Rügert, Walter, Jan Hus - Auf den Spuren des böhmischen Reformators. Südverlag, 2015. 112 S., Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

An vielen Stellen hat der Mensch im Laufe seiner Geschichte Versuche unternommen, sich seine Umwelt und sein Sein einigermaßen einleuchtend zu erklären. Angesichts seiner vollständigen Individualität ist er dabei zu zahllosen Lösungen gelangt, die er auf Grund seines angeborenen Egoismus vielfach notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen oder zumindest zu behaupten versuchte. In diesem Sinne haben Israeliten im vorderen Orient sich zu einem seinen Messias verheißenden Gott Jahwe bekannt, hat Jesus Christus sich zu Gottes Sohn erklärt und sind innerhalb der danach entstandenen christlichen Kirche zahlreiche individuelle Einsichten vorgetragen worden wie etwa von dem in Yorkshire 1320 geborenen und in Oxford ausgebildeten John Wiclif, der die von der Kirche für ihr Ritual Abendmahl allgemein angenommene Wandlung von tatsächlichem Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi verneinte und der Substanz des Brotes nur den Leib Christi zusätzlich hinzufügen ließ.

 

Noch zu Lebzeiten Wiclifs wurde in dem südböhmischen Dorf um 1370 in einfachen Verhältnissen Jan Hus geboren, der schon an der Lateinschule in Prachatitz den nach Erfüllung geringer eingeschätzten Wunsch hatte, Priester zu werden, um Wohnung und Kleidung sowie mitmenschliche Wertschätzung zu haben. Nach dem Studium der artes und der Theologie in Kenntnis Wiclifs wurde er 1401 Priester und 1409 baccalaureus formatus. Im Rahmen der Streitfrage der Teilnahme an einem nach Pisa einberufenen Kirchenkonzil sprach er sich mit der böhmischen Universitätsnation gegen die bayerische, sächsische und polnische Nation befürwortend aus, wobei diese Meinungsverschiedenheit letztlich zum Auszug der drei deutschen Nationen nach Leipzig und zur Beschränkung der Universität Prag auf Böhmen  bzw. Tschechen führte, wozu Hus erklärte: Der allmächtige Gott sei gelobt, dass wir die Deutschen ausgeschlossen haben.

 

Der 1990 in Freiburg im Breisgau mit einer Dissertation über die Vermessung des Innenraums an Hand der Prosa Botho Strauss‘ promovierte, als Pressereferent der Stadt Konstanz tätige und mehrere Werke veröffentlichende Verfasser verfolgt im Erinnerungsjahr den Lebensweg und die Wirkung Jan Hus‘ nach einer Einleitung in 16 Kapiteln und einem Epilog sachkundig und informativ unter Einfügung vieler farbiger Abbildungen. Danach gewann Hus nach einem Ablassstreit mit dem Papst ein neues Verständnis der Kirche, nach dem alles sich dem Urteil des Gewissens unterwerfen müsse, aber auch die Einsicht, dass „sie dem, der die Wahrheit spricht, den Kopf zerschlagen“. Da Hus seine an vielen Stellen dargelegten Ausführungen auf dem Konzil in Konstanz ohne Nachweis der Unwahrheit nicht für irrig bekennen wollte, wurde er trotz der königlichen Zusage des freien Geleits am 6. Juli 1415 zum Tode verurteilt und umgehend mittels eines Scheiterhaufens auf dem Brühl verbrannt und dadurch wie Sokrates, Jesus und viele andere zu einem bedenkenswerten Sinnbild für menschliche Individualität sowie human verstandenen Egoismus einerseits und unmenschliche Gewalt und Grausamkeit andererseits in wohl für die Menschheit insgesamt nur scheinbar bedeutsamen, aber dennoch als existentiell ausgegebenen Fragen.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler