Hagen, Thomas J., Österreichs Mitteleuropa 1850-1866. Die Wirtschafts-, Währungs- und Verkehrsunion des Karl Ludwig Freiherrn von Bruck (= Historische Studien 507). Matthiesen Verlag, Husum 2015. 459 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das am Rande des Reiches der Franken gelegene, hauptsächlich von Bayern besiedelte Gebiet an der mittleren Donau erscheint in der Zeit der Karolinger als Mark an der Donau, wobei etwas später der Ort Neuhofen an der Ybbs als in Ostarrihhi gelegen bestimmt wird. Aus diesem nicht näher einzugrenzenden Bereich im Osten entwickelt sich eine Markgrafschaft der Babenberger, die zum Ausgleich von Streitigkeiten zwischen Welfen und Bayern 1156 durch Friedrich I. Barbarossa von dem Herzogtum Bayern als eigenes Territorialherzogtum Österreich verselbständigt wird. Unter dem Grundsatz Bella gerant alii, tu felix Austria nube entsteht daraus bis zu dem 19. Jahrhundert eine der fünf Großmächte Europas, die allerdings infolge verfehlter Großmachtpolitik am Ende des ersten Weltkriegs auf einen Kleinstaat zurückgeschnitten wird.

 

Die vorliegende ansprechende und gedankenreiche Monographie beruht auf der von Werner K. Blessing in Erlangen und Brigitte Mazohl in Innsbruck betreuten, im Mai 2011 an der philosophischen Fakultät der Universität Erlangen vorgelegten, 977 Seiten umfassenden Dissertation mit dem Titel Das Bruck’sche Mitteleuropa 1849-1867 – Die praktischen Erfolge der Wiener Politik zur Schaffung einer mitteleuropäischen Wirtschafts-, Währungs- und Verkehrsunion. Sie gliedert sich nach einer Einleitung über den aktuellen Bezug und die Hintergründe der Wiener Mitteleuropaidee und das gängige Bild vom Mitteleuropaprojekt in fünf Sachkapitel. Sie betreffen die Vorgeschichte und Grundlagen mit der politischen Situation Österreichs 1848/1849 als Ausgangspunkt oder Anlass, das Entstehen eines gemeinsamen Binnenmarkts, die Vernetzung von Verkehr und Nachrichtenwesen und Bedeutung, Ende und Nachleben des Bruck’schen Mitteleuropa.

 

Im Ergebnis ermittelt der bei Helmut Neuhaus langjährig tätige Autor bei Berücksichtigung der während seiner Untersuchungszeit entstandenen einzelnen verkehrspolitischen, handelspolitischen und währungspolitischen Bausteine ein von dem 1848 als Handelsminister und 1855 als Finanzminister wirkenden Karl Ludwig Freiherr von Bruck (1798-1860, Freitod) mitbestimmtes Gesamtbild eines von Österreich aus verständlichen Gründen angestrebten gemeinsamen österreichisch-mitteleuropäischen Wirtschaftskörpers, in dem die im Laufe der Zeit im Herzen Europas entstandenen Verflechtungen für die vorherrschenden föderativen Strukturen in geradezu idealtypischer Weise ein weitgehend einheitliches Wirtschaftsgebiet und Verkehrsgebiet indizieren. Dies bedeutet eine erhebliche Aufwertung der Rolle des die Einbindung nichtdeutscher Völker Europas aus einleuchtendem Grund nicht ausschließenden Österreich im Vergleich zum Deutschen Bund. Am Ende seiner vielfältigen Überlegungen wagt er auf dieser Grundlage einen Blick in die Zukunft, indem er meint, dass, ebenso wenig wie es Bruck und seinen Mitstreitern gelang, mit Hilfe der „Wirtschaftsidee“ das multinationale Staatsprinzip gegenüber dem Nationalstaatsprinzip in der gesamtmitteleuropäischen Öffentlichkeit zu verankern, es in Brüssel im 21. Jahrhundert gelingen wird, das Ideal einer auf Volkswohlfahrt ausgerichteten Staatenunion bei den Betroffenen zur Anerkennung zu bringen, solange eine Vielzahl nationaler Politiker und Medien aus egoistischen Gründen dagegen „agieren“ (bzw. agiert?).

 

Innsbruck                                                                                          Gerhard Köbler