Wolf, Joseph Georg, Lex Irnitana. Gesammelte Aufsätze (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen, Neue Folge 66). Duncker & Humblot, Berlin 2012. 291 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das römische Recht ist die wichtigste geschichtliche Grundlage des in der Gegenwart weltweit ausgedehnten Rechtes und von Rom ausgehend entwickelten sich in seinem das Mittelmeer weit umspannenden Reich viele Städte. Dessenungeachtet sind die römischen Rechtsquellen weitgehend nur auf Grund der restaurativen Sammlungstätigkeit des oströmischen Kaisers Justinian im frühen 6. nachchristlichen Jahrhundert der Nachwelt erhalten geblieben und sind die Zeugnisse für die antiken Stadtrechte insgesamt eher spärlich. Dementsprechend kann der Verfasser das Vorwort seines instruktiven Sammelbandes mit dem Satz eröffnen, dass wir 40 Jahre vor dieser Neuerscheinung des Jahres 2012 noch nicht einmal wussten, dass es in der städtereichen römischen Provinz Baetica in Südspanien eine Stadt mit dem Namen Irni gab, auch wenn der von der Archäologie vernachlässigte Siedlungsplatz als solcher längst bekannt war.

 

Dies änderte sich, als Raubgräber (Clandestini) im Jahre 1981 mit einem Metalldetektor sechs Bronzetafeln (fünf ganz, eine als Fragment) nahe El Saucejo aufspürten und ausgruben, weil sich zeigte, dass in ihnen das Stadtrecht von Irni eingeschlagen ist. Die Tafeln wurden in der Folge zwar in zwei Partien verkauft, danach aber wieder ausfindig gemacht und befinden sich nach glücklicher Restauration in der Gegenwart im Archäologischen Museum Sevillas.  Den mit ihnen zusammenhängenden Fragen hat der Verfasser in der Folge einen gewichtigen Teil seines umfassenden Lebenswerks gewidmet.

 

Insgesamt enthält der diesbezügliche, Wolfs Ausgabe des Jahres 2011 vorbereitende und nachträglich noch umrahmende Sammelband des Verfassers zwölf Studien, deren Erstveröffentlichungsorte aus den Jahren 2000 bis 2012 am Ende übersichtlich nachgewiesen werden. Sie beginnen mit der Iurisdictio Irnitana, enden mit Fragmenten flavischer Stadtrechte von Gemeinden in der Baetica und behandeln dabei etwa Intertium, Vertagung, den Iudex iuratus, die Romanisierung Spaniens, den Vergleich mit den Tafeln von Veleia und Ateste, die Rechtspflege in Urso, die imitatio exempli in den römischen Stadtrechten Spaniens, Irnio vor der Irnitana, Bußen, Einkommen und Preise sowie Eide und Gerichtsbarkeit. Im Ergebnis erweist sich die der ersten Hälfte der neunziger Jahre zugeordnete, in 99 Rubriken eingeteilte Lex Irnitana als einziges, auf insgesamt ursprünglich zehn Tafeln zu großen Teilen erhaltenes lateinisches Stadtrecht für ein municipium des ausgehenden ersten nachchristlichen Jahrhunderts, das wegen des guten Erhaltungszustands der gefundenen Teile mittels Vergleichen zu etwa zwei Dritteln rekonstruiert werden konnte und von allen Stadtrechten Spaniens dieser Zeit die besten Aufschlüsse über das mit Kaiser Vespasian zu verbindende flavische Stadtrecht ermöglicht, mit dem den Einwohnern  der peregrinen Städte Spaniens die Latinität gewährt wurde.

 

Innsbruck                                                                  Gerhard Köbler