Griemert, André, Jüdische Klagen gegen Reichsadelige. Prozesse am Reichshofrat in den Herrschaftsjahren Rudolfs II. und Franz I. Stephan (= bibliothek altes Reich 16). De Gruyter/Oldenbourg, Berlin 2014. 517 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Der Reichshofrat bzw. anfangs der königliche oder kaiserliche Hofrat ist der nach mittelalterlichen Vorläufern (am 13. 12.) 1497 begründete Hofrat (für Rechtssachen aus Reich und Erbländern und Gnadensachen) des Königs bzw. des Kaisers des Heiligen römischen Reiches in Wien (1559 Reichshofrat, Ordnung vom 3. 4. 1559). Er wird zunächst zur obersten Regierung und Justizbehörde bestimmt. Er entwickelt sich aber allmählich zu einem mit dem Reichskammergericht konkurrierenden Gericht des ihn allein besetzenden und finanzierenden Kaisers (im 18. Jh. ganz überwiegend Reichshöchstgericht), dessen Geschichte in ihren Einzelheiten noch der Aufarbeitung harrt, obwohl sich Wolfgang Sellert eindringlich mit seinen Ordnungen befasst hat und zuletzt auch die moderne Erschließung der Akten in Gang gesetzt werden konnte.

 

Das sich mit einer Einzelfrage der damit verbundenen Thematik befassende vorliegende Werk ist eine gekürzte Fassung der von Christoph Kampmann betreuten, im Jahre 2011 im Fachbereich 6 der Universität Marburg eingereichten geschichtswissenschaftlichen Dissertation des Autors, für den ein Hauptarbeitsplatz das Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien mit seinen zahlreichen Archivalien war. Zentraler Gegenstand sind die Juden als im Prozess aktiv Handelnde von 1576 bis 1603 und von 1745 bis 1765. Gegliedert ist die interessante Untersuchung nach einer Einleitung über den Forschungsstand, die Fragestellung, die historiographische Einordnung jüdischer Betreffe und das Quellenkorpus einschließlich der Vorgehensweise in fünf Sachkapitel über Kontextualisierung, rechtsstrategische Handlungen von Juden, jüdische Einschätzungen des Kaisertums und der Reichsgerichtsbarkeit, Selbstbilder und Ehre im Konflikt sowie die Entscheidungsfindung, Rechtsprechung und Erwartungshaltung des Reichshofrats, wobei den Jahren 1576 bis 1603 grundsätzlich jeweils die Jahre 1745 bis 1765 gegenübergestellt werden.

 

Im Ergebnis kann der Verfasser an Hand von 155 und 262 Prozessen mit jüdischer Beteiligung, für die aber teilweise keine Akten mehr greifbar waren, ansprechend feststellen, dass Juden im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerung des Reiches vor dem Reichshofrat überproportional vertreten waren, wobei die Verfahren des 16. Jahrhunderts vor allem von persönlich vermittelter Gewalt geprägt waren, der mehr und mehr eine Verrechtlichung folgte. Prozessgegner waren überwiegend die reichsständisch-adeligen Obrigkeiten (kleine Reichsritter und Geistlichkeit, später kleine Reichsfürsten und Grafen), während eine Eingebundenheit in große Wirtschaftsprojekte nicht sichtbar wird. Zusammenfassend kann die überzeugende Studie zeigen, dass sich die am Reichshofrat klagenden Juden während der beiden Untersuchungszeiträume in der Mitte des Reiches und nicht an dessen sozialem Rand befanden, was durch weitere Arbeiten noch zusätzlich abgesichert werden könnte.

 

Innsbruck                                                                  Gerhard Köbler