Risch, Hans Gerhard, Der holsteinische Adel im Hochmittelalter. Eine quantitative Untersuchung (= Kieler Werkstücke, A Beiträge zur schleswig-holsteinischen und skandinavischen Geschichte 30). Lang, Frankfurt am Main 2010. 481 S., 26 Abb., 174 Tab., 31 Graf. Besprochen von Gudrun Pischke.

 

Der Titel dieses Bandes der Kieler Werkstücke lässt einen anderen Zeitraum erwarten als den im Fokus stehenden: die 200 Jahre zwischen 1200 bis 1400 im Spätmittelalter (so S. 26, 33, 53). Hans Gerhard Risch geht es hier um den niederen (S. 26) holsteinischen Adels und die Analyse von dessen „Binnenstruktur und daraus resultierenden wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten“. Dazu war dessen „sozioökonomische und machtmäßige Binnengliederung ... herauszuarbeiten“, um „zu überprüfen, ob und inwieweit bestimmte ökonomische und andere Entscheidungen durch die jeweilige Stellung der adeligen Familien beeinflusst wurden“. (S. 25)

 

Basis dafür waren, als repräsentatives Abbild der Struktur des holsteinischen Adels, 50 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Familien (welche s. Tab. 133, S. 283) – das war ein Drittel des holsteinischen Adels – mit insgesamt 652 Personen, voraussetzt sie waren in Holstein ansässig oder standen zu den Grafen von Holstein in einem Vasallitätsverhältnis (S. 34; zur weiteren Auswahl-Abgrenzung s. S. 33ff. 1.2). Anhand des 1299 Fragestellungen umfassenden Fragebogens (i. E. S.381-398) wurde das Datenmaterial ausgedruckt vorliegenden Urkunden erhoben. Neben den Schleswig-Holsteinischen Regesten und Urkunden sind im Wesentlichen Urkundenbuch des Bistums Lübeck, Urkundenbuch der Stadt Lübeck, Hamburger Urkundenbuch, Mecklenburgisches Urkundenbuch, und Diplomatarium Danicum herangezogen worden; unter der Prämisse, „dass sich in den Archiven nur noch relativ wenig ungedrucktes Material aus der Zeit vor 1400 finden lässt“ (S. 41), blieben ungedruckte Urkunden unberücksichtigt. Die quantitativ erfassten Daten sind EDV-gestützt ausgewertet worden; dadurch seien erstmals für den Bereich der Mediävistik ökonomische, gesellschaftliche und politische Individualdaten erfasst worden. Die Erkenntnisse sind in drei Abschnitten „Ökonomische Aspekte“ (S. 55-181), „Gesellschaftliche Aspekte“ (S. 183-287) und „Politische Aspekte“ (S. 289-366) dargelegt und werden mit dem Lüneburger und dem Ortenauer Adel verglichen. Detaillierte Auswertungen sind in den Übersichten im Anhang (S. 381-451) enthalten.

 

Bei den ökonomischen Aspekten geht es um Veräußerungen und Erwerbungen nach Wert und Menge, die zeitliche Entwicklung und beteiligte Geschäftspartner; Motive für Veräußerungen und Erwerbungen waren nicht zu pauschalisieren und damit nicht zu erfassen (S. 56). Risch kommt zu dem Ergebnis, dass von den 50 ausgewählten Familien die überwiegende Mehrzahl arm und sehr arm war, wobei die Familiengröße mit dem ökonomischen Status korrespondierte: je mehr Mitglieder die Familie hatte, umso wohlhabender war sie (S. 170f.). Die Situation des holsteinischen Adels wird zudem zur Konjunktur in Norddeutschland (auf der Grundlage der Rentenmärkte in Hamburg, Lübeck und Braunschweig) ins Verhältnis gesetzt und mit ökonomischen Strukturen in anderen europäischen Regionen wie England und Schwaben (!) (S. 172ff.) verglichen. Dass der holsteinische Adel – wie auch anderswo – mehr Kredite vergab als aufnahm, wird auch belegt (S. 180.) Nachdem sich der Autor mit Familiengrößen und Altersstruktur (und dem Versuch Geburts- und Todesjahrzehnte, unter der Annahme der Volljährigkeit mit 20 (!) Jahren,  zu rekonstruieren) sowie Rittern und Knappen, Solddiensten, Geistlichen und Frauen befasst hat, verteilt er die 50 Familien nach ihrer gesellschaftlichen Stellung auf fünf Statusklassen (sehr hoch, hoch, durchschnittlich, niedrig und sehr niedrig), wobei der Hälfte der Familien ein durchschnittlicher Status zukommt und mehr als niedrig oder sehr niedrig eingestuft werden und – ähnlich wie beim ökonomischen Status – nur wenige, insgesamt zehn, als sehr hoch und hoch (S. 282). Grundlage für die politischen Aspekte war zum einen ihre Funktion in der Grafschaft als Amtsinhaber nach Hofamtsinhabern, Burgmännern, Räten und Vögten und zum anderen ihre Beteiligung an Konflikten. Amtsinhaber waren eher rudimentär zu erfassen (21 Räte/S. 304 und sieben Burgmänner/S. 294); Konflikte werden unterschieden in Konflikte persönlicher Art und Konflikte mit politischen oder ökonomischen Ursachen; analysiert wurden auch die Konfliktgegner (Landesherr, Geistlicher, Stadt, Adeliger) und die Konfliktaustragung. Auch hier zeigt das Ergebnis fünf Machtklassen von sehr gering bis sehr groß (S. 311). Eine weitere Erkenntnis Rischs ist, dass die Herausbildung des holsteinischen niederen Adels bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, der großen Pest, abgeschlossen war; danach sind keine neuen Familien zu erfassen, vielmehr sank die Zahl der holsteinischen Adelsfamilien (S. 191).

 

In der analog zu den Hauptabschnitten dreigeteilten Zusammenfassung (S. 367-379) skizziert Risch vorliegende quantitative Untersuchungen zum niederen Adel in Mitteleuropa und weist auf durch seine Untersuchungen herausgehobene, bisher unbekannte Zusammenhänge hin, obwohl er oft die Dürftigkeit der Quellenlage bzw. die schlechte Datenlage hervorheben muss. Das Hauptziel, die Erprobung einer bisher in der Mediävistik nicht angewandten Methode aufgezeigt, dazu der weiteren Forschung quantitatives Datenmaterial bereit gestellt und auch Impulse für weitere Arbeiten dieser Art gegeben zu haben, sei mit der vorgelegten Arbeit erreicht (s. S. 53, 378), ohne dass damit insgesamt „ein umfassendes Bild der mittelalterlichen Wirklichkeit“ zu gewinnen ist (S. 379).

 

Bovenden                                                                           Gudrun Pischke