflößt werden. Geschieht nichts der Art, so dürfte es schwer sein, diejenigen wohlwollenden Beziehungen mit Frankreich lange durchzuführen, welche auch Sie für wünschenswerth ansehn. Denn man wirbt von dort um uns, man hat das Bedürfniß, sich ein Relief mit uns zu geben, man hofft auf eine Zusammenkunft, und ein Korb von uns müßte eine auch für andre Höfe erkennbare Abkühlung bewirken, weil sich der ,parvenu' an der empfindlichsten Seite davon betroffen fühlen würde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-187] Diesen aber zu beurtheilen, haben die Alten einen Vorzug vor den Jungen. Die Alten auf der Bühne sind hier aber der König und meine Wenigkeit, die Jungen Fra Diavolo (Manteuffel) u. s. w., denn F. D. war 1806 bis 1814 im Rheinbund und Sie noch nicht geboren. Wir haben aber den Bonapartismus 10 Jahre practisch studirt, uns ist er eingebläut worden. Unsre ganze Differenz liegt auch daher, da wir in der Wurzel einig sind, allein in der verschiedenen Ansicht des Wesens dieser Erscheinung. Sie sagen, Ludwig XIV. war auch Eroberer, das Oestreichische Viribus unitis sei auch revolutionär, die Bourbons haben mehr Schuld an der Revolution als die Bonapartes u. s. w. Sie erklären quod ab initio vitiosum, lapsu temporis convalescere nequit für einen nur doctrinär richtigen Satz (ich nicht einmal dafür, denn aus jedem Unrecht kann Recht werden und wird es im Lauf der Zeiten; aus dem wider Gottes Willen eingesetzten Königthum in Israel ging der Heiland hervor, die so sehr anerkannte Erstgeburt wird bei Ruben, Absalom u. s. w. durchbrochen, der mit der Ehebrecherin Bathseba erzeugte Salomo ist der Gesegnete des Herrn u. s. w. u. s. w.), aber es ist ein völliges Verkennen des Wesens des Bonapartismus, wenn Sie denselben mit jenen Dingen in einen Topf werfen. Bonaparte, sowohl Napoleon I. als Napoleon III., haben nicht blos einen revolutionären unrechtmäßigen Ursprung, wie Wilhelm III. vielleicht, wie der König Oscar u. s. w., sie sind selbst die incarnirte Revolution. Beide, No. I und No. III, haben das als ein Uebel erkannt und empfunden, beide haben aber nicht davon losgekonnt. Lesen Sie ein jetzt vergessenes Buch, Relations et Correspondances de Nap. Bonaparte avec Jean Fievée, da finden Sie tiefe Blicke des alten Napoleon in das Wesen der Staaten, wie denn auch der jetzige Bonaparte mir mit solchen Gedanken imponirt, z. B. mit der Feststellung der Adelstitel, Restauration der Majorate, Erkenntniß der Gefahr der Centralisation, Kampf gegen den Börsenschwindel, Wunsch, die alten Provinzen zu restauriren u. s. w. Das ändert aber das Wesen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

In Deutschland ist der preußische Einfluß so gering, weil der König sich niemals entschließen kann, den Fürsten seinen Unwillen zu zeigen. Wenn sie sich noch so nichtsnutzig betragen, so sind sie bei Jagden und in Sanssouci gern gesehn. 1806 fing Preußen den Krieg mit Frankreich unter sehr ungünstigen Auspicien an, und doch folgten ihm Sachsen, Kurhessen, Braunschweig, Weimar, während Oesterreich schon 1805 ohne allen Anhang war. ... L. v. G." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Reisen. Regentschaft.Im folgenden Jahre, 1856, begann der König sich mir wieder zu nähern; Manteuffel (vielleicht auch Andre) fürchteten, ich könnte auf seine und ihre Kosten Einfluß gewinnen. Unter diesen Verhältnissen machte mir Manteuffel den Vorschlag, ich solle das Finanzministerium übernehmen, er werde das Präsidium und das auswärtige Ressort behalten, später aber mit mir tauschen, so daß er als Vorsitzender Finanzminister, ich Auswärtiger würde. Er that, als ginge der Vorschlag von ihm aus. Obwohl mir derselbe sonderbar erschien, lehnte ich nicht grade ab, sondern erinnerte nur daran, daß die Zeitungen, als ich zum Bundesgesandten ernannt war, den Scherz des witzigen Dechanten von Westminster über Lord John Russell auf mich angewandt hatten: der Mensch würde auch das Commando einer Fregatte oder eine Steinoperation übernehmen. Wenn ich Finanzminister würde, so könnten dergleichen Urtheile mit mehr Geltung auftreten, obschon ich die unterschreibende Thätigkeit Bodelschwingh's als Finanzminister allenfalls auch würde leisten können. Es komme alles darauf an, wie lange das Interimisticum dauern solle. In der That war der Vorschlag vom Könige ausgegangen; und als der Manteuffeln fragte, was er ausgerichtet hätte, antwortete derselbe: "Er hat mich gradezu ausgelacht." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-192] Wenn der König mir wiederholt mündlich das Portefeuille Manteuffel's nicht anbot, sondern zu übernehmen befahl mit Worten, wie: "Wenn Sie sich an der Erde winden, es hilft Ihnen nichts, Sie müssen Minister werden," so behielt ich doch immer den Eindruck im Hintergrunde, daß diese Kundgebungen dem Bedürfniß entsprangen, Manteuffel zur Unterwerfung, zum "Gehorsam" zu bringen. Auch wenn es dem Könige Ernst gewesen wäre, so würde ich doch das Gefühl gehabt haben, daß ich ihm gegenüber eine annehmbare Ministerstellung nicht dauernd würde haben können 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Im März 1857 waren in Paris die Conferenzen zur Schlichtung des zwischen Preußen und der Schweiz ausgebrochenen Streites eröffnet worden. Der Kaiser, über die Vorgänge in Berliner Hofund Regirungskreisen stets wohl unterrichtet, wußte offenbar, daß der König mit mir auf vertrauterem Fuße stand, als mit andern Gesandten und mich wiederholt als Ministercandidaten in's Auge gefaßt hatte. Nachdem er in den Händeln mit der Schweiz eine für Preußen äußerlich, und namentlich im Vergleich mit der Oestreichs, wohlwollende Haltung beobachtet hatte, schien er vorauszusetzen, daß er dafür auf ein Entgegenkommen Preußens in andern Dingen zu rechnen habe; er setzte mir auseinander, daß es ungerecht sei, ihn zu beschuldigen, daß er nach der Rheingrenze strebe. Das linksrheinische deutsche Ufer mit etwa 3 Millionen Einwohnern würde für Frankreich Europa gegenüber eine unhaltbare Grenze sein; die Natur der Dinge würde Frankreich dann dahin treiben, auch Luxemburg, Belgien und Holland zu erwerben oder doch in eine sichre Abhängigkeit zu bringen. Das Unternehmen hinsichtlich der Rheingrenze würde daher Frankreich früher oder später zu einer Vermehrung von 10 bis 11 Millionen thätiger, wohlhabender Einwohner führen. Eine solche Verstärkung der französischen Macht würde von Europa unerträglich befunden werden, - "devrait engendrer la coalition", würde schwerer zu behalten, als zu nehmen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-194] Napoleon gehalten hätte. Es sei wünschenswerth, unser Gebiet durch die Erwerbung Hanovers und der Elbherzogthümer zu consolidiren, um damit die Unterlage einer stärkern preußischen Seemacht zu gewinnen. Es fehle an Seemächten zweiten Ranges, die durch Vereinigung ihrer Streitkräfte mit der französischen das jetzt erdrückende Uebergewicht Englands aufhöben. Eine Gefahr für sie selbst und für das übrige Europa könne darin nicht liegen, weil sie sich ja zu einseitig egoistisch-französischen Unternehmungen nicht einigen würden, nur für die Freiheit der Meere von der englischen Uebermacht. Zunächst wünsche er sich der Neutralität Preußens zu versichern für den Fall, daß er wegen Italien mit Oestreich in Krieg geriethe. Ich möge den König über dieses Alles sondiren. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Ich antwortete, ich sei doppelt erfreut, daß der Kaiser diese Andeutungen grade mir gemacht habe, erstens, weil ich darin einen Beweis seines Vertrauens sehn dürfe, und zweitens, weil ich vielleicht der einzige preußische Diplomat sei, der es über sich nehmen würde, diese ganze Eröffnung zu Hause und auch seinem Souverän gegenüber zu verschweigen 1). Ich bäte ihn dringend, sich dieser Gedanken zu entschlagen; es läge außer aller Möglichkeit für den König Friedrich Wilhelm IV., auf dergleichen einzugehn; eine ablehnende Antwort sei unzweifelhaft, wenn ihm die Eröffnung gemacht würde. Dabei bleibe im letztern Falle die große Gefahr einer Indiscretion im mündlichen Verkehr der Fürsten, einer Andeutung darüber, welchen Versuchungen der König widerstanden habe. Wenn eine andre deutsche Regirung in die Lage versetzt würde, über dergleichen Indiscretionen nach Paris zu berichten, so werde das für Preußen so werthvolle gute Benehmen mit Frankreich (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

In demselben Jahre benutzte ich die Ferien des Bundestages zu einem Jagdausfluge nach Dänemark und Schweden 1). In Kopenhagen hatte ich am 6. August eine Audienz bei dem Könige Friedrich VII. Er empfing mich in Uniform, den Helm auf dem Kopfe, und unterhielt mich mit übertriebenen Schilderungen seiner Erlebnisse bei verschiedenen Gefechten und Belagerungen, bei denen er garnicht zugegen gewesen war. Auf meine Sondirung, ob er glaube, daß die (zweite gemeinschaftliche vom 2. October 1855 datirte) Verfassung halten werde, erwiderte er, er habe seinem Vater auf dem Todtenbette zugeschworen, sie zu halten, wobei er vergaß, daß diese Verfassung beim Tode seines Vaters (1848) noch nicht vorhanden war. Während der Unterhaltung sah ich in einer anstoßenden sonnigen Gallerie einen weiblichen Schatten an der Wand; der König hatte nicht für mich, sondern für die Gräfin Danner geredet, über deren Verkehrsformen mit Sr. Majestät ich sonderbare Anekdoten hörte. Auch mit angesehnen Schleswig-Holsteinern hatte ich Gelegenheit, mich zu besprechen. Sie wollten von einem deutschen Kleinstaate nichts wissen; "da sei ihnen das Bischen Europäerthum in Kopenhagen noch lieber". (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Am 8. Juli hatte der König dem Kaiser von Oestreich von Marienbad aus einen Besuch in Schönbrunn gemacht. Auf dem Rückwege war er am 13. Juli zum Besuch des Königs von Sachsen in Pillnitz eingetroffen, wo er an demselben Tage von "einem Unwohlsein" befallen wurde, das in den Bulletins der Leibärzte aus der bei großer Hitze zurückgelegten Reise erklärt wurde und die Abreise um mehre Tage verzögerte. Nachdem der König am 17. nach Sanssouci zurückgekehrt war, bemerkte seine Umgebung Symptome einer geistigen Ermüdung, namentlich Edwin Manteuffel, der ängstlich bemüht war, jede Unterhaltung des Königs mit Andern zu hindern oder zu unterbrechen. Die politischen Eindrücke, die der König bei seinen Verwandten in Schönbrunn und Pillnitz erfahren, hatten auf sein Gemüth deprimirend, die Discussionen angreifend eingewirkt. Bei dem Exerciren am 27. Juli neben ihm reitend, hatte ich im Gespräch den Eindruck des Versiegens der Gedanken und Anlaß, in die Lenkung seines Pferdes im Schritt einzugreifen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Der Zustand wurde dadurch verschlimmert, daß der König am 6. October den Kaiser von Rußland, einen starken Raucher, nach dem Niederschlesisch-Märkischen Bahnhofe in dem kaiserlichen geschlossenen Salonwagen begleitet hatte, in Tabaksdampf, der ihm ebenso unerträglich war wie der Geruch des Siegellacks 1). Es folgte, wie bekannt, ein Schlaganfall. In hohen militärischen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

1) Vgl. Brief aus Königsberg vom 12. Sept. 1857, Bismarckbriefe S. 226. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-197] Kreisen war die Vorstellung verbreitet, daß ein ähnlicher Zustand ihn schon in der Nacht vom 18. zum 19. März 1848 befallen habe. Die Aerzte beriethen, ob sie einen Aderlaß machen sollten oder nicht, wovon sie im ersten Falle Störungen im Gehirn, im zweiten Tod befürchteten, und entschieden sich erst nach mehren Tagen für den Aderlaß, der den König wieder zum Bewußtsein brachte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Durch Allerhöchsten Erlaß vom 23. October wurde der Prinz von Preußen zunächst auf drei Monate mit der Stellvertretung des Königs beauftragt, die dann noch dreimal auf je drei Monate verlängert wurde und ohne nochmalige Verlängerung im October 1858 abgelaufen wäre. Im Sommer 1858 war ein ernster Versuch im Werke, die Königin zu veranlassen, die Unterschrift des Königs zu einem Briefe an seinen Bruder zu beschaffen, in dem zu sagen sei, daß er sich wieder wohl genug fühle, um die Regirung zu übernehmen, und dem Prinzen für die geführte Stellvertretung danke. Die letztre war durch einen Brief des Königs eingeleitet worden, konnte also, so argumentirte man, durch einen solchen wieder aufgehoben werden. Die Regirung würde dann, unter Controlle der königlichen Unterschrift durch Ihre Majestät die Königin, von den dazu berufenen oder sich darbietenden Herren vom Hofe geführt werden. Zu diesem Plan wurde mündlich auch meine Mitwirkung in Anspruch genommen, die ich in der Form ablehnte, das würde eine Haremsregirung werden. Ich wurde von Frankfurt nach Baden-Baden gerufen und setzte dort 2)den Prinzen von dem Plane in Kenntniß, ohne die Urheber zu nennen. "Dann nehme ich meinen Abschied!" rief der Prinz. Ich stellle ihm vor, daß das Ausscheiden aus seinen militärischen Aemtern nichts helfen, sondern die Sache schlimmer machen würde. Der Plan sei nur ausführbar, wenn das Staatsministerium dazu stille hielte. Ich rieth daher, den Minister Manteuffel, der auf seinem Gute den Erfolg des ihm bekannten Plans abwartete, telegraphisch zu citiren und durch geeignete Weisungen den Faden der Intrigue1) Vgl. Bismarck's Brief an Gerlach vom 19. Dec. 1857, Ausg. von H. Kohl S. 337 ff. und Gerlachs Antwort, Bismarck-Jahrbuch II 250 ff. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Wir haben einen dispositionsfähigen, aber regierungsunfähigen König; derselbe sagt sich selbst und muß sich sagen, daß er seit länger als Jahresfrist nicht hat regieren können, daß die Aerzte und er selbst anerkennen müssen, der Zeitpunkt, wo er wieder selbst werde regieren können, lasse sich auch entfernt nicht angeben, daß eine unnatürliche Verlängerung der bisherigen Vollmachtsertheilung nicht am Orte und dem Staate eine sich selbst allein verantwortliche (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-200] Spitze nothwendig sei; aus allen diesen Erwägungen gibt der König dem zunächst zur Krone Berufenen den Befehl, das zu thun, was für solchen Fall in der Landesverfassung vorgeschrieben ist. Die Bestimmungen der letzteren, welche gerade in diesem Punkte correct und monarchisch abgefaßt sind, werden demnächst zur Anwendung gebracht und das, wenn auch nach der Erklärung des Königs überflüssige, immerhin aber in der Verfassung mit gutem Grunde vorgeschriebene Landtagsvotum wird eingeholt, aber streng auf Beantwortung der Frage beschränkt: Ist die Einsetzung einer Regentschaft nothwendig? mit andern Worten: Ist der König mit genügendem Grund von den Geschäften entfernt? Wie man diese Frage verneinen will, ist mir nicht ersichtlich; immerhin wird es noch manche, namentlich formale Schwierigkeit zu überwinden geben. Namentlich fehlt es für die in der Verfassung vorgesehene gemeinschaftliche Sitzung an einer Geschäftsordnung. Diese wird man improvisiren müssen, indessen hoffe ich doch, daß man in etwa fünf Tagen mit der Beschlußfassung zu Stande sein wird, so daß dann der Prinz den Eid leisten und die Versammlung schließen können wird. Andre Vorlagen, namentlich solche, welche auf Geldbewilligungen sich beziehen, werden natürlich für diese Sitzung gar nicht beabsichtigt. Wenn Ihre Geschäfte es erlauben, so würde ich wünschen, daß Sie Sich zum Landtage hier einfinden und womöglich vor dessen Eröffnung hier sind. Ich höre von wunderbaren Anträgen der äußersten Rechten, die man vielleicht im allgemeinen Interesse, sowie in demjenigen dieser Herren verhindern könnte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-201] nicht ab, sondern machte bei dem Prinzen Gegenvorstellungen bezüglich der Opportunität des Momentes, Gegenvorstellungen, welche nach nicht geringer Mühe auch durchschlugen. Ich ward ermächtigt, die Maßregel wenigstens aufzuhalten und den Brief bei mir liegen zu lassen. Da schrieb Westphalen am 8. d. Mts. an den Prinzen sowohl wie an mich ein ganz wunderbares Schreiben, worin er mit Zurücknahme früherer Erklärungen seine Contrasignatur der zu erlassenden und bereits festgestellten Ordres davon abhängig machte, daß auch noch die vom Prinzen zu erlassenden Ordres speciell dem Könige zur Genehmigung vorgelegt würden, ein Verlangen, welches in der That mit Rücksicht auf den in den letzten Tagen verschlimmerten geistigen Zustand des Königs an Widersinnigkeit grenzt. Da verlor der Prinz die Geduld und machte mir Vorwürfe, nicht sogleich sein Schreiben abgeschickt zu haben, und die Sache war nun nicht mehr zu halten. Flottwells Wahl ist ohne all' mein Zuthun aus dem Prinzen selbstständig hervorgegangen, sie hat, wie Manches gegen sich, so auch Manches für sich." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Darauf ich: "Sobald Ew. Königliche Hoheit mir dieses Zeugniß geben, so muß ich natürlich schweigen, kann aber doch bei der Freiheit des Wortes, die Ew. Königliche Hoheit mir jederzeit gestattet haben, nicht umhin, meine Sorge über die heimische Situation und ihren Einfluß auf die deutsche Frage auszusprechen. Usedom ist ein brouillon, kein Geschäftsmann. Seine Instruction wird er von Berlin erhalten; wenn Graf Schlieffen Decernent für deutsche Sachen bleibt, so werden die Instructionen gut sein; an ihre gewissenhafte Ausführung glaube ich bei Usedom nicht." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-204] Gleichwohl wurde er nach Frankfurt ernannt. Daß ich ihm mit meinem Urtheil nicht Unrecht gethan, bewies sein späteres Verhalten in Turin und Florenz. Er posirte gerne als Stratege, auch als "verfluchter Kerl" und tief eingeweihter Verschwörer, hatte Verkehr mit Garibaldi und Mazzini und that sich etwas darauf zu Gute. In der Neigung zu unterirdischen Verbindungen nahm er in Turin einen angeblichen Mazzinisten, in der That östreichischen Spitzel, als Privatsekretär an, gab ihm die Akten zu lesen und den Chiffre in die Hände. Er war Wochen und Monate von seinem Posten abwesend, hinterließ Blanquets, auf welche die Legationssekretäre Berichte schrieben; so gelangten an das Auswärtige Amt Berichte mit seiner Unterschrift über Unterredungen, die er mit den italienischen Ministern gehabt haben sollte, ohne daß er diese Herrn in der betreffenden Zeit gesehn hatte. Aber er war ein hoher Freimaurer. Als ich im Februar 1869 die Abberufung eines so unbrauchbaren und bedenklichen Beamten verlangte, stieß ich bei dem Könige, der die Pflichten gegen die Brüder mit einer fast religiösen Treue erfüllte, auf einen Widerstand, der auch durch meine mehrtägige Enthaltung von amtlicher Thätigkeit nicht zu überwinden war und mich zu der Absicht brachte, meinen Abschied zu erbitten 1). Indem ich jetzt nach mehr als 20 Jahren die betreffenden Papiere wieder lese, befällt mich eine Reue darüber, daß ich damals, zwischen meine Ueberzeugung von dem Staatsinteresse und meine persönliche Liebe zu dem Könige gestellt, der erstern gefolgt bin und folgen mußte. Ich fühle mich heut beschämt von der Liebenswürdigkeit, mit welcher der König meine amtliche Pedanterie ertrug. Ich hätte ihm und seinem Maurerglauben den Dienst in Florenz opfern sollen. Am 22. Februar schrieb mir S. M.: "Ueberbringer dieser Zeilen [Cabinetsrath Wehrmann] hat mir Mittheilung von dem Auftrage gemacht, den Sie ihm für Sich gegeben haben. Wie können Sie nur daran denken, daß ich auf (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

1) Die Regierung hatte am 1. Februar 1869 im Landtage Gesetzentwurf vorgelegt, betr. die Auseinandersetzung zwischen Staat und Stadt Frankfurt, die auf einem Gutachten der Kronsyndici beruhte, vom Ministerium berathen, vom Könige genehmigt worden war. Der Frankfurter Magistrat erlangte, während die Verhandlungen über den Entwurf noch schwebten, vom Könige die Zusage, daß der Stadt Frankfurt zur vergleichsweisen Erledigung der von ihr erhobenen Ansprüche 2000000 Gulden aus der Staatscasse überwiesen werden sollten. Der Gesetzentwurf mußte entsprechend abgeändert werden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

*) Es handelte sich um die Eisenbahn Memel-Tilsit. Der König war durch einen Brief des Generals von Manteuffel bestimmt worden, von einer auf Vortrag der Ressortminister getroffenen Entscheidung wieder abzugehen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Usedom wurde zur Disposition gestellt. Se. Majestät überwand in diesem Falle die Tradition der Verwaltung des Königlichen Hausvermögens so weit, daß er ihm die finanzielle Differenz zwischen dem amtlichen Einkommen und dem Wartegelde aus der Privatchatoulle regelmäßig zahlen ließ. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Es ist in der Geschichte der europäischen Staaten wohl kaum noch einmal vorgekommen, daß ein Souverän einer Großmacht einem Nachbarn dieselben Dienste erwiesen hat, wie der Kaiser Nicolaus der östreichischen Monarchie. In der gefährdeten Lage, in welcher diese sich 1849 befand, kam er ihr mit 150000 Mann zu Hülfe, unterwarf Ungarn, stellte dort die königliche Gewalt wieder her und zog seine Truppen zurück, ohne einen Vortheil oder eine Entschädigung zu verlangen, ohne die orientalischen und polnischen Streitfragen beider Staaten zu erwähnen. Dieser uninteressirte Freundschaftsdienst auf dem Gebiet der innern Politik OestreichUngarns wurde von dem Kaiser Nicolaus in der auswärtigen Politik in den Tagen von Olmütz auf Kosten Preußens unvermindert fortgesetzt. Wenn er auch nicht durch Freundschaft, sondern durch die Erwägungen kaiserlich russischer Politik beeinflußt war, so war es immerhin mehr, als ein Souverän für einen andern zu thun pflegt, und nur in einem so eigenmächtigen und übertrieben ritterlichen Autokraten erklärlich. Nicolaus sah damals auf den Kaiser Franz Joseph als auf seinen Nachfolger und Erben in der Führung der conservativen Trias. Er betrachtete die letztre als solidarisch der Revolution gegenüber und hatte bezüglich der Fortsetzung der Hegemonie mehr Vertrauen zu Franz Joseph als zu seinem eignen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-218] Nachfolger. Noch geringer war seine Meinung von der Veranlagung unsres Königs Friedrich Wilhelm für die Führerrolle auf dem Gebiete praktischer Politik; er hielt ihn zur Leitung der monarchischen Trias für so wenig geeignet wie den eignen Sohn und Nachfolger. Er handelte in Ungarn und in Olmütz in der Ueberzeugung, daß er nach Gottes Willen den Beruf habe, der Führer des monarchischen Widerstandes gegen die von Westen vordringende Revolution zu sein. Er war eine ideale Natur, aber verhärtet in der Isolirung der russischen Autokratie, und es ist wunderbar genug, daß er sich unter allen Eindrücken, von den Decabristen an durch alle folgenden Erlebnisse hindurch, diesen idealen Schwung erhalten hatte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Wenn ich in Petersburg auf einem der kaiserlichen Schlösser Sarskoe oder Peterhof anwesend war, auch nur, um mit dem daselbst in Sommerquartier lebenden Fürsten Gortschakow zu conferiren, so fand ich in der mir angewiesenen Wohnung im Schlosse für mich und einen Begleiter ein Frühstück von mehren Gängen angerichtet, mit drei oder vier Sorten hervorragend guter Weine; andre sind mir in der kaiserlichen Verpflegung überhaupt niemals vorgekommen. Gewiß wurde in dem Haushalte viel gestohlen, aber die Gäste des Kaisers litten darunter nicht; im Gegentheil, ihre Verpflegung war auf reiche Brosamen für den "Dienst" berechnet. Keller und Küche waren absolut einwandsfrei, auch in Vorkommnissen, wo sie uncontrollirt blieben. Vielleicht hatten die Beamten, denen die nicht getrunknen Weine verblieben, durch lange Erfahrung schon einen zu durchgebildeten Geschmack gewonnen, um Unregelmäßigkeiten zu dulden, unter denen die Qualität der Lieferung gelitten hätte. Die Preise der Lieferungen waren nach allem, was ich erfuhr, allerdings gewaltig hoch. Von der Gastfreiheit des Haushalts bekam ich eine Vorstellung, wenn meine Gönnerin, die Kaiserin-Witwe Charlotte, Schwester unsers Königs, mich einlud. Dann waren für die mit mir eingeladnen Herrn der Gesandschaft zwei, und für mich drei Diners der kaiserlichen Küche entnommen. In meinem Quartier wurden für mich und meine Begleiter Frühstücke und Diners angerichtet und berechnet, wahrscheinlich auch gegessen und getrunken, als ob meine und der Meinigen Einladung zu der Kaiserin gar nicht erfolgt sei. Das Couvert für mich wurde einmal in meinem Quartier mit allem Zubehör auf- und abgetragen, das zweite Mal an der Tafel der Kaiserin in Gemeinschaft mit denen meiner Begleiter aufgelegt, und auch dort kam ich mit ihm nicht in Berührung, da ich vor dem Bette der kranken Kaiserin ohne meine Begleiter in kleiner Gesellschaft zu speisen hatte. Bei solchen Gelegenheiten pflegte die (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Sie sind wohl im Allgemeinen über die jetzt kritische Huldigungsfrage orientirt. Sie ist zum Brechen scharf zugespitzt. Der König kann nicht nachgeben, ohne sich und die Krone für immer zu ruiniren. Die Mehrzahl der Minister kann es ebenso wenig; sie würden sich die unmoralischen Bäuche aufschlitzen, sich politisch (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-241] vernichten. Sie können nicht anders als ungehorsam sein und bleiben. Bis jetzt haben ich, der ich eine ganz entgegengesetzte Position zur brennenden Frage eingenommen, und (Edwin) Manteuffel mit Mühe verhindert, daß der König sich beuge. Er würde es thun, wenn ich dazu riethe, aber ich hoffe zu Gott, daß er meine Zunge lähme, bevor sie zustimmt. Aber ich stehe allein, ganz allein; Edwin Manteuffel geht heute auf die Festung 1). Gestern endlich hat mir der König erlaubt, mich für ihn nach andern Ministern umzusehen. Er ist der trostlosen Ansicht, er fände, außer bei Stahl und Cp., keine Männer, die die Huldigung mit Eidesleistung für zulässig erachten. Ich frage nun, ob Sie die althergebrachte Erbhuldigung für ein Attentat gegen die Verfassung halten? Antworten Sie darauf mit Ja, so habe ich mich getäuscht, wenn ich annahm, daß Sie meiner Ansicht seien. Treten Sie dieser aber bei und meinen Sie, daß es ein doctrinärer Schwindel, eine Folge politischer Engagements und politischer Parteistellung sei, wenn die lieben Gespielen sich nicht in der Lage zu befinden glauben: so werden Sie auch nicht Anstand nehmen, in den Rath des Königs einzutreten und die Huldigungsfrage in correcter Weise zu lösen. Dann werden Sie auch Mittel finden, die beabsichtigte Urlaubsreise unverzüglich anzutreten und mich ungesäumt durch den Telegraphen zu benachrichtigen. Die Worte: ‚Ja, ich komme!' reichen aus, besser noch, wenn Sie das Datum Ihrer Ankunft hinzufügen können. Schleinitz geht unter allen Umständen, ganz abgesehen von der Huldigungsfrage. Das steht fest! Aber es ist fraglich, ob Sie sein oder Schwerins Portefeuille zu übernehmen haben werden. S. M. scheint für letzteres mehr, als für ersteres disponirt. Doch ist das cura posterior. Es kömmt darauf an, den König zu überzeugen, daß er ohne affichirten Systemwechsel ein Ministerium finden kann, wie er es braucht. Ich habe außerdem ähnliche Fragen an (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-242] Präsident von Möller und von Selchow gerichtet, bin aber noch ohne Antwort. Es ist eine trostlose Lage! Der König leidet entsetzlich. Die Nächsten aus seiner Familie sind gegen ihn und rathen zu einem faulen Frieden. Gott verhüte, daß er nachgiebt. Thäte er es, so steuerten wir mit vollen Segeln in das Schlamm-Meer des parlamentarischen Regiments. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Ich zittere vor Geschäfts-Aufregung, denn die vermehrten Lasten erdrücken mich fast im Verein mit dieser politischen misère, indeß - ein braves Pferd stürzt, aber versagt nicht. - Die Geschäftsnoth entschuldige daher auch die Kürze dieser Zeilen. Daher nur noch das Eine, daß ich die Brücke hinter mir abgebrochen habe, daß ich daher gehe, wenn der König nachgiebt, obwohl sich dies eigentlich von selbst versteht. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

"Ihr Schreiben durch den Engländer kam gestern in Sturm und Regen hier an, und störte mich in dem Behagen, mit welchem ich an die ruhige Zeit dachte, die ich in Reinfeld mit Kissinger und demnächst in Stolpmünde zu verbringen beabsichtigte. In den Streit wohlthuender Gefühle für junge Auerhühner einerseits und Wiedersehn von Frau und Kindern andrerseits tönte Ihr Commando: ,an die Pferde' mit schrillem Mißklang. Ich bin geistesträge, matt und kleinmüthig geworden, seit mir das Fundament der Gesundheit abhanden gekommen ist. Doch zur Sache. In dem Huldigungsstreit verstehe ich nicht recht, wie er so wichtig hat werden können, für beide Theile. Es ist mir rechtlich garnicht zweifelhaft, daß der König in keinen Widerstreit mit der Verfassung tritt, wenn er die Huldigung in herkömmlicher Form annimmt. Er hat das Recht, sich von jedem einzelnen seiner Unterthanen und von jeder Corporation im Lande huldigen zu lassen, wann und wo es ihm (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-243] gefällt, und wenn man meinem Könige ein Recht bestreitet, welches er ausüben will und kann, so fühle ich mich verpflichtet es zu verfechten, wenn ich auch an sich nicht von der practischen Wichtigkeit seiner Ausübung durchdrungen bin. In diesem Sinne telegraphirte ich an Schlieffen, daß ich den ,Besitztitel', auf dessen Grund ein neues Ministerium sich etabliren soll, für richtig halte, und sehe die Weigerung der andern Partei und die Wichtigkeit, welche sie auf Verhütung des Huldigungsactes legt, als doctrinäre Verbissenheit an. Wenn ich hinzufügte, daß ich die sonstige Vermögenslage nicht kenne, so meinte ich damit nicht die Personen und Fähigkeiten, mit denen wir das Geschäft übernehmen könnten, sondern das Programm, auf dessen Boden wir zu wirthschaften haben würden. Darin wird m. E. die Schwierigkeit liegen. Meinem Eindruck nach lag der Hauptmangel unsrer bisherigen Politik darin, daß wir liberal in Preußen und conservativ im Auslande auftraten, die Rechte unsres Königs wohlfeil, die fremder Fürsten zu hoch hielten. Eine natürliche Folge des Dualismus zwischen der constitutionellen Richtung der Minister und der legitimistischen, welche der persönliche Wille Seiner Majestät unsrer auswärtigen Politik gab. Ich würde mich nicht leicht zu der Erbschaft Schwerins entschließen, schon weil ich mein augenblickliches Gesundheits-Capital dazu nicht ausreichend halte. Aber selbst wenn es der Fall wäre, würde ich auch im Innern das Bedürfniß einer andern Färbung unsrer auswärtigen Politik fühlen. Nur durch eine Schwenkung in unsrer, ‚auswärtigen' Haltung kann, wie ich glaube, die Stellung der Krone im Innern von dem Andrang degagirt werden, dem sie auf die Dauer sonst thatsächlich nicht widerstehn wird, obschon ich an der Zulänglichkeit der Mittel dazu nicht zweifle. Die Pression der Dämpfe im Innern muß ziemlich hoch gespannt sein, sonst ist es garnicht verständlich, wie das öffentliche Leben bei uns von Lappalien wie Stieber, Schwark, Macdonald, Patzke, Twesten u. dergl. so aufgeregt werden konnte, und im Auslande wird man nicht begreifen, wie die Huldigungsfrage das Cabinet sprengen konnte. Man sollte (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-244] glauben, daß eine lange und schwere Mißregirung das Volk gegen seine Obrigkeit so erbittert hätte, daß bei jedem Luftzug die Flamme ausschlägt. Politische Unreife hat viel Antheil an diesem Stolpern über Zwirnsfäden; aber seit vierzehn Jahren haben wir der Nation Geschmack an Politik beigebracht, ihr aber den Appetit nicht befriedigt, und sie sucht die Nahrung in den Gossen. Wir sind fast so eitel wie die Franzosen; können wir uns einreden, daß wir auswärts Ansehn haben, so lassen wir uns im Hause viel gefallen; haben wir das Gefühl, daß jeder kleine Würzburger uns hänselt und geringschätzt und daß wir es dulden aus Angst, weil wir hoffen, daß die Reichsarmee uns vor Frankreich schützen wird, so sehn wir innre Schäden an allen Ecken, und jeder Preßbengel, der den Mund gegen die Regirung aufreißt, hat Recht. Von den Fürstenhäusern von Neapel bis Hanover wird uns keins unsre Liebe danken, und wir üben an ihnen recht evangelische Feindesliebe, auf Kosten der Sicherheit des eignen Thrones. Ich bin meinem Fürsten treu bis in die Vendée, aber gegen alle andern fühle ich in keinem Blutstropfen eine Spur von Verbindlichkeit, den Finger für sie aufzuheben. In dieser Denkungsweise fürchte ich von der unsres allergnädigsten Herrn so weit entfernt zu sein, daß er mich schwerlich zum Rathe seiner Krone geeignet finden wird. Deshalb wird er mich, wenn überhaupt, lieber im Innern verwenden. Das bleibt sich aber m. E. ganz gleich, denn ich verspreche mir von der Gesammtregirung keine gedeihlichen Resultate, wenn unsre auswärtige Haltung nicht kräftiger und unabhängiger von dynastischen Sympathien wird, an denen wir aus Mangel an Selbstvertrauen eine Anlehnung suchen, die sie nicht gewähren können und die wir nicht brauchen. Wegen der Wahlen ist es Schade, daß der Bruch sich grade so gestaltet; die gut königliche Masse der Wähler wird den Streit über die Huldigung nicht verstehn, und die Demokratie ihn entstellen. Es wäre besser gewesen, in der Militärfrage stramm zu halten gegen Kühne, mit der Kammer zu brechen, sie aufzulösen und damit der Nation zu zeigen, wie der König zu den Leuten (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-245] steht. Wird der König zu solchem Mittel im Winter greifen wollen, wenn's paßt? Ich glaube nicht an gute Wahlen für dießmal, obschon grade die Huldigungen dem Könige manches Mittel gewähren, darauf zu wirken. Aber rechtzeitige Auflösung, nach handgreiflichen Ausschreitungen der Majorität, ist ein sehr heilsames Mittel, vielleicht das richtigste, zu dem man gelangen kann, um gesunden Blutumlauf herzustellen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Ich hatte fünf Tage lang keine Zeitungen gesehn, als ich am 9. Juli in Lübeck um fünf Uhr Morgens eintraf und aus der im Bahnhofe allein vorhandnen schwedischen Ystädter Zeitung ersah, daß der König und die Minister Berlin verlassen hatten, die Krisis also beigelegt sein mußte. Am 3. Juli hatte der König das Manifest erlassen, daß er das Herkommen der Erbhuldigung festhalte, aber in Betracht der Veränderungen, welche in der Verfassung der Monarchie unter der Regirung seines Bruders eingetreten, beschlossen habe, anstatt der Erbhuldigung die feierliche Krönung zu erneuern, durch welche die erbliche Königswürde begründet sei. Ueber den Verlauf der Krisis schrieb mir Roon am 24. Juli von Brunnen (Kanton Schwyz) 2): (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-246] "Ich habe gelobt, Ihnen am ersten Regentage zu antworten und muß es daher leider schon heute thun und zwar aus einem versiegenden Dintenfaß, welches ich, falls nicht andre Hülfe kommt, auf einige Minuten zum Fenster hinaushalten werde, um seiner Armuth aufzuhelfen. - Daß wir uns immer wieder verfehlten, halte ich kaum für providentiell, lieber für sehr fatal. Die Depesche aus Frankfurt kam, Dank der Dummheit des Dienstpersonals, erst am 17. nach acht Uhr früh in meine Hände und meine sofortige Antwort darauf nach einigen Stunden als unbestellbar zurück. Um so bedenklicher wurde ich wegen meiner Abreise. Aber ich konnte sie nicht verschieben. Schleinitz im Dienste der Königin Augusta hat uns vor der Hand sehr geschadet. Das Geschwür war reif. Schl. selbst, überzeugt von der Unhaltbarkeit des gegenwärtigen Systems, hat vornehmlich deshalb seinen Abtritt genommen, wie die Ratten ein baufälliges Schiff zu verlassen pflegen. Aber er und v. d. Heydt stimmten darin überein, daß man todte abgenutzte Leute nicht durch den galvanischen Strich eines vermeintlichen Märtyrerthums wieder lebendig machen dürfe, und darum gegen mich. Schl., unterstützt von der K. A. und der Großfürstin Helene, haben obgesiegt mit Hülfe der wieder aufgenommenen Krönungsidee, für welche die Mäntel schon im Februar bestellt worden waren. Der schlecht maskirte Rückzug wurde nun angetreten und die fast fertige Ministerliste ad acta gelegt. Uebrigens bin ich zu glauben sehr geneigt, daß Schl., wie die K. A. und selbst der Fürst Hohenzollern an den nahen Untergang des jetzigen Lügensystems glauben und ihn zu befördern geneigt sind. Daß Schl. ausgetreten, ist in jeder Beziehung ein Fortschritt, wiewohl er nicht auf dem doctrinären Boden von Patow, Auerswald und Schwerin steht. Abgesehn von seiner Impotenz im Handeln stützte seine Anwesenheit das Ministerium nach oben. Der Mignon durfte nicht fallen; wohlan! er ist nun im Hafen. Wenn Graf Bernstorff nur halb der Mann ist, für den er von Vielen ausgegeben wird, so ist dieser zweite Keil wirksamer als der erste, oder er bleibt nicht vier Monate im Amte. Daß ich mich in der (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-247] Huldigungsfrage mit meinen Gespielen für immer auch äußerlich entzweit, wissen Sie wohl durch Manteuffel oder Alvensleben. Wenn ich dennoch in ‚dieser Gesellschaft' bleibe, so geschieht es, weil der K. darauf besteht und ich, unter den jetzigen Umständen von jeder Rücksicht entbunden, nunmehr mit offenem Visir fortkämpfen kann. Es sagt meiner Natur mehr zu, daß die Herren wissen, ich bin gegen ihre Recepte, als daß sie es, wie bisher, blos glauben. Gott möge weiter helfen! ich kann wenig mehr thun, als ein ehrlicher Mann bleiben und in meinen Ressorts thätig sein und Vernünftiges wirken. - Das größte Unglück in aller dieser misère ist indeß die Mattigkeit und Abgespanntheit unsres Königs. Er ist mehr wie je in der Botmäßigkeit der K. und ihrer Gehülfen. Wird er nicht körperlich wieder frischer, so ist Alles verloren, und wir schwanken weiter in das Joch des Parlamentarimus und der Republik und der Präsidentschaft Patow. Ich sehe keine, keine Rettung, wenn uns Gott der Herr nicht hilft. In dem Proceß der allgemeinen Zersetzung vermag ich nur noch einen widerstandsfähigen Organismus zu erkennen, die Armee. Sie unverfault zu erhalten: das ist die Aufgabe, die ich noch für lösbar erachte, aber freilich nur noch auf einige Zeit. Auch sie wird verpestet werden, wenn sie nicht zu Thaten kömmt, wenn ihr nicht von Oben gesunde Lebensluft zugeführt wird, und das, auch das wird alle Tage schwieriger. Habe ich darin Recht, und ich glaube es, so kann man auch nicht tadeln, daß ich in dieser Gesellschaft weiter diene. Ich will damit nicht sagen, daß; ein Andrer mein Amt nicht mit gleicher oder größerer Einsicht und Energie zu verwalten vermöchte, aber auch der Fähigste wird ein Jahr zu seiner Orientirung brauchen und - ,die Todten reiten schnell'. Wie gern ich mich zurückzöge, brauche ich Niemand zu versichern, der mich genauer kennt. In meiner Natur liegt viel mehr Neigung zur Behaglichkeit, als vor Gott Recht ist, und diese würde ich mit meiner verdienten reichlichen Pension finden, da ich weder verwöhnt bin noch ehrbedürftig. Wie sehr ich zur Faulheit neige, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-248] fühle ich jetzt, nachdem ich, wie ein abgetriebenes Arbeitsroß, des Zaumes und Geschirrs ledig, auf die Koppel gelassen bin. Fällt nichts Besonderes vor, so will ich erst in den ersten Septembertagen in mein Joch zurückkehren. Dann, denke ich, verfehlen wir uns nicht wieder. Zwar muß ich schon am 9. September wieder nach dem Rhein zu den Manövern, aber doch nur auf zehn, elf Tage. Ob der König, wie er will (?), auch Anfang September auf einige Tage nach B. gehen wird, scheint eine offene Frage. Mir scheint, es sei unerläßlich, wenn überhaupt noch von königlichem Regiment in Preußen die Rede ist. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Auf Wunsch des Ministers von Schleinitz begab ich mich am 10. Juli nach Baden-Baden, um mich bei dem Könige zu melden. Er schien von meinem Erscheinen unangenehm überrascht in der Meinung, ich komme wegen der Ministerkrisis. Ich erwähnte, ich (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

*) Der König hat seit jenem Artikel die Kreuzzeitung nicht wieder gelesen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-249] hätte gehört, dieselbe sei beigelegt, und sagte, ich sei nur gekommen, um seine persönliche Zustimmung dazu zu erbitten, daß ich meinen Urlaub bis nach der im Herbst bevorstehenden Krönung, also über die gegebenen drei Monat hinaus ausdehnen dürfe. Der König sagte das in freundlicher Weise zu und lud mich persönlich zur Tafel. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Nachdem ich den August und September in Reinfeld und Stolpmünde zugebracht hatte, traf ich am 13. October in Königsberg ein, wo am 18. die Krönung vor sich ging. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Während der Festlichkeiten sah ich, daß in der Stimmung der Königin eine Veränderung vorgegangen war, die vielleicht mit dem inzwischen erfolgten Rücktritt von Schleinitz zusammenhing. Sie ergriff die Initiative zur Besprechung national-deutscher Politik mit mir. Ich begegnete dort zum ersten Male dem Grafen Bernstorff als Minister, der zu einer bestimmten Entschließung über seine Politik noch nicht gelangt zu sein schien und mir in unsern Gesprächen den Eindruck machte, als ringe er nach einer Meinung. Die Königin zeigte sich gegen mich freundlicher als seit langen Jahren, sie zeichnete mich in augenfälliger Weise aus, offenbar über die im Augenblick von dem Könige gewünschte Linie hinaus. In einem Moment, der ceremoniell für Unterhaltung kaum Zeit bot, blieb sie vor mir, der ich in dem Haufen stand, stehn und begann mit mir ein Gespräch über deutsche Politik, dem der sie führende König, ein Zeit lang vergebens, ein Ende zu machen suchte. Das Verhalten beider Herrschaften bei dieser und andern Gelegenheiten bewies, daß damals eine Meinungsverschiedenheit über die Behandlung der deutschen Frage zwischen ihnen bestand; ich vermuthe, daß Graf Bernstorff Ihrer Majestät nicht sympathisch war. Der König vermied, mit mir über Politik zu reden, wahrscheinlich in der Besorgniß, durch Beziehungen zu mir in eine reactionäre Beleuchtung zu gerathen. Diese Besorgniß beherrschte ihn noch im Mai 1862 und sogar noch im September 1862. Er hielt mich für fanatischer als ich war. Nicht ohne Einfluß war (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Schon in der Berufung des Prinzen Adolf von HohenloheIngelfingen zum Vertreter des Ministerpräsidenten Fürsten Hohenzollern, März 1862, lag eine Art von ministerieller Wechselreiterei, die auf kurze Verfallzeit berechnet war. Der Prinz war ein kluger Herr, liebenswürdig, dem Könige unbedingt ergeben und hatte sich an unsrer innern Politik, wenn auch mehr dilettantisch, doch lebhafter betheiligt, als die meisten seiner Genossen vom standesherrlichen Adel; aber er war der Stelle eines Ministerpräsidenten in bewegten Zeiten körperlich und vielleicht auch geistig nicht mehr gewachsen und suchte diesen Eindruck, als ich ihn im Mai 1862 sah, mir gegenüber absichtlich zu verstärken, während er mich beschwor, ihn durch schleunige Uebernahme des Ministeriums von seinem Martyrium zu erlösen, unter dem er zusammenbreche. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-251] nothwendig verantwortliche Stellung eines einflußreichen Gesandten zu verzichten. Dabei konnte ich mir keine sichre Berechnung machen von dem Gewicht und der Richtung des Beistandes, den ich im Kampfe mit der steigenden Fluth der Parlamentsherrschaft bei dem Könige und seiner Gemalin, bei den Collegen und im Lande finden werde. Meine Lage, in Berlin im Gasthofe wie einer der intriguirenden Gesandten aus der Manteuffel'schen Zeit im Lichte eines Bewerbers vor Anker zu liegen, widerstrebte meinem Selbstgefühl. Ich bat den Grafen Bernstorff, mir entweder ein Amt oder meine Entlassung zu verschaffen. Er hatte die Hoffnung, bleiben zu können, noch nicht aufgegeben, er beantragte und erhielt in wenig Stunden meine Ernennung nach Paris. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

"Ich bin glücklich angekommen, wohne hier wie eine Ratte in der leeren Scheune und bin von kühlem Regenwetter eingesperrt. Gestern hatte ich feierliche Audienz, mit Auffahrt in kaiserlichen Wagen, Ceremonie, aufmarschirten Würdenträgern. Sonst kurz und erbaulich, ohne Politik, die auf un de ces jours und Privataudienz verschoben wurde. Die Kaiserin sieht sehr gut aus, wie immer. Gestern Abend kam der Feldjäger, brachte mir aber nichts aus Berlin, als einige lederne Dinger von Depeschen über Dänemark. Ich hatte mich auf einen Brief von Ihnen gespitzt. Aus einem Schreiben, welches Bernstorff an Reuß gerichtet hat, ersehe ich, daß der Schreiber auf meinen dauernden Aufenthalt hier und den seinigen in Berlin mit Bestimmtheit rechnet, und daß der König irrt, wenn er annimmt, daß jener je eher, je lieber nach London zurück verlange. Ich begreife ihn nicht, warum er nicht ganz ehrlich sagt, ich wünsche zu bleiben oder ich wünsche zu gehn, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-252] keins von beiden ist ja eine Schande. Beide Posten gleichzeitig zu behalten, ist schon weniger vorwurfsfrei. Sobald ich etwas zu berichten, d. h. den Kaiser unter vier Augen gesprochen habe, werde ich dem Könige eigenhändig schreiben. Ich schmeichle mir noch immer mit der Hoffnung, daß ich Seiner Majestät weniger unentbehrlich erscheinen werde, wenn ich ihm eine Zeit lang aus den Augen bin, und daß sich noch ein bisher verkannter Staatsmann findet, der mir den Rang abläuft, damit ich hier noch etwas reifer werde. Ich warte in Ruhe ab, ob und was über mich verfügt wird. Geschieht in einigen Wochen nichts, so werde ich um Urlaub bitten, um meine Frau zu holen, muß dann aber doch Sicherheit haben, wie lange ich hier bleibe. Auf achttägige Kündigung kann ich mich hier dauernd nicht einrichten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-253] sollte, zuckte er die Achseln, und als ich hinzusetzte, es bliebe dann nichts übrig, als daß er sich selbst erbarmte, schlüpfte er darüber hinweg, nicht abwehrend, nicht zustimmend. Daß mich dies beunruhigt, kann Sie nicht wundern. Ich nahm daher gestern Gelegenheit, an maßgebender Stelle die Ministerpräsidenten-Frage auf die Bahn zu bringen, und fand die alte Hinneigung zu Ihnen neben der alten Unentschlossenheit. Wer kann da helfen? Und wie soll dies enden? - - Keine regierungsfähige Partei! Die Demokraten sind selbstverständlich ausgeschlossen, aber die große Majorität besteht aus Demokraten und solchen, die es werden wollen, wenngleich ihr Adreßentwurf von Loyalitätsversicherungen trieft. Daneben die Constitutionellen, d. h. die Eigentlichen, ein Häuflein von wenig mehr als 20 Köpfen, Vincke an der Spitze, circa 15 Conservative, 30 Katholiken, einige 20 Polen. Wo also findet eine mögliche Regierung die nöthige Unterstützung? Welche Parthei kann bei dieser Gruppirung regieren außer den Demokraten, und diese können es, dürfen es erst recht nicht. Unter diesen Umständen, so sagt meine Logik, muß die jetzige Regierung im Amte bleiben, so schwierig es auch sein mag. Und eben deshalb muß sie sich mit Nothwendigkeit verstärken und zwar je eher, je lieber. - - Daß Graf Bernstorff immer zwei große Posten in Beschlag habe, scheint mir nun nicht eben durch Preußens Interesse geboten zu sein. Ich werde mich daher sehr freuen, wenn Sie nächstens zum Ministerpräsidenten ernannt werden, obgleich ich überzeugt bin, daß B. dann binnen Kurzem aus seiner Doppelstellung treten und nicht länger den Koloß, 1 Fuß in Berlin, 1 in London, spielen wird. Ich schiebe es Ihnen in's Gewissen, keinen Gegenzug zu thun, da er schließlich dahin führen könnte und würde, den König in die offenen Arme der Demokraten zu treiben. - - Zum 11. ds. M. ist Hohenlohes Urlaub um. Er wird nicht wiederkommen, sondern nur sein Entlassungsgesuch. Und dann, ja dann hoffe ich, wird der Telegraph Sie herrufen. Alle Patrioten ersehnen dies. Wie könnten Sie da zaudern und manövriren?" (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Ich habe Ihren Brief durch Stein (damals Militär-Bevollmächtigter) richtig erhalten, offenbar unerbrochen, denn ich konnte ihn ohne theilweise Zerstörung nicht öffnen. Sie können versichert sein, daß ich durchaus keine Gegenzüge und Manövers mache; wenn ich nicht aus allen Anzeichen ersähe, daß Bernstorff garnicht daran denkt auszuscheiden, so würde ich mit Gewißheit erwarten, daß ich in wenig Tagen Paris verließe, um über London nach Berlin zu gehn, und ich würde keinen Finger rühren, um dem entgegenzuarbeiten. Ich rühre auch so keinen; aber ich kann doch auch nicht den König mahnen, mir Bernstorffs Stelle zu geben, und wenn ich ohne Portefeuille einträte, so hätten wir, Schleinitz eingerechnet, drei auswärtige Minister, von denen jeder Verantwortung gegenüber der eine sich stündlich in's Hausministerium, der andre nach London zurückzuziehn bereit ist. Mit Ihnen weiß ich mich einig, mit Jagow glaube ich es werden zu können, die Fachministerien würden mir nicht Anstoß geben; über auswärtige Dinge aber habe ich ziemlich bestimmte Ansichten; Bernstorff vielleicht auch, aber ich kenne sie nicht, und vermag mich in seine Methode und seine Formen nicht einzuleben, ich habe auch kein Vertrauen zu seinem richtigen Augenmaß für die politischen Dinge, er also vermuthlich zu dem meinigen auch nicht. So sehr lange kann die Ungewißheit übrigens nicht mehr dauern; ich warte bis nach dem 11., ob der König bei der Auffassung vom 26. v. M. 2)bleibt oder sich anderweit versorgt. Geschieht bis dahin nichts, so schreibe ich Sr. M. in der Voraussetzung, daß mein hiesiges Verhältniß definitiv wird, und ich meine häuslichen Einrichtungen danach treffe, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-255] mindestens bis zum Winter oder länger hier zu bleiben. Meine Sachen und Wagen sind noch in Petersburg, ich muß sie irgendwo unterbringen; außerdem habe ich die Gewohnheiten eines achtbaren Familienvaters, zu denen gehört, daß man irgendwo einen festen Wohnsitz hat, und der fehlt mir eigentlich seit Juli v. J., wo mir Schleinitz zuerst sagte, daß ich versetzt würde. Sie thun mir Unrecht, wenn Sie glauben, daß ich mich sträube; ich habe im Gegentheil lebhafte Anwandlungen von dem Unternehmungsgeist jenes Thieres, welches auf dem Eise tanzen geht, wenn ihm zu wohl wird. - Ich bin den Adreßdebatten einigermaßen gefolgt und habe den Eindruck, daß sich die Regirung in der Commission, vielleicht auch im Plenum, mehr hergegeben hat, als nützlich war. Was liegt eigentlich an einer schlechten Adresse? Die Leute glauben mit der angenommnen einen Sieg erfochten zu haben. In einer Adresse führt eine Kammer Manöver mit markirtem Feinde und Platzpatronen auf. Nehmen die Leute das Scheingefecht für ernsten Sieg und zerstreuen sich plündernd und marodirend auf Königlichem Rechtsboden, so kommt wohl die Zeit, daß der markirte Feind seine Batterien demaskirt und scharf schießt. Ich vermisse etwas Gemüthlichtkeit in unsrer Auffassung; Ihr Brief athmet ehrlichen Kriegerzorn, geschärft von des Kampfes Staub und Hitze. Sie haben, ohne Schmeichelei, vorzüglich geantwortet, aber es ist eigentlich schade drum, die Leute verstehn kein Deutsch. Unsern freundlichen Nachbar hier habe ich ruhig und behäbig gefunden, sehr wohlwollend für uns, sehr geneigt, die Schwierigleiten der ‚deutschen Frage' zu besprechen; er kann seine Sympathien keiner der bestehenden Dynastien versagen, aber er hofft, daß Preußen die große ihm gestellte Aufgabe mit Erfolg lösen werde, die deutsche nämlich, dann werde die Regirung auch im Innern Vertrauen gewinnen. Lauter schöne Worte. Um zu erklären, daß ich mich bisher nicht recht wohnlich einrichte, sage ich den Fragern, daß ich in Kurzem für einige Monat Urlaub zu nehmen denke, um dann mit meiner Frau wiederzukommen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Am 26. Juni hatte der Kaiser mich nach Fontainebleau eingeladen und machte mit mir einen längern Spaziergang. Im Laufe der Unterhaltung über politische Fragen des Tages und der letzten Jahre fragte er mich unerwartet, ob ich glaubte, daß der König geneigt sein würde, auf eine Allianz mit ihm einzugehn. Ich antwortete, der König hätte die freundschaftlichsten Gesinnungen für ihn, und die Vorurtheile, die früher in der öffentlichen Meinung bei uns in Betreff Frankreichs geherrscht hätten, seien so ziemlich verschwunden; aber Allianzen seien das Ergebniß der Umstände, nach denen das Bedürfniß oder die Nützlichkeit zu beurtheilen sei. Eine Allianz setze ein Motiv, einen bestimmten Zweck voraus. Der Kaiser bestritt die Nothwendigkeit einer solchen Voraussetzung; es gäbe Mächte, die freundlich zu einander ständen, und andre, bei denen das weniger der Fall sei. Angesichts einer ungewissen Zukunft müsse man sein Vertrauen nach irgend einer Seite richten. Er spreche von einer Allianz nicht mit der Absicht eines abenteuerlichen Projects; aber er finde zwischen Preußen und Frankreich eine Conformität der Interessen und darin die Elemente einer entente intime et durable. Es würde ein großer Fehler sein, die Ereignisse schaffen zu wollen; man könne ihre Richtung und Stärke nicht vorausberechnen, aber man könne sich ihnen gegenüber einrichten, se prémunir, en avisant aux moyens, pour y faire face (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-258] ihren Cours habe, so lange man sie als Leitseil für uns oder die Würzburger gebrauchte. Wenn eine französisch-östreichische Coalition nicht schon jetzt gegen uns bestände, so hätten wir das nicht Oestreich, sondern Frankreich zu danken, und nicht einer etwaigen Vorliebe Napoleons für uns, sondern seinem Mißtrauen, ob Oestreich im Stande sein werde, mit dem zur Zeit mächtigen Winde der Nationalität zu segeln. Aus alledem zog ich in dem Berichte, den ich dem Könige erstattete, nicht die Consequenz, daß wir irgend ein Bündniß mit Frankreich jetzt zu suchen hätten, wohl aber die, daß wir auf treue Bundesgenossenschaft Oestreichs gegen Frankreich nicht zählen dürften und nicht hoffen könnten, die freie Zustimmung Oestreichs zur Verbesserung unsrer Stellung in Deutschland zu erlangen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-259] eigentliche Geschäfte beruhigt die Nerven nicht. Ich ging meiner Ansicht nach auf 10 bis 14 Tage her, und bin nun 7 Wochen hier, ohne je zu wissen, ob ich in 24 Stunden noch hier wohne. Ich will mich dem Könige nicht aufdrängen, indem ich in Berlin vor Anker liege, und gehe nicht nach Hause, weil ich fürchte, auf der Durchreise durch Berlin im Gasthof auf unbestimmte Zeit angenagelt zu werden. Aus Bernstorffs Brief 1)ersehe ich, daß es dem Könige vor der Hand nicht gefällt, mir das Auswärtige zu übertragen, und daß Se. Majestät sich noch nicht über die Frage schlüssig gemacht hat, ob ich an Hohenlohes Stelle treten soll, diese Frage aber auch nicht durch Ertheilung eines Urlaubs auf 6 Wochen negativ präjudiciren will. Der König ist, wie mir Bernstorff schreibt, zweifelhaft, ob ich während der gegenwärtigen Session nützlich sein könne und ob nicht meine Berufung, wenn sie überhaupt erfolgt, zum Winter aufzuschieben sei. Unter diesen Umständen wiederhole ich heut mein Gesuch um 6 Wochen Urlaub 2), was ich mir wie folgt motivire. Einmal bin ich wirklich einer körperlichen Stärkung durch Berg- und Seeluft bedürftig; wenn ich in die Galeere eintreten soll, so muß ich etwas Gesundheitsvorrath sammeln, und Paris ist mir bis jetzt schlecht bekommen mit dem Hunde-Bummel-Leben als Garçon. Zweitens muß der König Zeit haben, sich ruhig aus eigner Bewegung zu entschließen, sonst macht Se. Majestät für die Folgen die verantwortlich, die ihn drängen. Drittens will Bernstorff jetzt nicht abgehn, der König hat ihn wiederholt aufgefordert zu bleiben, und erklärt, daß er mit mir wegen des Auswärtigen garnicht gesprochen habe; die Stellung als Minister ohne Portefeuille finde ich aber nicht haltbar. Viertens kann mein Eintritt, der jetzt zwecklos und beiläufig erscheinen würde, in einem spätern Moment als eindrucksvolles Manöver verwerthet werden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-260] Militäretat ruhig und deutlich opponirt, aber keine Krisis über dieselben herbeiführt, sondern die Kammer das Budget vollständig durchberathen läßt. Das wird, wie ich annehme, im September geschehn sein. Dann geht das Budget, von dem ich voraussetze, daß es für die Regirung nicht annehmbar ist, an das Herrenhaus, falls man sicher ist, daß die verstümmelte Budget-Vorlage dort abgelehnt wird. Dann, oder andernfalls schon vor der Berathung im Herrenhause, könnte man es, mit einer Königlichen Botschaft, welche mit sachlicher Motivirung die Zustimmung der Krone zu einem derartigen Budgetgesetz verweigert, an die Abgeordneten zurückgeben, mit der Aufforderung zu neuer Berathung. Eine 30tägige Vertagung des Landtages würde vielleicht an diesem Punkte, oder schon früher, einzuschalten sein. Je länger sich die Sache hinzieht, desto mehr sinkt die Kammer in der öffentlichen Achtung, da sie den Fehler begangen hat und noch weiter begehn wird, sich in alberne Kleinigkeiten zu verbeißen, und da sie keinen Redner hat, der nicht die Langeweile des Publikums vermehrte. Kann man sie dahin bringen, daß sie sich in solche Lappalie wie die Continuität des Herrenhauses verbeißt und darüber Krieg anfängt und die Erledigung der eigentlichen Geschäfte verschleppt, so ist es ein großes Glück. Sie wird müde werden, hoffen, daß der Regirung der Athem ausgeht, und die Kreisrichter müssen mit den Kosten ihrer Stellvertretung geängstigt werden. Wenn sie mürbe wird, fühlt, daß sie das Land langweilt, dringend auf Concessionen Seitens der Regirung hofft, um aus der schiefen Stellung erlöst zu werden, dann ist m. E. der Moment gekommen, ihr durch meine Ernennung zu zeigen, daß man weit entfernt ist, den Kampf aufzugeben, sondern ihn mit frischen Kräften aufnimmt. Das Zeigen eines neuen Bataillons in der ministeriellen Schlachtordnung macht dann vielleicht einen Eindruck, der jetzt nicht erreicht würde; besonders wenn vorher etwas mit Redensarten von Octroyiren und Staatsstreicheln gerasselt ist, so hilft mir meine alte Reputation von leichtfertiger Gewaltthätigkeit, und man denkt ‚nanu geht's (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Das Alles beruht mehr auf instinctivem Gefühl, als daß ich beweisen könnte, es sei so; und ich gehe nicht so weit, zu irgend etwas, das mir der König befiehlt, deshalb auf eigne Faust nein zu sagen. Wenn ich aber um meine Ansicht gefragt werde, so bin ich dafür, noch einige Monat hinter dem Busch gehalten zu werden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Sie werden sich ungefähr denken können, warum ich Ihnen bisher nicht geantwortet; ich hoffte und hoffte immer wieder auf eine Entscheidung oder doch auf eine Situation, welche eine akute Lösung herbeiführen müßte. Leider haben meine, unsere Leiden noch immer einen ganz chronischen Charakter. Jetzt ist ein neues Moment - die Freisprechung der Verleumder von der Heydts - hinzugetreten, aber auch das wird sich im märkischen Sande verlaufen. Ich habe mich der misère générale auf einige Tage entzogen, als ich bei der Abreise des Königs nach D(oberan) hierher (Zimmerhausen) floh, um Hühner zu schießen. Bernstorff, den ich vor 3-4 Wochen ganz entschlossen fand, seinen Posten zu verlassen, der ihm viel zu schwer und sauer wird, sagte mir vor 8 Tagen, daß er doch nicht wisse, ob er nach dem Schluß der parlamentarischen Session nicht dem Wunsche des Königs (falls er ausgesprochen werden sollte) werde nachgeben und bleiben müssen, wiewohl seine Sehnsucht nach Erlösung nicht erloschen sei, d. h. in die Wirklichkeit übersetzt, die Session hat sich so lange hingezogen, daß ihr Schluß voraussichtlich mit der Entbindung der Gräfin ungefähr zusammenfallen wird; daß daher eine Versetzungsreise im Winter alsdann noch viel weniger passen würde als ohne dies. Schon früher sagte er mir nämlich, daß seine Versetzung nach London spätestens im September stattfinden müsse, wenn sie für ihn annehmlich sein sollte. Diese vielleicht verdammliche Selbstsucht auf der einen und die Unentschlossenheit des Königs auf der anderen Seite, verbunden mit v. d. Heydts Ansicht, daß er sich zwar einen Präsidenten, nicht aber einen solchen aus der Zahl jüngerer Collegen gefallen lassen könne und werde, läßt mich zu der früheren Behauptung zurückkehren, daß Sie als Ministerpräsident und zwar vorläufig ohne Portefeuille eintreten müssen; letzteres wird sich später von selbst finden. Daß wir in die Wintersession (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-263] in der bisherigen Unvollständigkeit und Unzulänglichkeit eintreten sollten, halte ich für ganz widersinnig und unmöglich, und zu dieser Meinung habe ich mehr als eine allerhöchste Zustimmung. Gefochten muß und gefochten wird werden. An Concessionen und Compromisse ist gar nicht zu denken; am wenigsten ist der König dazu geneigt. Gefährliche Katastrophen sind daher mit Sicherheit vorauszusehen, auch ganz abgesehen von den Verwickelungen in unserer äußeren Politik, die schon jetzt einige recht interessante Verhedderungen aufzuweisen hat. - Ich kann mir denken, daß Sie, mein alter Freund, sehr disgustirt sind; ich kann an meinem eigenen Ekel den Ihrigen ermessen. Aber ich hoffe noch immer, daß Sie um deswillen nicht boudiren, sondern sich vielmehr der altritterlichen Pflicht erinnern werden, den König herauszuhauen, auch wenn er, wie geschehen, sich muthwillig in Gefahr begab. Aber Sie sind ein Mensch, und was mehr ist, ein Gatte und Familienvater. Sie wollen, neben aller Arbeit, auch eine Häuslichkeit und ein Familienleben. Sie haben ein Recht darauf, c'est convenu! Sie müssen also wissen, bald wissen, wo Ihr Bett und Ihr Schreibtisch aufgestellt werden soll, ob in Paris oder Berlin. Und das Wort des Königs, daß Sie sich in Berlin nicht etabliren sollen, ist bis jetzt, soviel ich weiß, noch nicht zurückgenommen. Sie müssen Gewißheit haben. Ich will das Meinige - und zwar nicht blos aus Selbstsucht, sondern aus patriotischem Interesse - dazu beitragen, daß Ihnen diese Gewißheit baldigst werde. Ich fingire daher, und zwar so lange, bis Sie es mir untersagen, von Ihnen zur Herbeiführung dieser Gewißheit privatim beauftragt zu sein. Nach den letzten Unterredungen mit Serenissimo über Sie habe ich ohnehin mein spezielles persönliches Interesse für Sie bereits verwerthen müssen. Ich kann daher auch von Ihrer unerträglichen Situation sprechen, die besonders darin begründet ist, daß Sie ausdrücklich verhindert werden, Sich in Paris zu etabliren. Dergleichen Motive werden verstanden, wirken daher vielleicht mehr als politische Erwägungen. Ich fingire daher Ihr (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-265] dem 8. Mai nicht gesehn habe. Bei der Gelegenheit muß ich in's Klare kommen. Ich wünsche nichts lieber, als in Paris zu bleiben, nur muß ich wissen, daß ich Umzug und Einrichtung nicht auf einige Wochen oder Monate bewirke, dazu ist mein Hausstand zu groß. Ich habe mich niemals geweigert, das Präsidium ohne Portefeuille anzunehmen, sobald es der König befiehlt; ich habe nur gesagt, daß ich die Einrichtung für eine unzweckmäßige halte. Ich bin noch heut bereit, ohne Portefeuille einzutreten, aber ich sehe garkeine ernstliche Absicht dazu. Wenn mir Se. Majestät sagen wollte: am 1. November, oder 1. Januar, oder 1. April - so wüßte ich, woran ich wäre, und bin wahrlich kein Schwierigkeitsmacher, ich verlange nur [ein Hundertstel] der Rücksicht, die Bernstorff so reichlich gewährt wird. In dieser Ungewißheit verliere ich alle Lust an den Geschäften, und ich bin Ihnen von Herzen dankbar für jeden Freundschaftsdienst, den Sie mir leisten, um ihr ein Ende zu machen. Gelingt dieß nicht bald, so muß ich die Dinge nehmen, wie sie liegen, und mir sagen, ich bin des Königs Gesandter in Paris, lasse zum 1. October Kind und Kegel dorthinkommen und richte mich ein. Ist das geschehn, so kann Se. Majestät mich des Dienstes entlassen, aber nicht mehr zwingen, nun sofort wieder umzuziehn; lieber gehe ich nach Hause aufs Land, dann weiß ich, wo ich wohne. Ich habe in meiner Einsamkeit die alte Gesundheit mit Gottes Hülfe wiedergewonnen, und befinde mich wie seit 10 Jahren nicht, von unsrer politischen Welt aber habe ich kein Wort gehört; daß der König in Doberan war, sehe ich heut aus einem Briefe meiner Frau, sonst könnte ich das D. in dem Ihrigen nicht deuten. Ebenso hatte ich nicht gehört, daß er zum 13. nach Karlsruhe geht. Ich würde Se. Majestät dort nicht mehr treffen, wenn ich mich hinbegeben wollte, auch weiß ich aus Erfahrung, daß solche Erscheinungen nicht willkommen sind; der Herr schließt daraus auf ehrgeizig drängende Absichten bei mir, die mir weiß Gott fern liegen. Ich bin so zufrieden, Sr. Majestät Gesandter in Paris zu sein, daß ich nichts erbitten möchte, als die Gewißheit, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Henning war der zweite Vorname Moritz Blanckenburgs, des Neffen von Roon. Obwohl es die Fassung zweifelhaft ließ, ob die Aufforderung aus der eignen Initiative Roons hervorgegangen oder von dem Könige veranlaßt war, zögerte ich nicht abzureisen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Am 20. September Morgens in Berlin angelangt, wurde ich zu dem Kronprinzen beschieden. Auf seine Frage, wie ich die Situation ansähe, konnte ich nur sehr zurückhaltend antworten, weil ich während der letzten Wochen keine deutschen Zeitungen gelesen und in einer Art von dépit mich über heimische Angelegenheiten nicht informirt hatte. Meine Verstimmung hatte ihren Grund darin, daß der König mir in Aussicht gestellt hatte, mir in spätestens sechs Wochen Gewißheit über meine Zukunft, d. h. darüber zu geben, ob ich in Berlin, Paris oder London mein Domizil haben sollte, daß darüber aber schon ein Vierteljahr verflossen war, und ich im (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-267]Herbst noch immer nicht wußte, wo ich im Winter wohnen würde. Ich war mit der Situation in ihren Einzelheiten nicht so vertraut, daß ich dem Kronprinzen ein programmartiges Urtheil hätte abgeben können; außerdem hielt ich mich auch nicht für berechtigt, mich gegen ihn früher zu äußern als gegen den König. Den Eindruck, den die Thatsache meiner Audienz gemacht hatte, ersah ich zunächst aus der Mittheilung Roons, daß der König mit Bezug auf mich zu ihm gesagt habe: "Mit dem ist es auch nichts, er ist ja schon bei meinem Sohne gewesen." Die Tragweite dieser Aeußerung wurde mir nicht sofort verständlich, weil ich nicht wußte, daß der König sich mit dem Gedanken der Abdication trug und voraussetzte, daß ich davon gewußt oder etwas vermuthet hätte und mich deshalb mit seinem Nachfolger zu stellen gesucht habe. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

In der That war mir jeder Gedanke an Abdication des Königs fremd, als ich am 22. September in Babelsberg empfangen wurde, und die Situation wurde mir erst klar, als Se. Majestät sie ungefähr mit den Worten präcisirte: "Ich will nicht regiren, wenn ich es nicht so vermag, wie ich es vor Gott, meinem Gewissen und meinen Unterthanen verantworten kann. Das kann ich aber nicht, wenn ich nach dem Willen der heutigen Majorität des Landtags regiren soll, und ich finde keine Minister mehr, die bereit wären, meine Regirung zu führen, ohne sich und mich der parlamentarischen Mehrheit zu unterwerfen. Ich habe mich deshalb entschlossen, die Regirung niederzulegen, und meine Abdicationsurkunde, durch die angeführten Gründe motivirt, bereits entworfen." Der König zeigte mir das auf dem Tische liegende Actenstück in seiner Handschrift, ob bereits vollzogen oder nicht, weiß ich nicht. Se. Majestät schloß, indem er wiederholte, ohne geeignete Minister könne er nicht regiren. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-268] falls andre Mitglieder sich durch meinen Eintritt zum Rücktritt bewogen finden sollten. Der König stellte nach einigem Erwägen und Hin- und Herreden die Frage, ob ich bereit sei, als Minister für die Militär-Reorganisation einzutreten, und nach meiner Bejahung die weitre Frage, ob auch gegen die Majorität des Landtages und deren Beschlüsse. Auf meine Zusage erklärte er schließlich: "Dann ist es meine Pflicht, mit Ihnen die Weiterführung des Kampfes zu versuchen, und ich abdicire nicht." Ob er das auf dem Tische liegende Schriftstück vernichtet oder in rei memoriam aufbewahrt hat, weiß ich nicht. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Der König forderte mich auf, ihn in den Park zu begleiten. Auf diesem Spaziergange gab er mir ein Programm zu lesen, das in seiner engen Schrift acht Folioseiten füllte, alle Eventualitäten der damaligen Regirungspolitik umfaßte und auf Details wie die Reform der Kreistage einging. Ich lasse es dahin gestellt sein, ob dieses Elaborat schon Erörterungen mit meinen Vorgängern zur Unterlage gedient hatte, oder ob es zur Sicherstellung gegen eine mir zugetraute conservative Durchgängerei dienen sollte. Ohne Zweifel war, als er damit umging mich zu berufen, eine Befürchtung der Art in ihm von seiner Gemalin geweckt worden, von deren politischer Begabung er ursprünglich eine hohe Meinung hatte, die aus der Zeit datirte, wo Sr. Majestät nur eine kronprinzliche Kritik der Regirung des Bruders, ohne Pflicht zu eigner besserer Leistung, zugestanden hatte. In der Kritik war die Prinzessin ihrem Gemal überlegen. Die ersten Zweifel an dieser geistigen Ueberlegenheit waren ihm gekommen, als er genöthigt war, nicht mehr nur zu kritisiren, sondern selbst zu handeln und die amtliche Verantwortung für das Bessermachen zu tragen. Sobald die Aufgaben beider Herrschaften praktisch wurden, hatte der gesunde Verstand des Königs begonnen, sich allmälig von der schlagfertigen weiblichen Beredsamkeit mehr zu emancipiren. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-269] sondern um Königliches Regiment oder Parlamentsherrschaft handle, und daß die letztre unbedingt und auch durch eine Periode der Dictatur abzuwenden sei. Ich sagte: "In dieser Lage werde ich, selbst wenn Eure Majestät mir Dinge befehlen sollten, die ich nicht für richtig hielte, Ihnen zwar diese meine Meinung offen entwickeln, aber wenn Sie auf der Ihrigen schließlich beharren, lieber mit dem Könige untergehn, als Eure Majestät im Kampfe mit der Parlamentsherrschaft im Stiche lassen." Diese Auffassung war damals durchaus lebendig und maßgebend in mir, weil ich die Negation und die Phrase der damaligen Opposition für politisch verderblich hielt im Angesicht der nationalen Aufgaben Preußens, und weil ich für Wilhelm I. persönlich so starke Gefühle der Hingebung und Anhänglichkeit hegte, daß mir der Gedanke, in Gemeinschaft mit ihm zu Grunde zu gehn, als ein nach Umständen natürlicher und sympathischer Abschluß des Lebens erschien. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Der König zerriß das Programm und war im Begriff, die Stücke von der Brücke in die trockne Schlucht im Park zu werfen, als ich daran erinnerte, daß diese Papiere mit der bekannten Handschrift in sehr unrechte Hände gerathen könnten. Er fand, daß ich Recht hätte, steckte die Stücke in die Tasche, um sie dem Feuer zu übergeben, und vollzog an demselben Tage meine Ernennung zum Staatsminister und interimistischen Vorsitzenden des Staatsministeriums, die am 23. veröffentlicht wurde. Meine Ernennung zum Ministerpräsidenten behielt der König vor, bis er mit dem Fürsten von Hohenzollern, der staatsrechtlich diese Stellung noch inne hatte, die desfallsige Correspondenz beendet haben werde 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die Königliche Autorität hatte bei uns unter dem Mangel an Selbständigkeit und Energie unsrer auswärtigen und namentlich unsrer deutschen Politik gelitten; in demselben Boden wurzelte die Ungerechtigkeit der bürgerlichen Meinung über die Armee und deren Offiziere und die Abneigung gegen militärische Vorlagen und Ausgaben. In den parlamentarischen Fractionen fand der Ehrgeiz der Führer, Redner und Minister-Candidaten Nahrung und Deckung hinter der nationalen Verstimmung. Klare Ziele hatten unsrer Politik seit dem Tode Friedrichs des Großen entweder gefehlt oder sie waren ungeschickt gewählt oder betrieben; letztres von 1786 bis 1806, wo unsre Politik planlos begann und traurig endete. Man entdeckt in ihr bis zum vollen Ausbruch der französischen Revolution keine Andeutung einer national-deutschen Richtung. Die ersten Spuren einer solchen, die sich im Fürstenbunde in den Ideen von einem preußischen Kaiserthum, in der Demarcationslinie, in der Erwerbung deutscher Landstriche finden, sind Ergebnisse nicht nationaler, sondern preußisch-particularistischer Bestrebungen. Im Jahr 1786 lag das stärkere Interesse noch nicht auf deutsch-nationalem Gebiete, sondern in dem Gedanken polnischer territorialer Erwerbungen, und bis in den Krieg von 1792 hinein war das Mißtrauen zwischen Preußen und Oestreich weniger durch die deutsche als durch die polnische Rivalität beider Mächte genährt. In den Händeln der Thugut-Lehrbach'schen Periode spielte der Streit (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-274] weniger Veranlassung vor, als die unfreundlichen Machenschaften, die kurz vorher zwischen dem Kaiser Nicolaus und König Karl X. stattgefunden hatten, dem Berliner Cabinete nicht unbekannt waren. Die Gemüthlichkeit der fürstlichen Familienbeziehungen war bei uns in der Regel stark genug, um russische Sünden zu decken, es fehlte aber die Gegenseitigkeit. Im Jahre 1813 hatte Rußland ohne Zweifel einen Anspruch auf preußische Dankbarkeit erworben; Alexander I. war im Februar 1813 und bis zum Wiener Congreß seiner Zusage, Preußen in dem status quo ante wiederherzustellen, im Großen und Ganzen treu geblieben, gewiß ohne die russischen Interessen zu vergessen, aber doch so, daß dankbare Erinnerungen Friedrich Wilhelms III. für ihn natürlich blieben. - Solche Erinnerungen waren in meinen Knabenjahren bis zum Tode Alexanders, 1825, auch in unserm Publikum noch sehr lebhaft; russische Großfürsten, Generale und gelegentlich in Berlin erscheinende SoldatenAbtheilungen genossen noch ein Erbtheil der Popularität, mit der 1813 die ersten Kosacken bei uns empfangen worden waren. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Flagrante Undankbarkeit, wie der Fürst Schwarzenberg sie proclamirte, ist in der Politik wie im Privatleben nicht nur unschön, sondern auch unklug. Wir haben aber unsre Schuld ausgeglichen, nicht nur zur Zeit der Nothlage der Russen bei Adrianopel 1829 und durch unser Verhalten in Polen 1831, sondern in der ganzen Zeit unter Nicolaus I., der der deutschen Romantik und Gemüthlichkeit ferner stand als Alexander I., wenn er auch mit seinen preußischen Verwandten und mit preußischen Offizieren freundlich verkehrte. Unter seiner Regirung haben wir als russische Vasallen gelebt, 1831, wo Rußland ohne uns kaum mit den Polen fertig geworden wäre, namentlich aber in allen europäischen Constellationen von 1831 bis 1850, wo wir immer russische Wechsel acceptirt und honorirt haben, bis nach 1848 der junge östreichische Kaiser dem russischen besser gefiel als der König von Preußen, wo der russische Schiedsrichter kalt und hart gegen Preußen und deutsche Bestrebungen entschied und sich für die Freundschaftsdienste von (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Das Deficit auf unsrer Seite war einmal durch Verwandschafts-Gefühl, durch die Gewohnheit der Abhängigkeit, in welcher die geringere Energie von der größern stand, sodann durch den Irrthum bedingt, als ob Nicolaus dieselben Gesinnungen wie Alexander I. für uns hege, und dieselben Ansprüche auf Dankbarkeit aus der Zeit der Freiheitskriege habe. In der That aber trat während der Regirung des Kaisers Nicolaus kein im deutschen Gemüth wurzelndes Motiv hervor, unsre Freundschaft mit Rußland auf dem Fuße der Gleichheit zu pflegen und mindestens einen analogen Nutzen daraus zu ziehn, wie Rußland aus unsrer Dienstleistung. Etwas mehr Selbstgefühl und Kraftbewußtsein würde unsern Anspruch auf Gegenseitigkeit in Petersburg zur Anerkennung gebracht haben, um so mehr, als 1830 nach der Juli-Revolution Preußen, trotz der Schwerfälligkeit seines Landwehr-Systems, diesem überraschenden Ereigniß gegenüber reichlich ein Jahr lang ohne Zweifel der stärkste, vielleicht der einzige zum Schlagen befähigte Militärstaat in Europa war. Wie sehr nicht nur in Oestreich, sondern auch in Rußland die militärischen Einrichtungen in 15 Friedensjahren vernachlässigt worden waren, vielleicht mit alleiniger Ausnahme der Garde des Kaisers und der polnischen Armee des Großfürsten Constantin, bewies die Schwäche und Langsamkeit der Rüstung des gewaltigen russischen Reichs gegen den Aufstand des kleinen Warschauer Königreichs. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-279] unverantwortlichen Monarchen unabhängige. Gewiß kann ein Minister abgehn, wenn er die königliche Unterschrift für das, was er für nothwendig hält, [279]nicht erlangen kann; aber er übernimmt durch sein Abtreten die Verantwortlichkeit für die Consequenzen desselben, die vielleicht auf andern Gebieten viel tiefgreifender sind als auf dem grade streitigen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Er ist außerdem durch die collegiale Form des Staatsministeriums mit ihren Majoritätsabstimmungen zu Compromissen und zu Nachgiebigkeit seinen Collegen gegenüber nach der preußischen Ministerverfassung täglich genöthigt. Eine wirkliche Verantwortlichkeit in der großen Politik aber kann nur ein einzelner leitender Minister, niemals ein anonymes Collegium mit Majoritätsabstimmung, leisten. Die Entscheidung über Wege und Abwege liegt oft in minimalen, aber einschneidenden Wendungen, zuweilen schon in der Tonart und der Wahl der Ausdrücke eines internationalen Actenstückes. Schon bei geringer Abweichung von der richtigen Linie wächst die Entfernung von derselben oft so rapid, daß der verlassene Strang nicht wieder erreicht werden kann, und die Umkehr bis zu dem Gabelpunkt, wo er verlassen wurde, unausführbar ist. Das übliche Amtsgeheimniß deckt die Umstände, unter denen eine Entgleisung stattgefunden hat, Menschenalter hindurch, und das Ergebniß der Unklarheit, in welcher der pragmatische Zusammenhang der Dinge bleibt, erzeugt bei leitenden Ministern, wie das bei manchen meiner Vorgänger der Fall war, Gleichgültigkeit gegen die sachliche Seite der Geschäfte, sobald die formale durch königliche Unterschrift oder parlamentarische Vota gedeckt erscheint. Bei Andern wieder führt der Kampf zwischen dem eignen Ehrgefühl und der Verstrickung der Competenzverhältnisse zu tödtlichen Nervenfiebern, wie bei dem Grafen Brandenburg, oder zu Symptomen von Geistesstörung, wie in einigen frühern Fällen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-280] Gerechtigkeit zu vertheilen sei. Rein menschlich gesprochen, wird sie in der Hauptsache auf dem Könige selbst beruhn bleiben, denn er hat überlegne, ihn und die Geschäfte leitende Rathgeber zu keiner Zeit gehabt. Er behielt sich die Auswahl unter den Rathschlägen nicht nur jedes einzelnen Ministers, sondern auch unter den viel zahlreichern vor, die ihm von mehr oder weniger geistreichen Adjutanten, Cabinetsräthen, Gelehrten, unehrlichen Strebern, ehrlichen Phantasten und Höflingen vorgetragen wurden. Und diese Auswahl behielt er sich oft lange vor. Es ist oft weniger schädlich, etwas Unrichtiges als nichts zu thun. Ich habe nie den Muth gehabt, die Gelegenheiten, die mir dieser persönlich so liebenswürdige Herr mehrmals, zuweilen scharf und beinahe zwingend, in den Jahren 1852 bis 1856 geboten hat, sein Minister zu werden, zu benutzen oder ihre Verwirklichung zu fördern. Wie er mich betrachtete, hätte ich ihm gegenüber keine Autorität gehabt, und seine reiche Phantasie war flügellahm, sobald sie sich auf dem Gebiete praktischer Entschlüsse geltend machen sollte. Mir fehlte die schmiegsame Gefügigkeit zur Uebernahme und ministeriellen Vertretung von politischen Richtungen, an die ich nicht glaubte, oder für deren Durchführung ich dem Könige den Entschluß und die Consequenz nicht zutraute. Er unterhielt und förderte die Elemente des Zwiespalts zwischen seinen einzelnen Ministern; die Frictionen zwischen Manteuffel, Bodelschwingh und Heydt, die in triangularem Kampfe mit einander standen, waren dem Könige angenehm und ein politisches Hülfsmittel in kleinen Detail-Gefechten zwischen königlichem und ministeriellem Einfluß. Manteuffel hat mit vollem Bewußtsein die Camarilla-Thätigkeit von Gerlach, Rauch, Niebuhr, Bunsen, Edwin Manteuffel geduldet; er trieb seine Politik mehr defensiv als im Hinblick auf bestimmte Ziele, fortwurstelnd, wie Graf Taaffe sagte, und beruhigt, wenn er durch allerhöchste Unterschrift gedeckt war; doch hat der reine Absolutismus ohne Parlament immer noch das Gute, daß ihm ein Gefühl der Verantwortlichkeit für eigne Thaten bleibt. Gefährlicher ist der durch gefügige (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die nächste günstige Situation nach dem Krimkriege bot unsrer Politik der italienische Krieg. Ich glaube freilich nicht, daß König Wilhelm schon als Regent 1859 geneigt gewesen sein würde, in plötzlicher Entschließung den Abstand zu überschreiten, der seine damalige Politik von derjenigen trennte, welche später zur Herstellung des Deutschen Reichs geführt hat. Wenn man die damalige Stellung nach dem Maßstabe beurtheilt, den die Haltung des auswärtigen Ministers von Schleinitz in dem demnächstigen Abschluß des Garantievertrages von Teplitz mit Oestreich und in der Weigerung der Anerkennung Italiens bezeichnet, so kann man mit Recht bezweifeln, ob es damals möglich gewesen sein würde, den Regenten zu einer Politik zu bewegen, welche die Verwendung der preußischen Kriegsmacht von Concessionen in der deutschen Bundespolitik abhängig gemacht hätte. Die Situation wurde nicht unter dem Gesichtspunkte einer vorwärts strebenden preußischen Politik betrachtet, sondern in dem gewohnheitsmäßigen Bestreben, sich den Beifall der deutschen Fürsten, des Kaisers von Oestreich und zugleich der deutschen Presse zu erwerben, in dem unklaren Bemühn um einen idealen Tugendpreis für Hingebung an Deutschland, ohne irgend eine klare Ansicht über die Gestalt des Zieles, die Richtung in der, und die Mittel, durch die es zu suchen wäre. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Erst die innern Kämpfe, die der Regent und spätre König durchzumachen hatte, erst die Ueberzeugung, daß seine Minister der neuen Aera nicht nur nicht im Stande waren, seine Unterthanen glücklich und zufrieden zu machen oder im Gehorsam zu erhalten, und die von ihm erstrebte und gehoffte Zufriedenheit in den Wahlen und Parlamenten zum Ausdruck zu bringen, erst die Schwierigkeiten, welche den König 1862 zu dem Entschlusse der Abdication brachten, übten auf das Gemüth und das gesunde Urtheil des Königs den nöthigen Einfluß, um seine monarchischen Auffassungen von 1859 über die Brücke der dänischen Frage zu dem Standpunkte von 1866 überzuleiten, vom Reden zum Handeln, von der Phrase zur That. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-283] europäischen Situationen wurde für einen Minister, der kühle und praktische Politik ohne dynastische Sentimentalität und ohne höfischen Byzantinismus treiben wollte, durch mächtige Querwirkungen sehr erschwert, welche am stärksten und wirksamsten von der Königin Augusta und deren Minister Schleinitz geübt wurden, sowie von andern fürstlichen Einflüssen und Familien-Correspondenzen neben den Insinuationen feindlicher Elemente am Hofe, nicht minder von den jesuitischen Organen (Nesselrode, Stillfried ?c.), von Intriganten und befähigten Rivalen, wie Goltz und Harry Arnim, und unbefähigten, wie frühern Ministern, und Parlamentariern, die es werden wollten. Es gehörte die ganze ehrliche und vornehme Treue des Königs für seinen ersten Diener dazu, daß er in seinem Vertrauen zu mir nicht wankend wurde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

In den ersten Tagen des Octobers fuhr ich dem Könige, der sich zum 30. September, dem Geburtstage seiner Gemalin, nach Baden-Baden begeben hatte, bis Jüterbogk entgegen und erwartete ihn in dem noch unfertigen, von Reisenden dritter Classe und Handwerkern gefüllten Bahnhofe, im Dunkeln auf einer umgestürzten Schiebkarre sitzend. Meine Absicht, indem ich die Gelegenheit zu einer Unterredung suchte, war, Se. Majestät über eine Aufsehn erregende Aeußerung zu beruhigen, welche ich am 30. September in der Budget-Commission gethan hatte und die zwar nicht stenographirt, aber in den Zeitungen ziemlich getreu wiedergegeben war. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-284] sichern, müßten die Abgeordneten das möglichst große Gewicht von Eisen und Blut in die Hand des Königs von Preußen legen, damit er es nach seinem Ermessen in die eine oder die andre Wagschale werfen könne. Ich hatte demselben Gedanken schon im Abgeordnetenhause 1849 Schramm gegenüber auf der Tribüne Ausdruck gegeben bei Gelegenheit einer Amnestie-Debatte 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Roon, der zugegen war, sprach beim Nachhausegehn seine Unzufriedenheit mit meinen Aeußerungen aus, sagte u. A., er hielte dergleichen "geistreiche Excurse" unsrer Sache nicht für förderlich. Meine eignen Gedanken bewegten sich zwischen dem Wunsche, Abgeordnete für eine energische nationale Politik zu gewinnen, und der Gefahr, den König in seiner vorsichtigen und gewaltsame Mittel scheuenden Veranlagung mißtrauisch gegen mich und meine Absichten zu machen. Um dem vermuthlichen Eindruck der Presse auf ihn bei Zeiten entgegen zu wirken, fuhr ich ihm nach Jüterbogk entgegen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Ich hatte einige Mühe, durch Erkundigungen bei kurz angebundenen Schaffnern des fahrplanmäßigen Zuges den Wagen zu ermitteln, in dem der König allein in einem gewöhnlichen Coupé erster Klasse saß. Er war unter der Nachwirkung des Verkehrs mit seiner Gemalin sichtlich in gedrückter Stimmung, und als ich um die Erlaubniß bat, die Vorgänge während seiner Abwesenheit darzulegen, unterbrach er mich mit den Worten: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Ich errieth, und es ist mir später von Zeugen bestätigt worden, daß er während des achttägigen Aufenthalts in Baden mit Variationen über das Thema Polignac, Strafford, Ludwig XVI. bearbeitet worden war. Als er schwieg, antwortete ich mit der kurzen Phrase "Et après, sire?" - "Ja, après, dann sind wir todt!" erwiderte der König. "Ja," fuhr ich fort, "dann sind wir todt, aber sterben (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-285] müssen wir früher oder später doch, und können wir anständiger umkommen? Ich selbst im Kampfe für die Sache meines Königs und Eure Majestät, indem Sie Ihre königlichen Rechte von Gottes Gnaden mit dem eignen Blute besiegeln, ob auf dem Schaffot oder auf dem Schlachtfelde, ändert nichts an dem rühmlichen Einsetzen von Leib und Leben für die von Gottes Gnaden verliehenen Rechte. Eure Majestät müssen nicht an Ludwig XVI. denken; der lebte und starb in einer schwächlichen Gemüthsverfassung und macht kein gutes Bild in der Geschichte. Karl I. dagegen, wird er nicht immer eine vornehme historische Erscheinung bleiben, wie er, nachdem er für sein Recht das Schwert gezogen, die Schlacht verloren hatte, ungebeugt seine königliche Gesinnung mit seinem Blute bekräftigte? Eure Majestät sind in der Nothwendigkeit zu fechten, Sie können nicht capituliren, Sie müssen, und wenn es mit körperlicher Gefahr wäre, der Vergewaltigung entgegentreten." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Je länger ich in diesem Sinne sprach, desto mehr belebte sich der König und fühlte sich in die Rolle des für Königthum und Vaterland kämpfenden Offiziers hinein. Er war äußern und persönlichen Gefahren gegenüber von einer seltenen und ihm absolut natürlichen Furchtlosigkeit, auf dem Schlachtfelde, wie Attentaten gegenüber; seine Haltung in jeder äußern Gefahr hatte etwas Herzerhebendes und Begeisterndes. Der ideale Typus des preußischen Offiziers, der dem sichern Tode im Dienste mit dem einfachen Worte "Zu Befehl" selbstlos und furchtlos entgegengeht, der aber, wenn er auf eigne Verantwortung handeln soll, die Kritik des Vorgesetzten oder der Welt mehr als den Tod und dergestalt fürchtet, daß die Energie und Richtigkeit seiner Entschließung durch die Furcht vor Verweis und Tadel beeinträchtigt wird, dieser Typus war in ihm im höchsten Grade ausgebildet. Er hatte sich bis dahin auf seiner Fahrt nur gefragt, ob er vor der überlegnen Kritik seiner Frau Gemalin und vor der öffentlichen Meinung in Preußen mit dem Wege, den er mit mir einschlug, würde bestehn können. Dem gegenüber war die Wirkung unsrer Unterredung in dem dunklen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-286] Coupé, daß er die ihm nach der Situation zufallende Rolle mehr vom Standpunkte des Offiziers auffaßte. Er fühlte sich bei dem Porte-épée gefaßt und in der Lage eines Offiziers, der die Aufgabe hat, einen bestimmten Posten auf Tod und Leben zu behaupten, gleichviel, ob er darauf umkommt oder nicht. Damit war er auf einen seinem ganzen Gedankengange vertrauten Weg gestellt und fand in wenigen Minuten die Sicherheit wieder, um die er in Baden gebracht worden war, und selbst seine Heiterkeit. Das Leben für König und Vaterland einzusetzen, war die Pflicht des preußischen Offiziers, um so mehr die des Königs, als des ersten Offiziers im Lande. Sobald er seine Stellung unter dem Gesichtspunkte der Offiziersehre betrachtete, hatte sie für ihn ebenso wenig Bedenkliches, wie für jeden normalen preußischen Offizier die instructionsmäßige Vertheidigung eines vielleicht verlornen Postens. Er war der Sorge vor der "Manöverkritik", welche von der öffentlichen Meinung, der Geschichte und der Gemalin an seinem politischen Manöver geübt werden könnte, überhoben. Er fühlte sich ganz in der Aufgabe des ersten Offiziers der Preußischen Monarchie, für den der Untergang im Dienste ein ehrenvoller Abschluß der ihm gestellten Aufgabe ist. Der Beweis der Richtigkeit meiner Beurtheilung ergab sich daraus, daß der König, den ich in Jüterbogk matt, niedergeschlagen und entmuthigt gefunden hatte, schon vor der Ankunft in Berlin in eine heitere, man kann sagen, fröhliche und kampflustige Stimmung gerieth, die sich den empfangenden Ministern und Beamten gegenüber auf das Unzweideutigste erkennbar machte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Wenn auch die abschreckenden geschichtlichen Reminiscenzen, die man dem Könige in Baden als Beweise beschränkter Ungeschicklichkeit vorgehalten hatte, auf unsre Verhältnisse nur eine unehrliche oder phantastische Anwendung finden konnten, so war unsre Situation doch ernst genug. Einzelne fortschrittliche Zeitungen hofften, mich zum Besten des Staates Wolle spinnen zu sehn, und am 17. Februar 1863 erklärte das Abgeordnetenhaus (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Ich erinnere mich eines Wendepunkts, der in meinen Ansichten eintrat, als ich in Frankfurt die mir bis dahin unbekannte Depesche des Fürsten Schwarzenberg vom 7. December 1850 zu lesen bekam, in welcher er die Olmützer Ergebnisse so darstellt, als ob es von ihm abgehangen hätte, Preußen "zu demüthigen" oder großmüthig zu pardonniren. Der mecklenburgische Gesandte, Herr von Oertzen, mein ehrlicher und conservativer Gesinnungsgenosse in dualistischer Politik, mit dem ich darüber sprach, suchte mein durch diese Schwarzenbergische Depesche verletztes preußisches Gefühl zu besänftigen. Trotz der für preußisches Gefühl demüthigenden Inferiorität unsres Auftretens in Olmütz und Dresden war ich noch gut östreichisch nach Frankfurt gekommen; der Einblick in die Schwarzenbergische Politik "avilir, puis démolir", den ich dort actenmäßig gewann, enttäuschte meine jugendlichen Illusionen. Der gordische Knoten deutscher Zustände ließ sich nicht in Liebe dualistisch lösen, nur militärisch zerhauen; es kam darauf an, den König von Preußen, bewußt oder unbewußt, und damit das preußische Heer für den Dienst der nationalen Sache zu gewinnen, mochte man vom borussischen Standpunkte die Führung Preußens oder auf dem nationalen die Einigung Deutschlands als die Hauptsache betrachten; beide Ziele deckten einander. Das war mir klar, und ich deutete es an, als ich in der Budgetcommission (30. September 1862) die vielfach entstellte Aeußerung über Eisen und Blut that (s. o. S. 283). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-291] dynastische Beziehungen, auf denen die centrifugalen Elemente ursprünglich beruhn. Es kommt nicht die Anhänglichkeit an schwäbische, niedersächsische, thüringische Eigenthümlichkeit zur Hebung, sondern die durch die Dynastien Braunschweig, Brabant, Wittelsbach zu einem dynastischen Antheil an dem Körper der Nation gesonderten Convolute der Herrschaft einer fürstlichen Familie. Der Zusammenhang des Königreichs Baiern beruht nicht nur auf dem bajuvarischen Stamme, wie er im Süden Baierns und in Oestreich vorhanden ist, sondern der Augsburger Schwabe, der Pfälzer Alemanne und der Mainfranke, sehr verschiedenen Geblüts, nennen sich mit derselben Genugthuung Baiern, wie der Altbaier in München und Landshut, lediglich weil sie mit den letztern durch die gemeinschaftliche Dynastie seit drei Menschenaltern verbunden sind. Die am meisten ausgeprägten Stammeseigenthümlichkeiten, die niederdeutsche, plattdeutsche, sächsische, sind durch dynastische Einflüsse schärfer und tiefer als die übrigen Stämme geschieden. Die deutsche Vaterlandsliebe bedarf eines Fürsten, auf den sich ihre Anhänglichkeit concentrirt. Wenn man den Zustand fingirte, daß sämmtliche deutsche Dynastien plötzlich beseitigt wären, so wäre nicht wahrscheinlich, daß das deutsche Nationalgefühl alle Deutschen in den Frictionen europäischer Politik völkerrechtlich zusammenhalten würde, auch nicht in der Form föderirter Hansestädte und Reichsdörfer. Die Deutschen würden fester geschmiedeten Nationen zur Beute fallen, wenn ihnen das Bindemittel verloren ginge, welches in dem gemeinsamen Standesgefühl der Fürsten liegt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die geschichtlich am stärksten ausgeprägte Stammeseigenthümlichkeit in Deutschland ist wohl die preußische, und doch wird Niemand die Frage mit Sicherheit beantworten können, ob der staatliche Zusammenhang Preußens fortbestehn würde, wenn man sich die Dynastie Hohenzollern und jede, die ihr rechtlich nachfolgen könnte, verschwunden denkt. Ist es wohl sicher, daß der östliche und der westliche Theil, daß Pommern, Hanoveraner, Holsteiner und Schlesier, daß Aachen und Königsberg, im untrennbaren (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die andern europäischen Völker bedürfen einer solchen Vermittlung für ihren Patriotismus und ihr Nationalgefühl nicht. Polen, Ungarn, Italiener, Spanier, Franzosen würden unter einer jeden Dynastie oder ganz ohne eine solche ihren einheitlichen Zusammenhang als Nation bewahren. Die germanischen Stämme des Nordens, die Schweden und Dänen, haben sich von dynastischer Sentimentalität ziemlich frei erwiesen, und in England gehört zwar der äußerliche Respect vor der Krone zu den Erfordernissen der guten Gesellschaft und wird die formale Erhaltung des Königthums (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-295] werden. Das deutsche Volk und sein nationales Leben können nicht unter fürstlichen Privatbesitz vertheilt werden. Ich bin mir jeder Zeit klar darüber gewesen, daß diese Erwägung auf die kurbrandenburgische Dynastie dieselbe Anwendung findet, wie auf die bairische, die welfische und andre; ich würde gegen das brandenburgische Fürstenhaus keine Waffen gehabt haben, wenn ich ihm gegenüber mein deutsches Nationalgefühl durch Bruch und Auflehnung hätte bethätigen müssen; die geschichtliche Prädestination lag aber so, daß meine höfischen Talente hinreichten, um den König und damit schließlich sein Heer der deutschen Sache zu gewinnen. Ich habe gegen den preußischen Particularismus vielleicht noch schwierigere Kämpfe durchzuführen gehabt als gegen den der übrigen deutschen Staaten und Dynastien, und mein angebornes Verhältniß zu dem Kaiser Wilhelm I. hat mir diese Kämpfe erschwert. Doch ist es mir schließlich stets gelungen, trotz der starken dynastischen, aber Dank der dynastisch berechtigten und in entscheidenden Momenten immer stärker werdenden nationalen Strebungen des Kaisers seine Zustimmung für die deutsche Seite unsrer Entwicklung zu gewinnen, auch wenn eine mehr dynastische und particularistische von allen andern Seiten geltend gemacht wurde. In der Nikolsburger Situation wurde mir dies nur mit dem Beistande des damaligen Kronprinzen möglich. Die territoriale Souveränetät der einzelnen Fürsten hatte sich im Laufe der deutschen Geschichte zu einer unnatürlichen Höhe entwickelt; die einzelnen Dynastien, Preußen nicht ausgenommen, hatten an sich dem deutschen Volke gegenüber auf Zerstückelung des letztern für ihren Privatbesitz, auf den souveränen Antheil am Leibe des Volkes niemals ein höheres historisches Recht, als unter den Hohenstaufen und unter Karl V. in ihrem Besitz war. Die unbeschränkte Staatssouveränetät der Dynastien, der Reichsritter, der Reichsstädte und Reichsdörfer war eine revolutionäre Errungenschaft auf Kosten der Nation und ihrer Einheit. Ich habe stets den Eindruck des Unnatürlichen von der Thatsache gehabt, daß die Grenze, welche den niedersächsischen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-296] Altmärker bei Salzwedel von dem kurbraunschweigischen Niedersachsen bei Lüchow, in Moor und Haide dem Auge unerkennbar, trennt, doch den zu beiden Seiten plattdeutsch redenden Niedersachsen an zwei verschiedene, einander unter Umständen feindliche völkerrechtliche Gebilde verweisen will, deren eines von Berlin, und das andre früher von London, später von Hanover regirt wurde, das eine Augen rechts nach Osten, das andre Augen links nach Westen bereit stand, und daß friedliche und gleichartige, im Connubium verkehrende Bauern dieser Gegend, der eine für welfisch-habsburgische, der andre für hohenzollernsche Interessen auf einander schießen sollten. Daß dieß überhaupt möglich war, beweist die Tiefe und Gewalt des Einflusses dynastischer Anhänglichkeit auf den Deutschen. Daß die Dynastien jederzeit stärker geblieben sind als Presse und Parlamente, hat sich durch die Thatsache bestätigt, daß 1866 Bundesländer, deren Dynastien im Bereich des östreichischen Einflusses lagen, ohne Rücksicht auf nationale Bestrebungen mit Oestreich, und nur solche, welche "unter den preußischen Kanonen" lagen, mit Preußen gingen. Von den letztern machten allerdings Hanover, Hessen und Nassau Ausnahmen, weil sie Oestreich für stark genug hielten, um alle Zumuthungen Preußens siegreich abweisen zu können. Sie haben infolge dessen die Zeche bezahlt, da es nicht gelang, dem Könige Wilhelm die Vorstellung annehmbar zu machen, daß Preußen, an der Spitze des Norddeutschen Bundes, einer Vergrößerung seines Gebietes kaum bedürfen würde. Gewiß aber ist, daß auch 1866 die materielle Macht der Bundesstaaten den Dynastien und nicht den Parlamenten folgte, und daß sächsisches, hanöversches und hessisches Blut nicht für die deutsche Einheit, sondern dagegen vergossen ist. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Bei der Vertheilung der Ministerien, wofür die Auswahl an Candidaten klein war, verursachte das Finanzministerium den geringsten Aufenthalt; es wurde Herrn Karl von Bodelschwingh - Bruder des im März 1848 abgetretenen Ministers des Innern, Ernst von Bodelschwingh - zugetheilt, der es bereits unter Manteuffel von 1851 bis 1858 gehabt hatte. Es zeigte sich freilich bald, daß er und der Graf Itzenplitz, dem das Handelsministerium zufiel, nicht im Stande waren, ihre Ministerien zu leiten. Beide beschränkten sich darauf, die Beschlüsse der sachkundigen Räthe mit ihrer Unterschrift zu versehn und nach Möglichkeit die Divergenzen zu vermitteln, in welche die Beschlüsse der theils liberalen, theils in engen Ressort-Gesichtspunkten befangenen Räthe mit der Politik des Königs und des Staatsministeriums gerathen konnten. Die sehr sachkundigen Mitglieder des Finanzministeriums gehörten innerlich der Mehrzahl nach der Opposition gegen das Conflictsministerium an und betrachteten es als eine kurze Episode in der liberalen Fortbildung der bürokratischen Regirungsmaschine; und wenn die tüchtigsten unter ihnen zu gewissenhaft waren, um die Thätigkeit der Regirung zu hemmen, so leisteten sie doch einen passiven Widerstand, wo ihr amtliches Pflichtgefühl ihnen einen solchen erlaubte, der immerhin nicht unerheblich war. Aus dieser Sachlage (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Mein landwirthschaftlicher College von Selchow entsprach in seiner Begabung nicht dem Rufe, der ihm in der Provinzialverwaltung vorhergegangen war. Der König hatte ihm das zur Zeit wichtigste Ministerium des Innern zugedacht. Nach einer längern Unterredung, in der ich die Bekanntschaft des Herrn von Selchow machte, bat ich Se. Majestät, davon abzustehn, weil ich ihn der Aufgabe nicht für gewachsen hielt, und schlug statt seiner den Grafen Friedrich Eulenburg vor. Beide Herrn standen mit dem Könige in maurerischen Beziehungen und wurden bei den Schwierigkeiten, die die Vervollständigung des Ministeriums hatte, erst im December zum Eintritt bewogen. Der König hatte Zweifel an Graf Eulenburgs Sachkunde auf dem Gebiete (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-300] des Innern, wollte ihm das Handelsministerium, dem Grafen Itzenplitz die Landwirthschaft und Selchow das Innere geben. Ich entwickelte dem gegenüber, daß die ressortmäßige Sachkunde als Handelsminister bei Eulenburg und Selchow auf ziemlich gleicher Stufe stehn und jedenfalls mehr bei ihren Räthen als bei ihnen selbst zu suchen sein würde, daß ich in diesem Falle viel mehr Gewicht auf persönliche Begabung, Geschick und Menschenkenntniß legte, als auf technische Vorbildung. Ich gäbe zu, daß Eulenburg arbeitsscheu und vergnügungssüchtig sei: er sei aber auch gescheidt und schlagfertig, und wenn er als Minister des Innern in der nächsten Zeit als der Vorderste auf der Bresche stehn müsse, so werde das Bedürfniß, sich zu wehren und die Schläge, die er bekommen, zu erwidern, ihn aus seiner Unthätigkeit heraus spornen. Der König gab mir endlich nach, und ich glaube auch noch heut, daß meine Wahl den Umständen nach richtig war; denn wenn ich auch unter dem Mangel an Arbeitsamkeit und Pflichtgefühl meines Freundes Eulenburg mitunter schwer gelitten habe, so war er doch in den Zeiten seiner Arbeitslust ein tüchtiger Gehülfe und immer ein feiner Kopf, nicht ohne Ehrgeiz und Empfindlichkeit, auch mir gegenüber. Wenn die Periode der Entsagung und angestrengten Arbeit länger als gewöhnlich dauerte, so verfiel er in nervöse Krankheiten. Jedenfalls waren er und Roon die Hervorragendsten in dem Conflictsministerium. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-301] Verständniß für politische Fragen wie Eulenburg, war er consequenter, sichrer und besonnener als dieser. Sein Privatleben war einwandsfrei. Ich war mit ihm von meinen Kinderjahren her, als er, mit topographischen Aufnahmen beschäftigt, sich im Hause meiner Eltern aufhielt (1833), persönlich befreundet und habe nur unter seinem Jähzorn zuweilen gelitten, der sich leicht bis zur Gefährdung seiner Gesundheit steigerte. In der Zeit, während deren ich krankheitshalber das Präsidium an ihn abgegeben hatte, 1873, machten sich Streber, wie Harry Arnim und jüngere Militärs, dieselben, die mit ihren Verbündeten in der "Kreuzzeitung" und durch die "Reichsglocke" gegen mich arbeiteten, an ihn heran und suchten ihn mir zu entfremden. Seine Präsidialstellung nahm ohne meine Mitwirkung ein Ende auf die Initiative meiner übrigen Collegen, die bei ihm, dessen Heftigkeit sich mit den Jahren steigerte und der seinerseits von unsern Mitarbeitern in Civil nicht imponirt war, die Formen vermißten, auf welche sie im collegialen Verkehr Anspruch machten, und bei mir, und durch Eulenburg vertraulich bei dem Könige, anregten, daß ich das Präsidium wieder übernehmen möchte. Daraus entstand zu meinem Bedauern und ohne meine Absicht, hauptsächlich durch Zwischenträgereien, in Roons letzten Jahren nicht grade eine Erkältung, doch eine Zurückhaltung, und bei mir die Empfindung, daß mein bester Freund und Kamerad den Lügen und Verleumdungen, welche über mich systematisch verbreitet wurden, nicht mit der Entschiedenheit entgegentrat, welche ich, wie ich glaube, im umgekehrten Falle bethätigt haben würde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-302] erinnere mich, daß ich schon in Gastein im August 1865 bis zur Unhöflichkeit darauf bestehn mußte, allein mit Herrn von Mühler über einen königlichen Befehl zu sprechen, ehe es mir gelang, die Frau Ministerin zu bewegen, uns allein zu lassen. Das Vorkommen einer solchen Nöthigung hatte seinerseits Verstimmungen zur Folge, die sich bei seiner sachkundigen Behandlung der Dinge auf mein geschäftliches Verhältniß zunächst nicht übertrugen, aber doch die Ergebnisse unsres persönlichen Verkehrs beeinträchtigten. Frau von Mühler empfing ihre politische Direction nicht von ihrem Gemale, sondern von Ihrer Majestät, mit welcher Fühlung zu erhalten sie vor Allem bestrebt war. Die Hofluft, die Rangfragen, die äußerliche Kundgebung Allerhöchster Intimität haben nicht selten auf Ministerfrauen einen Einfluß, der sich in der Politik fühlbar macht; die persönliche, der Staatsraison in der Regel zuwiderlaufende Politik der Kaiserin Augusta fand in Frau von Mühler eine bereitwillige Dienerin, und Herr von Mühler, wenn auch ein einsichtiger und ehrlicher Beamter, war doch nicht fest genug in seinen Ueberzeugungen, um nicht dem Hausfrieden Concessionen auf Kosten der Staatspolitik zu machen, wenn es in unauffälliger Weise geschehn konnte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die staatsrechtliche Frage, um welche es sich in dem Conflicte handelte, und die Auffassung derselben, welche das Ministerium gewonnen und der König gutgeheißen hatte, ist in einem Schreiben Sr. Majestät an den Oberstlieutenant Freiherrn von Vincke auf Olbendorf bei Grottkau dargelegt, welches seiner Zeit in der Presse erwähnt, aber, so viel ich mich erinnere, nicht vollständig veröffentlicht worden ist 1), was dasselbe um so mehr verdient, als sich daraus die Haltung des Königs in der Frage der Indemnität erklärt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Der König antwortete am 2. Januar 1863: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-311] mit den Westmächten zu Gunsten der polnischen Bewegung bewies, daß Oestreich die russische Rivalität in einem wieder auferstandenen Polen nicht fürchtete. Hatte es doch dreimal, im April, im Juni und unter dem 12. August mit Frankreich und England gemeinsame Schritte zu Gunsten der Polen in Petersburg gethan. "Wir haben", heißt es in der östreichischen Note vom 18. Juni 1), "nach den Bedingungen geforscht, durch die dem Königreiche Polen Ruhe und Frieden wiedergegeben werden könnten, und sind dahin gelangt, diese Bedingungen in den folgenden sechs Punkten zusammen zu fassen, die wir der Erwägung des Cabinets von Sankt Petersburg empfehlen: 1. Vollständige und allgemeine Amnestie, 2. Nationale Vertretung, welche an der Gesetzgebung des Landes theilnimmt und Mittel einer wirksamen Controlle besitzt, 3. Ernennung von Polen zu den öffentlichen Aemtern in solcher Weise, daß eine besondre nationale und dem Lande Vertrauen einflößende Administration gebildet werde, 4. Volle und gänzliche Gewissensfreiheit und Aufhebung der die Ausübung des katholischen Cultus treffenden Beschränkungen, 5. Ausschließlicher Gebrauch der polnischen Sprache als amtlicher Sprache in der Verwaltung, der Justiz und dem Unterrichtswesen, 6. Einführung eines regelmäßigen und gesetzlichen Rekrutirungssystems." Den Vorschlag Gortschakows, daß Rußland, Oestreich und Preußen sich in's Einvernehmen setzen möchten, um das Loos ihrer betreffenden polnischen Unterthanen festzustellen, wies die östreichische Regirung mit der Erklärung zurück, "daß das zwischen den drei Cabineten von Wien, London und Paris hergestellte Einverständniß ein Band zwischen ihnen bildet, von dem Oestreich sich jetzt nicht loslösen kann, um abgesondert mit Rußland zu unterhandeln". Es war das die Situation, in welcher Kaiser Alexander Sr. Majestät in eigenhändigem Schreiben nach Gastein den Entschluß, den Degen zu ziehn, kundgab und Preußens Bündniß verlangte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-312] Es ist nicht zu bezweifeln, daß die damalige Intimität mit den beiden Westmächten zu dem Entschlusse des Kaisers Franz Joseph mitgewirkt hat, am 2. August den Vorstoß mit dem Fürstencongreß gegen Preußen zu machen. Freilich hätte er sich dabei in einem Irrthum befunden und nicht gewußt, daß der Kaiser Napoleon der polnischen Sache schon überdrüssig und auf einen anständigen Rückzug bedacht war. Graf Goltz schrieb mir am 31. August 1): "Sie werden aus meiner heutigen Expedition ersehen, daß ich mit Cäsar Ein Herz und Eine Seele bin (in der That war er noch nie, auch zu Anfang meiner Mission nicht, so liebenswürdig und vertraulich wie diesmal), daß Oesterreich uns durch seinen Fürstentag, was unsre Beziehungen zu Frankreich anbetrifft, einen großen Dienst geleistet hat, und daß es nur einer befriedigenden Beilegung der polnischen Differenzen bedarf, um, Dank zugleich der Abwesenheit Metternichs und der heute erfolgten Abreise seiner hohen Freundin 2), in eine politische Lage zurückzugelangen, in welcher wir den kommenden Ereignissen mit Zuversicht entgegensehen können. Ich habe auf die Andeutungen des Kaisers hinsichtlich der polnischen Angelegenheit nicht so weit eingehen können, als ich es gewünscht hätte. Er schien mir ein Mediationsanerbieten zu erwarten; aber die Aeußerungen des Königs hielten mich zurück. Jedenfalls scheint es mir rathsam, das Eisen zu schmieden, so lange es warm ist; der Kaiser hat jetzt bescheidenere Ansprüche als je, und es ist zu besorgen, daß er wieder zu stärkeren Anforderungen zurückkehrt, wenn etwa Oesterreich das Frankfurter Ungeschick durch eine erhöhte Bereitwilligkeit in der polnischen Frage wieder gut zu machen bemüht sein sollte. Er will jetzt nur aus der Sache mit Ehren herauskommen, erkennt die sechs Punkte selbst als schlecht an und wird daher bei ihrer praktischen Durchführung gern ein Auge zudrücken, weshalb es ihm vielleicht sogar ganz recht ist, wenn er (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Oestreich hat der polnischen Frage gegenüber nicht die Schwierigkeiten, die für uns in der gegenseitigen Durchsetzung polnischer und deutscher Ansprüche in Polen und Westpreußen und in der Lage Ostpreußens mit der Frage einer Wiederherstellung polnischer Unabhängigkeit unlösbar verbunden sind. Unsre geographische Lage und die Mischung beider Nationalitäten in den Ostprovinzen einschließlich Schlesiens, nöthigen uns, die Eröffnung der polnischen Frage nach Möglichkeit hintanzuhalten, und ließen es auch 1863 rathsam erscheinen, die Eröffnung dieser Frage durch Rußland nicht zu fördern, sondern, so viel wir konnten, zu verhüten. Es hat vor 1863 Zeiten gegeben, da man in Petersburg auf der Basis der Wielopolskischen Theorien den Großfürsten Constantin mit seiner schönen Gemalin als Vicekönig von Polen in Aussicht nahm - die Großfürstin trug damals polnisches Costüm -, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Danziger Episode.Kaiser Friedrich, der Sohn des Monarchen, den ich in specie als meinen Herrn bezeichne, hat es mir durch seine Liebenswürdigkeit und sein Vertrauen leicht gemacht, die Gefühle, die ich für seinen Herrn Vater hegte, auf ihn zu übertragen. Er war der verfassungsmäßigen Auffassung, daß ich als Minister die Verantwortlichkeit für seine Entschließungen trug, in der Regel zugänglicher, als sein Vater es gewesen. Auch war es ihm weniger durch Familientraditionen erschwert, politischen Bedürfnissen im Innern und im Auslande gerecht zu werden. Alle Behauptungen, daß zwischen dem Kaiser Friedrich und mir dauernde Verstimmungen existirt hätten, sind ungegründet. Eine vorübergehende entstand durch den Vorgang in Danzig, in dessen Besprechung ich mir, seitdem die hinterlassenen Papiere Max Dunckers *)veröffentlicht worden sind, weniger Zurückhaltung auflege, als sonst geschehn wäre. Am 31. Mai 1863 reiste der Kronprinz zu einer militärischen Inspection nach der Provinz Preußen ab, nachdem er den König schriftlich gebeten hatte, jede Octroyirung zu vermeiden. Auf dem Zuge, mit dem er fuhr, befand sich der Ober-Bürgermeister von Danzig, Herr von Winter, den der Prinz unterwegs in sein Coupé einlud und einige Tage später auf seinem Gute bei (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-317] Culm besuchte. Am 2. Juni folgte ihm die Kronprinzessin nach Graudenz; am Tage vorher war die Königliche Verordnung über die Presse auf Grund eines Berichtes des Staatsministeriums erschienen, welcher gleichzeitig veröffentlicht wurde. Am 4. Juni richtete Se. Kgl. Hoheit an den König ein Schreiben, in welchem er sich mißbilligend über diese Octroyirung aussprach, sich über die unterlassene Zuziehung seiner zu den betreffenden Berathungen des Staatsministeriums beschwerte und über die Pflichten aussprach, die ihm als dem Thronfolger seiner Meinung nach oblägen. Am 5. Juni fand im Rathhause in Danzig der Empfang der städtischen Behörden statt, bei dem Herr von Winter ein Bedauern darüber aussprach, daß die Verhältnisse es nicht gestatteten, der Freude der Stadt ihren vollen lauten Ausdruck zu geben. Der Kronprinz sagte in seiner Antwort unter Anderm: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

"Auch ich beklage, daß ich in einer Zeit hergekommen bin, in welcher zwischen Regirung und Volk ein Zerwürfniß eingetreten ist, welches zu erfahren mich in hohem Grade überrascht hat. Ich habe von den Anordnungen, die dazu geführt haben, nichts gewußt. Ich war abwesend. Ich habe keinen Theil an den Rathschlägen gehabt, die dazu geführt haben. Aber wir Alle und ich am meisten, der ich die edlen und landesväterlichen Intentionen und hochherzigen Gesinnungen Seiner Majestät des Königs am besten kenne, wir alle haben die Zuversicht, daß Preußen unter dem Szepter Seiner Majestät des Königs der Größe sicher entgegengeht, die ihm die Vorsehung bestimmt hat." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-318] Staatsministerium, die jedoch auf Befehl des Königs unterblieb. Am 7. ging ihm eine ernste Antwort Sr. Majestät auf die Beschwerdeschrift vom 4. zu. Er bat darauf den Vater um Verzeihung wegen eines Schrittes, den er um seiner und seiner Kinder Zukunft Willen geglaubt hätte nicht unterlassen zu können, und stellte die Entbindung von allen seinen Aemtern anheim. Am 11. erhielt er die Antwort, die ihm die erbetene Verzeihung gewährte, seine Beschwerden über den Minister und sein Entlassungsgesuch überging und ihm für die Zukunft Schweigen zur Pflicht machte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Während ich die Erregung des Königs als berechtigt anerkennen mußte, bemühte ich mich zu verhindern, daß er ihr durch staatliche oder auch nur öffentlich erkennbare Acte Folge gebe. Ich mußte es mir im dynastischen Interesse zur Aufgabe stellen, den König zu beruhigen und von Schritten, die an Friedrich Wilhelm I. und Küstrin erinnert hätten, abzuhalten. Es geschah das hauptsächlich am 10. Juni auf einer Fahrt von Babelsberg nach dem Neuen Palais, wo Se. Majestät das Lehrbataillon besichtigte; die Unterhaltung wurde wegen der Dienerschaft auf dem Bocke französisch geführt. Es gelang mir in der That, die väterliche Entrüstung durch die Staatsraison zu besänftigen, daß in dem vorliegenden Kampfe zwischen Königthum und Parlament ein Zwiespalt innerhalb des Königlichen Hauses abgestumpft, ignorirt und todtgeschwiegen werden, daß der Vater und König in höherm Maße dafür Sorge tragen müsse, daß die Interessen beider nicht geschädigt würden. "Verfahren Sie säuberlich mit dem Knaben Absalom!" sagte ich in Anspielung darauf, daß schon Geistliche im Lande über Samuelis Buch 2, Kapitel 15, Vers 3 und 4 predigten; "vermeiden Ew. Majestät jeden Entschluß ab irato, nur die Staatsraison kann maßgebend sein". Einen besondern Eindruck schien es zu machen, als ich daran erinnerte, daß in dem Conflicte zwischen Friedrich Wilhelm I. und seinem Sohne dem Letztern die Sympathie der Zeitgenossen und der Nachwelt gehöre, daß es nicht rathsam sei, den Kronprinzen zum Märtyrer zu machen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-319] Nachdem die Sache durch den oben erwähnten Briefwechsel zwischen Vater und Sohn wenigstens äußerlich beigelegt war, erhielt ich ein aus Stettin vom 30. Juni datirtes Schreiben des Kronprinzen, das meine ganze Politik in starken Ausdrücken verurtheilte. Sie sei ohne Wohlwollen und Achtung für das Volk, stütze sich auf sehr zweifelhafte Auslegungen der Verfassung, werde sie dem Volke werthlos erscheinen lassen und dieses in Richtungen treiben, die außerhalb der Verfassung lägen. Auf der andern Seite werde das Ministerium von gewagten Deutungen zu gewagteren fortschreiten, endlich dem Könige Bruch mit derselben anrathen. Er werde den König bitten, sich, so lange dieses Ministerium im Amte sei, der Theilnahme an den Sitzungen desselben enthalten zu dürfen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Zur Ueberraschung des Königs war am 16. oder 17. Juni in der "Times" zu lesen: "Der Prinz erlaubte sich bei Gelegenheit einer militärischen Dienstreise mit der Politik des Souverains in Widerspruch zu treten und seine Maßregeln in Frage zu stellen. Das Mindeste, was er thun konnte, um diese schwere Beleidigung wieder gut zu machen, war die Zurücknahme seiner Aeußerungen. Dies forderte der König von ihm in einem Briefe, hinzufügend, daß er seiner Würden und Anstellungen beraubt werden würde, wenn er sich weigerte. Der Prinz, in Uebereinstimmung, wie man sagt, mit Ihrer K. H. der Prinzessin, schrieb eine feste Antwort auf dieses Verlangen. Er weigerte sich, irgend etwas zurückzunehmen, bot die Niederlegung seines Commandos und seiner Würden an, und bat um Erlaubniß, sich mit seiner Frau und Familie an einen Ort zurückzuziehn, wo er frei von (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Der Versicherung des Kronprinzen, um diese Veröffentlichung nicht gewußt zu haben, habe ich nie einen Zweifel entgegengebracht, auch nicht, nachdem ich gelesen, daß er in einem Briefe an Max Duncker vom 14. Juli 1)geschrieben hat, er wäre wenig überrascht, wenn man sich Bismarckischer Seits in Besitz von Abschriften des Briefwechsels zwischen ihm und dem Könige zu setzen gewußt hätte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-321] damalige Auffassung bestätigt. Wenn eine ganze Schule von politischen Schriftstellern ein Vierteljahrhundert lang das, was sie die englische Verfassung nannten, und wovon sie keine eindringende Kenntniß besaßen, den festländischen Völkern als Muster gepriesen und zur Nachahmung empfohlen hatten, so war es erklärlich, daß die Kronprinzessin und ihre Mutter das eigenthümliche Wesen des preußischen Staates, die Unmöglichkeit verkannten, ihn durch wechselnde parlamentarische Gruppen regiren zu lassen, war es erklärlich, daß aus diesem Irrthume sich der andre erzeugte, es würden sich in dem Preußen des 19. Jahrhunderts die innern Kämpfe und Katastrophen Englands im 17. wiederholen, wenn nicht das System, durch welches jene Kämpfe zum Abschluß kamen, bei uns eingeführt werde. Ich habe nicht feststellen können, ob die mir damals zugegangene Nachricht wahr ist, daß im April 1863 die Königin Augusta durch den Präsidenten Ludolf Camphausen und die Kronprinzessin durch den Baron von Stockmar kritisirende Denkschriften über die innern Zustände Preußens ausarbeiten ließen und zur Kenntniß des Königs gebracht haben; daß aber die Königin, zu deren Umgebung der Legationsrath Meyer gehörte, mit der Besorgniß vor Stuartischen Katastrophen erfüllt war, wußte ich und fand es schon 1862 ausgeprägt in der gedrückten Stimmung, in der der König aus Baden von der Geburtstagsfeier seiner Gemalin zurückkehrte 1). Die im Kampfe mit dem Königthume liegende, von Tag zu Tag auf den Sieg rechnende Fortschrittspartei versäumte es nicht, in der Presse und durch die Personen einzelner Führer die Situation unter die Beleuchtung zu stellen, welche auf weibliche Gemüther besonders wirksam sein mußte. 1) S. o. S. 283 ff. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Im September, nachdem der König mit mir über Baden, der Kronprinz direct von Gastein nach Berlin zurückgekehrt war, gewannen die Einflüsse und Befürchtungen wieder die Oberhand, die ihn zu dem Auftreten im Juni bewogen hatten. Den Tag, nachdem die Auflösung des Abgeordnetenhauses beschlossen worden, schrieb er mir: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Ich habe Sr. M. die Ansichten heute mitgetheilt, welche ich Ihnen in meinem Schreiben aus Putbus [rectius Stettin] auseinandersetzte und die ich Sie bat, nicht eher dem Könige zu eröffnen, als bis ich selber dies gethan. Ein folgeschwerer Entschluß ward gestern im Conseil gefaßt; in Gegenwart der Minister wollte ich Sr. M. nichts erwidern; heut ist es geschehen; ich habe meine Bedenken geäußert, habe meine schweren Befürchtungen für die Zukunft dargelegt. Der König weiß nunmehr, daß ich der entschiedene Gegner des Ministeriums bin. Friedrich Wilhelm." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Der König hatte sich dafür entschieden, daß der Kronprinz, wie seit 1861 geschehn, auch ferner den Sitzungen des Staatsministeriums beiwohnen solle, und mich beauftragt, ihn darüber zu verständigen. Ich nehme an, daß es zu der zu diesem Zweck erbetenen Audienz nicht gekommen ist; denn ich erinnere mich, daß ich das mißverständliche Erscheinen des Kronprinzen zu einer Ministersitzung, die an dem betreffenden Tage nicht stattfand, dazu benutzte, die Erörterung einzuleiten. Ich fragte ihn, weshalb er sich so fern von der Regirung halte; in einigen Jahren werde sie doch die seinige sein; wenn er etwa andre Prinzipien habe, so sollte er lieber den Uebergang zu vermitteln suchen als opponiren. Er lehnte das scharf ab, wie es schien in der Vermuthung, daß ich meinen Uebergang in seine Dienste anbahnen wolle. Ich habe den feindlichen Ausdruck olympischer Hoheit, mit dem das geschah, Jahre hindurch nicht vergessen können und sehe noch heut den zurückgeworfenen Kopf, das geröthete Gesicht und den Blick über die linke Schulter vor mir. Ich unterdrückte meine eigne Aufwallung, dachte an Carlos und Alba (Act 2, Auftritt 5) und antwortete, ich (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-324] hätte in einer Anwandlung dynastischen Gefühls gesprochen, um ihn mit seinem Vater wieder in nähere Beziehung zu bringen, im Interesse des Landes und der Dynastie, das durch die Entfremdung geschädigt wäre; ich hätte im Juni gethan, was ich gekonnt, um seinen Herrn Vater von Entschließungen ab irato abzuhalten, weil ich im Interesse des Landes und im Kampfe gegen die Parlamentsherrschaft die Uebereinstimmung in der königlichen Familie zu erhalten wünschte. Ich sei ein treuer Diener seines Herrn Vaters und wünschte ihm, daß er, wenn er den Thron bestiege, anstatt meiner ebenso treue Diener finde, wie ich für seinen Vater gewesen. Ich hoffte, er würde sich des Gedankens, als ob ich danach strebte, einmal sein Minister zu werden, entschlagen; ich werde es niemals sein. Ebenso rasch wie erregt, ebenso rasch wurde er weich und schloß das Gespräch mit freundlichen Worten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Das Verlangen, an den Sitzungen des Staatsministeriums nicht weiter Theil zu nehmen, hielt er fest, und richtete noch im Laufe des September eine vielleicht nicht ohne fremde Einwirkung entstandene Denkschrift an den König, worin er seine Gründe in einer Weise entwickelte, die zugleich als eine Art von Rechtfertigung seines Verhaltens im Juni erschien. Es entstand darüber zwischen Sr. Majestät und mir eine private Correspondenz, die mit folgendem Billet abschloß: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Seite 1. Der Anspruch, daß eine Warnung Sr. Königlichen Hoheit die nach sehr ernster und sorgfältiger Erwägung gefaßten (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-325] Königlichen Entschließungen aufwiegen soll, legt der eignen Stellung und Erfahrung im Verhältniß zu der des Monarchen und Vaters ein unrichtiges Gewicht bei. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Seite 2. Die Situation Sr. K. H. ist allerdings eine "durchaus falsche", weil es nicht der Beruf des Thronerben ist, die Fahne der Opposition gegen den König und den Vater aufzupflanzen, die "Pflicht", aus derselben herauszukommen, kann aber nur auf dem Wege der Rückkehr zu einer normalen Stellung erfüllt werden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-326] Seite 3. Der Conflict der Pflichten liegt nicht vor, denn die erstre Pflicht ist eine selbstgemachte; die Sorge für Preußens Zukunft liegt dem Könige ob, nicht dem Kronprinzen, und ob "Fehler" gemacht sind, und auf welcher Seite, wird die Zukunft lehren. Wo die "Einsicht" Sr. Majestät mit der des Kronprinzen in Widerspruch tritt, ist die erstre stets die entscheidende, also kein Conflict vorhanden. S. K. H. erkennt selbst an, daß in unsrer Verfassung "kein Platz für Opposition des Thronfolgers" ist. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Seite 4. Die Opposition innerhalb des Conseils schließt den Gehorsam gegen Se. Majestät nicht aus, sobald eine Sache entschieden ist. Minister opponiren auch, wenn sie abweichende Ansicht haben, gehorchen aber *)doch der Entscheidung des Königs, obschon ihnen selbst die Ausführung des von ihnen Bekämpften obliegt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Seite 4. Wenn S. K. H. weiß, daß die Minister nach dem Willen des Königs handeln, so kann S. K. H. Sich auch darüber nicht täuschen, daß die Opposition des Thronfolgers gegen den regirenden König selbst gerichtet ist. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Seite 5. Zur Unternehmung eines "Kampfes" gegen den Willen des Königs fehlt dem Kronprinzen jeder Beruf und jede Berechtigung, grade weil S. K. H. keinen amtlichen "status" besitzt. Jeder Prinz des Königlichen Hauses könnte mit demselben Rechte wie der Kronprinz für sich die "Pflicht" in Anspruch nehmen, bei abweichender Ansicht öffentlich Opposition gegen den König zu machen, um dadurch "seine und seiner Kinder" eventuelle Erbrechte gegen die Wirkung angeblicher Fehler der Regirung des Königs zu wahren, das heißt, um sich die Succession im Sinne Louis Philipps zu sichern, wenn der König durch eine Revolution gestürzt würde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Seite 7. Der Kronprinz ist nicht als "Rathgeber" des Königs, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

*) Hier ist am Rande von der Hand des Königs der Zusatz: wenn es nicht gegen ihr Gewissen läuft. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-327] sondern zu seiner eignen Information und Vorbereitung auf seinen künftigen Beruf von des Königs Majestät veranlaßt, den Sitzungen beizuwohnen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Seite 7. Gefährlicher als alle Angriffe der Demokratie und alles "Nagen" an den Wurzeln der Monarchie ist die Lockerung der Bande, welche das Volk noch mit der Dynastie verbinden, durch das Beispiel offen verkündeter Opposition des Thronerben, durch die absichtliche Kundmachung der Uneinigkeit im Schoße der Dynastie. Wenn der Sohn und der Thronerbe die Autorität des Vaters und des Königs anficht, wem soll sie dann noch heilig sein? Wenn dem Ehrgeize für die Zukunft eine Prämie dafür in Aussicht gestellt ist, daß er in der Gegenwart vom Könige abfällt, so werden jene Bande zum eignen Nachtheil des künftigen Königs gelockert, und die Lähmung der Autorität der jetzigen Regirung wird eine böse Saat für die zukünftige sein. Jede Regirung ist besser, als eine in sich zwiespältige und gelähmte, und die Erschütterungen, welche der jetzige Kronprinz hervorrufen kann, treffen die Fundamente des Gebäudes, in welchem er selbst künftig als König zu wohnen hat. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Seite 7. Nach dem bisherigen verfassungsmäßigen Rechte in Preußen regirt der König, und nicht die Minister. Nur die Gesetzgebung, nicht die Regirung, ist mit den Kammern getheilt, vor denen die Minister den König vertreten. Es ist also ganz gesetzlich, wie vor der Verfassung, daß die Minister Diener des Königs, und zwar die berufenen Rathgeber Sr. Majestät, aber nicht die Regirer des Preußischen Staates sind. Das Preußische Königthum steht auch nach der Verfassung noch nicht auf dem Niveau des belgischen oder englischen, sondern bei uns regirt noch der König persönlich, und befiehlt nach seinem Ermessen, so weit nicht die Verfassung ein Andres bestimmt, und dies ist nur in Betreff der Gesetzgebung der Fall. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-328] Seite 8. Die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen verstößt gegen die Strafgesetze. Was als Staatsgeheimniß zu behandeln sei, hängt von den Befehlen des Königs über dienstliche Geheimhaltung ab. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-329] Se. Majestät Sich der Pflicht entziehn, so viel als in menschlichen Kräften steht, dafür zu thun, daß der Kronprinz die Geschäfte und Gesetze des Landes kennen lerne? Ist es nicht ein gefährliches Experiment, den künftigen König den Staatsangelegenheiten fremd werden zu lassen, während das Wohl von Millionen darauf beruht, daß Er mit denselben vertraut sei? S. K. H. beweist in dem vorliegenden mémoire die Unbekanntschaft mit der Thatsache, daß die Theilnahme des Kronprinzen an den conseils eine verantwortliche niemals ist, sondern nur eine informatorische, daß ein votum von S. K. H. niemals verlangt werden kann. Auf dem Verkennen dieses Umstandes beruht das ganze raisonnement. Wenn der Kronprinz mit den Staatsangelegenheiten vertrauter wäre, so könnte es nicht geschehn, daß S. K. H. dem Könige mit Veröffentlichung der conseil-Verhandlungen drohte, für den Fall, daß der König auf die Wünsche Sr. K. H. nicht einginge; also mit einer Verletzung der Gesetze, und obenein der Strafgesetze. Und das wenige Wochen, nachdem S. K. H. selbst die Veröffentlichung des Briefwechsels mit Sr. Majestät in sehr strengen Worten gerügt hat. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-332] "Warum sollen wir fahren; hier im Garten des Bundespalais ist Platz genug, gegenüber wohnen preußische Offiziere, und östreichische sind auch in der Nähe. Die Sache kann in dieser Viertelstunde vor sich gehn, ich bitte Sie nur um Erlaubniß, in wenigen Zeilen die Entstehung des Streites zu Papier zu bringen, und erwarte von Ihnen, daß Sie diese Aufzeichnung mit mir unterschreiben werden, da ich meinem Könige gegenüber nicht als ein Raufbold erscheinen möchte, der die Diplomatie seines Herrn auf der Mensur führt." Damit begann ich zu schreiben, mein College ging mit raschen Schritten hinter mir auf und ab, während ich schrieb. Während dessen verrauchte sein Zorn, und er kam zu einer ruhigen Betrachtung der Lage, die er herbeigeführt hatte. Ich verließ ihn mit der Aeußerung, daß ich Herrn von Oertzen, den mecklenburgischen Gesandten, als meinen Zeugen zu ihm schicken würde, um das Weitre zu verhandeln. Oertzen legte den Streit versöhnlich bei. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-333] Die Versuche zur Zeit des Ministeriums Rechberg würden, wenn erfolgreich, damals zu einer gesammtdeutschen Union auf der Basis des Dualismus haben führen können, zu dem Siebzigmillionenreich in Centraleuropa mit zweiköpfiger Spitze, während die Schwarzenbergische Politik auf etwas Aehnliches ausgegangen war, aber mit einheitlicher Spitze Oestreichs und Hinabdrückung Preußens nach Möglichkeit auf den mittelstaatlichen Stand. Der letzte Anlauf dazu war der Fürstencongreß von 1863. Wenn die Schwarzenbergische Politik in der posthumen Gestalt des Fürstencongresses schließlich Erfolg gehabt hätte, so würde zunächst die Verwendung des Bundestages zur Repression auf dem Gebiete der innern Politik Deutschlands voraussichtlich in den Vordergrund getreten sein, nach Maßgabe der Verfassungsrevisionen, die der Bund schon in Hanover, Hessen, Luxemburg, Lippe, Hamburg u. a. in Angriff genommen hatte. Auch die Preußische Verfassung konnte analog herangezogen werden, wenn der König nicht zu vornehm dazu gedacht hätte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Friedrich Wilhelm IV. hätte sich zu Mobilmachungen wohl ebenso leicht entschlossen wie 1850 und wie sein Nachfolger 1859, aber schwer zur Kriegführung. Unter ihm lag die Gefahr vor, daß ähnliche Tergiversationen wie unter Haugwitz 1805 uns in falsche Lagen gebracht haben würden; auch nach wirklichem Bruch würde man in Oestreich über unsre Unklarheiten und Vermittlungsversuche mit Entschlossenheit zur Tagesordnung übergegangen sein. Bei dem König Wilhelm war die Abneigung, mit den väterlichen Traditionen und den herkömmlichen Familienbeziehungen zu brechen, ebenso stark wie bei seinem Bruder, aber wenn er einmal unter der Leitung seines Ehrgefühls, dessen Empfindlichkeit ebenso in dem preußischen Porte-épée als im monarchischen Bewußtsein lag, zu Entschlüssen, die seinem Herzen schwer wurden, sich gezwungen gefühlt hatte, so war man sicher, wenn man ihm folgte, in keiner Gefahr von ihm im Stiche gelassen zu werden. Mit diesem Wechsel in dem Charakter der obersten Leitung wurde in Wien zu wenig gerechnet und zu viel mit dem Einfluß, den man durch die angebliche öffentliche Meinung, wie sie durch Preß-Agenten und Subsidien erzeugt wurde, auf Berliner Entschließungen früher hatte ausüben können, und durch Vermittlung fürstlicher Verwandten und Correspondenzen des königlichen Hauses auch ferner auszuüben bereit und im Stande war. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Das Gesammtergebniß dieser in gleicher Richtung wirkenden Vorstellungen war denn auch das Gegentheil von einem Entgegenkommen des Wiener Cabinets für dualistische Neigungen; Oestreich ging über die preußische Anregung von 1862 zur Tagesordnung über mit der diametral entgegengesetzten Initiative zur Berufung des Frankfurter Fürstentages, durch die Anfangs August in Gastein König Wilhelm und sein Cabinet überrascht wurden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

In Gastein saß ich am 2. August 1863 in den Schwarzenbergischen Anlagen an der tiefen Schlucht der Ache unter den Tannen. Ueber mir befand sich ein Meisennest, und ich beobachtete mit der Uhr in der Hand, wie oft in der Minute der Vogel seinen Jungen eine Raupe oder andres Ungeziefer zutrug. Während ich der nützlichen Thätigkeit dieser Thierchen zusah, bemerkte ich, daß auf der andern Seite der Schlucht, auf dem Schillerplatze, König Wilhelm allein auf einer Bank saß. Als die Zeit herangekommen war, mich zu dem Diner bei dem Könige anzuziehn, ging ich in meine Wohnung und fand dort ein Briefchen Sr. Majestät vor, des Inhalts, daß er mich auf dem Schillerplatze erwarten wolle, um wegen der Begegnung mit dem Kaiser mit mir zu sprechen. Ich beeilte mich nach Möglichkeit, aber ehe ich das Königliche Quartier erreichte, hatte bereits eine Unterredung der beiden hohen Herrn stattgefunden. Wenn ich mich weniger lange bei der Naturbetrachtung aufgehalten und den König früher gesehn hätte, so wäre der erste Eindruck, den die Eröffnungen des Kaisers auf den König gemacht haben, vielleicht ein andrer gewesen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Er fühlte zunächst nicht die Unterschätzung, welche in dieser Ueberrumpelung lag, in dieser Einladung, man könnte sagen Ladung, à courte échéance. Der östreichische Vorschlag gefiel ihm vielleicht wegen des darin liegenden Elementes fürstlicher Solidarität in dem Kampfe gegen den parlamentarischen Liberalismus, durch den er selbst damals in Berlin bedrängt wurde. Auch die Königin Elisabeth, die wir auf der Reise von Gastein nach Baden in Wildbad (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-340] trafen, drang in mich, nach Frankfurt zu gehn. Ich erwiderte: "Wenn der König sich nicht anders entschließt, so werde ich hingehn und dort seine Geschäfte machen, aber nicht als Minister nach Berlin zurückkehren." Die Königin schien über diese Aussicht beunruhigt und hörte auf, meine Auffassung beim Könige zu bekämpfen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Wenn ich meinen Widerstand gegen das Streben des Königs nach Frankfurt aufgegeben und ihn seinem Wunsche gemäß dorthin begleitet hätte, um in dem Fürstencongreß die preußisch-östreichische Rivalität in eine gemeinsame Bekämpfung der Revolution und des Constitutionalismus zu verwandeln, so wäre Preußen äußerlich geblieben, was es vorher war, hätte freilich unter dem östreichischen Präsidium durch bundestägliche Beschlüsse die Möglichkeit gehabt, seine Verfassung in analoger Weise revidiren zu lassen, wie das mit der hanöverschen, der hessischen und der mecklenburgischen und in Lippe, Hamburg, Luxemburg geschehn war, damit aber den nationaldeutschen Weg geschlossen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Es wurde mir nicht leicht, den König zum Fernbleiben von Frankfurt zu bestimmen. Ich bemühte mich darum auf der Fahrt von Wildbad nach Baden, wo wir im offnen kleinen Wagen, wegen der Leute vor uns auf dem Bock, die deutsche Frage französisch verhandelten. Ich glaubte den Herrn überzeugt zu haben, als wir in Baden anlangten. Dort aber fanden wir den König von Sachsen, der im Auftrage aller Fürsten die Einladung nach Frankfurt erneuerte (19. August). Diesem Schachzug zu widerstehn, wurde meinem Herrn nicht leicht. Er wiederholte mehrmals die Erwägung: "30 regirende Herrn und ein König als Courier!" und er liebte und verehrte den König von Sachsen, der unter den Fürsten für diese Mission auch persönlich der Berufenste war. Erst um Mitternacht gelang es mir, die Unterschrift des Königs zu erhalten für die Absage an den König von Sachsen. Als ich den Herrn verließ, waren wir beide in Folge der nervösen Spannung der Situation krankhaft erschöpft, und meine sofortige (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-341] mündliche Mittheilung an den sächsischen Minister von Beust trug noch den Stempel dieser Erregung 1). Die Krisis war aber überwunden, und der König von Sachsen reiste ab, ohne meinen Herrn, wie ich es befürchtet hatte, nochmals aufzusuchen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Nachdem der König auf der Rückreise von Baden-Baden (31. August) nach Berlin so nahe an Frankfurt vorüber gefahren war, daß der entschlossene Wille, sich nicht zu betheiligen, zu Tage lag, wurde die Mehrheit oder wurden wenigstens die mächtigsten Fürsten von einem Unbehagen erfaßt bei dem Gedanken an den Reformentwurf, der sie, wenn Preußen fern blieb, mit Oestreich allein in einem Verbande ließ, in dem sie nicht durch die Rivalität der beiden Großmächte gedeckt waren. Das Wiener Cabinet muß an die Möglichkeit geglaubt haben, daß die übrigen Bundesfürsten auf die dem Congreß am 17. August gemachte Vorlage auch dann eingehn würden, wenn sie in dem reformirten Bundesverhältniß schließlich mit Oestreich allein geblieben wären. Man würde sonst nicht den in Frankfurt verbliebenen Fürsten die Zumuthung gemacht haben, die östreichische Vorlage auch ohne Preußens Zustimmung anzunehmen und in die Praxis überzuführen. Die Mittelstaaten wollten aber in Frankfurt weder eine einseitig preußische, noch eine einseitig östreichische Leitung, sondern für sich ein möglichst einflußreiches Schiedsamt im Sinne der Trias, welches jede der beiden Großmächte auf das Bewerben um die Stimmen der Mittelstaaten anwies. Die östreichische Zumuthung, auch ohne Preußen abzuschließen, wurde beantwortet durch den Hinweis auf die Nothwendigkeit neuer Verhandlungen mit Preußen und die Kundgebung der eignen Neigung zu solchen. Die Form der Beantwortung der östreichischen Wünsche war nicht glatt genug, um in Wien keine Empfindlichkeit zu erregen. Die Wirkung auf den Grafen Rechberg, vorbereitet durch die guten Beziehungen, in denen unsre Frankfurter Collegenschaft abgeschlossen hatte, war, daß er sagte, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Wenige Monate nach dem Frankfurter Congreß starb der König Friedrich VII. von Dänemark (15. November 1863). Das Mißlingen des östreichischen Vorstoßes, die Weigerung der übrigen Bundesstaaten, nach der preußischen Ablehnung mit Oestreich allein in engere Beziehung zu treten, brachten den Gedanken einer dualistischen Politik der beiden deutschen Großmächte, infolge der Eröffnung der schleswigholsteinischen Frage und Succession, in Wien der Erwägung nahe, und mit mehr Aussicht auf Verwirklichung, als im December 1862 vorgelegen hatte. Graf Rechberg machte in der Verstimmung über die Weigerung der Bundesgenossen, sich ohne Mitwirkung Preußens zu verpflichten, einfach Kehrt mit dem Bemerken, daß die Verständigung mit Preußen für Oestreich noch leichter sei als für (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Unser weitres Zusammengehn mit Oestreich war gefährdet zuerst bei dem heftigen Andrang militärischer Einflüsse auf den König, die ihn zum Ueberschreiten der jütischen Grenze auch ohne Oestreich bewegen wollten. Mein alter Freund, der Feldmarschall Wrangel, schickte unchiffrirt die gröbsten Injurien gegen mich telegraphisch an den König, in denen in Bezug auf mich von Diplomaten, die an den Galgen gehörten, die Rede war 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Damals indessen gelang es mir, den König zu bestimmen, daß wir nicht um ein Haarbreit an Oestreich vorbei gingen und (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

"Zu einer politischen Gemeinschaft geschichtlich berufen, machen wir dynastisch und politisch beiderseits bessere Geschäfte, wenn wir zusammenhalten und diejenige Führung Deutschlands übernehmen, welche uns nicht entgehn wird, sobald wir einig sind. Wenn Preußen und Oestreich sich die Aufgabe stellen, nicht blos ihre gemeinsamen Interessen, sondern auch beiderseits jedes die Interessen des andern zu fördern, so kann das Bündniß der beiden deutschen Großstaaten von einer weittragenden deutschen und europäischen Wirksamkeit werden. Der Staat Oestreich hat kein Interesse an der Gestaltung der dänischen Herzogthümer, dagegen ein erhebliches an seinen Beziehungen zu Preußen. Sollte aus dieser zweifellosen Thatsache nicht die Zweckmäßigkeit einer für Preußen wohlwollenden Politik hervorgehn, die das bestehende Bündnis der beiden deutschen Großmächte consolidirt und in Preußen Dankbarkeit für Oestreich erweckt? Wenn die gemeinsame Erwerbung statt in Holstein, in Italien läge, wenn der Krieg, den wir geführt haben, statt Schleswig-Holstein die Lombardei zur Verfügung der beiden Mächte gestellt hätte, so würde es mir nicht eingefallen sein, bei meinem Könige dahin zu wirken, daß Wünschen unsres Verbündeten ein Widerstand entgegengesetzt oder die Forderung eines Aequivalents erhoben würde, wenn ein solches nicht zu gleicher Zeit disponibel wäre. Ihm aber für Schleswig-Holstein altpreußisches Land abzutreten, das würde kaum möglich sein, selbst wenn die Einwohner es wünschten; in Glatz protestirten aber sogar die (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Es schien mir, daß die von mir aufgestellte Perspective auf den Kaiser Franz Joseph nicht ohne Eindruck blieb. Er sprach zwar von der Schwierigkeit, der öffentlichen Meinung in Oestreich gegenüber ganz ohne Aequivalent aus der gegenwärtigen Situation hinauszugehn, wenn Preußen einen so großen Gewinn wie SchleswigHolstein mache, schloß aber mit der Frage, ob wir wirklich fest entschlossen wären, diesen Besitz zu fordern und einzuverleiben. Ich hatte den Eindruck, daß er doch nicht für unmöglich hielte, uns seine Ansprüche auf das von Dänemark abgetretene Land zu cediren, wenn ihm die Aussicht auf ein ferneres festes Zusammenhalten mit Preußen und auf Unterstützung analoger Wünsche Oestreichs durch Preußen gesichert würde. Er stellte zur weitern Discussion zunächst die Frage, ob Preußen wirklich fest entschlossen sei, die Herzogthümer zu preußischen Provinzen zu machen, oder ob wir mit gewissen Rechten in ihnen, wie sie in den sog. Februarbedingungen später formulirt worden sind, zufrieden sein würden. Der König schwieg und ich brach dieses Schweigen, indem ich dem Kaiser antwortete: "Es ist mir sehr erwünscht, daß Eure Majestät mir die Frage in Gegenwart meines allergnädigsten Herrn vorlegen; ich hoffe bei dieser Gelegenheit seine Ansicht zu erfahren." Ich hatte nämlich bis dahin keine unumwundene Erklärung des Königs weder schriftlich noch mündlich über Sr. Majestät definitive Willensmeinung bezüglich der Herzogthümer erhalten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Die mise en demeure durch den Kaiser hatte die Folge, daß der König zögernd und in einer gewissen Verlegenheit sagte: er habe ja garkein Recht auf die Herzogthümer und könne deshalb (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-346] keinen Anspruch darauf machen. Durch diese Aeußerung, aus welcher ich die Einwirkung der königlichen Verwandten und der hofliberalen Einflüsse heraushörte, war ich natürlich dem Kaiser gegenüber außer Gefecht gesetzt. Ich trat demnächst noch für das Festhalten der Einigkeit beider deutschen Großmächte ein, und es wurde eine dieser Richtung entsprechende kurze Redaction, in der die Zukunft Schleswig-Holsteins unentschieden blieb, von Rechberg und mir entworfen und von den beiden hohen Herrn genehmigt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Von der Unmöglichkeit der Zolleinigung überzeugt, hatte ich kein Bedenken, dem Grafen Rechberg den gewünschten Dienst zu erweisen, um ihn im Amte zu erhalten. Ich glaubte bei meiner Abreise nach Biarritz (5. October) sicher zu sein, daß der König an meinem Votum festhalten werde; und mir sind noch heut die Motive nicht klar, welche meine Collegen, den Finanzminister Karl von Bodelschwingh und den Handelsminister Grafen Itzenplitz, und ihren freihändlerischen spiritus rector Delbrück bestimmt haben, während meiner Abwesenheit den König auf einem ihm ziemlich fremden Gebiete mit so viel Entschiedenheit zu bearbeiten, daß durch unsre Ablehnung die Stellung Rechbergs, wie er es vorhergesagt hatte, erschüttert und er in dem auswärtigen Ministerium durch Mensdorff ersetzt wurde, der zunächst der Candidat Schmerlings war, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-348] bis dieser dann durch reactionäre und katholische Einflüsse selbst verdrängt wurde. Der König, so fest er auch in der innern Politik geworden war, ließ sich damals noch von der durch seine Gemalin vertretenen Doctrin beeinflussen, daß zur Lösung der deutschen Frage die Popularität das Mittel sei. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Zwei Tage später, am 12. October, berichtete mir Abeken, der sich bei dem Könige in Baden-Baden befand, es sei ihm nicht gelungen, denselben für den Artikel 25 zu gewinnen; Se. Majestät scheue "das Geschrei", welches sich über eine solche Concession an Oestreich erheben würde, und habe u. A. gesagt: "Die Ministerkrisis in Wien würden wir vielleicht vermeiden, aber dadurch in Berlin eine solche hervorrufen; Bodelschwingh und Delbrück würden wahrscheinlich ihre Entlassung beantragen, wenn wir den Artikel 25 zuließen." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

König Ludwig II. von Baiern. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Auf dem Wege von Gastein nach Baden-Baden berührten wir München, das der König Max bereits verlassen hatte, um sich nach Frankfurt zu begeben, es seiner Gemalin überlassend, die Gäste zu empfangen. Ich glaube nicht, daß die Königin Marie nach ihrer wenig aus sich heraustretenden und der Politik abgewandten Stimmung auf den König Wilhelm und die Entschließung, mit welcher er sich damals trug, lebhaft eingewirkt hat. Bei den regelmäßigen Mahlzeiten, die wir während des Aufenthalts in Nymphenburg, 16. und 17. August 1863, einnahmen, war der Kronprinz, später König Ludwig II., der seiner Mutter gegenüber saß, mein Nachbar. Ich hatte den Eindruck, daß er mit seinen Gedanken nicht bei der Tafel war und sich nur ab und zu seiner Absicht erinnerte, mit mir eine Unterhaltung zu führen, die aus dem Gebiete der üblichen Hofgespräche nicht herausging. Gleichwohl glaubte ich in dem, was er sagte, eine begabte Lebhaftigkeit und einen von seiner Zukunft erfüllten Sinn zu erkennen. In den Pausen des Gesprächs blickte er über seine Frau Mutter hinweg an die Decke und leerte ab und zu hastig sein Champagnerglas, dessen Füllung, wie ich annahm, auf mütterlichen Befehl verlangsamt wurde, so daß der Prinz mehrmals sein leeres Glas rückwärts über seine Schulter hielt, wo es zögernd wieder gefüllt wurde. Er hat weder damals noch später die Mäßigkeit im Trinken überschritten, ich hatte jedoch das Gefühl, daß die Umgebung ihn (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-352] langweilte und er den von ihr unabhängigen Richtungen seiner Phantasie durch den Champagner zu Hülfe kam. Der Eindruck, den er mir machte, war ein sympathischer, obschon ich mir mit einiger Verdrießlichkeit sagen mußte, daß mein Bestreben, ihn als Tischnachbar angenehm zu unterhalten, unfruchtbar blieb. Es war dies das einzige Mal, daß ich den König Ludwig von Angesicht gesehn habe, ich bin aber mit ihm, seit er bald nachher (10. März 1864) den Thron bestiegen hatte, bis an sein Lebensende in günstigen Beziehungen und in verhältnißmäßig regem brieflichem Verkehre geblieben und habe dabei jederzeit von ihm den Eindruck eines geschäftlich klaren Regenten von national deutscher Gesinnung gehabt, wenn auch mit vorwiegender Sorge für die Erhaltung des föderativen Prinzips der Reichsverfassung und der verfassungsmäßigen Privilegien seines Landes. Als außerhalb des Gebietes politischer Möglichkeit liegend ist mir sein in den Versailler Verhandlungen auftauchender Gedanke erinnerlich, daß das deutsche Kaiserthum resp. Bundes-Präsidium zwischen dem preußischen und dem bairischen Hause erblich alterniren solle. Die Zweifel darüber, wie dieser unpraktische Gedanke praktisch zu machen, wurden überholt durch die Verhandlungen mit den bairischen Vertretern in Versailles und deren Ergebnisse, wonach dem Präsidium des Bundes, also dem Könige von Preußen, die Rechte, die er heut dem bairischen Bundesgenossen gegenüber ausübt, schon in der Hauptsache bewilligt waren, ehe es sich um den Kaisertitel handelte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Aus meinem Briefwechsel mit dem Könige Ludwig schalte ich einige Stücke ein, die zur richtigen Charakteristik dieses unglücklichen Fürsten beitragen und auch wieder einmal ein actuelles Interesse gewinnen können. Die Curialien sind nur in den ersten Briefen gegeben. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Allerdurchlauchtigster Großmächtigster König, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Für die huldreichen Eröffnungen, welche mir Graf Holnstein auf Befehl Eurer Majestät gemacht hat, bitte ich Allerhöchstdieselben den ehrfurchtsvollen Ausdruck meines Dankes entgegennehmen zu wollen. Das Gefühl meiner Dankbarkeit gegen Eure Majestät hat einen tiefern und breitern Grund als den persönlichen in der amtlichen Stellung, in welcher ich die hochherzigen Entschließungen Eurer Majestät zu würdigen berufen bin, durch welche Eure Majestät beim Beginne und bei Beendigung dieses Krieges der Einigkeit und der Macht Deutschlands den Abschluß gegeben haben. Aber es ist nicht meine, sondern die Aufgabe des deutschen Volkes und der Geschichte, dem durchlauchtigen bairischen Hause für Eurer Majestät vaterländische Politik und für den Heldenmuth Ihres Heeres zu danken. Ich kann nur versichern, daß ich Eurer Majestät, so lang ich lebe, in ehrlicher Dankbarkeit anhänglich und ergeben sein und mich jederzeit glücklich schätzen werde, wenn es mir vergönnt wird, Eurer Majestät zu Diensten zu sein. In der deutschen Kaiserfrage habe ich mir erlaubt, dem Grafen Holnstein einen kurzen Entwurf vorzulegen, welchem der Gedankengang zu Grunde liegt, der meinem Gefühl nach die deutschen Stämme bewegt: der deutsche Kaiser ist ihrer aller Landsmann, der König von Preußen ein Nachbar, dem unter diesem Namen Rechte, die ihre Grundlage nur in der freiwilligen Uebertragung durch die deutschen Fürsten und Stämme finden, nicht zustehn. Ich glaube, daß der deutsche Titel für das Präsidium die Zulassung desselben erleichtert, und die Geschichte lehrt, daß die großen Fürstenhäuser Deutschlands, Preußen eingeschlossen, die Existenz des von ihnen gewählten (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Mein Brief an Ihren König, meinen vielgeliebten hochverehrten Oheim, wird morgen in dessen Hände gelangen. - Ich wünsche von ganzem Herzen, daß mein Vorschlag beim Könige, den übrigen Bundesgliedern, welchen ich geschrieben, und auch bei der Nation vollsten Anklang finde, und ist es mir ein befriedigendes Bewußtsein, daß ich vermöge meiner Stellung in Deutschland wie beim Beginne so beim Abschlusse dieses ruhmreichen Krieges in der Lage war, einen entscheidenden Schritt zu Gunsten der nationalen Sache thun zu können. Ich hoffe aber auch mit Bestimmtheit, daß Bayern seine Stellung fortan erhalten bleibt, da sie mit einer treuen, rückhaltlosen Bundespolitik wohl vereinbarlich ist und verderblicher Centralisation am sichersten steuert. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Allerdurchlauchtigster König, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Allerdurchlauchtigster König, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Eurer Majestät erlaube ich mir meinen ehrfurchtsvollen Dank zu Füßen zu legen für die huldreichen Befehle, welche der Königliche Marstall auch in diesem Jahre für meinen hiesigen Aufenthalt erhalten hat, und für die gnädige Anerkennung, welche der Minister von Pfretzschner mir im Allerhöchsten Auftrage überbracht hat. Durch den Congreß ist die Politik einstweilen zum Abschlusse gebracht, deren Angemessenheit für Deutschland Eure Majestät in huldreichen Schreiben anzuerkennen geruhten. Der eigne Frieden blieb (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

„Berlin, den 24. December 1863. ... Was die dänische Sache betrifft, so ist es nicht möglich, daß der König zwei auswärtige Minister habe, d. h. daß der (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-2] wichtigste Posten in der entscheidenden Tagesfrage eine der ministeriellen Politik entgegengesetzte immediat bei dem Könige vertrete. Die schon übermäßige Friction unsrer Staatsmaschine kann nicht noch gesteigert werden. Ich vertrage jeden mir gegenüber geübten Widerspruch, sobald er aus so competenter Quelle wie die Ihrige hervorgeht; die Berathung des Königs aber in dieser Sache kann ich amtlich mit niemandem theilen und ich müßte, wenn Seine Majestät mir dies zumuthen sollte, aus meiner Stellung scheiden. Ich habe dies dem Könige bei Vorlesung eines Ihrer jüngsten Berichte gesagt; Seine Majestät fand meine Auffassung natürlich, und ich kann nicht anders als an ihr festhalten. Berichte, welche nur die ministeriellen Anschauungen wiederspiegeln, erwartet niemand; die Ihrigen sind aber nicht mehr Berichte im üblichen Sinne, sondern nehmen die Natur ministerieller Vorträge an, die dem Könige die entgegengesetzte Politik von der empfehlen, welche er mit dem gesammten Ministerium im Conseil selbst beschlossen und seit vier Wochen befolgt hat. Eine, ich darf wohl sagen scharfe, wenn nicht feindselige Kritik dieses Entschlusses ist aber ein andres Ministerprogramm und nicht mehr ein gesandschaftlicher Bericht. Schaden kann solche kreuzende Auffassung allerdings, ohne zu nützen; denn sie kann Zögerungen und Unentschiedenheiten hervorrufen, und jede Politik halte ich für eine bessere als eine schwankende. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-3] Deutschland und in Europa gekostet, und wir werden sie dadurch nicht wieder gewinnen, daß wir uns vom Strome treiben lassen in der Meinung, ihn zu lenken, sondern nur dadurch, daß wir fest auf eignen Füßen stehn und zuerst Großmacht, dann Bundesstaat sind. Das hat Oestreich zu unserm Schaden stets als richtig für sich anerkannt, und es wird sich von der Komödie, die es mit deutschen Sympathien spielt, nicht aus seinen europäischen Allianzen, wenn es überhaupt solche hat, herausreißen lassen. Gehn wir ihm zu weit, so wird es scheinbar noch eine Weile mitgehn, namentlich mitschreiben, aber die 20 Procent Deutsche, die es in seiner Bevölkerung hat, sind kein in letzter Instanz zwingendes Element, sich von uns wider eignes Interesse fortreißen zu lassen. Es wird im geeigneten Momente hinter uns zurückbleiben und seine Richtung in die europäische Stellung zu finden wissen, sobald wir dieselbe aufgeben. Die Schmerlingsche Politik, deren Seitenstück Ihnen als Ideal für Preußen vorschwebt, hat ihr Fiasco gemacht. Unsre von Ihnen im Frühjahr sehr lebhaft bekämpfte Politik hat sich in der polnischen Sache bewährt, die Schmerlingsche bittre Früchte für Oestreich getragen. Ist es denn nicht der vollständigste Sieg, den wir erringen konnten, daß Oestreich zwei Monate nach dem Reformversuch froh ist, wenn von demselben nicht mehr gesprochen wird, und mit uns identische Noten an seine frühern Freunde schreibt, mit uns seinem Schooßkinde, der Bundestags-Majorität, drohend erklärt, es werde sich nicht majorisiren lassen? Wir haben diesen Sommer erreicht, wonach wir 12 Jahre lang vergebens strebten, die Sprengung der Bregenzer Coalition, Oestreich hat unser Programm adoptirt, was es im October v. J. öffentlich verhöhnte; es hat die preußische Allianz statt der Würzburger gesucht, empfängt seine Beihülfe von uns, und wenn wir ihm heut den Rücken kehren, so stürzen wir das Ministerium. Es ist noch nicht dagewesen, daß die Wiener Politik in diesem Maße en gros et en détail von Berlin aus geleitet wurde. Dabei sind wir von Frankreich gesucht, Fleury bietet mehr als der König mag; unsre (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-4] Stimme hat in London und Petersburg das Gewicht, was ihr seit 20 Jahren verloren war; und das acht Monate, nachdem Sie mir die gefährlichste Isolirung wegen unsrer polnischen Politik prophezeiten. Wenn wir jetzt den Großmächten den Rücken drehn, um uns der in dem Netze der Vereinsdemokratie gefangenen Politik der Kleinstaaten in die Arme zu werfen, so wäre das die elendeste Lage, in die man die Monarchie nach Innen und Außen bringen könnte. Wir würden geschoben statt zu schieben; wir würden uns auf Elemente stützen, die wir nicht beherrschen und die uns nothwendig feindlich sind, denen wir uns aber auf Gnade oder Ungnade zu ergeben hätten. Sie glauben, daß in der ‚deutschen öffentlichen Meinung‘, Kammern, Zeitungen ꝛc. irgend etwas steckt, was uns in einer Unions- oder Hegemonie-Politik stützen und helfen könnte. Ich halte das für einen radicalen Irrthum, für ein Phantasiegebilde. Unsre Stärkung kann nicht aus Kammern- und Preßpolitik, sondern nur aus waffenmäßiger Großmachtspolitik hervorgehn, und wir haben nicht nachhaltiger Kraft genug, um sie in falscher Front und für Phrasen und Augustenburg zu verpuffen. Sie überschätzen die ganze dänische Frage und lassen sich dadurch blenden, daß dieselbe das allgemeine Feldgeschrei der Demokratie geworden ist, die über das Sprachrohr von Presse und Vereinen disponirt und diese an sich mittelmäßige Frage zum Moussiren bringt. Vor zwölf Monaten hieß es zweijährige Dienstzeit, vor acht Monaten Polen, jetzt Schleswig-Holstein. Wie sahn Sie selbst die europäische Lage im Sommer an? Sie fürchteten Gefahren jeder Art für uns und haben in Kissingen kein Hehl gemacht über die Unfähigkeit unsrer Politik; sind denn nun diese Gefahren durch den Tod des Königs von Dänemark plötzlich geschwunden und sollen wir jetzt an der Seite von Pfordten, Coburg und Augustenburg, gestützt auf alle Schwätzer und Schwindler der Bewegungspartei, plötzlich stark genug sein, alle vier Großmächte zu brüskiren, und sind letztre plötzlich so gutmüthig oder so machtlos geworden, daß wir uns dreist in jede Verlegenheit (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-8] Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holstein. bei welchem Ihre Berichte angelangt sind. Ich habe nicht die Hoffnung, Sie zu überzeugen, aber ich habe das Vertrauen zu Ihrer eignen dienstlichen Erfahrung und zu Ihrer Unparteilichkeit, daß Sie mir zugeben werden, es kann nur Eine Politik auf einmal gemacht werden, und das muß die sein, über welche das Ministerium mit dem Könige einig ist. Wollen Sie dieselbe und damit das Ministerium zu werfen suchen, so müssen Sie das hier in der Kammer und der Presse an der Spitze der Opposition unternehmen, aber nicht von Ihrer jetzigen Stellung aus; und dann muß ich mich ebenfalls an Ihren Satz halten, daß in einem Conflict des Patriotismus und der Freundschaft der Erstre entscheidet. Ich kann Sie aber versichern, daß mein Patriotismus von so starker und reiner Natur ist, daß eine Freundschaft, die neben ihm zu kurz kommt, dennoch eine sehr herzliche sein kann“. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

II. Die Abstufungen, welche in der dänischen Frage erreichbar erschienen und deren jede für die Herzogthümer einen Fortschritt zum Bessern im Vergleich mit dem vorhandenen Zustande bedeutete, gipfelten m. E. in der Erwerbung der Herzogthümer für Preußen, wie ich sofort nach dem Tode Friedrichs VII. in einem Conseil ausgesprochen habe. Ich erinnerte den König daran, daß jeder seiner nächsten Vorfahren — selbst seinen Bruder nicht ausgenommen — für den Staat einen Zuwachs gewonnen habe, Friedrich Wilhelm IV. Hohenzollern und das Jahdegebiet, Friedrich Wilhelm III. die Rheinprovinz, Friedrich Wilhelm II. Polen, Friedrich II. Schlesien, Friedrich Wilhelm I. Altvorpommern, der Große Kurfürst Hinterpommern und Magdeburg, Minden u. s. w., und ermunterte ihn, ein Gleiches zu thun. In dem Protokolle fehlte diese (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-9] meine Aeußerung. Der Geh. Rath Costenoble, der die Protokolle zu führen hatte, sagte, von mir zur Rede gestellt, der König hätte gemeint, es würde nur lieber sein, wenn meine Auslassungen nicht protokollarisch festgelegt würden; Seine Majestät schien geglaubt zu haben, daß ich unter bacchischen Eindrücken eines Frühstücks gesprochen hätte und froh sein würde, nichts weiter davon zu hören. Ich bestand aber auf der Einschaltung, die auch erfolgte. Der Kronprinz hatte, während ich sprach, die Hände zum Himmel erhoben, als wenn er an meinen gesunden Sinnen zweifelte; meine Collegen verhielten sich schweigend. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Wäre auch das nach der europäischen Situation und nach dem Willen des Königs nicht zu erreichen gewesen ohne Isolirung Preußens von allen Großmächten einschließlich Oestreichs, so stand zur Frage, auf welchem Wege für die Herzogthümer, sei es in Form der Personalunion oder in einer andern, ein vorläufiger Abschluß erreichbar bliebe, der immerhin eine Verbesserung der Lage der Herzogthümer hätte sein müssen. Ich habe von Anfang an die Annexion unverrückt im Auge behalten, ohne die andern Abstufungen aus dem Gesichtsfelde zu verlieren. Als die Situation, welche ich absolut glaubte vermeiden zu müssen, betrachtete ich diejenige, welche in der öffentlichen Meinung von unsern Gegnern als Programm aufgestellt war, d. h. den Kampf und Krieg Preußens für die Errichtung eines neuen Großherzogthums, durchzufechten an der Spitze der Zeitungen, der Vereine, der Freischaaren und der Bundesstaaten außer Oestreich, und ohne die Sicherheit, daß die Bundesregirungen die Sache auf jede Gefahr hin durchführen würden. Dabei hatte die (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Wenn auch durch Landtagsbeschlüsse, Zeitungen und Schützenfeste die deutsche Einheit nicht hergestellt werden konnte, so übte doch der Liberalismus einen Druck auf die Fürsten, der sie zu Concessionen für das Reich geneigter machte. Die Stimmung der Höfe schwankte zwischen dem Wunsche, dem Andringen der Liberalen gegenüber die fürstliche Stellung in particularistischer und autokratischer Sonderpolitik zu befestigen, und der Sorge vor Friedensstörungen durch äußere oder innere Gewalt. An ihrer deutschen Gesinnung ließ keine deutsche Regirung einen Zweifel, doch über die Art, wie die deutsche Zukunft gestaltet werden sollte, stimmten weder die Regirungen noch die Parteien überein. Es ist nicht wahrscheinlich, daß Kaiser Wilhelm als Regent und später als König auf dem Wege, den er zuerst unter dem Einflusse seiner Gemalin mit der neuen Aera betreten hatte, je dahin gebracht worden wäre, das zur Erreichung der Einheit Nothwendige zu thun, indem er dem Bunde absagte und die preußische Armee für die deutsche Sache einsetzte. Auf der andern Seite aber ist es auch (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Es kostete freilich noch 1864 viel Mühe, die Fäden zu lösen, durch welche der König unter Mitwirkung des liberalisirenden Einflusses seiner Gemalin mit jenem Lager in Verbindung stand. Ohne die verwickelten Rechtsfragen der Erbfolge untersucht zu haben, blieb er dabei: „Ich habe kein Recht auf Holstein.“ Meine Vorhaltung, daß die Augustenburger kein Recht hätten auf den herzoglichen und den Schaumburgischen Antheil, nie ein solches gehabt und auf den Königlichen Theil zweimal 1721 und 1852 entsagt hätten, daß Dänemark am Bundestage in der Regel mit Preußen gestimmt habe, der Herzog von Schleswig-Holstein aus Furcht vor preußischem Uebergewicht es mit Oestreich halten werde, machte keinen Eindruck. Wenn auch die Erwerbung dieser von zwei Meeren umspülten Provinzen und meine geschichtliche Erinnerung in der Conseilsitzung vom December 1863 auf das dynastische Gefühl des Herrn nicht ohne Wirkung war, so war auf der andern Seite die Vergegenwärtigung der Mißbilligung wirksam, die der (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-12] König, wenn er den Augustenburger aufgab, bei seiner Gemalin, bei dem kronprinzlichen Paare, bei verschiedenen Dynastien und bei denen zu erwarten hatte, welche damals in seiner Auffassung die öffentliche Meinung Deutschlands bildeten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Die öffentliche Meinung war in den gebildeten Mittelständen Deutschlands ohne Zweifel augustenburgisch, in derselben Urtheilslosigkeit, welche sich früher den Polonismus und später die künstliche Begeisterung für die battenbergische Bulgarei als deutsches Nationalinteresse unterschieben ließ. Die Mache der Presse war in diesen beiden etwas analogen Lagen betrübend erfolgreich und die öffentliche Dummheit für ihre Wirkung so empfänglich wie immer. Die Neigung zur Kritik der Regirung war 1864 auf der Höhe des Satzes: Nein, er gefällt mir nicht, der neue Bürgermeister. Ich weiß nicht, ob es heut noch Jemanden gibt, der es für vernünftig hielte, wenn nach Befreiung der Herzogthümer aus ihnen ein neues Großherzogthum hergestellt worden wäre, mit Stimmberechtigung am Bundestage und dem sich von selbst ergebenden Berufe, sich vor Preußen zu fürchten und es mit seinen Gegnern zu halten; damals aber wurde die Erwerbung der Herzogthümer für Preußen als eine Ruchlosigkeit von allen denen betrachtet, welche seit 1848 sich als die Vertreter der nationalen Gedanken aufgespielt hatten. Mein Respect vor der sogenannten öffentlichen Meinung, das heißt, vor dem Lärm der Redner und der Zeitungen, war niemals groß gewesen, wurde aber in Betreff der auswärtigen Politik in den beiden oben verglichenen Fällen noch erheblich herabgedrückt. Wie stark die Anschauungsweise des Königs bis dahin von dem landläufigen Liberalismus durch den Einfluß der Gemalin und der Bethmann-Hollwegschen Streberfraction imprägnirt war, beweist die Zähigkeit, mit der er an dem Widerspruch festhielt, in welchem das Oestreichisch-Frankfurter-Augustenburger Programm mit dem preußischen Streben nach nationaler Einheit stand. Logisch begründet konnte diese Politik dem König gegenüber unmöglich werden; er hatte sie, ohne eine chemische Analyse ihres Inhalts vorzunehmen, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-13] als Zubehör des Altliberalismus vom Standpunkt der frühern Thronfolgerkritik und der Rathgeber der Königin im Sinne von Goltz, Pourtalès u. s. w. überkommen. Ich greife in der Zeit vor, indem ich hier das letzte Lebenszeichen der Wochenblattspartei einschalte, das Schreiben des Herrn von Bethmann-Hollweg an den König vom 15. Juni 1866, dessen Hauptsätze lauten. 1) (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

„Was Eure Majestät stets gefürchtet und vermieden, was alle Einsichtigen voraussahen, daß ein ernstliches Zerwürfniß mit Oesterreich von Frankreich benutzt werden würde, um sich auf Kosten Deutschlands zu vergrößern (wo?) 2), liegt jetzt in L. Napoleons ausgesprochenem Programm aller Welt vor Augen. ... Die ganzen Rheinlande für die Herzogthümer wäre für ihn kein schlechter Tausch, denn mit den früher beanspruchten petites rectifications des frontières wird er sich gewiß nicht begnügen. Und Er ist der allmächtige Gebieter in Europa! ... Gegen den Urheber dieser (unsrer) Politik hege ich keine feindliche Gesinnung. Ich erinnere mich gerne, daß ich 1848 Hand in Hand mit ihm ging, um den König zu stärken. Im März 1862 rieth ich Eurer Majestät, einen Steuermann von conservativen Antecedentien zu wählen, der Ehrgeiz, Kühnheit und Geschick genug besitze, um das Staatsschiff aus den Klippen, in die es gerathen, herauszuführen, und ich würde Herrn von Bismarck genannt haben, hätte ich geglaubt, daß er mit jenen Eigenschaften die Besonnenheit und Folgerichtigkeit des Denkens und Handelns verbände, deren Mangel der Jugend kaum verziehen wird, bei einem Manne aber für den Staat, den er führt, lebensgefährlich ist. In der That war des Grafen Bismarck Thun von Anfang an voller Widersprüche. ... Von jeher ein entschiedener Vertreter der russisch-französischen Allianz, knüpfte er an die im preußischen Interesse Rußland zu leistende Hilfe gegen den polnischen Aufstand politische Projecte 3), (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-14] die ihm beide Staaten entfremden mußten. Als ihm 1863 mit dem Tode des Königs von Dänemark eine Aufgabe in den Schooß fiel, so glücklich, wie sie nur je einem Staatsmanne zu Theil geworden, verschmähte er es, Preußen an die Spitze der einmüthigen Erhebung Deutschlands (in Resolutionen) *) zu stellen, dessen Einigung unter Preußens Führung sein Ziel war, verband sich vielmehr mit Oesterreich, dem principiellen Gegner dieses Planes, um später sich mit ihm unversöhnlich zu verfeinden. Den Prinzen von Augustenburg, dem Ew. M. wohlwollten, und von dem damals Alles zu erhalten war, mißhandelte er **), um ihn bald darauf durch den Grafen Bernstorff auf der Londoner Conferenz für den Berechtigten erklären zu lassen. Dann verpflichtet er Preußen im Wiener Frieden, nur im Einverständniß mit Oesterreich definitiv über die befreiten Herzogthümer zu disponiren 1), und läßt in denselben Einrichtungen treffen, welche die beabsichtigte ‚Annexion‘ deutlich verkündigen. ... (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Dies Alles ist schlimm, aber noch viel schlimmer in meinen Augen, daß Graf Bismarck sich in dieser Handlungsweise mit der Gesinnung und den Zielen seines Königs in Widerspruch setzte und sein größtes Geschick darin bewies, daß er ihn Schritt für Schritt dem entgegengesetzten Ziele näher führte, bis die Umkehr unmöglich schien, während es nach meinem Dafürhalten die erste Pflicht eines Ministers ist, seinen Fürsten treu zu berathen, ihm die (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-15] Mittel zur Ausführung seiner Absichten darzureichen und vor Allem dessen Bild vor der Welt rein zu erhalten. Eurer Majestät gerader, gerechter und ritterlicher Sinn ist weltbekannt und hat Allerhöchstdemselben das allgemeine Vertrauen, die allgemeine Verehrung zugewendet. Graf Bismarck aber hat es dahin gebracht, daß Eurer Majestät edelste Worte dem eigenen Lande gegenüber, weil nicht geglaubt, wirkungslos verhallen, und daß jede Verständigung mit andern Mächten unmöglich geworden, weil die erste Vorbedingung derselben, das Vertrauen, durch eine ränkevolle Politik zerstört worden ist. ... Noch ist kein Schuß gefallen, noch ist Verständigung unter einer Bedingung möglich. Nicht die Kriegsrüstungen sind einzustellen, vielmehr, wenn es nöthig ist, zu verdoppeln, um Gegnern, die unsre Vernichtung wollen, siegreich entgegen zu treten oder mit vollen Ehren aus dem verwickelten Handel herauszukommen. Aber jede Verständigung ist unmöglich, so lange der Mann an Eurer Majestät Seite steht. Ihr entschiedenes Vertrauen besitzt, der dieses Eurer Majestät bei allen andern Mächten geraubt hat“ 1). ... III. Als der König dieses Schreiben erhielt, war er schon aus der Verstrickung der darin wiederholten Argumente frei geworden durch den Gasteiner Vertrag vom 14./20. August 1865. Mit welchen Schwierigkeiten ich bei den Verhandlungen über diesen noch zu kämpfen hatte, welche Vorsicht zu beachten war, zeigt mein nachstehendes Schreiben an Se. Majestät: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

1) König Wilhelm eröffnete den Brief erst Nikolsburg im Juli 1866; seine Antwort begann: „In Nikolsburg eröffnete ich erst Ihren Brief, und Ort und Datum der Antwort wären Antwort genug! etc.“; vgl. Schneider a. a. O. I 341. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-16] Dienstes mich veranlaßt, auf die Mittheilungen zurückzukommen, welche Eure Majestät soeben die Gnade hatten mir zu machen. Der Gedanke einer Theilung auch nur der Verwaltung der Herzogthümer würde, wenn er im Augustenburgischen Lager ruchbar würde, einen heftigen Sturm in Diplomatie und Presse erregen, weil man den Anfang der definitiven Theilung darin erblicken und nicht zweifeln würde, daß die Landestheile, welche der ausschließlich preußischen Verwaltung anheimfallen, für Augustenburg verloren sind. Ich glaube mit Eurer Majestät, daß I. M. die Königin die Mittheilungen geheim halten werde; wenn aber von Coblenz im Vertrauen auf die verwandschaftlichen Beziehungen eine Andeutung an die Königin Victoria, an die kronprinzlichen Herrschaften, nach Weimar oder nach Baden gelangte, so könnte allein die Thatsache, daß von uns das Geheimniß, welches ich dem Grafen Blome auf sein Verlangen zusagte, nicht bewahrt worden ist, das Mißtrauen des Kaisers Franz Joseph wecken und die Unterhandlung zum Scheitern bringen. Hinter diesem Scheitern steht aber fast unvermeidlich der Krieg mit Oestreich; Eure Majestät wollen es nicht nur meinem Interesse für den allerhöchsten Dienst, sondern meiner Anhänglichkeit an Allerhöchstdero Person zu Gute halten, wenn ich von dem Eindrucke beherrscht bin, daß Eure Majestät in einen Krieg mit einem andern Gefühle und mit freierem Muthe hineingehn werden, wenn die Nothwendigkeit dazu sich aus der Natur der Dinge und aus den monarchischen Pflichten ergiebt, als wenn der Hintergedanke Raum gewinnen kann, daß eine vorzeitige Kundwerdung der beabsichtigten Lösung den Kaiser abgehalten habe, zu dem letzten für Eure Majestät annehmbaren Auskunftsmittel die Hand zu bieten. Vielleicht ist meine Sorge thöricht und selbst wenn sie begründet wäre und Eure Majestät darüber hinweggehn wollten, so würde ich denken, daß Gott Eurer Majestät Herz lenkt, und meinen Dienst deshalb nicht minder freudig thun, aber zur Wahrung des Gewissens doch ehrfurchtsvoll anheimgeben, ob Eure Majestät mir nicht befehlen wollen, den Feldjäger telegraphisch von Salzburg zurückzurufen.†) Die äußere Veranlassung dazu könnte (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

An der mit †) bezeichneten Stelle dieses Schreibens hat der König an den Rand geschrieben: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

„Einverstanden. — Ich that der Sache deshalb Erwähnung, weil in den letzten 24 Stunden ihrer nicht mehr Erwähnung geschah, und ich sie als ganz aus der Combination fallengelassen ansah, nachdem die wirkliche Trennung und Besitzergreifung an die Stelle getreten war. Durch meine Mittheilung an die Königin wollte ich den Uebergang dereinst anbahnen zur Besitzergreifung, die sich nach und nach aus der Administrations-Theilung entwickelt hätte. Indessen dies kann ich auch später so darstellen, wenn die Eigenthumstheilung wirklich erfolgt, an die ich noch immer nicht glaube, da Oesterreich zu stark zurückstecken muß, nachdem es sich für Augustenburg und gegen Besitznahme, wenn freilich die einseitige, zu sehr avancirte. W.“1) (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Nach dem Gasteiner Vertrage und der Besitznahme von Lauenburg, der ersten Mehrung des Reichs, unter König Wilhelm, fand meiner Wahrnehmung nach ein psychologischer Wandel in seiner Stimmung, ein Geschmackfinden an Eroberungen statt, aber doch mit vorwiegender Befriedigung darüber, daß dieser Zuwachs, der Hafen von Kiel, die militärische Stellung in Schleswig und das Recht, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-20] Angesichts der Rechte, die sich in unsern Händen und in denen Oestreichs befinden und die unantastbar sind, so lange nicht einem der Herrn Prätendenten es gelingt, zu unsrer Ueberzeugung ein besseres Recht als das auf uns übergegangene des Königs Christian IX. von Dänemark nachzuweisen, angesichts der Rechte, welche in voller Souveränetät von uns und Oestreich besessen werden, sehe ich nicht ein, wie uns die schließliche Erfüllung unsrer Bedingungen entgehn sollte, sobald wir nur nicht die Geduld verlieren, sondern ruhig abwarten, ob sich Jemand findet, der es unternimmt, Düppel zu belagern, wenn die Preußen darin sind. ... (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Zweifeln Sie dennoch an der Möglichkeit, unsre Absichten zu verwirklichen, so habe ich schon in der Commission ein Auskunftsmittel empfohlen: limitiren Sie die Anleihe dahin, daß die erforderlichen Beträge nur dann zahlbar sind, wenn wir wirklich Kiel besitzen, und sagen Sie: ,Kein Kiel, kein Geld!‘ Ich glaube, daß Sie andern Ministern als denen, die jetzt die Ehre haben, sich des Vertrauens Sr. Majestät des Königs zu erfreuen, eine solche Bedingung nicht abschlagen würden. ... (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Das Vertrauen der Bevölkerung zur Weisheit des Königs ist groß genug, daß sie sich sagt, sollte das Land dabei (durch Einführung der zweijährigen Dienstzeit) zu Grunde gehn oder in Schaden kommen, so wird es ja der König nicht leiden. Die Leute unterschätzen eben die Bedeutung der Verfassung in Folge der frühern Traditionen. Ich bin überzeugt, daß ihr in die Weisheit des Königs gesetztes Vertrauen sie nicht täuschen wird; aber ich kann doch nicht leugnen, daß es mir einen peinlichen Eindruck macht, wenn ich sehe, daß angesichts einer großen nationalen Frage, die seit 20 Jahren die öffentliche Meinung beschäftigt hat, diejenige Versammlung, die in Europa für die Concentration der Intelligenz und des Patriotismus in Preußen gilt, zu keiner andern Haltung, als zu der einer impotenten Negative sich erheben kann. Es ist dies, meine Herrn, nicht die Waffe, mit der Sie dem Königthum das Scepter aus der Hand winden werden, es ist auch nicht das (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Ein Andenken an den Gasteiner Vertrag ist das nachstehende Schreiben des Königs 1): (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

König Wilhelm.“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-24] Aber schon im März oder April fing man in Hanover unter fadenscheinigen Vorwänden an, Reserven einzuberufen. Es hatten Einflüsse auf den König Georg stattgefunden, namentlich durch seinen Halbbruder, den östreichischen General Prinzen Solms, der nach Hanover gekommen war und den König umgestimmt hatte durch übertriebene Schilderung der östreichischen Heereskräfte, von denen 800 000 Mann bereit seien, und wie ich aus intimen hanöverschen Quellen vernommen habe, auch durch ein Erbieten von territorialer Vergrößerung, mindestens durch den Regirungs- Bezirk Minden. Meine amtlichen Anfragen bezüglich der Rüstungen Hanovers wurden mit der fast höhnisch klingenden Auskunft beantwortet, daß die Herbstübungen aus wirthschaftlichen Gründen schon im Frühjahr abgehalten werden sollten 1). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-25] mitzureden.“ Hatte doch auch die von dem Könige noch aus Horsitz am 6. und aus Pardubitz am 8. Juli in dem freundschaftlichsten Tone an den Kurfürsten gerichtete Aufforderung, ein Bündniß mit Preußen zu schließen und seine Truppen aus dem feindlichen Lager zurückzurufen, keinen Erfolg. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Auch der Erbprinz von Augustenburg hatte durch Ablehnung der sogenannten Februarbedingungen den günstigen Moment versäumt. Von welfischer Seite 1) ist neuerdings folgende Version verbreitet worden: Der Verfasser behauptet, von dem Prinzen erfahren zu haben, daß derselbe sich in einer Audienz bei dem Könige Wilhelm zu den geforderten Zugeständnissen verpflichtet, der König ihm die Einsetzung als Herzog zugesichert und die formelle Erledigung durch den Ministerpräsidenten auf den nächsten Tag zugesagt habe. Ich hätte mich am folgenden Tage bei dem Prinzen eingestellt, ihm aber gesagt, mein Wagen hielte vor der Thüre, ich müsse in diesem Augenblicke nach Biarritz zum Kaiser Napoleon reisen, der Prinz sei aufgefordert worden, einen Bevollmächtigten in Berlin zurückzulassen, und nicht wenig erstaunt gewesen, am nächsten Tage in den Berliner Zeitungen zu lesen, daß er die preußischen Vorschläge abgelehnt habe. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Es ist das eine plumpe Erfindung, in der Hauptsache und in allen Einzelheiten. Die Verhandlungen mit dem Erbprinzen sind von Sybel 2) nach den Acten dargestellt; ich habe dazu aus meiner Erinnerung und meinen Papieren Einiges nachzutragen. Der König ist niemals mit dem Erbprinzen einig gewesen; ich war nie in des Letztern Wohnung und habe ihm gegenüber nie die Namen Biarritz und Napoleon ausgesprochen; ich bin 1864 am 1. October nach Baden, von dort am 5. nach Biarritz, 1865 am 30. September direct dorthin gereist und 1863 garnicht in Biarritz gewesen. Eine (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

3) S. dieses von Bismarck verfaßte Schreiben des Königs vom 18. Januar bei Jansen-Samwer S. 601 f. Beil. 13. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

7) Des Schreibens vom 18., das im Entwurfe dem Könige am 17. vorgelegt worden ist. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Nachdem die preußischen Bevollmächtigten am 28. Mai 1864 auf der Londoner Conferenz die Erklärung abgegeben hatten, daß die deutschen Mächte die Constituirung Schleswig-Holsteins als eines selbständigen Staates unter der Souveränetät des Erbprinzen von Augustenburg begehrten, hatte ich mit dem Letztern am 1. Juni 1864, Abends von 9 bis 12 Uhr, in meiner Wohnung eine Besprechung, um festzustellen, ob ich dem Könige zur Vertretung seiner Candidatur rathen könne. Die Unterredung drehte sich hauptsächlich um die von dem Kronprinzen in der Denkschrift vom 26. Februar bezeichneten Punkte. Die Erwartung Seiner Königlichen Hoheit, daß der Erbprinz bereitwillig darauf eingehn würde, fand ich nicht bestätigt. Die Substanz der Erklärungen des Letztern ist von Sybel nach den Acten gegeben 2). Am lebhaftesten widersprach er den Landabtretungen behufs der Anlage von Befestigungen; sie könnten sich ja auf eine Quadratmeile belaufen, meinte er. Ich mußte unsre Forderung als abgelehnt, eine weitre Verhandlung als aussichtslos betrachten, auf die der Prinz hinzudeuten schien, indem er beim Abschiede sagte: „Wir sehn uns wohl noch“ — (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-30] Sommer benützbar und von zweifelhaftem militärischen Werthe sein; für 40 bis 50 Millionen Thaler, die er kosten werde, baue man besser eine zweite Flotte. Die Gründe, die mir in der Bewerbung um die königliche Entscheidung entgegen gesetzt wurden, hatten ihr Gewicht mehr in dem großen Ansehn, das die militärischen Kreise bei Sr. Majestät genossen, als in ihrem materiellen Inhalt; sie gipfelten in dem Argument, daß ein so kostspieliges Werk wie der Canal zu seinem Schutze im Kriege eine Truppenmasse erfordern würde, die wir der Landarmee nicht ohne Schaden entziehn könnten. Es wurde die Ziffer von 60000 Mann angegeben, die im Falle eines dänischen Anschlusses an feindliche Landungen zum Schutze des Canals verfügbar gehalten werden müßten. Ich wandte dagegen ein, daß wir Kiel mit seinen Anlagen, Hamburg und den Weg von dort nach Berlin immer würden decken müssen, auch wenn kein Canal vorhanden sei. Unter der Last des Uebermaßes andrer Geschäfte und den mannichfachen Kämpfen der siebziger Jahre konnte ich nicht die Kraft und Zeit aufwenden, um den Widerstand der genannten Behörde vor dem Kaiser zu überwinden; die Sache blieb in den Acten liegen. Ich schreibe den Widerstand mehr der militärischen Eifersucht zu, mit der ich 1866, 1870 und später Kämpfe zu bestehn hatte, die meinem Gemüthe peinlicher gewesen sind als die meisten andern. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Am 30. Juni 1866 Abends traf Seine Majestät mit dem Hauptquartier in Reichenberg ein. Die Stadt von 28,000 Einwohnern beherbergte 1800 östreichische Gefangne und war nur von 500 preußischen Trainsoldaten mit alten Carabinern besetzt; nur einige Meilen davon lag die sächsische Reiterei. Diese konnte in einer Nacht Reichenberg erreichen und das ganze Hauptquartier mit Sr. Majestät aufheben. Daß wir in Reichenberg Quartier hatten, war telegraphisch publicirt geworden. Ich erlaubte mir den König hierauf aufmerksam zu machen, und infolge dieser Anregung wurde befohlen, daß die Trainsoldaten sich einzeln und unauffällig nach dem Schlosse begeben sollten, wo der König Quartier genommen hatte. Die Militärs waren über diese meine Einmischung empfindlich, und um ihnen zu beweisen, daß ich um meine Sicherheit nicht besorgt sei, verließ ich das Schloß, wohin Seine Majestät mich befohlen hatte, und behielt mein Quartier in der Stadt. Es war damit schon der Keim zu einer der Ressort-Eifersucht entspringenden Verstimmung der Militärs gegen mich wegen meiner persönlichen Stellung zu Sr. Majestät gelegt, die sich im Laufe des Feldzugs und des französischen Krieges weiter entwickelte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-33] Nach der Schlacht von Königgrätz war die Situation derartig, daß ein Eingehn auf die erste Annäherung Oestreichs zu Friedensunterhandlungen nicht nur möglich, sondern durch die Einmischung Frankreichs geboten erschien. Letztre datirte von dem in der Nacht vom 4. zum 5. Juli in Hořricz *) eingetroffenen, an Seine Majestät gerichteten Telegramm, in welchem Louis Napoleon dem Könige mittheilte, daß der Kaiser Franz Joseph ihm Venetien abgetreten und seine Vermittlung angerufen habe. Der glänzende Erfolg der Waffen des Königs nöthige Napoleon aus seiner bisherigen Zurückhaltung herauszutreten 1). Die Einmischung war hervorgerufen durch unsern Sieg, nachdem Napoleon bis dahin auf unsre Niederlage und Hülfsbedürftigkeit gerechnet hatte. Wenn unsrerseits der Sieg von Königgrätz durch Eingreifen des Generals v. Etzel und durch energische Verfolgung des geschlagnen Feindes vermittelst unsrer intacten Cavallerie vollständig ausgenutzt worden wäre, so würde wahrscheinlich die Sendung des Generals von Gablenz in das preußische Hauptquartier schon zu dem Abschluß nicht nur eines Waffenstillstandes, sondern auch der Basen des künftigen Friedens geführt haben, bei der Mäßigung, welche unsrerseits und damals auch noch bei dem Könige in Bezug auf die Bedingungen des Friedens vorwaltete, eine Mäßigung, die damals von Oestreich doch schon mehr als nützlich beanspruchte, und uns als künftige Genossen alle bisherigen Bundesglieder, aber alle verkleinert und verletzt, gelassen hätte. Auf meinen Antrag antwortete Seine Majestät dem Kaiser Napoleon dilatorisch, aber doch mit Ablehnung jedes Waffenstillstandes ohne Friedensbürgschaften. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Unter dem Druck der französischen Intervention und zu einer Zeit, als es sich noch nicht übersehn ließ, ob es gelingen werde, sie auf dem diplomatischen Gebiete festzuhalten, entschloß ich mich, dem Könige den Appell an die ungarische Nationalität anzurathen. Wenn Napoleon in der angedeuteten Weise in den Krieg eingriff, Rußlands Haltung zweifelhaft blieb, namentlich aber die Cholera in unsrer Armee weitre Fortschritte machte, so konnte unsre Lage eine so schwierige werden, daß wir zu jeder Waffe, die uns die entfesselte nationale Bewegung nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ungarn und Böhmen darbieten konnte, greifen mußten, um nicht zu unterliegen 1). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Am 12. Juli fand in dem Marschquartier Czernahora Kriegsrath, oder, wie die Militärs die Sache genannt haben wollen, Generalsvortrag Statt — ich behalte der Kürze und des allgemeinen Verständnisses wegen den erstern auch von Roon 1) gebrauchten Ausdruck bei, obwohl der Feldmarschall Moltke in einem dem Professor von Treitschke am 9. Mai 1881 übergebenen Aufsatze bemerkt hat, daß in beiden Kriegen niemals Kriegsrath gehalten worden sei 2). Zu diesen unter dem Vorsitz des Königs gehaltenen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-36] Berathungen, die anfangs regelmäßig, später in größern Abständen Statt fanden, wurde ich 1866 zugezogen, wenn ich erreichbar war. An jenem Tage handelte es sich um die Richtung des weitern Vorgehns gegen Wien; ich war verspätet zur Besprechung erschienen, und der König orientirte mich, daß es sich darum handle, die Befestigungen der Floridsdorfer Linien zu überwältigen, um nach Wien zu gelangen, daß dazu nach der Beschaffenheit der Werke schweres Geschütz aus Magdeburg herbeigeführt werden müsse *) und daß dazu eine Transportzeit von 14 Tagen erforderlich sei. Nachdem Bresche gelegt, sollten die Werke gestürmt werden, wofür ein muthmaßlicher Verlust von 2000 Mann veranschlagt wurde. Der König verlangte meine Meinung über die Frage. Mein erster Eindruck war, daß wir 14 Tage nicht verlieren durften, ohne die Gefahr mindestens der französischen Einmischung sehr viel näher zu rücken, als sie ohnehin lag **). Ich machte meine Besorgniß geltend und sagte: „Vierzehn Tage abwartender Pause können wir nicht verlieren, ohne das Schwergewicht des französischen Arbitriums gefährlich zu verstärken.“ Ich stellte die Frage, ob wir überhaupt die Floridsdorfer Befestigungen stürmen müßten, ob wir sie nicht umgehn könnten. Mit einer Viertelschwenkung links könnte die Richtung auf Preßburg genommen und die Donau dort mit leichterer Mühe überschritten werden. Entweder würden die Oestreicher dann den Kampf in ungünstiger Lage mit Front nach Osten südlich der Donau aufnehmen oder vorher auf Ungarn ausweichen; dann sei Wien ohne Schwertstreich zu nehmen. Der König ließ sich eine (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

„Es ist die Absicht Sr. Majestät des Königs, die Armee in einer Stellung hinter dem Rußbach zu concentriren. — In dieser Stellung soll die Armee zunächst in der Lage sein, einem Angriff entgegen zu treten, welchen der Feind mit etwa 150 000 Mann von Floridsdorf aus zu unternehmen vermöchte; demnächst soll sie aus derselben entweder die Floridsdorfer Verschanzungen recognosciren und angreifen, oder aber, unter Zurücklassung eines Observationscorps gegen Wien, möglichst schnell nach Preßburg abmarschiren können. — Beide Armeen schieben ihre Vortruppen und Recognoscirungen an den Rußbach in der Richtung auf Wolkersdorf und Deutsch- Wagram vor. Gleichzeitig mit diesem Vorrücken soll der Versuch gemacht werden, Preßburg durch überraschenden Angriff zu nehmen und den eventuellen Donauübergang daselbst zu sichern.“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Als es darauf ankam, zu dem Telegramm Napoleons vom 4. Juli Stellung zu nehmen, hatte der König die Friedensbedingungen so skizzirt: Bundesreform unter preußischer Leitung, Erwerb Schleswig-Holsteins, Oestreichisch-Schlesiens, eines böhmischen Grenzstrichs, Ostfrieslands, Ersetzung der feindlichen Souveräne von Hanover, Kurhessen, Meiningen, Nassau durch ihre Thronfolger. Später traten andre Wünsche hervor, die theils in dem Könige selbst entstanden, theils durch äußere Einflüsse erzeugt (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-39] waren. Der König wollte Theile von Sachsen, Hanover, Hessen annectiren, besonders aber Ansbach und Bayreuth wieder an sein Haus bringen. Seinem starken und berechtigten Familiengefühl lag der Rückerwerb der fränkischen Fürstenthümer nahe. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Ich erinnere mich, auf einem der ersten Hoffeste, denen ich in den 30er Jahren beiwohnte, einem Costümballe bei dem damaligen Prinzen Wilhelm, diesen in der Tracht des Kurfürsten Friedrich I. gesehn zu haben. Die Wahl des Costüms außerhalb der Richtung der übrigen, war der Ausdruck des Familiengefühls, der Abstammung, und selten wird dieses Costüm natürlicher und kleidsamer getragen worden sein, als von dem damals etwa 37 Jahre alten Prinzen Wilhelm, dessen Bild darin mir stets gegenwärtig geblieben ist. Der starke dynastische Familiensinn war vielleicht in Kaiser Friedrich III. noch schärfer ausgeprägt, aber gewiß ist, daß 1866 der König auf Ansbach und Bayreuth noch schwerer verzichtete als auf Oestreichisch-Schlesien, Deutsch-Böhmen und Theile von Sachsen. Ich legte an Erwerbungen von Oestreich und Baiern den Maßstab der Frage, ob die Einwohner in etwaigen Kriegen bei einem Rückzuge der preußischen Behörden und Truppen dem Könige von Preußen noch treu bleiben, Befehle von ihm annehmen würden, und ich hatte nicht den Eindruck, daß die Bevölkerung dieser Gebiete, die in die bairischen und östreichischen Verhältnisse eingelebt ist, in ihrer Gesinnung den Hohenzollernschen Neigungen entgegenkommen würde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-40] was selten und vorübergehend der Fall war. Wenn auch gelegentlich das Gefühl der bairischen Protestanten verletzt wurde, so hat sich die Empfindlichkeit darüber niemals in Gestalt einer Erinnerung an Preußen geäußert. Uebrigens wäre auch nach einer solchen Beschneidung der bairische Stamm von den Alpen bis zur Oberpfalz in der Verbitterung, in welche die Verstümmelung des Königreichs ihn versetzt haben würde, immer als ein schwer zu versöhnendes und nach der ihm innewohnenden Stärke gefährliches Element für die zukünftige Einigkeit zu betrachten gewesen. Es gelang mir jedoch in Nikolsburg nicht, dem Könige meine Ansichten über den zu schließenden Frieden annehmbar zu machen. Ich mußte daher Herrn von der Pfordten, der am 24. Juli dorthin gekommen war, unverrichteter Sache abreisen lassen und mich mit einer Kritik seines Verhaltens vor dem Kriege begnügen. Er war ängstlich, die östreichische Anlehnung vollständig aufzugeben, obgleich er sich auch dem Wiener Einfluß gern entzogen hätte, wenn es ohne Gefahr möglich war; aber Rheinbunds-Velleitäten, Reminiscenzen an die Stellung, die die deutschen Kleinstaaten unter französischem Schutze von 1806 bis 1814 gehabt hatten, waren bei ihm nicht vorhanden — ein ehrlicher und gelehrter, aber politisch nicht geschickter deutscher Professor. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Dieselbe Erwägung, wie in Betreff der fränkischen Fürstenthümer, machte ich Sr. Majestät gegenüber geltend in Betreff Oestreichisch-Schlesiens, das eine der kaisertreuesten Provinzen, überdies vorwiegend slavisch bevölkert ist, und in Betreff der böhmischen Gebiete, die der König auf Andringen des Prinzen Friedrich Carl als Glacis vor den sächsischen Bergen behalten wollte, Reichenberg, das Egerthal, Karlsbad. Es kam später hinzu, daß Karolyi jede Landabtretung kategorisch ablehnte, selbst die von mir ihm gegenüber berührte des kleinen Gebiets von Braunau, dessen Besitz für uns ein Eisenbahninteresse hatte. Ich zog vor, auch darauf zu verzichten, sobald das Festhalten den Abschluß zu verschleppen und die Gefahr französischer Einmischung zu verschärfen drohte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-41] Der Wunsch des Königs, Westsachsen, Leipzig, Zwickau und Chemnitz zur Herstellung der Verbindung mit Bayreuth zu behalten, stieß auf die Erklärung Karolyis, daß er die Integrität Sachsens als conditio sine qua non der Friedensbedingungen festhalten müsse. Dieser Unterschied in der Behandlung der Bundesgenossen beruhte auf den persönlichen Beziehungen zum Könige von Sachsen und auf dem Verhalten der sächsischen Truppen nach der Schlacht bei Königgrätz, die bei dem Rückzuge den festesten und intactesten militärischen Körper gebildet hatten. Die andern deutschen Truppen hatten sich tapfer geschlagen, wo sie in's Gefecht kamen, aber spät und ohne praktische Erfolge, und es waltete in Wien der den Umständen nach unberechtigte Eindruck vor, von den Bundesgenossen, namentlich von Baiern und Würtemberg, unzulänglich unterstützt zu sein. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Inzwischen hatte ich in den Conferenzen mit Karolyi und mit Benedetti, dem es Dank dem Ungeschick unsrer militärischen Polizei im Rücken des Heeres gelungen war, in der Nacht vom 11. zum 12. Juli nach Zwittau zu gelangen und dort plötzlich vor meinem Bette zu erscheinen, die Bedingungen ermittelt, unter denen der Friede erreichbar war. Benedetti erklärte für die Grundlinie der Napoleonischen Politik, daß eine Vergrößerung Preußens um höchstens 4 Millionen Seelen in Norddeutschland, unter Festhaltung der Mainlinie als Südgrenze, keine französische Einmischung nach sich ziehn werde. Er hoffte wohl, einen süddeutschen Bund als französische Filiale auszubilden. Oestreich trat aus dem Deutschen Bunde aus und war bereit, alle Einrichtungen, die der König in Norddeutschland treffen werde, vorbehaltlich der Integrität Sachsens, anzuerkennen. Diese Bedingungen enthielten Alles, dessen wir bedurften: freie Bewegung in Deutschland. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Ich war nach allen vorstehenden Erwägungen fest entschlossen, die Annahme des von Oestreich gebotenen Friedens zur Cabinetsfrage zu machen. Die Lage war eine schwierige; allen Generalen war die Abneigung gemeinsam, den bisherigen Siegeslauf abzubrechen, und der König war militärischen Einflüssen im Laufe jener Tage öfter und bereitwilliger zugänglich als den meinigen; ich war der Einzige im Hauptquartier, dem eine politische Verantwortlichkeit als Minister oblag und der sich nothwendig der Situation (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-43] gegenüber eine Meinung bilden und einen Entschluß fassen mußte, ohne sich für den Ausfall auf irgend eine andre Autorität in Gestalt collegialischen Beschlusses oder höherer Befehle berufen zu können. Ich konnte die Gestaltung der Zukunft und das von ihr abhängige Urtheil der Welt ebenso wenig voraussehn wie irgend ein Andrer, aber ich war der einzige Anwesende, der gesetzlich verpflichtet war, eine Meinung zu haben, zu äußern und zu vertreten. Ich hatte sie mir in sorgsamer Ueberlegung der Zukunft unsrer Stellung in Deutschland und unsrer Beziehungen zu Oestreich gebildet, war bereit, sie zu verantworten und bei dem Könige zu vertreten. Es war mir bekannt, daß man mich im Generalstabe den „Questenberg im Lager“ nannte, und die Identificirung mit dem Wallensteinschen Hofkriegsrath war mir nicht schmeichelhaft. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Am 23. Juli fand unter dem Vorsitze des Königs ein Kriegsrath Statt, in dem beschlossen werden sollte, ob unter den gebotenen Bedingungen Friede zu machen oder der Krieg fortzusetzen sei. Eine schmerzhafte Krankheit, an der ich litt, machte es nothwendig, die Berathung in meinem Zimmer zu halten. Ich war dabei der einzige Civilist in Uniform. Ich trug meine Ueberzeugung dahin vor, daß auf die östreichischen Bedingungen der Friede geschlossen werden müsse, blieb aber damit allein; der König trat der militärischen Mehrheit bei. Meine Nerven widerstanden den mich Tag und Nacht ergreifenden Eindrücken nicht, ich stand schweigend auf, ging in mein anstoßendes Schlafzimmer und wurde dort von einem heftigen Weinkrampf befallen. Während desselben hörte ich, wie im Nebenzimmer der Kriegsrath aufbrach. Ich machte mich nun an die Arbeit, die Gründe zu Papier zu bringen, die m. E. für den Friedensschluß sprachen, und bat den König, wenn er diesen meinen verantwortlichen Rath nicht annehmen wolle, mich meiner Aemter als Minister bei Weiterführung des Krieges zu entheben. Mit diesem Schriftstücke *) begab ich mich am folgenden Tage zum (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-44] mündlichen Vortrag. Im Vorzimmer fand ich zwei Obersten mit Berichten über das Umsichgreifen der Cholera unter ihren Leuten, von denen kaum die Hälfte dienstfähig war *). Die erschreckenden Zahlen befestigten meinen Entschluß, aus dem Eingehn auf die östreichischen Bedingungen die Cabinetsfrage zu machen. Ich befürchtete neben politischen Sorgen, daß bei Verlegung der Operationen nach Ungarn die mir bekannte Beschaffenheit dieses Landes die Krankheit schnell übermächtig machen würde. Das Klima, besonders im August, ist gefährlich, der Wassermangel groß, die ländlichen Ortschaften mit Feldmarken von mehren Quadratmeilen weit verstreut, dazu Reichthum an Pflaumen und Melonen. Mir schwebte als warnendes Beispiel unser Feldzug von 1792 in der Champagne vor, wo wir nicht durch die Franzosen, sondern durch die Ruhr zum Rückzug gezwungen wurden. Ich entwickelte dem Könige an der Hand meines Schriftstücks die politischen und militärischen Gründe, die gegen die Fortsetzung des Krieges sprachen. Oestreich schwer zu verwunden, dauernde Bitterkeit und Revanchebedürfniß mehr als nöthig zu hinterlassen, mußten wir vermeiden, vielmehr uns die Möglichkeit, uns mit dem heutigen Gegner wieder zu befreunden, wahren und jedenfalls den östreichischen Staat als einen Stein im europäischen Schachbrett und die Erneuerung guter Beziehungen mit demselben als einen für uns offen zu haltenden Schachzug ansehn. Wenn Oestreich schwer geschädigt wäre, so würde es der Bundesgenosse Frankreichs und jedes Gegners werden; es würde selbst seine antirussischen Interessen der Revanche gegen Preußen opfern. Auf der andern Seite könnte ich mir keine für uns annehmbare Zukunft der Länder, welche die östreichische Monarchie bildeten, denken, falls letztre durch ungarische und slavische Aufstände zerstört oder in dauernde Abhängigkeit versetzt werden sollte. Was *) Während des Feldzuges sind 6427 Mann der Seuche erlegen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Gegen alles dies erhob der König keine Einwendung; aber die vorliegenden Bedingungen erklärte er für ungenügend, ohne jedoch seine Forderungen bestimmt zu formuliren. Nur so viel war klar, daß seine Ansprüche seit dem 4. Juli gewachsen waren. Der Hauptschuldige könne doch nicht ungestraft ausgehn, die Verführten (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-46] könnten wir dann leichter davonkommen lassen, sagte er, und bestand auf den schon erwähnten Gebietsabtretungen von Oestreich. Ich erwiderte: Wir hätten nicht eines Richteramts zu walten, sondern deutsche Politik zu treiben; Oestreichs Rivalitätskampf gegen uns sei nicht strafbarer als der unsrige gegen Oestreich; unsre Aufgabe sei Herstellung oder Anbahnung deutsch-nationaler Einheit unter Leitung des Königs von Preußen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-47] Erfolge und seiner Neigung, den Siegeslauf fortzusetzen, meiner Ueberzeugung gemäß leisten mußte, führte eine so lebhafte Erregung des Königs herbei, daß eine Verlängerung der Erörterung unmöglich war und ich mit dem Eindruck, meine Auffassung sei abgelehnt, das Zimmer verließ mit dem Gedanken, den König zu bitten, daß er mir erlauben möge, in meiner Eigenschaft als Offizier in mein Regiment einzutreten. In mein Zimmer zurückgekehrt, war ich in der Stimmung, daß mir der Gedanke nahe trat, ob es nicht besser sei, aus dem offenstehenden, vier Stock hohen Fenster zu fallen, und ich sah mich nicht um, als ich die Thür öffnen hörte, obwohl ich vermuthete, daß der Eintretende der Kronprinz sei, an dessen Zimmer ich auf dem Corridor vorübergegangen war. Ich fühlte seine Hand auf meiner Schulter, während er sagte: „Sie wissen, daß ich gegen den Krieg gewesen bin, Sie haben ihn für nothwendig gehalten und tragen die Verantwortlichkeit dafür. Wenn Sie nun überzeugt sind, daß der Zweck erreicht ist und jetzt Friede geschlossen werden muß, so bin ich bereit, Ihnen beizustehn und Ihre Meinung bei meinem Vater zu vertreten.“ Er begab sich dann zum Könige, kam nach einer kleinen halben Stunde zurück in derselben ruhigen und freundlichen Stimmung, aber mit den Worten: „Es hat sehr schwer gehalten, aber mein Vater hat zugestimmt.“ Diese Zustimmung hatte ihren Ausdruck gefunden in einem mit Bleistift an den Rand einer meiner letzten Eingaben geschriebenen Marginale ungefähr des Inhalts: „Nachdem mein Ministerpräsident mich vor dem Feinde im Stiche läßt und ich hier außer Stande bin, ihn zu ersetzen, habe ich die Frage mit meinem Sohne erörtert, und da sich derselbe der Auffassung des Ministerpräsidenten angeschlossen hat, sehe ich mich zu meinem Schmerze gezwungen, nach so glänzenden Siegen der Armee in diesen sauren Apfel zu beißen und einen so schmachvollen Frieden anzunehmen.“ — Ich glaube mich nicht im Wortlaut zu irren, obschon mir das Actenstück gegenwärtig nicht zugänglich ist; der Sinn war jedenfalls der angegebene und mir damals trotz der Schärfe der Ausdrücke (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-48] eine erfreuliche Lösung der für mich unerträglichen Spannung. Ich nahm die Königliche Zustimmung zu dem von mir als politisch nothwendig Erkannten gern entgegen, ohne mich an ihrer unverbindlichen Form zu stoßen. Im Geiste des Königs waren eben die militärischen Eindrücke damals die vorherrschenden, und das Bedürfniß, die bis dahin so glänzende Siegeslaufbahn fortzusetzen, war vielleicht stärker als die politischen und diplomatischen Erwägungen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Von dem erwähnten Marginale des Königs, das mir der Kronprinz überbrachte, blieb mir als einziges Residuum die Erinnerung an die heftige Gemüthsbewegung, in die ich meinen alten Herrn hatte versetzen müssen, um zu erlangen, was ich im Interesse des Vaterlandes für geboten hielt, wenn ich verantwortlich bleiben sollte. Noch heut haben diese und analoge Vorgänge bei mir keinen andern Eindruck hinterlassen, als die schmerzliche Erinnerung, daß ich einen Herrn, den ich persönlich liebte wie diesen, so habe verstimmen müssen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Nachdem die Präliminarien mit Oestreich unterzeichnet waren, fanden sich Bevollmächtigte von Würtemberg, Baden und Darmstadt ein. Den würtembergischen Minister von Varnbüler zu empfangen, lehnte ich zunächst ab, weil die Verstimmung gegen ihn bei uns stärker war als gegen Pfordten. Er war politisch gewandter als der Letztre, aber auch weniger durch deutsch-nationale Skrupel behindert. Seine Stimmung beim Ausbruch des Krieges hatte sich in dem Vae victis! ausgedrückt und war zu erklären aus den Stuttgarter Beziehungen zu Frankreich, die insbesondre durch die Vorliebe der Königin von Holland, einer würtembergischen Prinzessin, getragen waren. Dieselbe hatte, so lange ich in Frankfurt war, viel für mich übrig, ermuthigte mich in meinem Widerstande gegen Oestreichs (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-49] Politik und gab ihre antiöstreichische Gesinnung dadurch zu erkennen, daß sie im Hause ihres Gesandten Herrn von Scherff mich, nicht ohne Unhöflichkeit gegen den östreichischen Präsidial-Gesandten Baron Prokesch, tendenziös auszeichnete, zu einer Zeit, wo Louis Napoleon noch Hoffnung auf ein preußisches Bündniß gegen Oestreich hegte und den italienischen Krieg bereits im Sinne hatte. Ich lasse unentschieden, ob schon damals die Vorliebe für das Napoleonische Frankreich allein die Politik der Königin von Holland bestimmte, oder ob nur das unruhige Bedürfniß, überhaupt Politik zu treiben, sie zu einer Parteinahme in dem preußisch-östreichischen Streit und zu einer auffällig schlechten Behandlung meines östreichischen Collegen und Bevorzugung meiner bewog. Jedenfalls habe ich nach 1866 die mir früher so gnädige Fürstin unter den schärfsten Gegnern meiner in Voraussicht des Bruches von 1870 befolgten Politik gefunden. Im Jahre 1867 wurden wir zuerst durch amtliche französische Kundgebungen verdächtigt, Absichten auf Holland zu haben, namentlich in der Aeußerung des Ministers Rouher in einer Rede gegen Thiers, 16. März 1867, daß Frankreich unser Vordringen an die „Zuider-See“ nicht dulden könne. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Zuider-See von dem Franzosen selbständig entdeckt worden und sogar die Orthographie des Namens in der französischen Presse ohne fremde Hülfe richtig gegeben worden ist: man darf vermuthen, daß der Gedanke an dieses Gewässer von Holland aus dem französischen Mißtrauen suppeditirt worden war. Auch die niederländische Abstammung des Herrn Drouyn de Lhuys berechtigt mich nicht, eine so genaue Localkenntniß in der Geographie außerhalb der französischen Grenzen bei seinem Collegen vorauszusetzen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-52] Glieder sich dann des französischen Schutzes um so bedürftiger fühlen würden. Er hatte Rheinbundreminiscenzen und wollte die Entwicklung in der Richtung eines Gesammt-Deutschlands hindern. Er glaubte es zu können, weil er die nationale Stimmung des Tages nicht kannte und die Situation nach seinen süddeutschen Schulerinnerungen und nach diplomatischen Berichten beurtheilte, die nur auf ministerielle und sporadisch dynastische Stimmungen gegründet waren. Ich war überzeugt, daß ihr Gewicht schwinden würde; ich nahm an, daß ein Gesammt-Deutschland nur eine Frage der Zeit, und daß zu deren Lösung der Norddeutsche Bund die erste Etappe sei, daß aber die Feindschaft Frankreichs und vielleicht Rußlands, das Revanchebedürfniß Oestreichs für 1866 und der preußisch- dynastische Particularismus des Königs nicht zu früh in die Schranken gerufen werden dürfe. Ich war nicht zweifelhaft, daß ein deutsch- französischer Krieg werde geführt werden müssen, bevor die Gesammt- Einrichtung Deutschlands sich verwirklichte. Diesen Krieg hinauszuschieben, bis unsre Streitkräfte durch Anwendung der preußischen Wehrgesetzgebung nicht blos auf Hanover, Hessen und Holstein, sondern, wie ich damals schon nach der Fühlung mit den Süddeutschen hoffen durfte, auch auf diese, gestärkt wären, war ein Gedanke, der mich damals beherrschte. Ich hielt einen Krieg mit Frankreich im Hinblick auf die Erfolge der Franzosen im Krimkriege und in Italien für eine Gefahr, die ich damals überschätzte, indem mir die für Frankreich erreichbare Truppenziffer, die Ordnung und die Organisation und das Geschick in der Führung als höher und besser vorschwebten, als sich 1870 bestätigt hat. Die Tapferkeit des französischen Troupiers und die Höhe des nationalen Gefühls und der verletzten Eitelkeit haben sich vollkommen in dem Maße bewährt, wie ich sie für die Eventualität einer deutschen Invasion in Frankreich eingeschätzt hatte, in Erinnerung an die Erlebnisse von 1814, 1792, und zu Anfang des vorigen Jahrhunderts im spanischen Erbfolgekriege, wo das Eindringen fremder Heere stets ähnliche Erscheinungen wie das Stökern in einem Ameisenhaufen hervorgerufen hat. Für leicht habe (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-53] ich den französischen Krieg niemals gehalten, ganz abgesehn von den Bundesgenossen, die Frankreich in dem östreichischen Revanchegefühl und in dem russischen Gleichgewichtsbedürfniß finden konnte. Mein Bestreben, diesen Krieg hinauszuschieben, bis die Wirkung unsrer Wehrgesetzgebung und militärischen Erziehung auf alle nicht altpreußischen Landestheile sich vollständig hätte entwickeln können, war also natürlich, und dieses mein Ziel war 1867 bei der Luxemburger Frage nicht annähernd erreicht. Jedes Jahr Aufschub des Krieges stärkte unser Heer um mehr als 100000 gelernte Soldaten. Bei der Indemnitätsfrage dem Könige gegenüber und bei der Verfassungsfrage im preußischen Landtage aber stand ich unter dem Druck des Bedürfnisses, dem Auslande keine Spur von vorhandenen oder bevorstehenden Hemmnissen durch unsre innre Lage, sondern nur die einige nationale Stimmung zur Anschauung zu bringen, um so mehr, als sich nicht ermessen ließ, welche Bundesgenossen Frankreich im Kriege gegen uns haben werde. Die Verhandlungen und Annäherungsversuche zwischen Frankreich und Oestreich in Salzburg und anderswo bald nach 1866, konnten unter Leitung des Herrn von Beust erfolgreich sein, und schon die Berufung dieses verstimmten sächsischen Ministers zur Leitung der Wiener Politik ließ darauf schließen, daß sie die Richtung der Revanche einschlagen würde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Von Rußland war einer solchen Coalition gegenüber activer Beistand schwerlich zu erwarten. Mir selbst hatte der russenfreundliche Einfluß, den ich in der Zeit des Krimkrieges auf die Entschließungen Friedrich Wilhelms IV. auszuüben vermochte, das Wohlwollen des Kaisers Alexander erworben, und sein Vertrauen zu mir war in der Zeit meiner Gesandschaft in Petersburg gewachsen. Inzwischen aber hatte in dem dortigen Cabinet unter Gortschakows Leitung der Zweifel an der Nützlichkeit einer so bedeutenden Kräftigung Preußens für Rußland die Wirkung der kaiserlichen Freundschaft für den König Wilhelm und der Dankbarkeit für unsre Politik in der polnischen Frage von 1863 aufzuwiegen angefangen. Wenn die Mittheilung richtig ist, die Drouyn de Lhuys dem Grafen Vitzthum von Eckstädt *) gemacht hat, so hat Gortschakow im Juli 1866 den Kaiser Napoleon zu einem gemeinsamen Proteste gegen die Beseitigung des Deutschen Bundes aufgefordert und eine Ablehnung erfahren. Der Kaiser Alexander hatte in der ersten Ueberraschung und nach der Sendung Manteuffels nach Petersburg dem Ergebniß der Nikolsburger Präliminarien generell und obiter zugestimmt; der Haß gegen Oestreich, der seit dem Krimkriege die öffentliche Meinung der russischen „Gesellschaft“ beherrschte, hatte zunächst seine Befriedigung gefunden in den Niederlagen Oestreichs; dieser Stimmung standen aber russische Interessen gegenüber, die sich an den zarischen Einfluß in Deutschland und an dessen Bedrohung durch Frankreich knüpften. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-55] Ich nahm zwar an, daß wir gegen eine Coalition, die Frankreich etwa gegen uns aufbringen würde, auf russischen Beistand würden zählen können, aber doch erst, wenn wir das Unglück gehabt haben sollten, Niederlagen zu erleiden, vermöge deren die Frage näher gerückt wäre, ob Rußland die Nachbarschaft einer siegreichen französisch-östreichischen Coalition an seinen polnischen Grenzen vertragen könne. Die Unbequemlichkeit einer solchen Nachbarschaft wäre vielleicht noch größer geworden, wenn statt des antipäpstlichen Königreichs Italien das Papstthum selbst der Dritte im Bunde der beiden katholischen Großmächte geworden wäre. Bis zum Näherrücken solcher Gefährlichkeit infolge preußischer Niederlagen hielt ich aber für wahrscheinlich, daß Rußland es nicht ungern sähe, wenigstens es nicht hindern würde, wenn eine numerisch überlegne Coalition einiges Wasser in unsern Wein von 1866 gegossen hätte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Es geschah hauptsächlich unter dem Einfluß dieser Erwägungen auf dem Gebiete der auswärtigen Politik, daß ich mich entschloß, jeden Schachzug im Innern danach einzurichten, ob der Eindruck der Solidität unsrer Staatskraft dadurch gefördert oder geschädigt werden könne. Ich sagte mir, daß das nächste Hauptziel die Selbständigkeit und Sicherheit nach Außen sei, daß zu diesem Zwecke nicht nur die thatsächliche Beseitigung innern Zwiespaltes, sondern auch jeder Schein davon nach dem Auslande und in Deutschland vermieden werden müsse; daß, wenn wir erst Unabhängigkeit von dem Auslande hätten, wir auch in unsrer innern Entwicklung uns frei bewegen könnten, wir uns dann so liberal oder so reactionär einrichten könnten, wie es gerecht und zweckmäßig erschiene; daß wir alle innern Fragen vertagen könnten bis zur Sicherstellung unsrer nationalen Ziele nach Außen. Ich zweifelte nicht an der Möglichkeit, der königlichen Macht die nöthige Stärke zu geben, um unsre innere Uhr richtig zu stellen, wenn wir erst nach Außen die Freiheit erworben haben würden, als große Nation selbständig zu leben. Bis dahin war ich bereit, der Opposition nach Bedürfniß black-mail zu zahlen, um zunächst unsre volle Kraft und in der Diplomatie den Schein dieser einigen Kraft und die Möglichkeit in die Wagschale werfen zu können, im Falle der Noth auch revolutionäre Nationalbewegungen gegen unsre Feinde entfesseln zu können. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-57] Provinzen einzuführen. Eine ausweichende Antwort würde das Mißtrauen der Verfassungsparteien hervorgerufen oder belebt haben. Nach meiner Ueberzeugung war es überhaupt nothwendig, die Entwicklung der deutschen Frage durch keinen Zweifel an der Verfassungstreue der Regirung zu hemmen; durch jeden neuen Zwiespalt zwischen Regirung und Opposition wäre der vom Auslande zu erwartende äußere Widerstand gegen nationale Neubildungen gestärkt worden. Aber meine Bemühungen, die Opposition und ihre Redner zu überzeugen, daß sie wohlthäten, innere Verfassungsfragen gegenwärtig zurücktreten zu lassen, daß die deutsche Nation, wenn erst geeinigt, in der Lage sein werde, ihre innern Verhältnisse nach ihrem Ermessen zu ordnen; daß unsre gegenwärtige Aufgabe sei, die Nation in diese Lage zu versetzen, alle diese Erwägungen waren der bornirten und kleinstädtischen Parteipolitik der Oppositionsredner gegenüber erfolglos, und die durch sie hervorgerufenen Erörterungen stellten das nationale Ziel zu sehr in den Vordergrund nicht nur dem Auslande, sondern auch dem Könige gegenüber, der damals noch mehr die Macht und Größe Preußens als die verfassungsmäßige Einheit Deutschlands im Auge hatte. Ihm lag ehrgeizige Berechnung nach deutscher Richtung hin fern; den Kaisertitel bezeichnete er noch 1870 geringschätzig als den „Charaktermajor“, worauf ich erwiderte, daß Se. Majestät die Competenzen der Stellung allerdings schon verfassungsmäßig besäßen und der „Kaiser“ nur die äußerliche Sanction enthalte, gewissermaßen als ob ein mit Führung eines Regiments beauftragter Offizier definitiv zum Commandeur ernannt werde. Für das dynastische Gefühl war es schmeichelhafter, grade als geborner König von Preußen und nicht als erwählter und durch ein Verfassungsgesetz hergestellter Kaiser die betreffende Macht auszuüben, analog wie ein prinzlicher Regiments- Commandeur es vorzieht, nicht Herr Oberst, sondern Königliche Hoheit genannt zu werden und der gräfliche Lieutenant nicht Herr Lieutenant, sondern Herr Graf. Ich hatte mit diesen Eigenthümlichkeiten meines Herrn zu rechnen, wenn ich mir sein Vertrauen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Ich würde es für ein erhebliches Unglück und für eine wesentliche Verminderung der Sicherheit der Zukunft ansehn, wenn wir auch in Deutschland in den Wirbel dieses französischen Kreislaufes geriethen. Der Absolutismus wäre die ideale Verfassung für europäische Staatsgebilde, wenn der König und seine Beamten nicht Menschen blieben wie jeder Andre, denen es nicht gegeben ist, mit übermenschlicher Sachkunde, Einsicht und Gerechtigkeit zu regiren. Die einsichtigsten und wohlwollendsten absoluten Regenten unterliegen den menschlichen Schwächen und Unvollkommenheiten, wie der Ueberschätzung der eignen Einsicht, dem Einfluß und der Beredsamkeit von Günstlingen, ohne von weiblichen, legitimen und illegitimen Einflüssen zu reden. Die Monarchie und der idealste Monarch, wenn er nicht in seinem Idealismus (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Die Eröffnung des Landtags stand unmittelbar nach unsrer Ankunft in Berlin bevor, und die Thronrede kam in Prag zur Berathung. Dort trafen Abgeordnete der conservativen Fraction ein, die während des Conflicts zeitweise bis auf elf Mitglieder herabgegangen war und durch die Wahlen am 3. Juli unter dem Eindruck der ersten Siege vor Königgrätz sich auf mehr als (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Eine andre Gelegenheit, den innern Conflict zugleich mit der deutschen Frage zu erledigen, hatte sich dem Könige dargeboten, als der Kaiser Alexander 1863 zur Zeit des polnischen Aufstandes und des Ueberrumpelungsversuchs für den Frankfurter Fürstencongreß ein preußisch-russisches Bündniß in eigenhändiger Correspondenz lebhaft befürwortet hatte. Auf mehren eng geschriebenen Bogen in der feinen Hand des Kaisers, weit ausgesponnen und mit mehr Declamation, als in seiner Feder lag, konnte der Brief an Hamlets Wort: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

erinnern, wenn man es aus dem Zweifel in die Affirmative übersetzt: der Kaiser ist der westmächtlichen und östreichisch-polnischen Chikanen müde und entschlossen den Degen zu ziehn, um sich von ihnen frei zu machen; an die Freundschaft und die gleichen Interessen des Königs appellirend, fordert er ihn zu gemeinsamem Handeln auf, so zu sagen in erweitertem Sinne der Alvenslebenschen Convention vom Februar desselben Jahres. Dem Könige wurde es schwer, einerseits dem nahen Verwandten und nächsten Freunde eine ablehnende Antwort zu geben, andrerseits sich mit dem Entschlusse vertraut zu machen, seinem Lande die Uebel eines großen Krieges aufzuerlegen, dem Staate und der Dynastie die Gefahren eines solchen zuzumuthen. Auch die Seite seines Gemüthslebens, die ihn geneigt machte, die Frankfurter Fürstenversammlung zu besuchen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit allen alten Fürstenhäusern, trat in ihm der Versuchung entgegen, der Anrufung des befreundeten Neffen und den preußisch-russischen Familientraditionen eine Folge zu geben, die zu dem Bruch mit dem deutschen Bundesverhältniß und der Gesammtheit der deutschen Fürstenfamilien führen mußte. In meinem mehre Tage dauernden Vortrage vermied ich es, die Seite der Sache zu betonen, welche für unsre innere Politik von Gewicht gewesen sein würde, weil ich nicht der Meinung war, daß ein Krieg grade im Bunde mit Rußland gegen Oestreich und alle Gegner, mit denen wir es 1866 zu thun bekamen, uns der Erfüllung unsrer nationalen Aufgabe näher gebracht haben würde. Es ist ja ein namentlich in der französischen Politik gebräuchliches Mittel, innere Schwierigkeiten durch Kriege zu überwinden; in Deutschland aber würde dieses Mittel nur dann wirksam gewesen sein, wenn der betreffende Krieg in der Linie der nationalen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-64] Entwicklung gelegen hätte. Dazu wäre vor Allem erforderlich gewesen, daß er nicht mit der, unklugerweise noch immer von der öffentlichen Meinung verurtheilten russischen Assistenz geführt wurde. Die deutsche Einheit mußte ohne fremde Einflüsse zu Stande kommen, aus eigner nationaler Kraft. Ueberdies hatte der innere Conflict, von dem der König bei meinem Eintritt in das Ministerium bis zu dem Entschlusse zur Abdication beeindruckt war, an Herrschaft über seine Entschließungen erheblich eingebüßt, seitdem er Minister gefunden hatte, die bereit waren, seine Politik offen, ohne Winkelzüge zu vertreten. Er hatte seitdem die Ueberzeugung gewonnen, daß die Krone, wenn es zum revolutionären Bruche gekommen wäre, stärker gewesen sein würde; die Einschüchterungen der Königin und der Minister der neuen Aera hatten ihre Kraft verloren. Dagegen hielt ich in meinen Vorträgen mit meiner Ansicht von der militärischen Stärke, die ein deutsch-russisches Bündniß, namentlich im ersten Anlauf haben würde, nicht zurück. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

In meinem Entwurf der Antwort, der noch länger ausfallen mußte als der Brief des Kaisers Alexander, war hervorgehoben, daß ein gemeinsamer Krieg gegen die Westmächte in seiner schließlichen Entwicklung sich wegen der geographischen Verhältnisse und wegen der französischen Begehrlichkeit nach den Rheinlanden nothwendig zu einem preußisch-französischen condensiren müsse, daß die preußisch-russische Initiative zu dem Kriege unsre Stellung in Deutschland verschlechtern werde, daß Rußland, entfernt von dem Kriegsschauplatze, von den Leiden des Krieges weniger betroffen sein, Preußen dagegen nicht nur die eignen, sondern auch die russischen Heere materiell zu erhalten haben und daß die russische Politik dann — wenn mein Gedächtniß mich nicht täuscht, habe ich den Ausdruck gebraucht — an dem längern Arme des Hebels sitzen würde, und uns auch, wenn wir siegreich wären, ähnlich wie in dem Wiener Congreß und mit noch mehr Gewicht werde vorschreiben können, wie unser Friede beschaffen sein solle, ebenso wie Oestreich es 1859 bezüglich unsrer Friedensbedingungen mit Frankreich hätte machen können, wenn wir damals in den Kampf gegen Frankreich und Italien eingetreten wären. Ich habe den Text meiner Argumentation nicht in der Erinnerung, obschon ich ihn vor wenigen Jahren behufs unsrer Auseinandersetzung mit der russischen Politik wieder unter Augen gehabt und mich gefreut habe, daß ich damals die Arbeitskraft besessen hatte, ein so langes Concept eigenhändig in einer für den König lesbaren Schrift herzustellen, eine Handarbeit, die für den Erfolg meiner Gasteiner Cur nicht förderlich gewesen sein (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-66] wird. Obwohl der König die Frage nicht in demselben Maße wie ich unter den deutsch-nationalen Gesichtspunkt zog, so unterlag er doch nicht der Versuchung, der Ueberhebung der östreichischen Politik und der Landtagsmajorität, der Geringschätzung, die beide der preußischen Krone bezeigten, im Bunde mit Rußland ein gewaltthätiges Ende zu machen. Wenn er auf die russische Zumuthung einging, so würden wir bei der Schnelligkeit unsrer Mobilisirung, bei der Stärke der russischen Armee in Polen und bei der damaligen militärischen Schwäche Oestreichs wahrscheinlich, mit oder ohne den Beistand der damals noch unbefriedigten Begehrlichkeit Italiens, Oestreich übergelaufen haben, bevor Frankreich ihm wirksame Hülfe leisten konnte. Wenn man sicher gewesen wäre, daß das Ergebniß dieses Ueberlaufens ein Dreikaiserbündniß unter Schonung Oestreichs gewesen wäre, so wäre meine Beurtheilung der Situation vielleicht nicht zutreffend zu nennen gewesen. Aber diese Sicherheit war Angesichts der divergirenden Interessen Rußlands und Oestreichs im Orient nicht vorhanden; es war kaum wahrscheinlich und auch der russischen Politik nicht zusagend, daß eine siegreiche preußisch- russische Coalition Oestreich gegenüber auch nur mit dem Maße von Schonung verführe, welches von preußischer Seite 1866 im Interesse der Möglichkeit künftiger Wiederannäherung beobachtet worden ist. Ich fürchtete deshalb, daß wir im Falle unsres Sieges über die Zukunft Oestreichs mit Rußland nicht einig sein würden, und daß Rußland selbst bei weitern Erfolgen gegen Frankreich nicht darauf werde verzichten wollen, Preußen in einer unterstützungsbedürftigen Stellung an seiner Westgrenze zu erhalten; am allerwenigsten wäre von Rußland eine Hülfe für eine nationale Politik im Sinne der preußischen Hegemonie zu erwarten gewesen. Tilsit, Erfurt, Olmütz und andre historische Erinnerungen sagten: vestigia terrent. Kurz, ich hatte nicht das Vertrauen zu der Gortschakowschen Politik, daß wir auf dieselbe Sicherheit rechnen könnten, welche Alexander I. 1813 gewährte, bis die Zukunftsfragen, was aus Polen und Sachsen werden und ob Deutschland gegen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-67] französische Invasionen eine von russischen Entschließungen unabhängige Deckung haben, Straßburg Bundesfestung werden solle, in Wien zur Verhandlung kamen. So mannigfache Erwägungen hatte ich anzustellen, um zu einem Entschlusse über die Anträge, welche ich dem Könige machen, und die Fassung des Conceptes, das ich ihm vorlegen wollte, zu gelangen. Ich zweifle nicht, daß eine Zeit kommen wird, in der auch über diese Vorgänge unsre Archive der Oeffentlichkeit zugänglich werden, es sei denn, daß inzwischen die angeregte Zerstörung der Documente sich vollzieht, die von meiner politischen Thätigkeit Zeugniß geben. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Daß der König 1863 seine schwer gekränkte Empfindung als Monarch und als Preuße nicht über die politischen Erwägungen Herr werden ließ, beweist, wie stark in ihm das nationale Ehrgefühl und der gesunde Menschenverstand in der Politik waren. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Im Jahre 1866 konnte der König über die Frage, ob er aus eigner Kraft den parlamentarischen Widerstand brechen und einer Wiederkehr desselben vorbeugen solle, nicht so schnell mit sich in's Reine kommen, so gewichtige Gründe auch dagegen sprachen. Mit der Suspendirung und Revision der Verfassung, mit der Demüthigung der Landtagsopposition wäre allen mit den Erfolgen von 1866 Unzufriedenen in Deutschland und Oestreich eine wirksame Waffe gegen Preußen für die vorauszusehenden künftigen Kämpfe gegeben worden. Man hätte sich darauf gefaßt machen müssen, einstweilen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-68] in Preußen gegen Parlament und Presse ein Regirungssystem durchzuführen, das von dem ganzen übrigen Deutschland bekämpft wurde. Maßregeln, die bei uns gegen die Presse zu ergreifen gewesen sein würden, würden in Dessau keine Gültigkeit gehabt haben, und Oestreich und Süddeutschland würden ihre Revanche einstweilen dadurch genommen haben, daß sie die von Preußen verlassene Führung auf liberalem und nationalem Gebiete übernahmen. Die nationale Partei in Preußen selbst würde mit den Gegnern der Regirung sympathisirt haben; wir konnten dann innerhalb der verbesserten preußischen Grenzen staatsrechtlich eine Stärkung des Königthums gewinnen, aber doch in Gegenwart stark dissentirender einheimischer Elemente, denen sich die Opposition in den neuen Provinzen angeschlossen haben würde. Wir hätten dann einen preußischen Eroberungskrieg geführt, aber der nationalen Politik Preußens würden die Sehnen durchschnitten worden sein. In dem Bestreben, der deutschen Nation die Möglichkeit einer ihrer geschichtlichen Bedeutung entsprechenden Existenz durch Einheit zu verschaffen, lag das gewichtigste Argument zur Rechtfertigung des geführten deutschen „Bruderkrieges“; die Erneuerung eines solchen wurde unabwendbar, wenn der Kampf zwischen den deutschen Stämmen lediglich im Interesse der Stärkung des preußischen Sonderstaates fortgesetzt wurde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Ich halte den Absolutismus für keine Form einer in Deutschland auf die Dauer haltbaren oder erfolgreichen Regirung. Die preußische Verfassung ist, wenn man von einigen, aus der belgischen übersetzten Phrasenartikeln absieht, in ihrem Hauptprinzip vernünftig; sie hat drei Factoren, den König und zwei Kammern, deren jeder durch sein Votum willkürliche Aenderungen des gesetzlichen status quo hindern kann. Darin liegt eine gerechte Vertheilung der gesetzgebenden Gewalt. Wenn man letztre von der öffentlichen Kritik der Presse und der parlamentarischen Behandlung emancipirt, so wird die Gefahr erhöht, daß sie auf Abwege geriethe. Absolutismus der Krone ist ebenso wenig haltbar wie Absolutismus (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-69] Indemnität. der parlamentarischen Majoritäten, das Erforderniß der Verständigung beider für jede Aenderung des gesetzlichen status quo ist ein gerechtes, und wir hatten nicht nöthig, an der preußischen Verfassung Erhebliches zu bessern. Es läßt sich mit derselben regiren, und die Bahn deutscher Politik wäre verschüttet worden, wenn wir 1866 daran änderten. Vor dem Siege würde ich nie von „Indemnität“ gesprochen haben; jetzt, nach dem Siege, war der König in der Lage, sie großmüthig zu gewähren und Frieden zu schließen, nicht mit seinem Volke — der war nie unterbrochen worden, wie der Verlauf des Krieges gezeigt hat, — sondern mit dem Theile der Opposition, welcher irre geworden war an der Regirung, mehr aus nationalen, als aus parteipolitischen Gründen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Dies waren ungefähr die Gedanken und Argumente, mit denen ich während der viele Stunden langen Fahrt von Prag nach Berlin (4. August) die Schwierigkeiten zu bekämpfen suchte, die die eignen Ansichten, noch mehr aber andre Einflüsse, namentlich auch der Einfluß der conservativen Deputation, in dem Könige hinterlassen hatten. Es kam dazu eine staatsrechtliche Auffassung Sr. Majestät, die ihm ein Verlangen nach Indemnität als ein Eingeständniß begangenen Unrechts erscheinen ließ *). Ich suchte vergeblich diesen sprachlichen und rechtlichen Irrthum zu entkräften, indem ich geltend machte, daß in Gewährung der Indemnität nichts weiter liege als die Anerkennung der Thatsache, daß die Regirung und ihr königlicher Chef rebus sic stantibus richtig gehandelt hätten; die Forderung der Indemnität sei ein Verlangen nach dieser Anerkennung. In jedem constitutionellen Leben, in dem Spielraum, den es den Regirungen gestatte, liege es, daß der Regirung nicht für jede Situation eine Zwangsroute in der Verfassung angewiesen sein könne. Der König blieb bei seiner Abneigung gegen Indemnität, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-70] während es mir nothwendig schien, den parlamentarischen Gegnern, von denen doch höchstens diejenigen, die später die freisinnige Partei bildeten, böswillig, die Andern aber nur verrannt waren, sei es politisch, sei es sprachlich, eine goldne Brücke zu bauen, um den innern Frieden Preußens herzustellen und von dieser festen preußischen Basis aus die deutsche Politik des Königs fortzusetzen. Die viele Stunden lange und für mich sehr angreifende Unterredung, weil sie meinerseits stets in vorsichtigen Formen geführt werden mußte, fand im Eisenbahncoupé zu Dreien Statt, mit dem Könige und dem Kronprinzen. Der Letztre aber unterstützte mich nicht, obschon er in dem leichtbeweglichen Ausdruck seines Mienenspiels mich wenigstens durch Kundgebung seines vollen Einverständnisses seinem Herrn Vater gegenüber stärkte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Durch eine Correspondenz, die ich von Nikolsburg aus mit den übrigen Ministern geführt hatte, war der Entwurf der Thronrede zu Stande gekommen und von Sr. Majestät genehmigt worden mit Ausnahme des auf die Indemnität bezüglichen Satzes. Schließlich gab der König mit Widerstreben auch dazu seine Einwilligung, so daß der Landtag am 5. August mit einer Thronrede eröffnet werden konnte, die ankündigte, daß die Landesvertretung in Bezug auf die ohne Staatshaushaltsgesetz geführte Verwaltung um nachträgliche Verwilligung angegangen werden solle. In verbis simus faciles! (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-71] Kluft zwischen den Ost- und den Westprovinzen auszufüllen und Preußen ein haltbar abgerundetes Gebiet auch für den Fall des frühern oder spätern Mißlingens der nationalen Neubildung zu schaffen. Bei der Annexion von Hanover und Kurhessen handelte es sich also um Herstellung einer unter allen Eventualitäten wirksamen Verbindung zwischen den beiden Theilen der Monarchie. Die Schwierigkeiten der Zollverbindung zwischen unsern beiden Gebietstheilen und die Haltung Hanovers im letzten Kriege hatten das Bedürfniß eines unbeschränkt in einer Hand befindlichen territorialen Zusammenhanges im Norden von Neuem anschaulich gemacht. Wir durften der Möglichkeit, bei künftigen östreichischen oder andern Kriegen ein oder zwei feindliche Corps von guten Truppen im Rücken zu haben, nicht von Neuem ausgesetzt werden. Die Besorgniß, daß die Dinge sich einmal so gestalten könnten, wurde verschärft durch die überschwängliche Auffassung, die der König Georg V. von seiner und seiner Dynastie Mission hatte. Man ist nicht jeden Tag in der Lage, einer gefährlichen Situation der Art abzuhelfen, und der Staatsmann, den die Ereignisse in den Stand setzen, letztres zu thun, und der sie nicht benutzt, nimmt eine große Verantwortlichkeit auf sich, da die völkerrechtliche Politik und das Recht der deutschen Nation, ungetheilt als solche zu leben und zu athmen, nicht nach privatrechtlichen Grundsätzen beurtheilt werden kann. Der König von Hanover schickte durch einen Adjutanten nach Nikolsburg einen Brief an den König, den ich Se. Majestät nicht anzunehmen bat, weil wir nicht gemüthliche, sondern politische Gesichtspunkte im Auge zu halten hätten, und weil die Selbständigkeit Hanovers mit der völkerrechtlichen Befugniß, seine Truppen nach dem jedesmaligen Ermessen des Souveräns gegen oder für Preußen in's Feld führen zu können, mit der Durchführung deutscher Einheit unvereinbar war. Die Haltbarkeit der Verträge allein ohne die Bürgschaft einer hinreichenden Hausmacht des leitenden Fürsten hat niemals hingereicht, der deutschen Nation Frieden und Einheit im Reiche zu sichern. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-72] Es gelang mir, den König von dem Gedanken abzubringen, mit Hanover und Hessen auf der Basis der Zerstückelung dieser Länder und des Bündnisses mit den frühern Herrschern als Theilfürsten eines Restes zu verhandeln. Wenn der Kurfürst Fulda und Hanau, und Georg V. Kalenberg mit Lüneburg und der Aussicht auf die Erbfolge in Braunschweig behalten hätte, so würden weder die Hanoveraner und Hessen, noch die beiden Fürsten zufriedene Theilnehmer des Norddeutschen Bundes geworden sein. Dieser Plan würde uns unzufriedene und behufs Wiedererwerb des Verlornen zur Rheinbündelei geneigte Bundesgenossen gegeben haben. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Auch eine so unbedingte Hingebung für Oestreich, wie sie Nassau bewiesen hatte, in der unmittelbaren Nähe von Coblenz, war eine gefährliche Erscheinung, besonders in der Eventualität französisch-östreichischer Bündnisse, wie sie sich während des Krimkrieges und der polnischen Wirren von 1863 in bedrohliche Aussicht gestellt hatten. Die Abneigung Sr. Majestät gegen Nassau war ein väterliches Erbtheil. Friedrich Wilhelm III. pflegte durch das Herzogthum zu reisen, ohne den Herzog zu sehn. Das Contingent des Herzogs hatte sich in der Rheinbundzeit in Preußen besonders unangenehm gemacht, und König Wilhelm I. wurde gegen Concessionen an den Herzog durch den leidenschaftlichen Widerspruch der Deputationen früherer nassauischer Unterthanen eingenommen; die stehende Rede derselben war: „Schütze Se uns vor dem Fürste und sei' Jagdknechte.“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Es blieben Friedensverträge zu schließen mit Sachsen und den süddeutschen Staaten. Herr von Varnbüler bewies dieselbe Lebhaftigkeit des Temperaments wie bei den Vorbereitungen zum Kriege und war der erste, mit dem der Abschluß gelang 1). Es handelte sich unter Anderm darum, ob wir, da Würtemberg das preußische Hohenzollern in Besitz genommen hatte, jetzt, wie der König wollte, den Spieß umkehren und eine Vergrößerung (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-74] badische vertauscht haben würden, ist fraglich. Als vorübergehend davon die Rede war, Hessen für sein Gebiet nördlich des Mains mit bairischem Lande in der Richtung von Aschaffenburg zu entschädigen, gingen mir aus dem letztern Gebiete Proteste zu, die, obschon aus streng katholischer Bevölkerung kommend, darin gipfelten, wenn die Unterzeichner nicht Baiern bleiben könnten, so wollten sie lieber Preußen werden, aber von Baiern zu Hessen gemacht zu werden, sei ihnen unannehmbar. Sie schienen von der Erwägung des Ranges der Landesherrn beherrscht und von der Stimmenordnung am Bundestage, wo Baiern vor Hessen rangirte. In derselben Richtung ist mir aus meiner Frankfurter Zeit die Aeußerung eines preußischen Reservisten zu einem kleinstaatlichen erinnerlich: „Sei du ganz stille, du hast ja nicht einmal einen König.“ Ich hielt Aenderungen der Staatsgrenzen in Süddeutschland für keinen Fortschritt zur Einigung des Ganzen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Eine Verkleinerung Baierns im Norden wäre dem damaligen Wunsche des Königs entgegengekommen, Ansbach und Bayreuth in der alten Ausdehnung wiederzugewinnen. Mit meinen politischen Auffassungen stimmte auch dieser Plan, so sehr er meinem verehrten und geliebten Herrn am Herzen lag, ebenso wenig wie der badische überein, und ich habe ihm erfolgreich Widerstand geleistet. Im Herbst 1866 war eine Voraussicht über die zukünftige Haltung Oestreichs noch nicht möglich. Die Eifersucht Frankreichs uns gegenüber war gegeben, und niemandem war besser als mir die Enttäuschung Napoleons über unsre böhmischen Erfolge bekannt. Er hatte mit Sicherheit darauf gerechnet, daß Oestreich uns schlagen und wir in die Lage kommen würden, seine Vermittlung zu erkaufen. Wenn nun Frankreichs Bemühungen, diesen Irrthum und seine Folgen wieder gut zu machen, bei der durch unsern Sieg nothwendig hervorgerufenen Verstimmung in Wien Erfolg hatten, so wäre manchen deutschen Höfen die Frage nahe getreten, ob sie im Anschluß an Oestreich, gewissermaßen in einem zweiten schlesischen Kriege, den Kampf gegen uns von Neuem aufnehmen wollten oder (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-76] auf einzelne bereits Compromittirte. Nach der Haltung der hanöverschen Truppentheile im Kriege ist es nicht wahrscheinlich, daß ein welfischer Aufstand in der Heimath einen erheblichen Umfang hätte annehmen können, wenigstens nicht, so lange unser Vorgehn in Frankreich siegreich war. Was geschehn wäre, wenn wir geschlagen und verfolgt durch Hanover heimgekehrt wären, lasse ich unberührt. Eine prophylaktische Politik hat aber auch solche Möglichkeiten zu erwägen; jedenfalls war ich entschlossen, in der Zwangslage des Krieges dem Könige zu jedem Acte energischer Abwehr zu rathen, den der Trieb der staatlichen Selbsterhaltung eingeben kann. Und selbst wenn nur einzelne schwere und wahrscheinlich blutige Bestrafungen hätten stattfinden müssen, so würden die Gewaltthaten gegen deutsche Landsleute, wie sehr sie auch durch die Kriegsgefahr gerechtfertigt sein mochten, auf Menschenalter hin ein Hinderniß der Versöhnung und einen Vorwand für Verhetzungen abgegeben haben. Es war mir deshalb wichtig, solchen Eventualitäten rechtzeitig vorzubeugen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Die Kämpfe während des vergangenen Winters mit dem Könige, der den Krieg nicht wollte, während des Feldzuges mit den Militärs, die nur Oestreich, nicht die übrigen Mächte Europas vor sich sahn, und mit dem Könige über den Friedensschluß und dann wieder über die Indemnität, hatten mich so angegriffen, daß ich der Ruhe und Erholung bedurfte. Ich ging zunächst am 26. September zu meinem Vetter, dem Grafen Bismarck-Bohlen in Karlsburg, und dann am 6. October nach Putbus, wo ich im Gasthofe schwer erkrankte. Der Fürst und die Fürstin Putbus gewährten mir eine liebenswürdige Gastfreiheit in einem Pavillon, der neben dem abgebrannten Schlosse stehn geblieben war. Nachdem der erste heftige Anlauf der Krankheit überstanden war, konnte ich die Geschäfte wieder in die Hand (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-77] nehmen durch Correspondenz mit Savigny. Als der letzte preußische Gesandte am Bundestage war er der natürliche Erbe des Decernates über die im Vordergrunde stehende deutsche Politik. Er führte die Verhandlungen mit Sachsen zu Ende, was vor meiner Abreise nicht gelungen war. Ihr Ergebniß ist publici juris, und ich kann mich einer Kritik derselben enthalten. Die militärische Selbständigkeit Sachsens wurde demnächst unter Vermittlung des Generals von Stosch durch persönliche Entschließungen Sr. Majestät weiter entwickelt, als sie nach dem Vertrage bemessen war. Die geschickte und ehrliche Politik der beiden letzten sächsischen Könige hat diese Concessionen gerechtfertigt, namentlich so lange es gelingt, die bestehende preußisch-östreichische Freundschaft zu erhalten. Es ist in den geschichtlichen und confessionellen Traditionen, in der menschlichen Natur und speciell in den fürstlichen Ueberlieferungen begründet, daß der enge Bund zwischen Preußen und Oestreich, der 1879 geschlossen wurde, auf Baiern und Sachsen einen concentrirenden Druck ausübt, um so stärker, je mehr das deutsche Element in Oestreich, Vornehm und Gering, seine Beziehungen zur habsburgischen Dynastie zu pflegen weiß. Die parlamentarischen Excesse des deutschen Elements in Oestreich und deren schließliche Wirkung auf die dynastische Politik drohten nach dieser Richtung hin das Gewicht des deutsch-nationalen Elementes nicht nur in Oestreich abzuschwächen. Die doctrinären Mißgriffe der parlamentarischen Fractionen sind den Bestrebungen politisirender Frauen und Priester in der Regel günstig. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-78] Am 2. Juli 1870 entschied sich das spanische Ministerium für die Thronbesteigung des Erbprinzen Leopold von Hohenzollern. Damit war die erste völkerrechtliche Anregung zu der spätern Kriegsfrage gegeben, aber doch nur in Gestalt einer specifisch spanischen Angelegenheit. Ein völkerrechtlicher Vorwand für Frankreich, in die Freiheit der spanischen Königswahl einzugreifen, war schwer zu finden; er wurde, seitdem man es in Paris auf den Krieg mit Preußen abgesehn hatte, künstlich gesucht in dem Namen Hohenzollern, welcher an sich für Frankreich nichts Bedrohlicheres hatte als jeder andre deutsche Name. Im Gegentheil konnte man in Spanien sowohl als in Deutschland annehmen, daß der Prinz Leopold wegen seiner persönlichen und Familienbeziehungen in Paris eher persona grata sein werde als mancher andre deutsche Prinz. Ich erinnere mich, daß ich in der Nacht nach der Schlacht von Sedan in tiefer Finsterniß mit einer Anzahl unsrer Offiziere nach der Rundfahrt des Königs um Sedan auf dem Wege nach Donchery ritt und auf Befragen, ich weiß nicht welches Begleiters, die Vorbereitung zu diesem Kriege besprach und dabei erwähnte, daß ich geglaubt hätte, der Prinz Leopold werde dem Kaiser Napoleon kein unerwünschter Nachbar in Spanien sein und seinen Weg über Paris nach Madrid nehmen, um dort die Fühlung mit der kaiserlich französischen Politik zu gewinnen, die zu den Vorbedingungen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-79] gehörte, unter denen er Spanien zu regiren gehabt haben würde. Ich sagte: wir wären viel mehr berechtigt gewesen zu der Besorgniß vor einem engern Verständnisse zwischen der spanischen und der französischen Krone als zu der Hoffnung auf Herstellung einer spanisch-deutschen und antifranzösischen Constellation nach Analogie Karls V.; ein König von Spanien könne eben nur spanische Politik treiben, und der Prinz wäre Spanier geworden durch Uebernahme der Krone des Landes. Zu meiner Ueberraschung erfolgte aus der Finsterniß hinter mir eine lebhafte Erwiderung des Prinzen von Hohenzollern, von dessen Anwesenheit ich keine Ahnung gehabt hatte; er protestirte lebhaft gegen die Möglichkeit, bei ihm französische Sympathien vorauszusetzen. Dieser Protest inmitten des Schlachtfeldes von Sedan war für einen deutschen Offizier und Hohenzollernschen Prinzen natürlich, und ich konnte ihn nur damit beantworten, daß der Prinz als König von Spanien sich nur von spanischen Interessen hätte leiten lassen können, und daß zu solchen namentlich behufs Befestigung des neuen Königthums zunächst eine schonende Behandlung des mächtigen Nachbarn an den Pyrenäen gehört haben würde. Ich machte dem Prinzen meine Entschuldigung über die in seiner mir unbekannten Gegenwart gethane Aeußerung. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Diese anticipirte Episode legt Zeugniß ab über die Auffassung, die ich von der ganzen Frage hatte. Ich betrachtete sie als eine spanische und nicht als eine deutsche, wenn es mir auch erfreulich schien, den deutschen Namen Hohenzollern in Vertretung der Monarchie in Spanien thätig zu sehn, und wenn ich auch nicht versäumte, alle möglichen Folgen unter dem Gesichtspunkte unsrer Interessen zu erwägen, was bei jedem Vorgange von ähnlicher Wichtigkeit in einem andern Staate zu thun die Pflicht eines auswärtigen Ministers ist. Ich dachte zunächst mehr an wirthschaftliche wie an politische Beziehungen, denen ein König von Spanien deutscher Abstammung förderlich sein konnte. Für Spanien erwartete ich von der Person des Prinzen und von seinen verwandschaftlichen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-80] Beziehungen beruhigende und consolidirende Ergebnisse, die den Spaniern zu mißgönnen ich keinen Anlaß hatte. Spanien gehört zu den wenigen Ländern, die nach ihrer geographischen Lage und ihrem politischen Bedürfniß keinen Grund haben, antideutsche Politik zu treiben; es ist außerdem in wirthschaftlicher Beziehung nach Production und Bedarf für einen entwickelten Verkehr mit Deutschland wohl geeignet. Ein uns befreundetes Element in der spanischen Regirung wäre ein Vortheil gewesen, den a limine abzuweisen in den Aufgaben der deutschen Politik kein Grund vorhanden war, es sei denn, daß man die Besorgniß, Frankreich könne unzufrieden werden, als einen solchen gelten lassen wollte. Wenn Spanien sich wieder kräftiger entwickelte, als seither geschehn ist, konnte die Thatsache, daß die spanische Diplomatie uns befreundet wäre, im Frieden für uns von Nutzen sein; daß der König von Spanien bei Eintritt des früher oder später vorauszusehenden deutsch-französischen Krieges, auch wenn er den besten Willen gehabt hätte, seine deutschen Sympathien durch einen Angriff oder eine Aufstellung gegen Frankreich zu bethätigen, im Stande sein werde, war mir nicht wahrscheinlich, und das Verhalten Spaniens nach Ausbruch des Krieges, den wir uns durch die Gefälligkeit deutscher Fürsten zugezogen hatten, bewies die Richtigkeit meiner Zweifel. Der ritterliche Eid hätte Frankreich wegen der Einmischung in die Freiheit der spanischen Königswahl zur Rechenschaft gezogen und die Wahrung der spanischen Unabhängigkeit nicht Fremden überlassen. Die früher zu Wasser und Lande mächtige Nation kann heut nicht die stammverwandte Bevölkerung von Cuba im Zaume halten; wie sollte man von ihr erwarten, daß sie eine Macht wie Frankreich aus Liebe zu uns angriffe? Keine spanische Regirung und am wenigsten ein ausländischer König würde im Lande die Macht besitzen, auch nur ein Regiment aus Liebe zu Deutschland an die Pyrenäen zu schicken. Politisch stand ich der ganzen Frage ziemlich gleichgültig gegenüber. Mehr als ich war Fürst Anton geneigt, sie friedlich zu dem (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-81] erstrebten Ziele zu führen. Die Memoiren Seiner Majestät des Königs von Rumänien sind über Einzelheiten der ministeriellen Mitwirkung in der Frage nicht genau unterrichtet. Das dort erwähnte Minister-Conseil im Schlosse hat nicht stattgefunden. Fürst Anton wohnte als Gast des Königs im Schlosse und hatte dort diesen Herrn und einige der Minister zum Diner eingeladen; ich glaube kaum, daß im Tischgespräch die spanische Frage verhandelt wurde. Wenn der Herzog von Gramont *) sich bemüht, den Beweis zu führen, daß ich der spanischen Anregung gegenüber mich nicht ablehnend verhalten hätte, so finde ich keinen Grund, dem zu widersprechen. Des Wortlautes meines Briefes an den Marschall Prim, von dem der Herzog hat erzählen hören, erinnere ich mich nicht mehr; wenn ich selbst ihn redigirt habe, was ich auch nicht mehr weiß, so werde ich die Hohenzollernsche Candidatur schwerlich „une excellente chose“ genannt haben, der Ausdruck ist mir nicht mundrecht. Daß ich sie für „opportune“ hielt, nicht „à un moment donné“, sondern prinzipiell und im Frieden, ist richtig. Ich hatte dabei nicht den mindesten Zweifel daran, daß der am französischen Hofe gern gesehne Enkel der Murats dem Lande Frankreichs Wohlwollen sichern werde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-82] Eingriffs erwehren würde. Nachdem später die Sache die Wendung genommen hatte, daß Frankreich im Sinne seines Eingriffs in die spanische Unabhängigkeit uns mit Krieg bedrohte, habe ich einige Tage lang erwartet, daß die spanische Kriegserklärung gegen Frankreich der französischen gegen uns folgen werde. Ich war nicht darauf gefaßt, daß eine selbstbewußte Nation wie die spanische Gewehr beim Fuß hinter den Pyrenäen ruhig zusehn werde, wie die Deutschen sich auf Tod und Leben für Spaniens Unabhängigkeit und freie Königswahl gegen Frankreich schlugen. Das spanische Ehrgefühl, das sich in der Karolinen-Frage so empfindlich anstellte, ließ uns 1870 einfach im Stich. Wahrscheinlich sind in beiden Fällen die Sympathien und internationalen Verbindungen der republikanischen Parteien entscheidend gewesen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-83] Sachkunde geprüft hatte. Der deutsch-nationale Aufschwung, welcher der französischen Kriegserklärung folgte, vergleichbar einem Strome, der die Schleusen bricht, war für die französischen Politiker eine Ueberraschung; sie lebten, rechneten und handelten in Rheinbundserinnerungen, genährt durch die Haltung einzelner westdeutscher Minister und durch ultramontane Einflüsse, welche hofften, daß Frankreichs Siege, gesta Dei per Francos, die Ziehung weitrer Consequenzen des Vaticanums in Deutschland, gestützt auf Allianz mit dem katholischen Oestreich, erleichtern würden. Ihre ultramontanen Tendenzen waren der französischen Politik in Deutschland förderlich, in Italien nachtheilig, da das Bündniß mit letzterm schließlich an der Weigerung Frankreichs, Rom zu räumen, scheiterte. In dem Glauben an die Ueberlegenheit der französischen Waffen wurde der Kriegsvorwand, man kann sagen, an den Haaren herbeigezogen, und anstatt Spanien für seine, wie man annahm, antifranzösische Königswahl verantwortlich zu machen, hielt man sich an den deutschen Fürsten, der es nicht abgelehnt hatte, dem Bedürfniß der Spanier auf deren Wunsch durch Gestellung eines brauchbaren und voraussichtlich in Paris als persona grata betrachteten Königs abzuhelfen, und an den König von Preußen, den nichts als der Familienname und die deutsche Landsmannschaft zu dieser spanischen Angelegenheit in Beziehung brachte. Schon in der Thatsache, daß das französische Cabinet sich erlaubte, die preußische Politik über die Annahme der Wahl zur Rede zu stellen, und zwar in einer Form, die durch die Interpretation der französischen Blätter zu einer öffentlichen Bedrohung wurde, schon in dieser Thatsache lag eine internationale Unverschämtheit, die für uns nach meiner Ansicht die Unmöglichkeit involvirte, auch nur um einen Zoll breit zurückzuweichen. Der beleidigende Charakter der französischen Zumuthung wurde verschärft nicht nur durch die drohenden Herausforderungen der französischen Presse, sondern auch durch die Parlamentsverhandlungen und die Stellungnahme des Ministeriums Gramont-Ollivier (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Ich entschloß mich, am 12. Juli von Varzin nach Ems aufzubrechen, um bei Sr. Majestät die Berufung des Reichstags behufs der Mobilmachung zu befürworten. Als ich durch Wussow fuhr, stand mein Freund, der alte Prediger Mulert, vor der Thür des Pfarrhofes und grüßte mich freundlich; meine Antwort im offnen Wagen war ein Lufthieb in Quart und Terz, und er verstand, daß ich glaubte in den Krieg zu gehn. In den Hof meiner Berliner Wohnung einfahrend und bevor ich den Wagen verlassen hatte, empfing ich Telegramme, aus denen hervorging, daß der König nach den französischen Bedrohungen und Beleidigungen im Parlament und in der Presse mit Benedetti zu verhandeln fortfuhr, ohne ihn in kühler Zurückhaltung an seine Minister zu verweisen. Während des Essens, an dem Moltke und Roon Theil nahmen, traf von der Botschaft in Paris die Meldung ein, daß der Prinz von Hohenzollern der Candidatur entsagt habe, um den Krieg abzuwenden, mit dem uns Frankreich bedrohte. Mein erster Gedanke war, aus dem Dienste zu scheiden, weil ich nach allen beleidigenden Provocationen, die vorhergegangen waren, in diesem erpreßten Nachgeben (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-86] das eigentlich schon dadurch geworden, daß der König den französischen Botschafter unter dem Drucke von Drohungen während seiner Badecur vier Tage hintereinander in Audienz empfangen und seine monarchische Person der unverschämten Bearbeitung durch diesen fremden Agenten ohne geschäftlichen Beistand exponirt habe. Durch diese Neigung, die Staatsgeschäfte persönlich und allein auf sich zu nehmen, war der König in eine Lage gedrängt worden, die ich nicht vertreten konnte; meines Erachtens hätte Se. Majestät in Ems jede geschäftliche Zumuthung des ihm nicht gleichstehenden französischen Unterhändlers ablehnen und ihn nach Berlin an die amtliche Stelle verweisen müssen, die dann durch Vortrag in Ems oder, wenn man dilatorische Behandlung nützlich gefunden, durch schriftlichen Bericht die Entscheidung des Königs einzuholen gehabt haben wurde. Aber bei dem hohen Herrn, so correct er in der Regel die Ressortverhältnisse respectirte, war die Neigung, wichtige Fragen persönlich zwar nicht zu entscheiden, aber doch zu verhandeln, zu stark, um ihm eine richtige Benutzung der Deckung zu ermöglichen, mit der die Majestät gegen Zudringlichkeiten, unbequeme Fragestellung und Zumuthung zweckmäßiger Weise umgeben ist. Daß der König sich nicht mit dem ihm in so großem Maße eignen Gefühle seiner hoheitvollen Würde der Benedettischen Aufdringlichkeit von Hause aus entzogen hatte, davon lag die Schuld zum großen Theile in dem Einflusse, den die Königin von dem benachbarten Coblenz her auf ihn ausübte. Er war 73 Jahr alt, friedliebend und abgeneigt, die Lorbeeren von 1866 in einem neuen Kampfe auf das Spiel zu setzen; aber wenn er vom weiblichen Einflusse frei war, so blieb das Ehrgefühl des Erben Friedrichs des Großen und des preußischen Offiziers in ihm stets leitend. Gegen die Concurrenz, welche seine Gemalin mit ihrer weiblich berechtigten Furchtsamkeit und ihrem Mangel an Nationalgefühl machte, wurde die Widerstandsfähigkeit des Königs abgeschwächt durch sein ritterliches Gefühl der Frau und durch sein monarchisches Gefühl einer Königin und besonders der seinigen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-87] gegenüber. Man hat mir erzählt, daß die Königin Augusta ihren Gemal vor seiner Abreise von Ems nach Berlin in Thränen beschworen habe, den Krieg zu verhüten im Andenken an Jena und Tilsit. Ich halte die Angabe für glaubwürdig bis auf die Thränen. Zum Rücktritt entschlossen trotz der Vorwürfe, die mir Roon darüber machte, lud ich ihn und Moltke zum 13. ein, mit mir zu Drei zu speisen, und theilte ihnen bei Tische meine An- und Absichten mit. Beide waren sehr niedergeschlagen und machten mir indirect Vorwürfe, daß ich die im Vergleiche mit ihnen größere Leichtigkeit des Rückzuges aus dem Dienste egoistisch benutzte. Ich vertrat die Meinung, daß ich mein Ehrgefühl nicht der Politik opfern könne, daß sie Beide als Berufssoldaten wegen der Unfreiheit ihrer Entschließung nicht dieselben Gesichtspunkte zu nehmen brauchten wie ein verantwortlicher auswärtiger Minister. Während der Unterhaltung wurde mir gemeldet, daß ein Ziffertelegramm, wenn ich mich recht erinnere, von ungefähr 200 Gruppen, aus Ems, von dem Geheimrath Abeken unterzeichnet, in der Uebersetzung begriffen sei. Nachdem mir die Entzifferung überbracht war, welche ergab, daß Abeken das Telegramm auf Befehl Sr. Majestät redigirt und unterzeichnet hatte, las ich dasselbe meinen Gästen vor 1), deren (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

In dieser Ueberzeugung machte ich von der mir durch Abeken übermittelten königlichen Ermächtigung Gebrauch, den Inhalt des Telegramms zu veröffentlichen, und reducirte in Gegenwart meiner beiden Tischgäste das Telegramm durch Streichungen, ohne ein Wort hinzuzusetzen oder zu ändern, auf die nachstehende Fassung: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

„Nachdem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen von Hohenzollern der kaiserlich französischen Regirung von der königlich spanischen amtlich mitgetheilt worden sind, hat der französische Botschafter in Ems an Seine Majestät den König noch die Forderung gestellt, ihn zu autorisiren, daß er nach Paris telegraphire, daß Seine Majestät der König sich für alle Zukunft verpflichte, niemals wieder seine Zustimmung zu geben, wenn die (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-91] Hohenzollern auf ihre Candidatur wieder zurückkommen sollten. Seine Majestät der König hat es darauf abgelehnt, den französischen Botschafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, daß Seine Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzutheilen habe.“ Der Unterschied in der Wirkung des gekürzten Textes der Emser Depesche im Vergleich mit der, welche das Original hervorgerufen hätte, war kein Ergebniß stärkerer Worte, sondern der Form, welche diese Kundgebung als eine abschließende erscheinen ließ, während die Redaction Abekens nur als ein Bruchstück einer schwebenden und in Berlin fortzusetzenden Verhandlung erschienen sein würde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Wie lebhaft sein Bedürfniß war, seine militärisch-strategische Neigung und Befähigung praktisch zu bethätigen, habe ich nicht nur bei dieser Gelegenheit, sondern auch in den Tagen vor dem Ausbruche des böhmischen Krieges beobachtet. In beiden Fällen fand ich meinen militärischen Mitarbeiter im Dienste des Königs abweichend von seiner sonstigen trocknen und schweigsamen Gewohnheit heiter, belebt, ich kann sagen, lustig. In der Juninacht 1866, in der ich ihn zu mir eingeladen hatte, um mich zu vergewissern, ob der Aufbruch des Heeres nicht um 24 Stunden verfrüht werden könnte, bejahte er die Frage und war durch die Beschleunigung des Kampfes angenehm erregt. Indem er elastischen Schrittes den Salon meiner Frau verließ, wandte er sich an der Thür noch einmal um und richtete im ernsthaften Tone die Frage an mich: „Wissen Sie, daß die Sachsen die Dresdner Brücke gesprengt haben?“ Auf meinen Ausdruck des Erstaunens und Bedauerns erwiderte er: „Aber mit Wasser, wegen Staub.“ Eine Neigung zu harmlosen Scherzen kam bei ihm in dienstlichen Beziehungen wie den unsrigen sehr selten zum Durchbruch. In beiden Fällen war mir, gegenüber der erklärlichen und berechtigten Abneigung an maßgebender Stelle, seine Kampflust, seine Schlachtenfreudigkeit für die Durchführung der von mir für nothwendig erkannten Politik ein starker Beistand. Unbequem wurde sie mir 1867 in der Luxemburger Frage, 1875 und später Angesichts der Erwägung, ob es (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Die Verstimmung gegen mich, welche die höhern militärischen Kreise aus dem östreichischen Kriege mitgebracht hatten, dauerte während des französischen fort, gepflegt nicht von Moltke und Roon, aber von den „Halbgöttern“, wie man damals die höhern Generalstabsoffiziere nannte. Sie machte sich im Feldzuge für mich und meine Beamten bis in das Gebiet der Naturalverpflegung und Einquartirung fühlbar 1). Sie würde noch weiter gegangen sein, wenn sie nicht in der sich immer gleichbleibenden, weltmännischen Höflichkeit des Grafen Moltke ein Correctiv gefunden hätte. Roon war im Felde nicht in der Lage, mir als Freund und College Beistand zu leisten; er bedurfte im Gegentheil schließlich in Versailles meines Beistandes, um im Kreise des Königs seine militärischen Ueberzeugungen geltend zu machen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Die durch diese Reden gekennzeichnete Verabredung wurde mir praktisch wahrnehmbar; ich wurde nicht nur zu den militärischen Berathungen nicht zugezogen, wie 1866 geschehn war, sondern es galt mir gegenüber strenge Geheimhaltung aller militärischen Maßregeln und Absichten als Regel. Dieses Ergebniß der unsern amtlichen Kreisen innewohnenden Rivalität der Ressorts war ein so augenfälliger Schaden für die Geschäftsführung, daß der in Angelegenheiten des Rothen Kreuzes im Hauptquartier anwesende Graf Eberhard Stolberg bei der freundschaftlichen Intimität, in der ich mit diesem, leider zu früh verstorbenen Patrioten stand, den König auf die Unzuträglichkeiten der Ausschließung seines verantwortlichen politischen Rathgebers aufmerksam machte. Nach dem Zeugnisse des Grafen hatte Se. Majestät darauf erwidert: „Ich sei in dem böhmischen Kriege in der Regel zu dem Kriegsrathe zugezogen worden, und es sei dabei vorgekommen, daß ich im Widerspruche mit der Majorität den Nagel auf den Kopf getroffen hätte; daß das den andern Generalen ärgerlich sei und sie ihr Ressort allein berathen wollten, sei nicht zu verwundern“ — ipsissima verba regis, nach dem Zeugnisse des Grafen Stolberg nicht nur mir, sondern auch Andern gegenüber. Das Maß von Einfluß, welches der König mir 1866 verstattet hatte, stand allerdings im Widerspruche mit militärischen Traditionen, sobald der Ministerpräsident allein nach den Abzeichen der Uniform classificirt wurde, die er im Felde trug, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-97] erforderlich, die dem Militär nicht geläufig zu sein brauchen, Informationen, die ihm nicht zugänglich sein können. Die Verhandlungen in Nikolsburg 1866 beweisen, daß die Frage von Krieg und Frieden auch im Kriege stets zur Competenz des verantwortlichen politischen Ministers gehört und nicht von der technischen Armeeleitung entschieden werden kann; der competente Minister aber kann dem Könige nur dann sachkundigen Rath ertheilen, wenn er Kenntniß von der jeweiligen Lage und den Intentionen der Kriegführung hat. Im fünften Kapitel ist der Plan zur Zerstückelung Rußlands erwähnt, den die Wochenblattspartei hegte und Bunsen in einer dem Minister von Manteuffel eingereichten Denkschrift in aller kindlichen Nacktheit entwickelt hatte 1). Den damals unmöglichen Fall angenommen, daß der König für diese Utopie gewonnen wurde, angenommen ferner, daß die preußischen Heere und ihre etwaigen Verbündeten in siegreichem Vorschreiten waren, so würde sich doch eine artige Reihe von Fragen aufgedrängt haben: ob uns der weitre Erwerb polnischer Landstriche und Bevölkerungen wünschenswerth sei, ob es nothwendig, die vorspringende Grenze Congreßpolens, den Ausgangspunkt russischer Heere weiter nach Osten, weiter ab von Berlin zu rücken, analog dem Bedürfnisse, im Westen den Druck zu beseitigen, den Straßburg und die Weißenburger Linien auf Süddeutschland ausübten, ob Warschau in polnischen Händen für uns unbequemer werden könnte als in russischen. Das alles sind rein politische Fragen, und wer wird leugnen wollen, daß ihre Entscheidung einen vollberechtigten Einfluß auf die Richtung, die Art, den Umfang der Kriegführung hätte fordern, daß zwischen Diplomatie und Strategie eine Wechselwirkung in Berathung des Monarchen hätte bestehn müssen? (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-98] Wenn ich mich auch in Versailles beschied, in militärischen Dingen zu einem Votum nicht berufen zu sein, so lag mir doch als dem leitenden Minister die Verantwortlichkeit für die richtige politische Ausnutzung der militärischen, wie der auswärtigen Situation ob, und ich war verfassungsmäßig der verantwortliche Rathgeber des Königs in der Frage, ob die militärische Situation irgend welche politische Schritte oder die Ablehnung irgend welcher Zumuthung andrer Mächte rathsam machte. Ich habe damals die Nachrichten über die militärische Lage, deren ich für die Beurtheilung der politischen bedurfte, so weit als möglich mir dadurch zu verschaffen gesucht, daß ich mich mit einigen der unbeschäftigten hohen Herrn, welche die „zweite Staffel“ des Hauptquartiers bildeten und im Hôtel des Réservoirs zusammenkamen, in vertraulichen Beziehungen hielt, denn diese fürstlichen Herrn erfuhren über die militärischen Vorgänge und Absichten erheblich mehr als der verantwortliche Minister des Auswärtigen und machten mir manche für mich sehr werthvolle Mittheilung, von der sie annahmen, daß sie für mich natürlich kein Geheimniß sei. Auch der englische Correspondent im Hauptquartier, Russell, war in der Regel über die Absichten und Vorgänge in demselben besser wie ich unterrichtet und eine nützliche Quelle für meine Informationen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

„Dies vorausgeschickt,“ fährt er fort, „kann ich den Ausdruck meiner Besorgniß nicht unterdrücken, daß dereinst vor dem Urtheil der Geschichte ein Theil dieser Verantwortlichkeit auf die Neutralen fallen würde, wenn sie sich die Gefahr unerhörten Unheils in stummer Gleichgültigkeit vor Augen stellen ließen. Ich muß daher Eure Excellenz auffordern, wenn der Gegenstand gegen Sie berührt wird, offen unser Bedauern darüber auszusprechen, daß in einer Lage, in welcher die königlich preußische Regierung Katastrophen, wie die in jenem Memorandum angedeutete, vorhersieht, dennoch das entschiedenste Bestreben sich kundgibt, jede persönliche Einwirkung dritter Mächte fernzuhalten. ... Rücksichten auf eigne Interessen sind es nicht, welche die Regierung Oesterreich-Ungarns beklagen lassen, daß auf dem Punkte, zu welchem die Dinge gediehen sind, jede friedliche Einflußnahme der neutralen Mächte fehlt. Aber es ist ihr unmöglich, in der Weise, wie es neuerlich von Seiten des St. Petersburger Cabinets geschieht, die absolute Enthaltung des unbetheiligten Europas zu billigen und zu empfehlen. Sie hält es vielmehr für Pflicht, auszusprechen, daß sie noch an allgemein europäische Interessen glaubt, und daß sie einen durch unparteiische Einwirkung der Neutralen herbeigeführten Frieden der Vernichtung weiterer Hunderttausende vorziehen würde.“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-103] Es ließ sich nicht mit Bestimmtheit sagen, zu welchen Entschließungen man in Wien und Florenz gelangt sein würde, wenn bei Wörth, Spichern, Mars la Tour der Erfolg auf Seite der Franzosen oder für uns weniger eclatant gewesen wäre. Ich habe zur Zeit der genannten Schlachten Besuche von republikanischen Italienern gehabt, die überzeugt waren, daß der König Victor Emanuel mit der Absicht umginge, dem Kaiser Napoleon beizustehn, und diese Tendenz zu bekämpfen geneigt waren, weil sie von der Ausführung der dem Könige zugeschriebenen Absichten eine Verstärkung der ihrem Nationalgefühl empfindlichen Abhängigkeit Italiens von Frankreich befürchteten. Schon in den Jahren 1868 und 1869 waren mir ähnliche antifranzösische Anregungen von italienischer und nicht blos republikanischer Seite vorgekommen, in denen die Unzufriedenheit mit der französischen Suprematie über Italien scharf hervortrat. Ich habe damals wie später auf dem Marsche nach Frankreich in Homburg (Pfalz) den italienischen Herrn geantwortet: wir hätten bisher keine Beweise davon, daß der König von Italien seine Freundschaft für Napoleon bis zum Angriffe auf Preußen bethätigen werde; es sei gegen mein politisches Gewissen, eine Initiative zum Bruch zu ergreifen, welche Italien Vorwand und Rechtfertigung feindlicher Haltung gegeben hätte. Wenn Victor Emanuel die Initiative zu dem Bruche ergriffe, so würde die republikanische Tendenz derjenigen Italiener, welche eine solche Politik mißbilligten, mich nicht abhalten, dem Könige, meinem Herrn, zur Unterstützung der Unzufriedenen in Italien durch Geld und Waffen, welche sie zu haben wünschten, zu rathen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-104] zurückgeschreckt war, würde ich auch den der italienischen Republikaner für annehmbar gehalten haben, wenn es sich um Verhütung der Niederlage und um Vertheidigung unsrer nationalen Selbständigkeit gehandelt hätte. Die Velleitäten des Königs von Italien und des Grafen Beust, die durch unsre ersten glänzenden Erfolge zurückgedrängt waren, konnten bei der Stagnation vor Paris um so leichter wieder aufleben, als wir in den maßgebenden Kreisen eines so gewichtigen Factors wie England über zuverlässige Sympathien und namentlich über solche, welche bereit gewesen wären, sich auch nur diplomatisch zu bethätigen, keineswegs verfügen konnten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

In Rußland gewährten die persönlichen Gefühle Alexanders II., nicht nur die freundschaftlichen für seinen Oheim, sondern auch die antifranzösischen, uns eine Bürgschaft, die freilich durch die französirende Eitelkeit des Fürsten Gortschakow und durch seine Rivalität mir gegenüber abgeschwächt werden konnte. Es war deshalb eine Gunst des Schicksals, daß die Situation eine Möglichkeit bot, Rußland eine Gefälligkeit in Betreff des Schwarzen Meeres zu erweisen. Aehnlich wie die Empfindlichkeiten des russischen Hofes, die sich vermöge der russischen Verwandschaft der Königin Marie an den Verlust der hanöverschen Krone knüpften, ihr Gegengewicht in den Concessionen fanden, die dem oldenburgischen Verwandten der russischen Dynastie auf territorialem und finanziellem Gebiete 1866 gemacht worden waren, bot sich 1870 die Möglichkeit, nicht nur der Dynastie, sondern auch dem russischen Reiche einen Dienst zu erweisen in Betreff der politisch unvernünftigen und deshalb auf die Dauer unmöglichen Stipulationen, die dem russischen Reiche die Unabhängigkeit seiner Küsten des Schwarzen Meeres beschränkten. Es waren die ungeschicktesten Bestimmungen des Pariser Friedens; einer Nation von hundert Millionen kann man die Ausübung der natürlichen Rechte der Sonveränetät an ihren Küsten nicht dauernd untersagen. Die Servitut der Art, welche fremden Mächten auf russischem (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-109] werde dich zur Infanterie versetzen,“ nahm er seinen Abschied und trat erst im Krimkriege in geringer Stellung wieder ein, blieb unter Alexander II. in der Armee und wurde endlich Militärbevollmächtigter in Berlin, wo seine ehrliche Bonhomie ihm viele Freunde erwarb. Er begleitete uns als russischer Flügeladjutant des preußischen Königs im französischen Kriege, und es war vielleicht ein Effect der ungerechten Beurtheilung seiner Reitfähigkeit, die ihm vom Kaiser Nicolaus zu Theil geworden war, daß er alle Marschetappen, auf denen der König und sein Gefolge gefahren wurden, nicht selten 50 bis 70 Werst im Tage, zu Pferde zurücklegte. Für seine Bonhomie und die Tonart auf den Jagden in Wusterhausen ist es bezeichnend, daß er gelegentlich vor dem Könige erzählte, seine Familie stamme aus Preußisch-Litthauen und sei unter dem Namen Kutu nach Rußland gekommen, worauf Graf Fritz Eulenburg in seiner witzigen Art bemerkte: „Den schließlichen ,Soff‘ haben Sie also erst in Rußland sich angeeignet“ — allgemeine Heiterkeit, in welche Kutusoff herzlich einstimmte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-114] Humanität des Aushungerns nur Empfindsamkeit und nicht auch politische Berechnung im Spiele war. England hatte kein praktisches Bedürfniß, weder uns noch Frankreich vor Schädigung und Schwächung durch den Krieg zu behüten, weder wirthschaftlich noch politisch. Jedenfalls vermehrte die Verschleppung der Ueberwältigung von Paris und des Abschlusses der kriegerischen Vorgänge für uns die Gefahr, daß die Früchte unsrer Siege uns verkümmert werden könnten. Vertrauliche Nachrichten aus Berlin ließen erkennen, daß in den sachkundigen Kreisen der Stillstand unsrer Thätigkeit Besorgniß und Unzufriedenheit erregte, und daß man der Königin Augusta einen brieflichen Einfluß auf ihren hohen Gemal im Sinne der Humanität zuschrieb. Eine Andeutung, die ich dem Könige über Nachrichten derart machte, hatte einen lebhaften Zornesausbruch zur Folge, nicht in dem Sinne, daß die Gerüchte unbegründet seien, sondern in einer scharfen Bedrohung jeder Aeußerung einer derartigen Verstimmung gegen die Königin. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Die Initiative zu irgend einer Wendung in der Kriegführung ging in der Regel nicht von dem Könige aus, sondern von dem Generalstabe der Armee oder des Höchstcommandirenden am Orte, des Kronprinzen. Daß diese Kreise englischen Auffassungen, wenn sie sich in befreundeter Form geltend machten, zugänglich waren, war menschlich natürlich: die Kronprinzessin, die verstorbene Frau Moltkes, die Frau des Generalstabschefs, spätern Feldmarschalls, Grafen Blumenthal, und die Frau des demnächst maßgebenden Generalstabsoffiziers von Gottberg waren sämmtlich Engländerinnen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Die Annahme des Kaisertitels durch den König bei Erweiterung des Norddeutschen Bundes war ein politisches Bedürfniß, weil er in den Erinnerungen aus Zeiten, da er rechtlich mehr, factisch weniger als heut zu bedeuten hatte, ein werbendes Element für Einheit und Centralisation bildete; und ich war überzeugt, daß der festigende Druck auf unsre Reichsinstitutionen um so nachhaltiger sein müßte, je mehr der preußische Träger desselben das gefährliche, aber der deutschen Vorgeschichte innelebende Bestreben vermiede, den andern Dynastien die Ueberlegenheit der eignen unter die Augen zu rücken. König Wilhelm I. war nicht frei von der Neigung dazu, und sein Widerstreben gegen den Titel war nicht ohne Zusammenhang mit dem Bedürfnisse, grade das überlegne Ansehn der angestammten preußischen Krone mehr als das des Kaisertitels zur Anerkennung zu bringen. Die Kaiserkrone erschien ihm im Lichte eines übertragenen modernen Amtes, dessen Autorität von Friedrich dem Großen bekämpft war, den Großen Kurfürsten bedrückt hatte. Bei den ersten Erörterungen sagte er: „Was soll mir der Charakter-Major?“ worauf ich u. A. erwiderte: „Ew. Majestät wollen doch nicht ewig (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Auch bei dem Kronprinzen habe ich für mein Streben, den Kaisertitel herzustellen, welches nicht einer preußisch-dynastischen Eitelkeit, sondern allein dem Glauben an seine Nützlichkeit für Förderung der nationalen Einheit entsprang, im Anfange der günstigen Wendung des Krieges nicht immer Anklang gefunden. Seine Königliche Hoheit hatte von irgend einem der politischen Phantasten, denen er sein Ohr lieh, den Gedanken aufgenommen, die Erbschaft des von Karl dem Großen wiedererweckten „römischen“ Kaiserthums sei das Unglück Deutschlands gewesen, ein ausländischer, für die Nation ungesunder Gedanke. So nachweisbar letztres auch geschichtlich sein mag, so unpraktisch war die Bürgschaft gegen analoge Gefahren, welche des Prinzen Rathgeber in dem Titel „König“ der Deutschen sahen. Es lag heut zu Tage keine Gefahr vor, daß der Titel, welcher allein in der Erinnerung des Volkes lebt, dazu beitragen würde, die Kräfte Deutschlands den eignen Interessen zu entfremden und dem transalpinen Ehrgeize bis nach Apulien hin dienstbar zu machen. Das aus einer irrigen Vorstellung entspringende Verlangen, das der Prinz gegen mich aussprach, war nach meinem Eindrucke ein völlig ernstes und geschäftliches, dessen Inangriffnahme durch mich gewünscht wurde. Mein Einwand, anknüpfend an die Coexistenz der Könige von Bayern, Sachsen, Würtemberg mit dem intendirten Könige in Germanien oder Könige der Deutschen führte zu meiner Ueberraschung auf die weitre Consequenz, daß die genannten Dynastien aufhören müßten, den Königstitel zu führen, um wieder den herzoglichen anzunehmen. Ich sprach die Ueberzeugung aus, daß sie sich dazu gutwillig nicht verstehn würden. Wollte man dagegen Gewalt anwenden, so würde dergleichen Jahrhunderte hin (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Außer den bairischen Unterhändlern befand sich in Versailles als besondrer Vertrauensmann des Königs Ludwig der ihm als Oberststallmeister persönlich nahestehende Graf Holnstein. Derselbe übernahm auf meine Bitte in dem Augenblick, wo die Kaiserfrage kritisch war und an dem Schweigen Baierns und der Abneigung König Wilhelms zu scheitern drohte, die Ueberbringung eines Schreibens von mir an seinen Herrn, das ich, um die Beförderung nicht zu verzögern, sofort an einem abgedeckten Eßtische auf durchschlagendem Papiere und mit widerstrebender Tinte schrieb 2). Ich entwickelte darin den Gedanken, daß die bairische Krone die (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-118] Präsidialrechte, für die die bairische Zustimmung geschäftlich bereits vorlag, dem Könige von Preußen ohne Verstimmung des bairischen Selbstgefühls nicht werde einräumen können; der König von Preußen sei ein Nachbar des Königs von Baiern, und bei der Verschiedenheit der Stammesbeziehungen werde die Kritik über die Concessionen, welche Baiern mache und gemacht habe, schärfer und für die Rivalitäten der deutschen Stämme empfindlicher werden. Preußische Autorität innerhalb der Grenzen Baierns ausgeübt, sei neu und werde die bairische Empfindung verletzen, ein deutscher Kaiser aber sei nicht der im Stamme verschiedene Nachbar Baierns, sondern der Landsmann; meines Erachtens könne der König Ludwig die von ihm der Autorität des Präsidiums bereits gemachten Concessionen schicklicher Weise nur einem deutschen Kaiser, nicht einem Könige von Preußen machen. Dieser Hauptlinie meiner Argumentation hatte ich noch persönliche Argumente hinzugefügt, in Erinnerung an das besondre Wohlwollen, welches die bairische Dynastie zu der Zeit, wo sie in der Mark Brandenburg regirte (Kaiser Ludwig), während mehr als einer Generation meinen Vorfahren bethätigt habe. Ich hielt dieses argumentum ad hominem einem Monarchen von der Richtung des Königs gegenüber für nützlich, glaube aber, daß die politische und dynastische Würdigung des Unterschieds zwischen kaiserlich deutschen und königlich preußischen Präsidialrechten entscheidend in's Gewicht gefallen ist. Der Graf trat seine Reise nach Hohenschwangau binnen zwei Stunden, am 27. November, an und legte sie unter großen Schwierigkeiten und mit häufiger Unterbrechung in vier Tagen zurück. Der König war wegen eines Zahnleidens bettlägrig, lehnte zuerst ab, ihn zu empfangen, nahm ihn aber an, nachdem er vernommen hatte, daß der Graf in meinem Auftrage und mit einem Briefe von mir komme. Er hat darauf im Bette mein Schreiben in Gegenwart des Grafen zweimal sorgfältig durchgelesen, Schreibzeug gefordert und das von mir erbetene und im Concept entworfene Schreiben an den König Wilhelm zu Papier gebracht. Darin war das (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-119] Hauptargument für den Kaisertitel mit der coercitiven Andeutung wiedergegeben, daß Baiern die zugesagten, aber noch nicht ratificirten Concessionen nur dem deutschen Kaiser, aber nicht dem Könige von Preußen machen könne. Ich hatte diese Wendung ausdrücklich gewählt, um einen Druck auf die Abneigung meines hohen Herrn gegen den Kaisertitel auszuüben. Am siebenten Tage nach seiner Abreise, am 3. December, war Graf Holnstein mit diesem Schreiben des Königs wieder in Versailles; es wurde noch an demselben Tage durch den Prinzen Luitpold, jetzigen Regenten, unserm Könige officiell überreicht und bildete ein gewichtiges Moment für das Gelingen der schwierigen und vielfach in ihren Aussichten schwankenden Arbeiten, die durch das Widerstreben des Königs Wilhelm und durch die bis dahin mangelnde Feststellung der bairischen Erwägungen veranlaßt waren. Der Graf Holnstein hat sich durch diese in einer schlaflosen Woche zurückgelegte doppelte Reise und durch die geschickte Durchführung seines Auftrags in Hohenschwangau ein erhebliches Verdienst um den Abschluß unsrer nationalen Einigung durch Beseitigung der äußern Hindernisse der Kaiserfrage erworben. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Eine neue Schwierigkeit erhob Se. Majestät bei der Formulirung des Kaisertitels, indem er, wenn schon Kaiser, Kaiser von Deutschland heißen wollte. In dieser Phase haben der Kronprinz, der seinen Gedanken an einen König der Deutschen längst fallen gelassen hatte, und der Großherzog von Baden mich, jeder in seiner Weise, unterstützt, wenn auch keiner von Beiden der zornigen Abneigung des alten Herrn gegen den „Charakter-Major“ 1) offen widersprach. Der Kronprinz unterstützte mich durch passive Assistenz in Gegenwart seines Herrn Vaters und durch gelegentliche kurze Aeußerungen seiner Ansicht, die aber meine Gefechtsposition dem Könige gegenüber nicht stärkten, sondern eher eine verschärfte Reizbarkeit des hohen Herrn zur Folge hatten. Denn der König war noch (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-120] leichter geneigt, dem Minister, als seinem Herrn Sohne Concessionen zu machen, in gewissenhafter Erinnerung an Verfassungseid und Ministerverantwortlichkeit. Meinungsverschiedenheiten mit dem Kronprinzen faßte er von dem Standpunkte des pater familias auf. In der Schlußberathung am 17. Januar 1871 lehnte er die Bezeichnung Deutscher Kaiser ab und erklärte, er wolle Kaiser von Deutschland oder garnicht Kaiser sein. Ich hob hervor, wie die adjectivische Form Deutscher Kaiser und die genitivische Kaiser von Deutschland sprachlich und zeitlich verschieden seien. Man hätte Römischer Kaiser, nicht Kaiser von Rom gesagt; der Zar nenne sich nicht Kaiser von Rußland, sondern Russischer, auch „gesammtrussischer“ (wserossiski) Kaiser. Das Letztre bestritt der König mit Schärfe, sich darauf berufend, daß die Rapporte seines russischen Regiments Kaluga stets „pruskomu“ adressirt seien, was er irrthümlich übersetzte. Meiner Versicherung, daß die Form der Dativ des Adjectivums sei, schenkte er keinen Glauben und hat sich erst nachher von seiner gewohnten Autorität für russische Sprache, dem Hofrath Schneider, überzeugen lassen. Ich machte ferner geltend, daß unter Friedrich dem Großen und Friedrich Wilhelm II. auf den Thalern Borussorum, nicht Borussiae rex erscheine, daß der Titel Kaiser von Deutschland einen landesherrlichen Anspruch auf die nichtpreußischen Gebiete involvire, den die Fürsten zu bewilligen nicht gemeint wären; daß in dem Schreiben des Königs von Baiern in Anregung gebracht sei, daß „die Ausübung der Präsidialrechte mit Führung des Titels eines Deutschen Kaisers verbunden werde“; endlich daß derselbe Titel auf Vorschlag des Bundesrathes in die neue Fassung des Artikel 11 der Verfassung aufgenommen sei. Die Erörterung ging über auf den Rang zwischen Kaisern und Königen, zwischen Erzherzogen, Großfürsten und preußischen Prinzen. Meine Darlegung, daß den Kaisern im Prinzip ein Vorrang vor Königen nicht eingeräumt werde, fand keinen Glauben, obwohl ich mich darauf berufen konnte, daß Friedrich Wilhelm I. bei einer Zusammenkunft mit Karl VI., der doch dem Kurfürsten (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-121] von Brandenburg gegenüber die Stellung des Lehnsherrn hatte, als König von Preußen die Gleichheit beanspruchte und durchsetzte, indem man einen Pavillon erbauen ließ, in den die beiden Monarchen von den entgegengesetzten Seiten gleichzeitig eintraten, um einander in der Mitte zu begegnen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Die Zustimmung, die der Kronprinz zu meiner Ausführung zu erkennen gab, reizte den alten Herrn noch mehr, so daß er auf den Tisch schlagend sagte: „Und wenn es so gewesen wäre, so befehle ich jetzt, wie es sein soll. Die Erzherzoge und Großfürsten haben stets den Vorrang vor den preußischen Prinzen gehabt, und so soll es ferner sein.“ Damit stand er auf, trat an das Fenster, den um den Tisch Sitzenden den Rücken zuwendend. Die Erörterung der Titelfrage kam zu keinem klaren Abschluß; indessen konnte man sich doch für berechtigt halten, die Ceremonie der Kaiserproclamation anzuberaumen, aber der König hatte befohlen, daß nicht von dem Deutschen Kaiser, sondern von dem Kaiser von Deutschland dabei die Rede sei. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Diese Sachlage veranlaßte mich, am folgenden Morgen, vor der Feierlichkeit im Spiegelsaale, den Großherzog von Baden aufzusuchen, als den ersten der anwesenden Fürsten, der voraussichtlich nach Verlesung der Proclamation das Wort nehmen würde, und ihn zu fragen, wie er den neuen Kaiser zu bezeichnen denke. Der Großherzog antwortete: „Als Kaiser von Deutschland, nach Befehl Sr. Majestät.“ Unter den Argumenten, die ich dem Großherzoge dafür geltend machte, daß das abschließende Hoch auf den Kaiser nicht in dieser Form ausgebracht werden könne, war das durchschlagendste meine Berufung auf die Thatsache, daß der künftige Text der Reichsverfassung bereits durch einen Beschluß des Reichstags in Berlin präjudicirt sei. Die in seinen constitutionellen Gedankenkreis fallende Hinweisung auf den Reichstagsbeschluß bewog ihn, den König noch einmal aufzusuchen. Die Unterredung der beiden Herrn blieb mir unbekannt, und ich war bei Verlesung der Proclamation in Spannung. Der Großherzog wich dadurch aus, daß er ein Hoch weder auf den Deutschen Kaiser, noch auf den (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-124] Vierundzwanzigstes Kapitel: Culturkampf. in den Kauf zu nehmen, die das Ergebniß eines öffentlichen Eintretens für die päpstlichen Interessen bezüglich Roms sein mußte. In den Wechselfällen des Krieges ist unter den streitenden italienischen Elementen Anfangs der König als der für uns möglicherweise gefährliche Gegner erschienen. Später ist uns die republikanische Partei unter Garibaldi, die uns bei Ausbruch des Krieges ihre Unterstützung gegen Napoleonische Velleitäten des Königs in Aussicht gestellt hatte, auf dem Schlachtfelde in einer mehr theatralischen als praktischen Erregtheit und in militärischen Leistungen entgegengetreten, deren Formen unsre soldatischen Auffassungen verletzten. Zwischen diesen beiden Elementen lag die Sympathie, welche die öffentliche Meinung der Gebildeten in Italien für das in der Geschichte und in der Gegenwart parallele Streben des deutschen Volkes hegen und dauernd bewahren konnte, lag der nationale Instinct, der denn auch schließlich stark und praktisch genug gewesen ist, mit dem frühern Gegner Oestreich in den Dreibund zu treten. Mit dieser nationalen Richtung Italiens würden wir durch ostensible Parteinahme für den Papst und seine territorialen Ansprüche gebrochen haben. Ob und in wie weit wir dafür den Beistand des Papstes in unsern innern Angelegenheiten gewonnen haben würden, ist zweifelhaft. Der Gallicanismus erschien mir stärker, als ich ihn 1870 der Infallibilität gegenüber einschätzen konnte, und der Papst schwächer, als ich ihn wegen seiner überraschenden Erfolge über alle deutschen, französischen, ungarischen Bischöfe gehalten hatte. Bei uns im Lande war das jesuitische Centrum demnächst stärker als der Papst, wenigstens unabhängig von ihm; der germanische Fractions- und Parteigeist unsrer katholischen Landsleute ist ein Element, dem gegenüber auch der päpstliche Wille nicht durchschlägt. Desgleichen lasse ich dahingestellt, ob die am 16. desselben Monats vor sich gegangenen Wahlen zum preußischen Landtage durch das Fehlschlagen der Ledochowskischen Verhandlungen beeinflußt worden sind. Die letztern wurden in etwas andrer Richtung (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Der Beginn des Culturkampfes war für mich überwiegend bestimmt durch seine polnische Seite. Seit dem Verzicht auf die Politik der Flottwell und Grolman, seit der Consolidirung des Radziwill'schen Einflusses auf den König und der Einrichtung der „katholischen Abtheilung“ im geistlichen Ministerium, stellten die statistischen Data einen schnellen Fortschritt der polnischen Nationalität auf Kosten der Deutschen in Posen und Westpreußen außer Zweifel, und in Oberschlesien wurde das bis dahin stramm preußische Element der „Wasserpolacken“ polonisirt; Schaffranek wurde dort in den Landtag gewählt, der uns das Sprichwort von der Unmöglichkeit der Verbrüderung der Deutschen und der Polen in polnischer Sprache als Parlamentsredner entgegenhielt. Dergleichen war in Schlesien nur möglich auf Grund der amtlichen Autorität der katholischen Abtheilung. Auf Klage bei dem Fürstbischof wurde dem Schaffranek untersagt, bei Wiederwahl auf der Linken zu „sitzen“; in Folge dessen stand dieser kräftig gebaute Priester 5 und 6 Stunden und bei Doppelsitzungen 10 Stunden am Tage vor den Bänken der Linken, stramm wie eine Schildwache, und brauchte nicht erst aufzustehn, wenn er zu antideutscher (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-128] Rede das Wort ergriff 1). In Posen und Westpreußen waren nach Ausweis amtlicher Berichte Tausende von Deutschen und ganze Ortschaften, die in der vorigen Generation amtlich deutsch waren, durch die Einwirkung der katholischen Abtheilung polnisch erzogen und amtlich „Polen“ genannt worden. Nach der Competenz, welche der Abtheilung verliehn worden war, ließ sich ohne Aushebung derselben hierin nicht abhelfen. Diese Aufhebung war also nach meiner Ueberzeugung als nächstes Ziel zu erstreben. Dagegen war natürlich der Radziwill'sche Einfluß am Hof, nicht natürlich mein Cultus-College, dessen Frau und Ihre Majestät die Königin. Der Chef der katholischen Abtheilung war damals Krätzig, der früher Radziwill'scher Privatbeamter gewesen und dies im Staatsdienst auch wohl geblieben war. Der Träger des Radziwill'schen Einflusses war der jüngere beider Brüder Fürst Boguslav, auch Stadtverordneter von Einfluß in Berlin. Der ältere, Wilhelm, und sein Sohn Anton, waren zu ehrliche Soldaten, um sich auf polnische Intrigen gegen den König und dessen Staat einzulassen. Die katholische Abtheilung des Cultusministeriums, ursprünglich gedacht als eine Einrichtung, vermöge deren katholische Preußen die Rechte ihres Staates in den Beziehungen zu Rom vertreten sollten, war durch den Wechsel der Mitglieder nach und nach zu einer Behörde geworden, die inmitten der preußischen Bürokratie die römischen und polnischen Interessen gegen Preußen vertrat. Ich habe mehr als einmal dem Könige auseinander gesetzt, daß diese Abtheilung schlimmer sei als ein Nuntius in Berlin. Sie handle nach Anweisungen, die sie aus Rom empfinge, vielleicht nicht immer vom Papste, und sei neuerdings hauptsächlich polnischen Einflüssen zugänglich geworden. In dem Radziwill'schen Hause seien die Damen deutschfreundlich, der ältere Bruder Wilhelm durch das Ehrgefühl des preußischen Offiziers in derselben (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Auf die juristische Detailarbeit der Maigesetze würde ich nie verfallen sein; sie lag mir ressortmäßig fern, und weder in meiner Absicht, noch in meiner Befähigung lag es, Falk als Juristen zu controlliren oder zu corrigiren. Ich konnte als Ministerpräsident überhaupt nicht gleichzeitig den Dienst des Cultusministers thun, auch wenn ich vollkommen gesund gewesen wäre. Erst durch die Praxis überzeugte ich mich, daß die juristischen Einzelheiten psychologisch nicht richtig gegriffen waren. Der Mißgriff wurde mir klar an dem Bilde ehrlicher, aber ungeschickter preußischer Gendarmen, die mit Sporen und Schleppsäbel hinter gewandten und leichtfüßigen Priestern durch Hinterthüren und Schlafzimmer nachsetzten. Wer annimmt, daß solche in mir auftauchende kritische Erwägungen sofort in Gestalt einer Cabinetskrisis zwischen Falk und mir sich hätten verkörpern lassen, dem fehlt das richtige, nur durch Erfahrung zu gewinnende Urtheil über die Lenkbarkeit der Staatsmaschine in sich und in ihrem Zusammenhange mit dem Monarchen und den Parlamentswahlen. Diese Maschine ist zu plötzlichen Evolutionen nicht im Stande, und Minister von der Begabung Falks wachsen bei uns nicht wild. Es war richtiger, einen Kampfgenossen von dieser Befähigung und Tapferkeit in dem Ministerium zu haben, als durch Eingriffe in die verfassungsmäßige Unabhängigkeit seines Ressorts die Verantwortlichkeit für die Verwaltung oder Neubesetzung des Cultusministeriums auf mich zu nehmen. Ich bin in dieser Auffassung verharrt, so lange ich Falk zum Bleiben zu bewegen vermochte. Erst nachdem er gegen meinen Wunsch durch weibliche Hofeinflüsse und ungnädige königliche Handschreiben derartig verstimmt worden war, daß er sich nicht halten ließ, bin ich an eine Revision seiner Hinterlassenschaft gegangen, der ich nicht näher treten wollte, so lange das nur durch Bruch mit ihm möglich war. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-131] Falk unterlag derselben Tactik, die am Hofe gegen mich nicht mit demselben Erfolge, aber mit gleichen Mitteln in Anwendung gebracht worden war; er unterlag ihr, theils weil er für Hofeindrücke empfindlicher war als ich, theils weil ihm die Sympathie des Kaisers nicht in gleichem Maße zur Seite stand wie mir. Die antiministerielle Thätigkeit der Kaiserin fand ihre ursprüngliche Quelle in der Unabhängigkeit des Charakters, welche es ihr erschwerte, mit einer Regirung zu gehn, die nicht in ihren eignen Händen lag, und welche ihr ein Menschenalter hindurch den Weg der Opposition gegen die jedesmalige Regirung anziehend machte. Sie war nicht leicht der Meinung eines Andern. Zur Zeit des Culturkampfes wurde diese Neigung gefördert durch die katholische Umgebung Ihrer Majestät, welche aus dem ultramontanen Lager Information und Anweisung erhielt. Diese Einflüsse nutzten mit Geschick und Menschenkenntniß die alte Neigung der Kaiserin aus, auf die jedesmalige Staatsregirung verbessernd einzuwirken. Ich habe Falk wiederholt seine beabsichtigten Abschiedsgesuche ausgeredet, die sich an Kaiserliche Handschreiben ungnädigen Inhalts, welche wohl nicht der eignen Initiative des hohen Herrn entsprungen waren, und an verletzendes Benehmen gegen seine Frau am Hofe knüpften. Ich empfahl ihm, sich den ungnädigen, aber auch uncontrasignirten Allerhöchsten Erlassen gegenüber, die weniger an den Culturkampf als an die Beziehungen des Cultusministers zum Oberkirchenrath und zur evangelischen Kirche anknüpften, passiv zu verhalten, allenfalls seine Beschwerden an das Staatsministerium zu bringen, dessen Anträge, wenn sie einhellig waren, der König zu berücksichtigen pflegte. Endlich aber wurde er dadurch, daß er Kränkungen ausgesetzt war, die seinem Ehrgefühl empfindlich waren, doch bestimmt, seinen Abschied zu nehmen. Alle Erzählungen, nach denen ich ihn aus dem Ministerium verdrängt haben soll, beruhn auf Erfindung, und ich habe mich gewundert, daß er selbst ihnen niemals in der Oeffentlichkeit widersprochen hat, obschon er mit mir stets in befreundeten Beziehungen geblieben ist. Aus den Vorgängen, die für seinen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-133] entgegenkommen konnten, hatte ich mich also mit meinen Collegen zu verständigen. Der Widerstand der Gesammtheit der im Kampfe betheiligt gewesenen Ministerialräthe war dabei nachhaltiger als der meiner unmittelbaren Collegen, zunächst des Nachfolgers Falks, als welchen ich dem Könige Herrn v. Puttkamer vorschlug. Aber auch nach diesem Personenwechsel konnte es mir nicht sobald gelingen, die Kirchenpolitik zu ändern, wenn ich nicht neue, dem Könige unwillkommne und mir unerwünschte Cabinetskrisen herbeiführen wollte. Die Erinnerungen an die Zeiten der Anwerbung neuer Collegen gehören zu den unerquicklichsten meiner amtlichen Laufbahn. Um mich mit Herrn v. Puttkamer zu einigen, hätte ich die Unterstützung der culturkampfgewöhnten Räthe seines Ministeriums gewinnen müssen, und das überstieg meine Kräfte. Die Erklärung der Falkschen Kirchenpolitik ist nicht ausschließlich auf dem Gebiete des katholischen Kirchenstreits zu suchen; sie wurde gelegentlich auch durch die evangelische Kirchenfrage gekreuzt und beeinflußt. In dieser stand Herr von Puttkamer den am Hofe wirksamen Auffassungen näher als Falk, und mein Wunsch, den Kampf mit Rom auf ein engeres Gebiet einzuschränken, hätte bei meinem neuen Collegen persönlich wohl keinen Widerstand gefunden. Die Hemmnisse lagen aber theils in dem Schwergewicht der vom Zorne des Culturkampfs erregten Räthe, denen Herr von Puttkamer auch die natürliche und herkömmliche Entwicklung unsrer Orthographie zum Opfer zu bringen sich genöthigt glaubte, theils in dem Widerstreben meiner übrigen Collegen gegen jeden Anschein von Nachgiebigkeit dem Papste gegenüber. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Inwieweit derselbe von Dauer sein wird und die confessionellen Kämpfe nun ruhn werden, kann nur die Zeit lehren. Es hängt das von kirchlichen Stimmungen ab und von dem Grade der Streitbarkeit nicht blos des jedesmaligen Papstes und seiner leitenden Rathgeber, sondern auch der deutschen Bischöfe und der mehr oder weniger hochkirchlichen Richtung, welche im Wechsel der Zeit in der katholischen Bevölkerung herrscht. Eine feste Grenze der römischen Ansprüche an die paritätischen Staaten mit evangelischer Dynastie läßt sich nicht herstellen. Nicht einmal in rein katholischen Staaten. Der uralte Kampf zwischen Priestern und Königen wird nicht heut zum Abschluß gelangen, namentlich nicht in Deutschland. Wir haben vor 1870 Zustände gehabt, auf Grund deren die Lage der katholischen Kirche grade in Preußen als mustergültig und günstiger als in den meisten rein katholischen Ländern auch von der Curie anerkannt wurde. In unsrer innern Politik, namentlich der parlamentarischen, haben wir aber keine Wirkung dieser confessionellen Befriedigung gespürt. Die Fraction der beiden Reichensperger gehörte schon lange vor 1871, ohne daß deshalb die Führer persönlich in den Ruf des Händelmachens verfielen, dauernd der Opposition gegen die Regirung des evangelischen Königshauses an. Bei jedem modus vivendi wird Rom eine evangelische Dynastie und Kirche als eine Unregelmäßigkeit und Krankheit betrachten, deren Heilung die Aufgabe seiner Kirche sei. Die Ueberzeugung, daß dem so ist, nöthigt den Staat noch nicht, seinerseits den Kampf zu suchen und die Defensive der römischen Kirche gegenüber aufzugeben, denn alle Friedensschlüsse in dieser Welt sind Provisorien, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

In die Hitze des Culturkampfes fiel ein Besuch des Königs Victor Emanuel in Berlin, (22.–26.) September 1873. Ich hatte durch Herrn von Keudell erfahren, daß der König eine Dose mit Brillanten, deren Werth auf 50–60000 Franken, ungefähr auf das sechs- bis achtfache des bei solchen Gelegenheiten üblichen, angegeben wurde, hatte anfertigen und dem Grafen Launay zur Ueberreichung an mich zustellen lassen. Gleichzeitig kam es zu meiner Kenntniß, daß Launay die Dose mit Angabe des Werthes seinem Hausnachbarn, dem bairischen Gesandten Baron Pergler von Perglas, gezeigt hatte, der unsern Gegnern in dem Culturkampfe persönlich nahe stand. Der hohe Werth des mir zugedachten Geschenkes konnte also Anlaß geben, es in Verbindung zu bringen mit der Anlehnung, die der König von Italien bei dem Deutschen Reiche damals erstrebte und erlangte. Als ich dem Kaiser meine Bedenken gegen die Annahme des Geschenkes vortrug, hatte er zunächst den Eindruck, als ob ich es überhaupt unter meiner Würde fände, eine Portraitdose anzunehmen, und sah darin eine Verschiebung der Traditionen, an die er gewöhnt war. Ich sagte: „Gegenüber einem solchen Geschenke von durchschnittlichem Werthe würde ich auf den Gedanken der Ablehnung nicht gekommen sein. In diesem Falle aber hätte nicht das fürstliche Bildniß, sondern hätten die verkäuflichen Diamanten das für die Beurtheilung des Vorgangs entscheidende Gewicht; mit Rücksicht auf die Lage des Culturkampfes müßte ich Anknüpfungspunkte für Verdächtigungen vermeiden, nachdem der den Umständen nach übertriebene Werth der Dose durch die nachbarlichen Beziehungen von Perglas constatirt und in der Gesellschaft hervorgehoben worden sei.“ Der Kaiser wurde schließlich meiner Auseinandersetzung zugänglich und schloß den Vortrag mit den Worten: „Sie haben Recht, nehmen Sie die Dose nicht (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-138] an“ *). Nachdem ich meine Auffassung durch Herrn von Keudell zur Kenntniß des Grafen Launay gebracht hatte, wurde der Dose ein sehr hübsches und ähnliches Portrait des Königs substituirt mit folgender an meinen Annunziatenorden erinnernden eigenhändigen Unterschrift: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Der König behielt jedoch das Bedürfniß, mir einen verstärkten Ausdruck seines Wohlwollens zu geben durch ein dem ursprünglich beabsichtigten im Werthe analoges, aber nicht verkäufliches Geschenk, und ich erhielt als Zugabe zu der schmeichelhaften Unterschrift des Portraits eine Alabastervase von ungewöhnlicher Größe und Schönheit, deren sichre Verpackung und Beförderung bei der überstürzten Räumung meiner Amtswohnung, zu der mein Nachfolger mich nöthigte, nicht ohne Schwierigkeit war. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-148] ärgerten, weil ich in meinem exceptionellen Lebenslauf aus dem mehr polnischen als deutschen Begriff der traditionellen Landadelsgleichheit herausgewachsen war. Daß ich vom Landjunker zum Minister wurde, hätte man mir verziehn, aber die Dotationen und vielleicht auch den mir sehr gegen meinen Willen verliehenen Fürstentitel verzieh man mir nicht. Die „Excellenz“ lag innerhalb des gewohnheitsmäßig Erreichbaren und Geschätzten; die „Durchlaucht“ reizte die Kritik. Ich kann das nachempfinden, denn dieser Kritik entsprach meine eigne. Als mir am Morgen des 21. März 1871 ein eigenhändiges Handschreiben des Kaisers die Erhebung in den Fürstenstand anzeigte, war ich entschlossen, Se. Majestät um Verzicht auf seine Absicht zu bitten, weil diese Standeserhöhung in die Basis meines Vermögens und in meine ganzen Lebensverhältnisse eine mir unsympathische Aenderung bringe. So gern ich mir meine Söhne als bequem situirte Landedelleute dachte, so unwillkommen war mir der Gedanke an Fürsten mit unzulänglichem Einkommen nach dem Beispiel von Hardenberg und Blücher, deren Söhne die Erbschaft des Titels nicht antraten — der Blüchersche wurde Jahrzehnte später (1861) erst infolge einer reichen und katholischen Heirath erneuert. In Erwägung aller Gründe gegen eine Standeserhöhung, die ganz außerhalb des Bereichs meines Ehrgeizes lag, langte ich auf den obern Stufen der Schloßtreppe an und fand dort zu meiner Ueberraschung den Kaiser an der Spitze der königlichen Familie, der mich herzlich und mit Thränen in seine Arme schloß, indem er mich als Fürsten begrüßte, und seine Freude, mir diese Auszeichnung gewähren zu können, laut äußerte. Dem gegenüber und unter den lebhaften Glückwünschen der königlichen Familie blieb mir keine Möglichkeit, meine Bedenken anzubringen. Das Gefühl, daß man als Graf wohlhabend sein kann, ohne unangenehm aufzufallen, als Fürst aber, wenn man letztres vermeiden will, reich sein muß, hat mich seitdem nie wieder verlassen. Ich würde die Mißgunst meiner frühern Freunde und Standesgenossen noch bequemer ertragen haben, wenn sie in meiner Gesinnung (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-153] Eintritts ins Amt, 1862, civilistisch bekämpft, kritisirt und stiefmütterlich verkürzt wurde, und wie sie unter meiner Amtsführung aus der Alltäglichkeit des Garnisonlebens über Düppel, Sadowa und Sedan von 1864–1871 dreimal zum Einzuge in Berlin gelangte. Ich darf ohne Ueberhebung annehmen, daß König Wilhelm 1862 abdicirt hätte, daß die Politik, die den Ruhm der Armee gründete, vielleicht nicht oder nicht so, wie geschah, in's Leben getreten wäre, wenn ich ihre Leitung nicht übernommen hätte. Würde die Armee zu ihren Heldenthaten und Graf Moltke auch nur den Degen zu ziehn Gelegenheit erhalten haben, wenn König Wilhelm I. anders und durch Andre berathen worden wäre? Wohl sicher nicht, wenn er 1862 abdicirt hätte, weil er niemand fand, der die Gefahren seiner Stellung zu theilen und zu bestehn bereit war. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-156] Verleumders bereitwillig übernehmen? Sobald man aber vor dem eignen Gewissen und vor der Fraction sich damit decken kann, daß man im Parteiinteresse auftritt, so gilt jede Gemeinheit für erlaubt oder doch für entschuldbar. Gegen mich begannen die Verleumdungen in dem Blatte, das unter dem christlichen Symbol des Kreuzes und mit dem Motto „Mit Gott für König und Vaterland“ seit Jahren nicht mehr die conservative Fraction und noch weniger das Christenthum, sondern nur den Ehrgeiz und die gehässige Verbissenheit einzelner Redacteure vertritt. Als ich über die Giftmischereien des Blattes am 9. Februar 1876 in öffentlicher Rede Klage geführt hatte 1), antwortete mir die Kundgebung der sogenannten Declaranten, deren wissenschaftliches Contingent aus einigen Hundert evangelischen Geistlichen bestand, die in ihrem amtlichen Charakter mir in dieser Form als Eideshelfer der Kreuzzeitungslügen entgegentraten und ihre Mission als Diener der christlichen Kirche und ihres Friedens dadurch bethätigten, daß sie die Verleumdungen des Blattes öffentlich contrasignirten. Ich habe gegen Politiker in langen Kleidern, weiblichen und priesterlichen, immer Mißtrauen gehegt, und dieses Pronunciamiento einiger Hundert evangelischer Pfarrer zu Gunsten einer der frivolsten, gegen den ersten Beamten des Landes gerichteten Verleumdung war nicht geeignet, mein Vertrauen grade zu Politikern, die im Priesterrock, auch in einem evangelischen, stecken, zu stärken. Zwischen mir und allen Declaranten, von denen viele bis dahin zu meinen Bekannten, sogar zu meinen Freunden gehört hatten, war, nachdem sie sich die ehrenrührigen Beschimpfungen aus der Feder Perrots angeeignet hatten, die Möglichkeit eines persönlichen Verkehrs vollständig abgeschnitten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-157] war damals längst geschwächt, nicht durch die Arbeiten, welche mir oblagen, aber durch das ununterbrochene Bewußtsein der Verantwortlichkeit für große Ereignisse, bei denen die Zukunft des Vaterlandes auf dem Spiele stand. Ich habe natürlich während der bewegten und gelegentlich stürmischen Entwicklung unsrer Politik nicht immer mit Sicherheit voraussehn können, ob der Weg, den ich einschlug, der richtige war, und doch war ich gezwungen, so zu handeln, als ob ich die kommenden Ereignisse und die Wirkung der eignen Entschließungen auf dieselben mit voller Klarheit voraussehe. Die Frage, ob das eigne Augenmaß, der politische Instinct, ihn richtig leitet, ist ziemlich gleichgültig für einen Minister, dem alle Zweifel gelöst sind, sobald er durch die königliche Unterschrift oder durch eine parlamentarische Mehrheit sich gedeckt fühlt, man könnte sagen, einen Minister katholischer Politik, der im Besitz der Absolution ist, und den die mehr protestantische Frage, ob er seine eigne Absolution hat, nicht kümmert. Für einen Minister aber, der seine Ehre mit der des Landes vollständig identificirt, ist die Ungewißheit des Erfolges einer jeden politischen Entschließung von aufreibender Wirkung. Man kann die politische Gestaltung in der Zeit, welche die Durchführung einer Maßregel bedarf, so wenig mit Sicherheit vorhersehn, wie das Wetter der nächsten Tage in unserm Klima, und muß doch seine Entschließung fassen, als ob man es könnte, nicht selten im Kampfe gegen alle Einflüsse, denen Gewicht beizulegen man gewöhnt ist, wie z. B. in Nikolsburg zur Zeit der Friedensverhandlungen, wo ich die einzige Person war und blieb, die schließlich für das, was geschah, und für den Erfolg verantwortlich gemacht wurde und nach unsern Institutionen und Gewöhnungen auch verantwortlich war, und wo ich meine Entschließung im Widerspruch nicht nur mit allen Militärs, also mit allen Anwesenden, sondern auch mit dem Könige fassen und in schwerem Kampfe aufrecht halten mußte. Die Erwägung der Frage, ob eine Entschließung richtig sei, und ob das Festhalten und Durchführen des auf Grund schwacher Prämissen für richtig (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-161] In der Zeit der Declaranten wurde die antiministerielle Strömung, das heißt die Mißgunst, mit der ich von vielen meiner Standesgenossen betrachtet und behandelt wurde, lebhaft gefördert durch starke Einflüsse am Hofe. Der Kaiser hat mir seine Gnade und seine Unterstützung in Geschäften niemals versagt; das hinderte den Herrn aber nicht, die „Reichsglocke“ täglich zu lesen. Dieses nur von der Verleumdung gegen mich lebende Blatt wurde im Königlichen Hausministerium für unsern und andre Höfe in 13 Exemplaren colportirt und hatte seine Mitarbeiter nicht nur im katholischen, sondern auch im evangelischen Hof- und Landesadel. Die Kaiserin Augusta ließ mich ihre Ungnade andauernd fühlen, und ihre unmittelbaren Untergebenen, die höchsten Beamten des Hofes, gingen in ihrem Mangel an Formen so weit, daß ich zu schriftlichen Beschwerden bei Sr. Majestät selbst veranlaßt wurde. Diese hatten den Erfolg, daß wenigstens die äußern Formen mir gegenüber nicht mehr vernachlässigt wurden. — Minister Falk wurde demnächst durch dergleichen höfische Unfreundlichkeiten gegen ihn und seine Frau mehr als durch sachliche Schwierigkeiten seiner Stellung überdrüssig 1). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Am 23. August 1871 wurde er auf meinen Antrag zum Gesandten, demnächst zum Botschafter in Paris ernannt, wo ich seine hohe Begabung trotz seiner Fehler im Interesse des Dienstes nützlich zu verwerthen hoffte; er sah in seiner Stellung dort aber nur eine Stufe, von der aus er mit mehr Erfolg daran arbeiten konnte, mich zu beseitigen und mein Nachfolger zu werden. Er machte in Privatbriefen an den Kaiser geltend, daß das preußische Königshaus gegenwärtig das älteste in Europa sei, das sich in ununterbrochner Regirung erhalten habe, und daß dem Kaiser, als dem doyen der Monarchen, durch diese Gnade Gottes eine Verpflichtung erwachse, die Legitimität und Continuität andrer alter Dynastien zu überwachen und zu schützen. Die Berührung dieser Saite im Gemüthe des Kaisers war psychologisch richtig berechnet, und wenn Arnim allein ihn zu berathen gehabt hätte, so wäre es ihm vielleicht gelungen, das klare und nüchterne Urtheil dieses Herrn durch ein künstlich gesteigertes Gefühl von angestammter Fürstenpflicht zu trüben. Aber er wußte nicht, daß Se. Majestät mir in seiner graden und ehrlichen Weise die Briefe mittheilte und dadurch Gelegenheit gab, der politischen Einsicht, man könnte sagen, dem gesunden Verstande des Herrn die Schäden und Gefahren der Rathschläge darzulegen, denen wir auf dem von Arnim empfohlenen Wege der Herstellung der Legitimität in Frankreich entgegengehn würden. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Meine schriftlichen Auslassungen in diesem Sinne erlaubte der Kaiser später Arnimschen Schmähschriften gegenüber zu veröffentlichen. In einer derselben ist Bezug darauf genommen, daß dem Könige bekannt sei, daß Arnims Aufrichtigkeit in maßgebenden Kreisen angezweifelt werde, und daß man ihn am englischen Hofe (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-170] gegenüber Bundesgenossen finden würden, ließ sich nicht sicher voraussehn; jedenfalls hätte es in der Willkür Rußlands gestanden, die östreichisch-französische Freundschaft durch seinen Zutritt zu einer übermächtigen Coalition auszubilden, wie im siebenjährigen Kriege, oder uns doch unter dem diplomatischen Drucke dieser Möglichkeit in Abhängigkeit zu erhalten. Mit der Herstellung einer katholisirenden Monarchie in Frankreich wäre die Versuchung, gemeinschaftlich mit Oestreich Revanche zu nehmen, erheblich näher getreten. Ich hielt es deshalb dem Interesse Deutschlands und des Friedens widersprechend, die Restauration des Königthums in Frankreich zu fördern, und gerieth in Gegnerschaft zu den Vertretern dieser Idee. Dieser Gegensatz spitzte sich persönlich zu gegenüber dem damaligen französischen Botschafter Gontaut-Biron und unserm damaligen Botschafter in Paris, Grafen Harry Arnim. Der Erstre war im Sinne der Partei thätig, der er von Natur angehörte, der legitimistisch-katholischen; der Letztre aber speculirte auf die legitimistischen Sympathien des Kaisers, um meine Politik zu discreditiren und mein Nachfolger zu werden. Gontaut, ein geschickter und liebenswürdiger Diplomat aus alter Familie, fand bei der Kaiserin Augusta Anknüpfungspunkte einerseits in deren Vorliebe für katholische Elemente in und neben dem Centrum, mit denen die Regirung im Kampfe stand, andrerseits in seiner Eigenschaft als Franzose, die in den Jugenderinnerungen der Kaiserin aus der Zeit ohne Eisenbahnen an deutschen Höfen fast in gleichem Maße wie die Eigenschaft des Engländers zur Empfehlung diente 1). Ihre Majestät hatte französisch sprechende Diener, ihr französischer Vorleser Gérard *) fand Eingang in die Kaiserliche (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

„Eurer Majestät huldreiches Schreiben vom 8. d. M. aus Gastein habe ich mit ehrfurchtsvollem Danke erhalten und mich vor Allem gefreut, daß Eurer Majestät die Kur gut bekommen ist, trotz alles schlechten Wetters in den Alpen. Den Brief der Königin Victoria beehre ich mich wieder beizufügen; es wäre sehr interessant gewesen, wenn Ihre Majestät sich genauer über den Ursprung der damaligen Kriegsgerüchte ausgelassen hätte. Die Quellen müssen der hohen Frau doch für sehr sicher gegolten haben, sonst würde Ihre Majestät sich nicht von Neuem darauf berufen, und würde die englische Regirung auch nicht so gewichtige und für uns so unfreundliche Schritte daran geknüpft haben. Ich weiß nicht, ob Eure Majestät es für thunlich halten, die Königin Victoria beim Worte zu nehmen, wenn Ihre Majestät versichert, es sei Ihr ‚ein Leichtes nachzuweisen, daß Ihre Befürchtungen nicht übertrieben waren‘. Es wäre sonst wohl von Wichtigkeit zu ermitteln, von welcher Seite her so ‚kräftige Irrthümer‘ nach Windsor haben befördert werden können. Die Andeutung über Personen, welche als ‚Vertreter‘ der Regirung Eurer Majestät gelten müssen, scheint auf den Grafen Münster zu zielen. Derselbe kann ja sehr wohl gleich dem Grafen Moltke akademisch von der Nützlichkeit eines rechtzeitigen Angriffs auf Frankreich gesprochen haben, obschon ich es nicht weiß und er niemals dazu beauftragt worden (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-178] ist. Man kann ja sagen, daß es für den Frieden nicht förderlich ist, wenn Frankreich die Sicherheit hat, daß es unter keinen Umständen angegriffen wird, es möge thun, was es wolle. Ich würde noch heut wie 1867 in der Luxemburger Frage Eurer Majestät niemals zureden, einen Krieg um deswillen sofort zu führen, weil wahrscheinlich ist, daß der Gegner ihn später besser gerüstet beginnen werde; man kann die Wege der göttlichen Vorsehung dazu niemals sicher genug im Voraus erkennen. Aber es ist auch nicht nützlich, dem Gegner die Sicherheit zu geben, daß man seinen Angriff jedenfalls abwarten werde. Deshalb würde ich Münster noch nicht tadeln, wenn er in solchem Sinne gelegentlich geredet hätte, und die englische Regirung hätte deshalb noch kein Recht gehabt, auf außeramtliche Reden eines Botschafters amtliche Schritte zu gründen, und sans nous dire gare die andern Mächte zu einer Pression auf uns aufzufordern. Ein so ernstes und unfreundliches Verfahren läßt doch vermuthen, daß die Königin Victoria noch andre Gründe gehabt habe, an kriegerische Absichten zu glauben als gelegentliche Gesprächswendungen des Grafen Münster, an die ich nicht einmal glaube. Lord Russell hat versichert, daß er jederzeit seinen festen Glauben an unsre friedlichen Absichten berichtet habe. Dagegen haben alle Ultramontane und ihre Freunde uns heimlich und öffentlich in der Presse angeklagt, den Krieg in kurzer Frist zu wollen, und der französische Botschafter, der in diesen Kreisen lebt, hat die Lügen derselben als sichre Nachrichten nach Paris gegeben. Aber auch das würde im Grunde noch nicht hinreichen, der Königin Victoria die Zuversicht und das Vertrauen zu den von Eurer Majestät selbst dementirten Unwahrheiten zu geben, das Höchstdieselbe noch in dem Briefe vom 20. Juni ausspricht. Ich bin mit den Eigenthümlichkeiten der Königin zu wenig bekannt, um eine Meinung darüber zu haben, ob es möglich ist, daß die Wendung, es sei ,ein Leichtes nachzuweisen‘, etwa nur den Zweck haben könnte, eine Uebereilung, die einmal geschehn ist, zu maskiren, anstatt sie offen einzugestehn. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Als Nachfolger des Grafen Eulenburg hatte ich Rudolf von Bennigsen in's Auge gefaßt und habe im Laufe des Jahres 1877 in Varzin zweimal, im Juli und im December, Besprechungen mit ihm gehabt. Es fand sich dabei, daß er dem Boden unsrer Verhandlung eine weitre Ausdehnung zu geben suchte, als mit den Ansichten Sr. Majestät und mit meinen eignen Auffassungen vereinbar war. Ich wußte, daß es schon eine schwierige Aufgabe sein würde, ihn für seine Person dem Könige annehmbar zu (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Ich sagte ihm, es sei nichts vacant als die Stelle Eulenburgs; ich sei bereit, ihn für diese dem Könige vorzuschlagen, und würde mich freuen, wenn ich den Vorschlag durchsetzte. Wenn ich aber Sr. Majestät rathen wollte, noch zwei Ministerposten proprio motu frei zu machen, um sie mit Nationalliberalen zu besetzen, so werde der hohe Herr das Gefühl haben, daß es sich nicht um eine zweckmäßige Stellenbesetzung, sondern um einen Systemwechsel handle, und einen solchen werde er prinzipiell ablehnen. Bennigsen dürfe überhaupt nicht darauf rechnen, daß es dem Könige und unsrer ganzen politischen Lage gegenüber möglich sein werde, seine Fraction gewissermaßen mit in das Ministerium zu nehmen und als ihr Führer den ihrer Bedeutung entsprechenden Einfluß im Schoße der Regirung auszuüben, gewissermaßen ein constitutionelles Majoritätsministerium zu schaffen. Bei uns sei der König thatsächlich und ohne Widerspruch mit dem Verfassungstexte Ministerpräsident, und Bennigsen würde, wenn er als Minister (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-182] etwa die bezeichnete Richtung einhalten wollte, bald zwischen dem Könige und seiner Fraction zu wählen haben. Er möge sich klar machen, daß wenn es mir gelänge, seine Ernennung durchzusetzen, damit ihm und seiner Partei eine mächtige Handhabe zur Verstärkung und Erweiterung ihres Einflusses geboten sei; er möge sich das Beispiel Roons vergegenwärtigen, der als der einzige Conservative in das liberale Auerswaldsche Ministerium trat und der Krystallisationspunkt wurde, um den es sich in ein conservatives verwandelte. Er möge nichts Unmögliches von mir verlangen, ich kennte den König und die Grenzen meines Einflusses genau genug; mir wären die Parteien ziemlich gleichgültig, sogar ganz gleichgültig, wenn ich von den eingestandenen und nicht eingestandenen Republikanern absähe, die nach rechts mit der Fortschrittspartei abschlössen. Mein Ziel sei die Befestigung unsrer nationalen Sicherheit; zu ihrer innern Ausgestaltung werde die Nation Zeit haben, wenn erst ihre Einheit und damit ihre Sicherheit nach Außen consolidirt sein werde. Für die Erreichung des letztern Zwecks sei gegenwärtig auf dem parlamentarischen Gebiete die nationalliberale Partei das stärkste Element. Die conservative Partei, der ich im Parlament angehört, habe die geographische Ausdehnung, deren sie in der heutigen Bevölkerung fähig sei, erreicht und trage nicht das Wachsthum in sich, um zu einer nationalen Majorität zu werden; ihr naturgeschichtliches Vorkommen, ihr Standort sei beschränkt in unsern neuen Provinzen; im Westen und Süden von Deutschland habe sie nicht dieselben Unterlagen wie in Alt-Preußen; in Bennigsens Heimath, Hanover, namentlich habe man nur zwischen Welfen und Nationalliberalen zu wählen, und die letztern böten einstweilen die beste Unterlage von allen denen, auf welchen das Reich Wurzel schlagen könne. Diese politische Erwägung veranlasse mich, ihnen, als der gegenwärtig stärksten Partei, entgegen zu kommen, indem ich ihren Führer zum Collegen zu werben suchte, ob für die Finanzen oder das Innere, sei mir gleichgültig. Ich sähe die Sache von dem rein politischen Standpunkte (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-185] erwähnte, war der Kaiser noch unter dem Eindrucke der Rede des Letztern und sagte, indem er mit dem Finger auf seine Schulter deutete, wo auf der Uniform die Regimentsnummer sitzt: „Nro. 109 Regiment Stauffenberg“. Wenn der Kaiser damals den von mir zur Herstellung der Uebereinstimmung mit der Reichstagsmajorität gewünschten Eintritt Bennigsens genehmigt und selbst wenn der Letztre bald die Unmöglichkeit eingesehn hätte, das Cabinet und den König in seine Fractionsrichtung zu bringen, so würden sich doch, wie ich heut überzeugt bin, die einigermaßen doctrinäre Schärfe des Fractionsprogramms und die Empfindlichkeit der monarchischen Auffassung des Kaisers nicht lange mit einander vertragen haben. Damals war ich dessen nicht so sicher gewesen, um nicht den Versuch zu machen, ob ich Se. Majestät bewegen könnte, sich der nationalliberalen Auffassung zu nähern. Die Schärfe des Widerstandes, die allerdings durch Eulenburgs feindliche Einwirkung gesteigert worden war, übertraf meine Erwartung, obschon mir bekannt war, daß der Kaiser gegen Bennigsen und seine frühere Thätigkeit in Hanover eine instinctive monarchische Abneigung hegte. Obwohl die nationalliberale Partei in Hanover und die Wirksamkeit ihres Führers vor und nach 1866 die „Verstaatlichung“ Hanovers wesentlich erleichtert hatte, und der Kaiser ebenso wenig wie sein Vater 1805 eine Neigung hatte, diesen Erwerb rückgängig zu machen, so war der fürstliche Instinct in ihm doch herrschend genug, um solches Verhalten eines hanöverschen Unterthanen gegen die welfische Dynastie mit innerlichem Unbehagen zu beurtheilen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-197] Juni 1878, aber sie beleuchten zum Theil retrospectiv die damalige Lage und ihre Triebfedern. Graf Botho Eulenburg als Minister des Innern gab damals auf der Tribüne des Landtags ohne Zwang sein Wohlwollen für den Abgeordneten Rickert gegenüber einem Artikel der „Nordd. Allg. Ztg.“ mit absichtlicher Klarheit zu erkennen, für mich um so einleuchtender, als ich keinen Zweifel hatte, daß er jenen von ihm gemißbilligten Artikel mit mir in Verbindung brachte. Wie in der Nacht beim Gewitter jeder Blitz die Gegend deutlich zeigt, so gestatteten auch mir einzelne Schachzüge meiner Gegner die Gesammtheit der Situation zu überblicken, die durch äußerlich achtungsvolle Kundgebungen von persönlichem Wohlwollen bei thatsächlicher Boycottirung erzeugt wurde. Ob ein Cabinet Gladstone, dessen Mission durch die Namen Stosch, Eulenburg, Friedenthal, Camphausen, Rickert und beliebige Abschwächungen des Gattungsbegriffs „Windthorst“ mit katholischen Hofeinflüssen bezeichnet werden kann, wenn es gelang, dasselbe zu Stande zu bringen, in sich haltbar gewesen wäre, ist eine Frage, die sich die Interessenten wohl nicht vorgelegt hatten; der Hauptzweck war der negative, mich zu beseitigen, und über den waren einstweilen die Inhaber der Antheilscheine auf die Zukunft einig. Jeder konnte nachher wieder hoffen, den Andern hinauszudrängen, wie das bei uns im System aller der heterogenen Coalitionen liegt, die nur in der Abneigung gegen das Bestehende einig sind. Die ganze Combination hatte damals keinen Erfolg, weil weder der König noch der Kronprinz dafür zu gewinnen waren. Ueber die Beziehungen des Letztern zu mir waren die strebenden Gegner damals wie später 1888 stets falsch unterrichtet. Er hatte bis an sein Lebensende dasselbe Vertrauen zu mir wie sein Vater, und die Neigung, es zu erschüttern, erreichte bei seiner Gemalin niemals dieselbe kampfbereite Entschiedenheit wie bei der Kaiserin Augusta, die sich auch in der Wahl der Mittel freier bewegte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Herr von Gruner, während der Neuen Aera Unterstaatssekretär in dem Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, wurde bald nach meiner Uebernahme des Ministeriums des Auswärtigen zur Disposition gestellt und durch Herrn von Thile ersetzt. Er gehörte schon seit meiner Ernennung zum Bundesgesandten zu meinen Gegnern, da er diese Stellung als ein Erbtheil von seinem Vater Justus Gruner angesehn hatte; er blieb mir Feind und war geschäftlich unfähig. Im November 1863 richtete er an Se. Majestät ein Schreiben über den Budgetstreit in demselben Sinne, in dem der Oberstlieutenant von Vincke auf Olbendorf (vergl. Bd. I S. 303) und Roggenbach denselben Schritt zu thun für gut befunden hatten. Indem diese Herrn ihre Vorschläge an den König richteten, gingen sie von der Voraussetzung aus, daß derselbe, wenn er ihrem Rathe folgend, dem Abgeordnetenhause nachgäbe, ein andres Ministerium, wenigstens einen andern Ministerpräsidenten und Minister des Auswärtigen berufen werde, ein Ergebniß, für das außerhalb des öffentlichen Lebens Einflüsse in Thätigkeit waren, denen der Hausminister von Schleinitz mit andern dem Hofe nahestehenden Personen seine Dienste widmete. Auch später lebte Herr (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-201] der Oeffentlichkeit nicht zu schützen und bleibt immer ein partieller Sieg der Reichsglocken-Intrige über die gegenwärtige Regirung. Bekanntmachungen des Hausministeriums gehören an und für sich nicht in den ‚Reichs- und Staats-Anzeiger‘; soll letztrer außerdem ein ‚Königlicher Haus-Anzeiger‘ sein, so können doch meiner Ansicht nach in seinem amtlichen Theile immer keine Anordnungen des Hausministers Platz greifen, der keine Verantwortlichkeit für den Inhalt des amtlichen Blattes trägt; dieselben müßten immer in der einen oder andern Gestalt das von dem Hausminister nachzusuchende Placet des verantwortlichen Staatsministeriums erhalten, bevor sie abgedruckt werden. Dieses Placet ist im vorliegenden Falle nicht nachgesucht; der Hausminister hat ein Verfügungsrecht über den Staats-Anzeiger in Anspruch genommen, und wäre deshalb sein Verlangen angebrachtermaßen schon unter Anführung dieses formellen Grundes abzulehnen. Geht ein Befehl zur Aufnahme einer Angelegenheit des Königlichen Hauses von Sr. Majestät dem Könige selbst aus, so wird seine Ausführung in den Fällen, welche die Regel bilden, ja kein Bedenken haben; nur wird es sich auch selbst in unverfänglichen Fällen empfehlen, die amtlichen Bekanntmachungen des Königlichen Hauses durch ihren Platz von denen des Staates gesondert erscheinen zu lassen. Diese Sonderung wäre meines Erachtens in der Art vorzunehmen, daß die das Königliche Haus angehenden Allerhöchsten Anordnungen nicht promiscue mit denen des Staatsministeriums erscheinen, sondern es würde neben den beiden großen amtlichen Rubriken des Staatsanzeigers ‚Deutsches Reich‘ und ‚Königreich Preußen‘, am höflichsten zwischen beiden, eventuell auch nach ‚Königreich Preußen‘ eine dritte mit der Bezeichnung ‚Königliches Haus‘ einzuschalten sein, von den andern beiden Rubriken ebenso mittelst durchgehender Striche geschieden, wie jetzt ‚Preußen‘ und das ‚Reich‘. Damit ließe sich die formale Frage für die Zukunft erledigen, und in einer, wie mir scheint, nach keiner Seite hin verletzenden Form. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Eine Begnadigung des Herrn von Nathusius, eine Auszeichnung des Grafen Nesselrode und des Herrn von Gruner grade in der Zeit, wo die Verleumdungen des Organs dieser Herrn gegen mich die öffentliche Meinung und die Gerichte beschäftigten, wo der Zusammenhang jener Herrn mit diesen Blättern offenkundig wurde, enthalten einen Act Königlichen Wohlwollens für Leute, die durch weiter nichts bekannt sind, als durch ihre Feindschaft gegen die Regirung und durch öffentliche Verletzung meiner Ehre. Letztre aber sollte, so lange ich des Königs Diener bin, unter Sr. Majestät Schutze stehn. Wird mir das Gegentheil dieses Schutzes zu Theil, so liegt ein persönliches Motiv vor, welches mich viel gebieterischer aus dem Dienste vertreibt, als die Rücksicht auf meine Gesundheit es jemals könnte. Diese Entschließungsgründe liegen nur persönlich für mich vor, werden aber je nach der Entwicklung der Sache für die Möglichkeit meines Wiedereintritts in die Geschäfte entscheidend sein. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-210] dieser postalische Erlaß durch Militärberichte zu seiner Kenntniß gekommen war. Die Farbe der empfohlenen Blätter allein hätte genügt, um Stephan bei Wilhelm I. in Ungnade zu bringen; noch verstimmender aber wirkte die Berufung auf ein Mitglied der königlichen Familie und grade der Frau Kronprinzessin. Ich stellte den Frieden mit Sr. Majestät her. Das Bedürfniß hoher Anerkennung ist eins der Passiva, die auf den meisten ungewöhnlichen Begabungen lasten. Ich nahm an, daß die Schwächen, welche Stephan aus seinen Anfängen in seine höhern Stellungen hinübergebracht hatte, je älter und je vornehmer er werde, desto mehr von ihm abfallen würden. Ich kann nur wünschen, daß er in seinem Amte alt werde und gesund bleibe, und würde seinen Verlust für schwer ersetzlich halten 1), vermuthe aber, daß auch er bei meinem Abgange zu denen gehörte, welche eine Erleichterung zu empfinden glaubten. Ich bin stets der Meinung gewesen, daß der Transport- und Correspondenz- Verkehr zu dem Staatszwecke beizusteuern habe und diese Beisteuer in der Porto- und Frachtvergütung einzubegreifen sei. Stephan ist mehr Ressortpatriot und als solcher allerdings nicht nur seinem Ressort und dessen Beamten, sondern auch dem Reiche in einem Maße nützlich gewesen, das für jeden Nachfolger schwer erreichbar sein wird. Ich bin seinen Eigenmächtigkeiten stets mit dem Wohlwollen entgegen getreten, das die Achtung vor seiner eminenten Begabung mir einflößte, auch wenn sie in meine Competenz als Kanzler und stimmführender Vertreter Preußens einschnitten, oder er durch seine Vorliebe für Prachtbauten die finanziellen Ergebnisse schädigte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-227] Darstellungen eigneten, zu verschweigen, und als ich Minister war, dergleichen allerhöchsten Orts nicht vorzulegen. In der Stellung eines Botschafters am Hofe einer Großmacht findet die Verpflichtung zur mechanischen Berichterstattung über alle am Domicil des Botschafters vorkommenden thörichten Reden und Bosheiten nicht Anwendung. Ein Botschafter nicht nur, sondern auch jeder deutsche Diplomat an einem deutschen Hofe, sollte nicht Berichte schreiben, wie sie Budberg, Oubril aus Berlin, Balabin aus Wien nach Hause sandten in der Berechnung, daß sie als witzig mit Interesse und mit selbstgefälliger Heiterkeit gelesen würden, sondern er sollte sich, so lange die Verhältnisse freundlich sind und bleiben sollen, des Hetzens und Klatschens enthalten. Wer nur das Förmliche des Geschäftsganges im Auge hat, wird es allerdings für das Richtigste halten, daß der Gesandte rückhaltlos meldet, was er hört, und es dem Minister überläßt, über was er hinwegsehn und was er betonen will. Ob das aber sachlich zweckmäßig ist, hängt von der Persönlichkeit des Ministers ab. Da ich mich für ebenso einsichtig hielt wie Herrn von Schleinitz und einen tiefern und gewissenhaftern Antheil an dem Schicksal unsres Landes nahm als er, so habe ich mich für berechtigt und verpflichtet gehalten, manches nicht zu seiner Kenntniß zu bringen, was in seinen Händen Verhetzungen und Intrigen am Hofe im Sinne einer Politik dienen konnte, die nicht die des Königs war. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-230] für das Bedürfniß des Zusammenhaltens im Interesse staatlicher und gesellschaftlicher Ordnung kein Verständniß haben, sondern sich chauvinistischen Regungen ihrer Unterthanen dienstbar machen, so befürchte ich, daß die internationalen revolutionären und socialen Kämpfe, die auszufechten sein werden, um so gefährlicher und für den Sieg der monarchischen Ordnung schwieriger sich gestalten werden. Ich habe die nächstliegende Assecuranz gegen diese Kämpfe seit 1871 in dem Dreikaiserbunde und in dem Bestreben gesucht, dem monarchischen Prinzipe in Italien eine feste Anlehnung an diesen Bund zu gewähren. Ich war nicht ohne Hoffnung auf einen dauernden Erfolg, als im September 1872 die Zusammenkunft der drei Kaiser in Berlin, demnächst die Besuche meines Kaisers in Petersburg im Mai, des Königs von Italien in Berlin im September, des deutschen Kaisers in Wien im October des folgenden Jahres stattfanden. Die erste Trübung dieser Hoffnung wurde 1875 verursacht durch die Hetzereien des Fürsten Gortschakow 1), der die Lüge verbreitete, daß wir Frankreich, bevor es sich von seinen Wunden erholt hätte, zu überfallen beabsichtigten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Graf Schuwalow hatte vollkommen Recht, wenn er mir sagte, daß mir der Gedanke an Coalitionen böse Träume verursache 1). Wir hatten gegen zwei der europäischen Großmächte siegreiche Kriege geführt; es kam darauf an, wenigstens einen der beiden mächtigen Gegner, die wir im Felde bekämpft hatten, der Versuchung zu entziehn, die in der Aussicht lag, im Bunde mit andern Revanche nehmen zu können. Daß Frankreich das nicht sein konnte, lag für jeden Kenner der Geschichte und der gallischen Nationalität auf der Hand, und wenn ein geheimer Vertrag von Reichstadt ohne unsre Zustimmung und unser Wissen möglich war, so war auch die alte Kaunitzsche Coalition von Frankreich, Oestreich, Rußland nicht unmöglich, sobald die ihr entsprechenden, in Oestreich latent vorhandenen Elemente dort an das Ruder kamen. Sie konnten Anknüpfungspunkte finden, von denen aus sich die alte Rivalität, das alte Streben nach deutscher Hegemonie als Factor der östreichischen Politik wieder beleben ließ in Anlehnung, sei es an Frankreich, die zur Zeit des Grafen Beust und der Salzburger Begegnung mit Louis Napoleon, August 1867, in der Luft schwebte, sei es in Annäherung an Rußland, wie sie sich in dem geheimen Abkommen von Reichstadt erkennen ließ. Die Frage, welche Unterstützung Deutschland von England in einem solchen Falle zu erwarten haben würde, will ich nicht ohne Weitres im Rückblick auf die Geschichte des siebenjährigen Krieges und des Wiener Congresses beantworten, es aber doch als wahrscheinlich bezeichnen, daß ohne die Siege Friedrichs des Großen die Sache des Königs von Preußen damals noch früher von England wäre fallen gelassen worden. In dieser Situation lag die Aufforderung zu dem Versuch, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Vor meiner Abreise von Gastein richtete ich am 10. September folgendes Schreiben an den König von Baiern: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-239] Abschluß des Defensivbundes mit Oestreich. werth wäre. Die russischen Bestrebungen sind unruhig und friedlos geblieben; der Einfluß des panslavistischen Chauvinismus auf die Stimmungen des Kaisers Alexander hat sich gesteigert, und mit der, wie es leider scheint, ernstlichen Ungnade des Grafen Schuwalow hat dessen Werk, der Berliner Congreß, seine Verurtheilung durch den Kaiser erfahren. Der leitende Minister, insoweit es einen solchen in Rußland gegenwärtig giebt, ist der Kriegsminister Milutin. Auf sein Verlangen sind jetzt nach dem Frieden, wo Rußland von niemand bedroht ist, die gewaltigen Rüstungen erfolgt, welche trotz der Finanzopfer des Krieges den Friedensstand des russischen Heeres um 56000, den Stand der mobilen westlichen Kriegsarmee um fast 400000 Mann steigerten. Diese Rüstungen können nur gegen Oestreich oder Deutschland bestimmt sein, und die Truppenaufstellungen im Königreich Polen entsprechen einer solchen Bestimmung. Der Kriegsminister hat auch den technischen Commissionen *) gegenüber rückhaltlos geäußert, daß Rußland sich auf einen Krieg ,mit Europa‘ einrichten müsse. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-243] Ich füge zur Vervollständigung die Antwort des Königs, sowie meine Erwiderung bei: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-246] Aufnahme und die Bereitwilligkeit, mit uns abzuschließen. Um mich der Zustimmung meines allergnädigsten Herrn zu versichern, hatte ich schon in Gastein täglich einen Theil der für die Cur bestimmten Zeit am Schreibtische zugebracht und auseinandergesetzt, daß es nothwendig sei, den Kreis der möglichen gegen uns gerichteten Coalitionen einzuschränken, und daß der zweckmäßigste Weg dazu ein Bündniß mit Oestreich sei. Ich hatte freilich wenig Hoffnung, daß der todte Buchstabe meiner Abhandlungen die mehr auf Gemüthsregungen als auf politischer Erwägung beruhende Auffassung Sr. Majestät ändern werde. Der Abschluß eines Vertrages, dessen wenn auch defensives doch kriegerisches Ziel ein Ausdruck des Mißtrauens gegen den Freund und Neffen war, mit dem er eben in Alexandrowo von Neuem unter Thränen und in der vollsten Aufrichtigkeit des Herzens die Versicherungen der althergebrachten Freundschaft ausgetauscht hatte, lief zu sehr gegen die ritterlichen Gefühle, mit denen der Kaiser sein Verhältniß zu einem ebenbürtigen Freunde auffaßte. Ich zweifelte zwar nicht, daß die gleiche rückhaltlose Ehrlichkeit des Empfindens bei dem Kaiser Alexander vorhanden war; aber ich wußte, daß er nicht die Schärfe des politischen Urtheils und nicht die Arbeitsamkeit besaß, die ihn dauernd gegen die unaufrichtigen Einflüsse seiner Umgebung gedeckt hätten, auch nicht die gewissenhafte Zuverlässigkeit in persönlichen Beziehungen, die meinen hohen Herrn auszeichnete. Die Offenheit, die der Kaiser Nicolaus im Guten wie im Bösen bewiesen hatte, war auf die weichere Natur seines Nachfolgers nicht vollständig übergegangen; auch weiblichen Einflüssen gegenüber war die Unabhängigkeit des Sohnes nicht auf derselben Höhe wie die des Vaters. Nun ist aber die einzige Bürgschaft für die Dauer der russischen Freundschaft die Persönlichkeit des regirenden Kaisers, und sobald letztre eine minder sichre Unterlage gewährt, als Alexander I., der 1813 eine auf demselben Throne nicht immer vorauszusetzende Treue gegen das preußische Königshaus bewährt hat, wird man auf das russische Bündniß, wenn man seiner (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Eine solche Assecuranz hat für den Gedanken etwas Beruhigendes; ob auch im Drange der Ereignisse etwas Sicherstellendes, daran kann man zweifeln, wenn man sich erinnert, daß die theoretisch sehr viel stärker verpflichtende Verfassung des heiligen Römischen Reiches den Zusammenhalt der deutschen Nation niemals hat sichern können, und daß wir nicht im Stande sein würden, für unser Verhältniß zu Oestreich einen Vertragsmodus zu finden, der in sich eine stärkere Bindekraft trüge als die frühern Bundesverträge, nach denen die Schlacht von Königgrätz theoretisch unmöglich war. Die Haltbarkeit aller Verträge zwischen Großstaaten ist eine bedingte, sobald sie „in dem Kampf um's Dasein“ auf die Probe gestellt wird. Keine große Nation wird je zu bewegen sein, ihr Bestehn auf dem Altar der Vertragstreue zu opfern, wenn sie gezwungen ist, zwischen beiden zu wählen. Das ultra posse nemo (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-256] Gesammtmonarchie würde eine katholisch-monarchische Restauration in Frankreich die Beziehungen wieder beleben können, die 1863 und zwischen 1866 und 1870 in gemeinsamer Diplomatie und in mehr oder weniger reifen Vertragsbildungen ihren Ausdruck fanden. Die Bürgschaft, die diesen Möglichkeiten gegenüber in der Person des heutigen Kaisers von Oestreich und Königs von Ungarn liegt, steht, wie gesagt, auf zwei Augen; eine voraussehende Politik soll aber alle Eventualitäten im Auge behalten, die im Reiche der Möglichkeit liegen. Die Möglichkeit eines Wettbewerbes zwischen Wien und Berlin um russische Freundschaft kann ebenso gut wiederkommen, wie sie zur Zeit von Olmütz vorhanden war, und zur Zeit des Reichstadter Vertrages unter dem uns sehr wohlgesinnten Grafen Andrassy Lebenszeichen gab. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Dieser Eventualität gegenüber ist es ein Vortheil für uns, daß Oestreich und Rußland entgegengesetzte Interessen im Balkan haben, und daß solche zwischen Rußland und Preußen-Deutschland nicht in der Stärke vorhanden sind, daß sie zu Bruch und Kampf Anlaß geben könnten. Dieser Vortheil kann aber vermöge der russischen Staatsverfassung durch persönliche Verstimmungen und ungeschickte Politik noch heut mit derselben Leichtigkeit aufgehoben werden, mit der die Kaiserin Elisabeth durch Witze und bittre Worte Friedrichs des Großen bewogen wurde, dem französisch-östreichischen Bunde gegen uns beizutreten. Zuträgereien, wie sie damals zur Aufhetzung Rußlands dienten, Erfindungen und Indiscretionen werden auch heut an beiden Höfen nicht fehlen; aber wir können Unabhängigkeit und Würde Rußland gegenüber wahren, ohne die russische Empfindlichkeit zu provociren und Rußlands Interessen zu schädigen. Verstimmung und Erbitterung, welche ohne Nothwendigkeit provocirt werden, sind heut so wenig ohne Rückwirkung auf die geschichtlichen Ereignisse, wie zur Zeit der Kaiserin Elisabeth von Rußland und der Königin Anna von England. Aber die Rückwirkung von Ereignissen, die dadurch gefördert werden, auf das Wohl und die Zukunft der Völker ist heut zu Tage gewaltiger als vor 100 Jahren. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Der durch das Gesetz vom 20. März 1817 gestiftete Staatsrath war bestimmt, den absoluten König zu berathen. An dessen Stelle ist heut zu Tage der verfassungsmäßig von seinen Ministern berathene König getreten und dadurch das Staatsministerium in den durch die Vorberathung des Staatsraths aufzuklärenden regirenden Factor, den früher der König allein darstellte, mit aufgenommen. Die Berathung des Staatsraths ist heut zu Tage informatorisch nicht nur für den König, sondern auch für die verantwortlichen Minister; seine Reactivirung im Jahre 1852 hatte den Zweck, nicht mir die königlichen Entschließungen, sondern auch die Vota der Staatsminister vorzubereiten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-272] vorgelegt haben. Noch viel weniger verwenden die übrigen Minister Zeit und Mühe darauf, sich mit Inhalt und Tragweite eines neuen Gesetzes in allen Einzelheiten vertraut zu machen, wenn es nicht Wirkungen hat, die in ihr eignes Ressort eingreifen. Ist das aber der Fall, so regt sich das Unabhängigkeitsgefühl und der Particularismus, wovon jeder der acht föderirten ministeriellen Staaten und jeder Rath in seiner Sphäre beseelt ist. Die Wirkung eines beabsichtigten Gesetzes auf das praktische Leben im Voraus zu beurtheilen, wird aber auch der Ressortminister nicht im Stande sein, wenn er selbst ein einseitiges Product der Bürokratie ist, noch viel weniger aber seine Collegen. Diejenigen unter ihnen, die das Bewußtsein haben, nicht nur Ressortminister, sondern Staatsminister mit solidarischer Verantwortlichkeit für die Gesammtpolitik zu sein, machen nicht fünf Procent derer aus, welche ich zu beobachten Gelegenheit gehabt habe. Die übrigen beschränken sich auf das Bestreben, ihr Ressort einwandfrei zu verwalten, die Geldmittel dazu von dem Finanzminister und dem Landtage bewilligt zu erhalten und parlamentarische Angriffe auf ihr Ressort mit Beredsamkeit und nach Bedürfniß unter Preisgebung ihrer Untergebenen erfolgreich abzuwehren. Die Quittungen, die in der königlichen Unterschrift und der parlamentarischen Bewilligung liegen, sind ausreichend, um daneben die Frage, ob die Sache an sich vernünftig sei, vor einem bürokratisch-ministeriellen Gewissen nicht zur Entscheidung kommen zu lassen. Einreden eines Collegen, dessen Ressort nicht direct betheiligt ist, erregen die Empfindlichkeit des Ressortministers, und diese wird in der Regel geschont, im Hinblick auf gleiche Schonung, die man für eigne Anträge vorkommenden Falls erwartet. Ich habe die Erinnerung, daß die Erörterungen des alten Staatsraths vor 1848, aus dem ich einige hervorragende Mitglieder gekannt habe, mit schärferer Anstrengung des eignen Urtheils und größerer Regsamkeit des Gewissens geführt worden sind, als die Ministerberathungen, die ich mehr als vierzig Jahre lang zu beobachten in der Lage gewesen bin. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Vor 1848 war man beflissen, das Richtige und Vernünftige zu finden, heut genügt die Majorität und die königliche Unterschrift. Ich kann nur bedauern, daß die Mitwirkung weitrer Kreise zur Vorbereitung der Gesetze, wie sie im Staatsrath und im Volkswirthschaftsrath gegeben war, gegenüber ministerieller oder monarchischer Ungeduld nicht hinreichend hat zur Geltung gebracht werden können. Ich habe, wenn ich Muße fand, mich mit diesen Problemen zu beschäftigen, zu meinen Collegen gelegentlich den Wunsch geäußert, daß sie ihre legislatorische Thätigkeit damit beginnen möchten, die Entwürfe zu veröffentlichen, der publicistischen Kritik preis zu geben, möglichst viele sachkundige und an der Frage interessirte Kreise, also Staatsrath, Volkswirthschaftsrath, nach Umständen die Provinziallandtage zu hören, und alsdann erst die Berathung im Staatsministerium möchten eintreten lassen. Das Zurückdrängen des Staatsraths und ähnlicher Berathungskörper schreibe ich hauptsächlich der Eifersucht zu, mit der diese unzünftigen Rathgeber in öffentlichen Angelegenheiten von den zünftigen Räthen und von den Parlamenten betrachtet werden, zugleich aber auch dem Unbehagen, mit dem die ministerielle Machtvollkommenheit innerhalb des eignen Ressorts auf das Mitreden Andrer blickt. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-278]. ihn wirkten als civilistische, und ich selbst habe in dem äußern Eindruck der Militäruniform, die ich trug, um ein mehrmaliges Umkleiden am Tage zu vermeiden, ein Moment der Verstärkung meines Einflusses zu finden geglaubt. Unter den Personen, die, so lange er noch Prinz Wilhelm war, Einfluß auf seine Entwicklung haben konnten, standen in erster Linie Militärs ohne politischen Beruf, nachdem der General von Gerlach, der Jahre hindurch sein Adjutant gewesen war, dem politischen Leben vorübergehend fremd geworden war. Er war der begabteste unter den Adjutanten, die der Prinz gehabt hatte, und nicht theoretischer Fanatiker in Politik und Religion wie sein Bruder, der Präsident, aber doch genug doctrinär, um bei dem praktischen Verstande des Prinzen nicht den Anklang zu finden, wie bei dem geistreichen Könige Friedrich Wilhelm. Pietismus war ein Wort und ein Begriff, die mit dem Namen Gerlach leicht in Verbindung traten wegen der Rolle, die die beiden Brüder des Generals, der Präsident und der Prediger, Verfasser eines ausgedehnten Bibelwerks, in der politischen Welt spielten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

König Wilhelm, der mich während der schleswig-holsteinischen Episode einmal vorwurfsvoll fragte: „Sind Sie denn nicht auch ein Deutscher?“ weil ich mich seiner durch häusliche Einflüsse bedingten Neigung, ein neues gegen Preußen stimmendes Großherzogthum in Kiel zu schaffen, widersetzte, derselbe Herr war, wenn er, ohne durch politische Gedanken angekränkelt zu sein, in naturwüchsiger Freiheit seinen Empfindungen folgte, einer der entschlossensten Particularisten unter den deutschen Fürsten, in der Richtung eines patriotischen und conservativ gesinnten preußischen Offiziers aus der Zeit seines (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-282] Vaters. Der Einfluß seiner Gemalin brachte ihn in reifern Jahren in Opposition gegen das traditionelle Prinzip, und die Unfähigkeit seiner Minister der Neuen Aera und das überstürzende Ungeschick der liberalen Parlamentarier in der Conflictszeit weckte in ihm wiederum den alten Pulsschlag des preußischen Prinzen und Offiziers, zumal er mit der Frage, ob die Bahn, die er einschlug, gefährlich sei, niemals rechnete. Wenn er überzeugt war, daß Pflicht und Ehre, oder eins von beiden, ihm geboten, einen Weg zu betreten, so ging er ihn ohne Rücksicht auf die Gefahren, denen er ausgesetzt sein konnte, in der Politik ebenso wie auf dem Schlachtfelde. Einzuschüchtern war er nicht. Die Königin war es, und das Bedürfniß des häuslichen Friedens mit ihr war ein unberechenbares Gewicht, aber parlamentarische Grobheiten oder Drohungen hatten nur die Wirkung, seine Entschlossenheit im Widerstande zu stärken. Mit dieser Eigenschaft hatten die Minister der Neuen Aera und ihre parlamentarischen Stützen und Gefolgschaften niemals gerechnet. Graf Schwerin war in seinem Mißverstehn dieses furchtlosen Offiziers auf dem Throne so weit gegangen, zu glauben, ihn durch Ueberhebung und Mangel an Höflichkeit einschüchtern zu können 1). In diesen Vorgängen lag der Wendepunkt des Einflusses der Minister der Neuen Aera, der Altliberalen und der Bethmann-Hollwegschen Partei, von dem ab die Bewegung rückläufig wurde, die Leitung in Roons Hände fiel und der Ministerpräsident Fürst Hohenzollern mit seinem Adjuncten Auerswald meinen Eintritt in das Ministerium wünschten. Die Königin und Schleinitz verhinderten ihn einstweilen noch, als ich im Frühjahr 1860 in Berlin war, aber die Aeußerlichkeiten, die zwischen dem Herrn und seinen Ministern vorgekommen waren, hatten in die gegenseitigen Beziehungen doch einen Riß gebracht, der nicht mehr vernarbte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Die Prinzessin Augusta vertrat unter Friedrich Wilhelm IV. in der Regel den Gegensatz zur Regirungspolitik; die Neue Aera der Regentschaft sah sie als ihr Ministerium an, wenigstens bis zum Rücktritt des Herrn von Schleinitz. Es lebte in ihr vorher und später ein Bedürfniß des Widerspruchs gegen die jedesmalige Haltung der Regirung ihres Schwagers und später ihres Gemals. Ihr Einfluß wechselte und zwar so, daß derselbe bis auf die letzten Lebensjahre stets gegen die Minister in's Gewicht fiel. War die Regirungspolitik conservativ, so wurden die liberalen Personen und Bestrebungen in den häuslichen Kreisen der hohen Frau ausgezeichnet und gefördert; befand sich die Regirung des Kaisers in ihrer Arbeit zur Befestigung des neuen Reiches auf liberalen Wegen, so neigte die Gunst mehr nach der Seite der conservativen und namentlich der katholischen Elemente, deren Unterstützung, da sie unter einer evangelischen Dynastie sich häufig und bis zu gewissen Grenzen regelmäßig in der Opposition befanden, überhaupt der Kaiserin nahe lag. In den Perioden, wo unsre auswärtige Politik mit Oestreich Hand in Hand gehn konnte, war die Stimmung gegen Oestreich unfreundlich und fremd; bedingte unsre Politik den Widerstreit gegen Oestreich, so fanden dessen Interessen Vertretung durch die Königin und zwar bis in die Anfänge des Krieges 1866 hinein. Während an der böhmischen Grenze schon gefochten wurde, fanden in Berlin unter dem Patronate Ihrer Majestät durch das Organ von Schleinitz noch Beziehungen und Unterhandlungen bedenklicher Natur statt. Herr von Schleinitz hatte, seit ich Minister des Aeußern und er selbst Minister des königlichen Hauses geworden, das Amt einer Art Gegenministers der Königin, um Ihrer Majestät Material zur Kritik und zur Beeinflussung des Königs zu liefern. Er hatte zu diesem Behufe die Verbindungen benutzt, die er in der Zeit, wo er mein Vorgänger war, im Wege (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Ich hatte durch langjährige Gewohnheit allmälig ziemliche Sicherheit in Beurtheilung der Frage gewonnen, ob der Kaiser Anträgen, die mir logisch geboten erschienen, aus eigner Ueberzeugung oder im Interesse des Hausfriedens widerstand. War erstres der Fall, so konnte ich in der Regel auf Verständigung rechnen, wenn ich die Zeit abwartete, wo der klare Verstand des Herrn sich die Sache assimilirt hatte. Oder er berief sich auf das Minister-Conseil. In solchen Fällen blieb die Discussion zwischen mir und Sr. Majestät immer sachlich. Anders war es, wenn die Ursache des königlichen Widerstrebens gegen ministerielle Meinungen in vorhergegangenen Erörterungen der Frage lag, die Ihre Majestät beim Frühstück hervorgerufen und bis zu scharfer Aussprache der Zustimmung durchgeführt hatte. Wenn der König in solchen Momenten, beeinflußt durch ad hoc geschriebene Briefe und Zeitungsartikel, zu raschen Aeußerungen im Sinne antiministerieller Politik gebracht war, so pflegte Ihre Majestät den (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Der Kaiser hatte während der Belagerung von Paris, wie häufig vorher und nachher, unter dem Kampfe zwischen seinem Verstande und seinem königlichen Pflichtgefühl einerseits und dem Bedürfniß nach häuslichem Frieden und weiblicher Zustimmung zur Politik andrerseits zu leiden. Die ritterlichen Empfindungen, die ihn gegenüber seiner Gemalin, die mystischen, die ihn der gekrönten Königin gegenüber bewegten, seine Empfindlichkeit für Störungen seiner Hausordnung und seiner täglichen Gewohnheiten haben mir Hindernisse bereitet, die zuweilen schwerer zu überwinden waren als die von fremden Mächten oder feindlichen Parteien verursachten, und vermöge der herzlichen Anhänglichkeit, die ich für die Person des Kaisers hatte, die aufreibende Wirkung der Kämpfe erheblich (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Der Kaiser hatte das Gefühl davon und machte in den letzten Jahren seines Lebens mir gegenüber kein Geheimniß aus seinen häuslichen Beziehungen, berieth mit mir, welche Wege und Formen zu wählen seien, um seinen häuslichen Frieden ohne Schädigung der Staatsinteressen zu schonen; „der Feuerkopf“ pflegte der hohe Herr in vertraulichen, aus Verdruß, Respect und Wohlwollen gemischten Stimmungen die Gemalin zu bezeichnen und diesen Ausdruck mit einer Handbewegung zu begleiten, die etwa sagen wollte: „Ich kann nichts ändern“. Ich fand diese Bezeichnung außerordentlich treffend; die Königin war, so lange nicht physische Gefahren drohten, eine muthige Frau, getragen von einem hohen Pflichtgefühl, aber auf Grund ihres königlichen Empfindens abgeneigt, andre Autoritäten als die ihrige gewähren zu lassen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Das Schwergewicht, das nach dem Antritt der Regentschaft der Wille und die Ueberzeugung des Prinzen von Preußen und spätern Kaisers auf dem außermilitärischen, dem politischen Gebiete darstellte, war das eigenste Product der mächtigen und vornehmen Natur, die diesem Fürsten, unabhängig von der ihm zu Theil gewordenen Erziehung, angeboren war. Der Ausdruck „königlich vornehm“ ist prägnant für seine Erscheinung. Die Eitelkeit kann bei Monarchen ein Sporn zu Thaten und zur Arbeit für das Glück ihrer Unterthanen sein. Friedrich der Große war nicht frei davon; sein erster Thatendrang entsprang dem Verlangen nach historischem Ruhm; ob diese Triebfeder gegen das Ende seiner Regirung, wie man sagt, degenerirte, ob er dem Wunsche innerlich Gehör gab, daß die Nachwelt den Unterschied zwischen seiner und der folgenden Regirung merken möge, lasse ich unerörtert. Eine (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Eine Eitelkeit der Art war dem Kaiser Wilhelm I. durchaus fremd; dagegen war ihm die Furcht vor berechtigter Kritik der Mit- und Nachwelt in hohem Maße eigen. Er war darin ganz preußischer Offizier, der, sobald er durch höhern Befehl gedeckt ist, ohne Schwanken dem sichern Tode entgegen geht, aber durch die Furcht vor dem Tadel des Vorgesetzten und der öffentlichen Meinung in zweifelnde Unsicherheit geräth, die ihn das Falsche wählen läßt. Niemand hätte gewagt, ihm eine platte Schmeichelei zu sagen. In dem Gefühle königlicher Würde würde er gedacht haben: wenn Einer das Recht hätte, mich in's Gesicht zu loben, so hätte er auch das Recht, mich in's Gesicht zu tadeln. Beides gab er nicht zu. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Monarch und Parlament hatten einander in schweren innern Kämpfen gegenseitig kennen und achten gelernt; die Ehrlichkeit der königlichen Würde, die sichre Ruhe des Königs hatten schließlich die Achtung auch seiner Gegner erzwungen, und der König selbst war durch sein hohes persönliches Ehrgefühl zu einer gerechten Beurtheilung der beiderseitigen Situationen befähigt. Das Gefühl der Gerechtigkeit nicht blos seinen Freunden und seinen Dienern gegenüber, sondern auch im Kampfe mit seinen Gegnern beherrschte ihn. Er war ein gentleman ins Königliche übersetzt, ein Edelmann im besten Sinne des Wortes, der sich durch keine Versuchung der ihm zufallenden Machtvollkommenheiten von dem Satze noblesse oblige dispensirt fühlte; sein Verhalten in der innern wie in der äußern Politik war den Grundsätzen des Cavaliers alter Schule und des normalen preußischen Offiziersgefühls jederzeit untergeordnet. Er hielt auf Treue und Ehre nicht nur Fürsten, sondern auch seinen Dienern bis zum Kammerdiener gegenüber. Wenn er durch augenblickliche Erregung seinem feinen Gefühl für königliche Würde und Pflicht zu nah getreten war, so fand er sich schnell (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-289] wieder und blieb dabei „jeder Zoll ein Konig“, und zwar ein gerechter und wohlwollender König und ehrliebender Offizier, den der Gedanke an sein preußisches porte-épée auf richtigem Wege erhielt 1). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Der Kaiser konnte heftig werden, ließ sich aber in der Discussion von der etwaigen Heftigkeit dessen, mit dem er discutirte, nicht anstecken, sondern brach dann die Unterredung vornehm freundlich ab. Ausbrüche wie in Versailles bei Abwehr des Kaisertitels waren sehr selten. Wenn er heftig wurde gegen Leute, denen er wohlwollte, wie dem Grafen Roon oder mir, so war er entweder durch den Gegenstand selbst erregt oder durch fremde, außeramtliche Besprechungen vorher an Auffassungen gebunden, die sich sachlich nicht vertreten ließen. Graf Roon hörte dergleichen Explosionen an, wie ein Militär in der Front den Verweis eines hohen Vorgesetzten, den er nicht verdient zu haben glaubt, aber er litt nervös darunter und secundär auch körperlich. Auf mich haben Ausbrüche von Heftigkeit des Kaisern, die ich seltner erlebte als Roon, niemals contagiös, eher abkühlend gewirkt. Ich hatte mir die Logik zurechtgelegt, daß ein Herrscher, der mir in dem Maße Vertrauen und Wohlwollen schenkte, wie Wilhelm I., in seinen Unregelmäßigkeiten für mich die Natur einer vis major habe, gegen die zu reagiren mir nicht gegeben sei, etwa wie das Wetter oder die See, wie ein Naturereigniß, auf das ich mich einrichten müsse; und wenn mir das nicht gelang, so hatte ich eben meine Aufgabe nicht richtig angegriffen. Dieser mein Eindruck beruhte nicht auf meiner generellen Auffassung der Stellung eines Königs von Gottes Gnaden zu seinem Diener, sondern auf meiner persönlichen Liebe zu Kaiser Wilhelm I. Ihm gegenüber lag mir persönliche Empfindlichkeit sehr fern, er konnte mich ziemlich ungerecht behandeln, ohne in mir Gefühle der Entrüstung (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-291] Treue um Treue: König und Minister, Herr und Diener. geisterndes. Sie berührten angenehm durch die Wärme seines Gefühls und die Sicherheit, die aus ihnen sprach, daß er Treue nicht nur verlangte, sondern auch gewährte. Il était de relation sûre; eine von den fürstlichen Gestalten, in Seele und Körper, deren Eigenschaften mehr des Herzens als des Verstandes die im germanischen Charakter hin und wieder vorkommende Hingebung ihrer Diener und Anhänger auf Tod und Leben erklären. Für monarchische Gesinnung ist die Ausdehnung des Gebietes ihrer Ergebenheit nicht jedem Fürsten gegenüber dieselbe; sie unterscheidet sich, je nachdem politisches Verständniß oder Empfindung die Grenzen ziehn. Ein gewisses Maß der Hingebung wird durch die Gesetze bestimmt, ein größeres durch politische Ueberzeugung; wo es darüber hinaus geht, bedarf es eines persönlichen Gefühls von Gegenseitigkeit, das bewirkt, daß treue Herrn treue Diener haben, deren Hingebung über das Maß staatsrechtlicher Erwägungen hinausreicht. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Es ist eine Eigenthümlichkeit royalistischer Gesinnung, daß ihren Träger, auch wenn er sich bewußt ist, die Entschließungen des Königs zu beeinflussen, das Gefühl nicht verläßt, der Diener des Monarchen zu sein. Der König selbst rühmte eines Tages (1865) gegen meine Frau die Geschicklichkeit, mit der ich seine Intentionen zu errathen und — wie er nach einer Pause hinzusetzte — zu leiten wüßte. Solche Anerkennung benahm ihm nicht das Gefühl, daß er der Herr und ich sein Diener sei, ein nützlicher, aber ehrerbietig ergebener. Dieses Bewußtsein verließ ihn auch dann nicht, als er bei erregter Erörterung meines Abschiedsgesuchs 1877 in die Worte ausbrach: „Soll ich mich in meinen alten Tagen blamiren? Es ist eine Untreue, wenn Sie mich verlassen“ — auch unter solchen Gefühlen stand er in seiner eignen königlichen Einschätzung und in seinem Gerechtigkeitssinn zu hoch, um jemals dem Gefühl einer Saulischen Eifersucht gegen mich zugänglich zu werden. Er hatte das königliche Gefühl, daß er es nicht nur vertrug, sondern sich gehoben fühlte durch den Gedanken, einen angesehnen und mächtigen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-292] Diener zu haben. Er war zu vornehm für das Gefühl eines Edelmannes, der keinen reichen und unabhängigen Bauern im Dorfe vertragen kann. Die freudige Art, in welcher er 1885 bei meiner 50jährigen Dienstfeier 1) die mir gebrachten Huldigungen nicht befahl und anordnete, aber zuließ und mitmachte, stellte auch für das Publikum und die Geschichte diesen königlichen und vornehmen Charakter in das richtige Licht. Die Feier war nicht von ihm befohlen, aber zugelassen und freudig befördert. Nicht einen Augenblick kam ihm der Gedanke einer Eifersucht auf seinen Diener und Unterthanen in den Sinn, und nicht einen Augenblick verließ ihn das königliche Bewußtsein, der Herr zu sein, ebenso wie bei mir alle, auch übertriebene Huldigungen das Gefühl, der Diener dieses Herrn zu sein, und mit Freuden zu sein, in keiner Weise berührten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Ich schrieb dem Könige an demselben Tage: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

„Eurer Majestät sage ich meinen ehrfurchtsvollen und tiefgefühlten Dank für die huldreiche Verleihung der Sieges-Medaille und für den ehrenvollen Platz, den Eure Majestät mir auf diesem historischen Denkmal anzuweisen geruht haben. Die Erinnerung, welches dieses geprägte Document der Nachwelt erhalten wird, gewinnt für mich und die Meinigen ihre besondre Bedeutung durch die gnädigen Zeilen, mit denen Eure Majestät die Verleihung begleitet haben. Wenn mein Selbstgefühl eine hohe Befriedigung darin findet, daß es mir vergönnt ist, meinen Namen unter den Flügeln des Königlichen Adlers, der Deutschland seine Bahnen anweist, auf die Nachwelt kommen zu sehn, so ist mein Herz noch mehr befriedigt in dem Gefühle, unter Gottes sichtbarem Segen einem angestammten Herrn zu dienen, dem ich mit voller persönlicher Liebe anhänge, und dessen Zufriedenheit zu besitzen für mich der in diesem Leben begehrteste Lohn ist.“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Ihres Kaisers und Königs (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

treu ergebener dankbarer König (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-299] wie in mir jederzeit das vollste Vertrauen, die aufrichtigste Zuneigung und das wärmste Dankgefühl für Sie leben wird! Ihnen sage ich daher mit diesem nichts, was ich Ihnen nicht oft genug ausgesprochen habe, und ich denke, daß dieses Bild noch Ihren späten Nachkommen vor Augen stellen wird, daß Ihr Kaiser und König und sein Haus sich dessen wohl bewußt waren, was wir Ihnen zu danken haben. Mit diesen Gesinnungen und Gefühlen endige ich diese Zeilen als, über das Grab hinausdauernd, Ihr dankbarer treu ergebener Kaiser und König (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

ewig dankbarer König (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-301] Briefe Wilhelms I. Im Princip bin ich ganz einverstanden, daß dies geschehe, aber die Ausführung ist eine sehr schwierige — Sie werden ja wissen, daß die an sich sehr natürliche Bestimmung, die ich auf Ihren Rath traf, daß mein Enkel W. in meiner Behinderung die laufenden Erlasse des Civil- und Militär-Cabinets unterschreiben werde unter der Ueberschrift ,auf Allerhöchsten Befehl' — daß diese Bestimmung den Kronprinzen sehr irritirt hat, als denke man in Berlin bereits an seinen Ersatz! Bei ruhigerer Ueberlegung wird sich mein Sohn wohl beruhigt haben. Schwieriger würde diese Ueberlegung sein, wenn er erfährt, daß seinem Sohn nun noch größere Einsicht in die Staatsgeschäfte gestattet wird und selbst ein Civil- Adjutant gegeben wird — wie ich seinerzeit meine vortragenden Räthe bezeichnete. Damals lagen die Dinge jedoch ganz anders, da ein Grund meinen königlichen Vater veranlassen konnte, einen Stellvertreter des damaligen Kronprinzen zu bestellen, obgleich meine Erbschaft an der Krone schon längst vorher zu sehen war und unterblieb meine Einführung bis zu meinem 44. Jahre, als mein Bruder mich sofort zum Mitglied des Staatsministeriums ernannte mit Beilegung des Titels als Prinz von Preußen. Mit dieser Stellung war also Zutheilung eines erfahrenen Geschäftsmannes nothwendig, um mich zur jedesmaligen Staats-Ministerial- Sitzung vorzubereiten. Zugleich erhielt ich täglich die politischen Dépéchen, nachdem dieselben durch 4–5–6 Hände, den Siegeln nach, gegangen waren! Für bloße Conversation, wie Sie es vorschlagen, einen Staatsmann meinem Enkel zuzutheilen, entbehrt also des Grundes einer Vorbereitung, wie bei mir, zu einem bestimmten Zweck u. würde bestimmt meinen Sohn von neuem u. noch mehr irritiren, was durchaus unterbleiben muß. Ich schlage Ihnen daher vor, daß die bisherige Art der Beschäftigung- Erlernung der Behandlung der Staats-Orientirung beibehalten wird d. h. einzelnen Staats-Ministerien zugetheilt werde und vielleicht auf zwei ausgedehnt werde, wie in diesem Winter, wo mein Enkel freiwillig den Besuch des Auswärtigen Amts ferner zu gestatten (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Es war ein weitverbreiteter Irrthum, daß der Regirungswechsel von Kaiser Wilhelm zu Kaiser Friedrich mit einem Ministerwechsel, der mir meinen Nachfolger gegeben haben würde, verbunden sein müßte. Im Sommer 1848 hatte ich zuerst Gelegenheit, dem damals 17jährigen Herrn bekannt zu werden und Beweise persönlichen Vertrauens von ihm zu erhalten. Letztres mag bis 1866 gelegentlich geschwankt haben, erwies sich aber als fest und offen bei Erledigung der Danziger Episode in Gastein 1863 1). Im Kriege von 1866, insbesondre in den Kämpfen mit dem Könige und den höhern Militärs über die Opportunität des Friedensschlusses in Nikolsburg, hatte ich mich eines von politischen Prinzipien und Meinungsverschiedenheiten unabhängigen Vertrauens des Kronprinzen zu erfreuen 2). Versuche, es zu erschüttern, sind von verschiedenen Seiten, die äußerste Rechte nicht ausgeschlossen, und unter Anwendung verschiedener Vorwände und Erfindungen gemacht worden, haben aber keinen dauernden Erfolg erreicht; zu ihrer Vereitlung genügte seit 1866 eine persönliche Aussprache zwischen dem hohen Herrn und mir. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Bei dem Kaiser Friedrich war die Neigung vorhanden, der Verlängerung der Legislaturperiode von drei auf fünf Jahre im Reiche und in Preußen die Genehmigung zu versagen. In Betreff des Reichstags setzte ich ihm auseinander, daß der Kaiser als solcher kein Factor der Gesetzgebung sei, sondern nur als König von Preußen durch die preußische Stimme am Bundesrathe mitwirke; ein Veto gegen übereinstimmende Beschlüsse beider gesetzgebenden Körperschaften habe ihm die Reichsverfassung nicht beigelegt. Diese Auseinandersetzung genügte, um Se. Majestät zur Vollziehung des Schriftstücks, durch das die Verkündigung des Gesetzes vom 19. März 1888 angeordnet wurde, zu bestimmen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Auf die Frage Sr. Majestät, wie sich die Sache nach der preußischen Verfassung verhalte, konnte ich nur antworten, daß der König dasselbe Recht habe, einen Gesetzentwurf anzunehmen oder abzulehnen, wie jedes der beiden Häuser des Landtags. Se. Majestät (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-307] lehnte dann vor der Hand die Unterzeichnung ab, sich die Entschließung vorbehaltend. Es entstand also die Frage, wie das Staatsministerium, das die Königliche Zustimmung beantragt hatte, sich zu verhalten habe. Ich befürwortete und erreichte, daß einstweilen auf eine Erörterung mit dem Könige verzichtet wurde, weil er ein unzweifelhaftes Recht ausübe, weil überdies der Gesetzentwurf vor dem Thronwechsel eingebracht war, und endlich, weil wir vermeiden müßten, die wegen der Krankheit des Monarchen ohnehin schwierige Situation durch Anregung von Cabinetsfragen zu verschärfen. Die Sache erledigte sich dadurch, daß Se. Majestät mir am 27. Mai auch das preußische Gesetz vollzogen aus eignem Antriebe zugehn ließ. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Man hat sich in der Praxis daran gewöhnt, den Kanzler als verantwortlich für das gesammte Verhalten der Reichsregirung anzusehn. Diese Verantwortlichkeit läßt sich nur dann behaupten, wenn man seine Berechtigung zugiebt, das kaiserliche Uebersendungsschreiben, vermittelst dessen Vorlagen der verbündeten Regirungen (Art. 16) an den Reichstag gelangen, durch Verweigerung der Gegenzeichnung zu inhibiren. Der Kanzler an sich hätte, wenn er nicht zugleich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrathe ist, nach dem Wortlaute der Verfassung nicht einmal die Berechtigung, an den Debatten des Reichstags persönlich theilzunehmen. Wenn er, wie bisher, zugleich Träger eines preußischen Mandates zum Bundesrathe ist, so hat er nach Art. 9 das Recht, im Reichstage zu erscheinen und jederzeit gehört zu werden; dem Reichskanzler als solchem ist diese Berechtigung durch keine Bestimmung der Verfassung beigelegt. Wenn also weder der König von Preußen, noch ein andres Mitglied des Bundes den Kanzler mit einer Vollmacht für den Bundesrath versieht, so fehlt demselben die verfassungsmäßige Legitimation zum Erscheinen im Reichstage; er führt zwar nach Art. 15 im Bundesrathe den Vorsitz, aber ohne Votum, und es würden ihm die preußischen Bevollmächtigten in derselben Unabhängigkeit gegenüberstehn wie die der übrigen Bundesstaaten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-308] Es leuchtet ein, daß eine Aenderung der bisherigen Verhältnisse, infolge deren die bisher dem Kanzler zugeschriebene Verantwortlichkeit auf die Anordnungen der kaiserlichen Executiv-Gewalt beschränkt und ihm die Befugniß, geschweige denn die Verpflichtung, im Reichstage zu erscheinen und zu discutiren, entzogen würde, nicht eine nur formelle sein, sondern auch die Schwerkraft der Factoren unsres öffentlichen Lebens wesentlich verändern würde. Ich habe mir die Frage, ob es sich empföhle, derartigen Eventualitäten näher zu treten, vorgelegt zu der Zeit, als ich mich im December 1884 einer Reichstagsmehrheit gegenüber fand, die sich aus einer Coalition der verschiedenartigsten Elemente zusammensetzte, aus der Socialdemokratie, den Polen, Welfen, Franzosenfreunden aus dem Elsaß, den freisinnigen Krypto-Republikanern und gelegentlich aus mißgünstigen Conservativen am Hofe, im Parlamente und in der Presse — der Coalition, die zum Beispiel die Geldbewilligung für einen zweiten Director im Auswärtigen Amt ablehnte. Die Unterstützung, die ich dieser Opposition gegenüber am Hofe, im Parlamente und außerhalb desselben fand, war keine unbedingte, und nicht frei von der Mitwirkung mißgünstiger und rivalisirender Streber. Ich habe damals die Frage Jahre hindurch mit wechselnder Ansicht über ihre Dringlichkeit bei mir und mit Andern erwogen, ob das Maß nationaler Einheit, welches wir gewonnen hatten, zu seiner Sicherstellung nicht einer andern Form bedürfe, als der zur Zeit gültigen, die aus der Vergangenheit überliefert und durch die Ereignisse und durch Compromisse mit Regirungen und Parlamenten entwickelt war. Ich habe in jener Zeit, wie ich glaube, auch in öffentlichen Reden angedeutet, daß der König von Preußen, wenn ihm der Reichstag die kaiserliche Wirksamkeit über die Grenzen der Möglichkeit monarchischer Einrichtungen erschwere, sich zu einer stärkern Anlehnung an die Unterlagen veranlaßt sehn könne, welche die preußische Krone und Verfassung ihm gewähre 1). Ich hatte bei (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)