Ruderich, Daniela, Führungsaufsicht. Die Entwicklung und Ausgestaltung des Instituts der Führungsaufsicht auch im Hinblick auf die einzelnen Bundesländer sowie die Darstellung und Bewertung der Übergangskonzepte zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern (= Würzburger Schriften zur Kriminalwissenschaft 36). Lang, Frankfurt am Main 2014. XXXII, 447 S., Abb. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die Führungsaufsicht wurde zum 1. 1. 1975 als Maßregel der Sicherung und Besserung eingeführt (§§ 68-68 g StGB) und gleichzeitig wurden die §§ 38, 39 StGB (1870) über die Polizeiaufsicht außer Kraft gesetzt. Das Werk Daniela Ruderichs – eine unter Klaus Laubenthal entstandene Würzburger Dissertation von 2013 – ist eine willkommene Fortschreibung der bislang vorliegenden Arbeiten zu Polizei- und Führungsaufsicht. Kernpunkte der Untersuchungen sind die rechtlichen Grundlagen der Führungsaufsicht, deren Dauer, Beginn und Ende sowie die Zuständigkeit und Tätigkeit der beteiligten Organe (S. 49-210). Einbezogen in diese Darstellung sind auch die Änderungen der Führungsaufsicht durch Gesetze von 1998, 2007 und 2010. Berücksichtigt wird zudem die kritische Auseinandersetzung mit dem Institut der Führungsaufsicht und insbesondere mit § 145a StGB (Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht). Im zweiten Hauptabschnitt (S. 211-399) untersucht Ruderich die Praxis und Relevanz der Führungsaufsicht in den Bundesländern, die „unterschiedlich hoch ausfällt“ (S. 4). Ferner wird der Versuch unternommen, „Gründe und Ursachen für die verschieden hohe Belastung in den einzelnen Bundesländern zu benennen“ (S. 4).

 

Im rechtshistorischen Teil der Arbeit (S. 6-48) gibt Ruderich nach Hinweisen auf den Vorgänger der Führungsaufsicht im 18. Jahrhundert einen Überblick über die Regelung der aus dem Code pénal stammenden Polizeiaufsicht im partikulären deutschen Strafrecht (S. 9ff.). Es folgt ein Abschnitt über die Normierung der Polizeiaufsicht im Reichsstrafgesetzbuch von 1870/1871 in den §§ 38 und 39 (S. 20ff.), deren praktische Ausgestaltung bald auf heftige Kritik stieß (S. 24ff.). Die Strafrechtskommission von 1911-1913 schlug vor, die Polizeiaufsicht durch ein Aufenthaltsverbot zu ersetzen, über das in der Strafrechtskommission ausführlich beraten wurde (vgl. W. Schubert [Hrsg.], Protokolle der Kommission für die Reform des Strafgesetzbuches [1911-1913], 1990, Bd. 1, S. 251ff., Bd. 4, S. 172ff.). Die Reformbestrebungen der Weimarer Zeit gingen aus vom Entwurf des Strafgesetzbuchs Gustav Radbruchs von 1922, der eine Schutzaufsicht vorsah: „Die Schutzaufsicht soll den unter Schutzaufsicht Gestellten vor der Gefahr, neue strafbare Handlungen zu begehen, bewahren, ihn an ein rechtmäßiges Leben gewöhnen und ihm das wirtschaftliche Fortkommen erleichtern“. Die Detailregelungen sollten im Strafvollzugsgesetz (hierzu Entwurf zu einem Strafvollstreckungsgesetz von 1927) erfolgen (Entwurf vom Januar 1927, §§ 292ff.; Entwurf vom September 1927, §§ 315ff.; Texte und Materialien bei W. Schubert [Hrsg.], Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, 1. Abt. Weimarer Republik [1918-1932] Bd. 5, 1999). In der NS-Zeit, in der eine Gesamtreform des StGB nicht erfolgte, galten weiterhin die §§ 38f. StGB, wurden jedoch in der praktischen Anwendung weitgehend durch die polizeiliche Vorbeugehaft (Schutzhaft) verdrängt (S. 32ff.). Die StGB-Kommission des Reichsjustizministeriums von 1933-1936 verzichtete auf eine Regelung der Polizei- bzw. Schutzaufsicht in dem Strafgesetzbuch (hierzu W. Schubert [Hrsg.], Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, Abt. II 2,1, Berlin 1988, S. 471ff.). Der Entwurf des Strafgesetzbuchs von 1962, der auf die Strafrechtskommission zurückgeht, sah die Schutzaufsicht als freiheitsbeschränkende Maßregel vor. Nachdem diese auf erhebliche Kritik gestoßen war, gestaltete der Sonderausschuss des Bundestages für die Strafrechtsreform Ende der 1960er Jahre die „Sicherungsaufsicht“ des Regierungsentwurfs um und nannte sie „Führungsaufsicht“ (S. 39f.). Die Reformen der Führungsaufsicht in den Jahren 1998, 2007 und 2010 führten nach Ruderich zu „positiven Veränderungen“: „Größtenteils wurde mit den Erweiterungen des Instrumentariums ein Schritt in die richtige Richtung gemacht, zusätzlich wird damit der Streit beendet, ob die Führungsaufsicht abgeschafft werden soll.“ (S. 400). Insgesamt vermisst der Leser im rechtshistorischen Teil, der die Entwicklung seit dem StGB-Entwurf von 1962 behandelt (S. 34 ff.), eine detailliertere Heranziehung der zum Teil umfangreichen Gesetzesmaterialien. Dessen ungeachtet liegt mit dem Werk Ruderichs eine umfassende Untersuchung über die Ausgestaltung und Praxis der Führungsaufsicht vor, das auch aus strafrechtshistorischer Sicht lesenswert ist.

 

Kiel

Werner Schubert