Parlamentarier der deutschen Minderheiten im Europa der Zwischenkriegszeit, hg. v. Conrad, Benjamin/Maner, Hans-Christian/Kusber, Jan (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 170 = Parlamente in Europa 4). Droste, Düsseldorf 2015. 287 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Mit dem Staat sind die ihn begründenden Elemente in die allgemeine Aufmerksamkeit geraten, zu denen nach allgemeiner Ansicht das Staatsgebiet und das Staatsvolk zählen. Dabei zeigt die Erfahrung, dass Angehörige eines Volkes vielfach nicht nur in einem Staatsgebiet leben und sich umgekehrt auf einem Staatsgebiet nicht nur Angehörige eines einzigen Volkes befinden. Damit sind Minderheiten in einem Staat fast selbverständlich, wenn nicht ohnehin nahezu notwendig.

 

Das Verhältnis von Mehrheiten zu Minderheiten ist wegen der grundsätzlichen menschlichen Aggressivität, wie sich vor allem seit dem 19. Jahrhundert an vielen Stellen unübersehbar gezeigt hat, fast ebenso notwendigerweise schwierig. Da zu den Schwerpunkten des Arbeitsbereichs osteuropäischer Geschichte der Universität Mainz seit vielen Jahren die historische Minderheitenforschung zählt, haben sich die Herausgeber den damit zusammenhängenden Fragen auf einer in Mainz vom 11. bis zu dem 13. April veranstalteten Tagung angenommen. 15 dortige Referate stellt der vorliegende, mit einem Autorenverzeichnis endende Sammelband der Allgemeinheit im Druck zur Verfügung.

 

Gegliedert sind sie nach zwei einführenden Beiträgen über das Titelthema und den europäischen Parlamentarismus in der Zwischenkriegszeit zwischen Funktion und Dysfunktion räumlich in die drei Bereiche Ostseeraum, Ostmitteleuropa sowie Süd- und Südosteuropa. Erfasst werden dabei etwa nordschleswigsche Folketingsmitglieder, deutschbaltische Parlamentarier in Estland, deutsche und russische Parlamentarier in Lettland, deutsche Parlamentarier in Litauen, mehrsprachige Parlamente in Lettland und in der Tschechoslowakei, deutsche katholische Parlamentarier in der ersten tschechoslowakischen Republik, deutsche Parlamentarier aus der Slowakei, marginalisierte und stigmatisierte deutsche Parlamentsvertreter in Ungarn, rumänisch-deutsche Parlamentarier und Südtiroler in Rom zwischen 1921 und 1929. Am Ende des Konrad Maier gewidmeten, interessanten, hilfreicher Register leider entbehrenden Bandes bietet Jan Kusber eine Übersicht über Forschungsperspektiven der vielfältig angegangenen besonderen Problematik der Parlamentsgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler