Krüger, Charlotte, Mein Großvater, der Fälscher. Eine Spurensuche in der NS-Zeit. Deutsche Verlagsanstalt, München 2015. 351 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Bernhard Krüger wurde in Riesa am 26. November 1904 als Sohn eines zum Telegrafenoberinspektor bei der Post aufgestiegenen Fabrikarbeiters geboren und nach dem Besuch einer staatlichen Gewerbeschule, der Ausbildung zum Werkzeugschlosser und Monteur bei der Sächsischen Werkzeugmaschinenfabrik B. Escher AG sowie mehreren, immer wieder durch Arbeitslosigkeit unterbrochenen Tätigkeiten vermutlich wegen der allgemeinen wirtschaftlichen Not im September 1929 als Maschinenbauer bei einer Textilmaschinenfabrik entlassen. Während einer anschließenden vierjährigen Arbeitslosigkeit trat er als früher Anhänger der „völkischen Freiheitsbewegung“ Adolf Hitlers in einem zweiten Anlauf 1931 unter der Parteimitgliedsnummer 528739 der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei und der 1925 gegründeten Schutzstaffel bei. Wegen seines Interesses für die Funktechnik fiel er 1932 oder 1933 in Chemnitz dem damals noch ziemlich unbekannten Robert Heydrich auf, der seine Überstellung in den Sicherheitsdienst der Schutzstaffel veranlasste.

 

Die Verfasserin ist seine 1979 geborene, nach dem Studium der Philosophie und Politik in Hamburg bei WeltN24 tätige Enkelin, welche in einer Spurensuche die Geschichte eines „Nazis“, vielleicht sogar die eines Mörders und jedenfalls die des erfolgreichsten, jemals lebenden Geldfälschers erzählt, in der sie nicht neutral ist und ihre Irrtümer und Hoffnungen nichts und alles zugleich zur Sache tun, weil es nicht nur um eine deutsche, sondern auch um eine familiäre Angelegenheit geht, die sie nur persönlich nehmen kann. In einem Prolog über den Mann mit dem Geldbündel, 17 Kapiteln über Kandaren, eine Famuilienchronik, Härte, Sauberkeit, Planmäßigkeit, einen Auftrag, Familienfronten sowie vieles andere mehr und einem Epilog über den Fälscher beschreibt sie eindringlich und spannend ihre wachsende Bekanntheit mit ihrem geliebten, mit ihr Briefmarken sammelnden Großvater, der im Deutschen Reich eines Tages den Auftrag erhielt, die Wirtschaft des Kriegsgegners England durch eine Schwemme von Falschgeld in den Ruin zu treiben. Am Ende fragt sie sich, wer der Nazi Bernhard Krüger wirklich war, Bürokrat, Menschenfreund, gerissener Gangster, kluger Manager oder ein Bisschen von alledem?

 

Den ihm erteilten, streng geheimen Auftrag führte der SS-Sturmbannführer Bernhard Krüger als Leiter des Referats VI F 4a im Reichssicherheitshauptamt mit Hilfe persönlich ausgewählter Häftlinge des Konzentrationslagers Sachsenhausen („Graphiker, insbesondere Buchdrucker, Graveure, Reprofotografen, Galvonaplastiker!, Setzer, Papier- und Bankfachleute, Hilfskräfte von Berufen, die feinsinnige Hände erfordern, sämtlich jüdischer Abstammung“) aus, von denen die große Mehrzahl die nationalsozialistische Herrschaft überlebte. Die praktische Verwirklichung des Endziels scheiterte im Wesentlichen daran, dass das Deutsche Reich keine Luftherrschaft über Großbritannien errang, auf Grund deren es die mehr als 100 Millionen gefälschter britischer Pfundnoten über dem feindlichen Land hätte abwerfen können. Nach wirren Fahrten in Tirol während der letzten Tage des zweiten Weltkriegs wurde Krüger 1946 von der britischen Besatzungsmacht verhaftet, verbrachte vier Jahre in Haft, wurde als Mitläufer eingestuft, nie strafrechtlich verurteilt, arbeitete später bei der ihm früher das Geldscheinpapier liefernden Papierfabrik Hahnenmühle, war bis zu seinem Tode in Hamburg am 3. Januar 1989 überzeugt davon, kein Unrecht begangen und keine Alternative gehabt zu haben und wird vielleicht seiner sorgsam vielfältig recherchierenden, neue interessante Erkenntnisse erzielenden und geschickt dem Leser darbietenden Enkelin einerseits einen ihm selbst verwehrten literarischen Erfolg einspielen, aber andererseits womöglich ein lebenslanges Rätsel bleiben, weil wohl im Grunde wirklich nur jeder sich und seine Handlungen selbst einigermaßen verstehen kann.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler